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Sommer 1714. Seit drei Jahren lebt Anne als Zofe am Hof des Kurfürsten Georg Ludwig. Ihre Eltern haben sie zur Vertuschung einer unehelichen Schwangerschaft nach Hannover verbannt und ihr das Kind weggenommen. Nichts will Anne mehr, als nach England zurückzukehren und ihren Sohn zu finden. Als Georg Ludwig zum englischen König ausgerufen wird und mit seinem Hof nach London zieht, bietet sich ihr die erhoffte Gelegenheit. Zugleich wird ihr Geheimnis für sie noch gefährlicher, denn der Vater ihres Kindes zählt zu Georgs erbittertsten Gegnern ...
Anne war nicht die einzige Engländerin am kurfürstlichen Hof. Viele hatten darauf gesetzt, dass die Krone wie angekündigt den Deutschen zufallen würde. Mit der typischen Begeisterung der Engländer für Wetten aller Art hatten sie beachtliche Einsätze von Zeit, Aufwand und Vermögen riskiert, um frühzeitig ins Spiel um königliche Gunst und Machtpositionen einzusteigen.
Zwei Tage nach dem Tod von Herzogin Sophie stand Anne im Schlafgemach einer Frau, die in diesem Spiel bisher ein glückliches Händchen bewiesen hatte, und arrangierte ihre Frisur. Mit der Zeit hatte sie ein besonderes Geschick dafür entwickelt, das natürliche Haar so um kleine Polster aus falschem Haar zu drapieren, dass niemand den Unterschied feststellen konnte.
Henrietta Howard war keine der Damen, die alles dafür taten, dass ihre Schönheit auf den ersten Blick ins Auge stach. Oft ließ sie ihr feines hellbraunes Haar auch ganz schlicht frisieren, und Schmuck trug sie sparsam. Dennoch war es ihr auf ihre zurückhaltende, aber unterhaltsame Art schon kurz nach ihrer Ankunft gelungen, bei Prinzessin Caroline Kammerfrau zu werden. Außerdem munkelte man, dass auch der Kurprinz selbst ein besonders enges Verhältnis zu ihr hatte. Sogar Madam Howards Ehemann, der sie nach Hannover begleitet hatte, verdankte ihr seinen Posten bei Hof. Es war kein Geheimnis, dass das Einkommen daraus für ihn ein Segen war, da er sein Vermögen in England verspielt und hohe Schulden angehäuft hatte.
Henrietta saß im dunklen Kleid vor ihrer Frisierkommode und beobachtete Annes Handgriffe in dem großen, verschnörkelt gerahmten Spiegel, der darauf thronte. Seit Anne sich ihr als Tochter von Sir Baynes von Madlock Country vorgestellt hatte, sprach die Dame nicht mehr Französisch, sondern Englisch mit ihr. Die deutsche Sprache beherrschte sie nur bruchstückhaft. Weil sie etwas schwerhörig war, sprach sie lauter, als es eigentlich zu ihr passte, und sah ihren Gesprächspartnern durchdringend ins Gesicht, was Anne im ersten Moment eingeschüchtert hatte.
»Madam Schulenburg hat mir ans Herz gelegt, deine Dienste als Coiffeuse in Anspruch zu nehmen. Mir erschien es unpassend, in dieser Trauerzeit besonderen Aufwand mit meiner Garderobe zu treiben. Doch sie überzeugte mich davon, dass es gerade jetzt notwendig ist. Angeblich stehen wir nun, da Seine Durchlaucht in der Thronfolge aufgerückt ist, noch stärker unter Beobachtung und müssen zeigen, dass wir der hohen Ehre in jeder Hinsicht würdig sind. Und Prinzessin Caroline besteht darauf, den Geburtstag ihrer kleinen Töchter zu feiern, gerade weil die Kinder über den Tod ihrer Urgroßmutter traurig sind.« Sie sah Anne über den Umweg des Spiegelbilds verständnisheischend an. Offenbar wollte sie auf keinen Fall in den Verdacht geraten, dass sie ihrer Eitelkeit frönte, während die Herzogin noch im Schloss aufgebahrt lag.
Ohne eine Miene zu verziehen, blieb Anne auf ihre Arbeit konzentriert. »Wir legen einen dunklen Schleier über Euer Haar, um dem Anstand zu genügen. Es wird dennoch genug von der Frisur zu sehen sein, dass niemand Euch für nachlässig halten kann.«
Madam Howard atmete mit einem Seufzen aus. »Gut.«
Eine Weile schwieg die Dame, und ihr verschwimmender Blick verriet, dass sie in Gedanken versunken war.
Mit einem lauten Einatmen tauchte sie wieder auf und verfolgte erneut Annes Bewegungen im Spiegel. »Wirst du zu deiner Familie nach Madlock Country zurückkehren, wenn der Hof nach London zieht? Das ist in der Nähe von Glasgow, nicht wahr? Sicher ist es dort oben an der Westküste hübsch. Ich verbrachte meine Kindheit in Norfolk nahe der Ostküste und erinnere mich gern an unsere Besuche am Meer.«
Dem Hofgeflüster konnte niemand ausweichen, deshalb wusste Anne, dass die junge Henrietta mit ihrer Mutter das Familienanwesen hatte verlassen und nach London ziehen müssen, nachdem ihr Vater bei einem Duell zu Tode gekommen war. Gleich als Madam Schulenburg sie zu Henrietta geschickt hatte, war sie in Gedanken alle Einzelheiten durchgegangen, die ihr über ihre Landsmännin zu Ohren gekommen waren. Würde diese Frau ihr helfen, nach London mitgenommen zu werden? Durfte sie es wagen, an sie zu appellieren, oder gab sie damit zu viel von sich preis? Wenn Madam Howard nicht der Sinn danach stand, ihr zu helfen, konnte sie leicht mit ungnädigen Worten an der richtigen Stelle ihre Chancen zunichtemachen.
Anne beschloss, das Wagnis einzugehen.
»Mein größter Wunsch wäre es, den Hof nach London begleiten zu dürfen, Madam. Im Dienst der Damen von der Schulenburg zu stehen, ist mir eine große Ehre und Freude.«
Henrietta zuckte, als wolle sie sich ihr zuwenden, erstarrte jedoch wieder, um Anne nicht die Haarsträhnen aus der Hand zu ziehen, mit denen sie gerade beschäftigt war. »Haben deine Eltern denn nicht vor, dich bald zu verheiraten? Du bist doch in dem Alter, in dem dieser Schritt erwogen werden muss.«
Anne fühlte einen kleinen Stich, weil Henrietta nur eine höfliche Form wählte, um auszudrücken, dass es für sie höchste Zeit wurde zu heiraten. In den kommenden Jahren würde es mit solchen Anspielungen noch schlimmer werden. Alle würden sie mit zunehmendem Mitleid, Häme oder gar Misstrauen betrachten und sich fragen, warum sie noch nicht verheiratet war. Welcher unsichtbare Makel haftete ihr an? Aber eines Tages, wenn sie die Schwelle zwischen aufblühendem Weib und alter Jungfer endgültig überschritten hatte, würden sie damit auch wieder aufhören. Sie würden sich nicht länger wundern, sondern sie einfach zum leicht wurmstichigen Inventar zählen: ein weiteres vom Heiratsmarkt übersehenes altes Mädchen, das sich immerhin nützlich machte.
»Mein Vater hat mir nichts von solchen Absichten mitgeteilt. Auch er empfindet meine Dienste an diesem Hof als große Ehre und hat es nicht eilig, sie zu beenden.«
Sie spürte ein unangenehmes Zucken unter ihrem rechten Auge, als sie die Worte aussprach. In Wahrheit wusste sie nicht, was ihr Vater über ihren Dienst bei Hof gegenwärtig dachte. Seit er sie damals in Greenock aufs Schiff gebracht und in die Verbannung geschickt hatte, waren nur einige karge Nachrichten von ihrer Familie zu ihr gedrungen, die aus dem Briefwechsel zwischen ihrer Tante und ihrer Mutter stammten. Nach einem Dutzend unbeantworteter Briefe hatte Anne es ihrerseits aufgegeben zu schreiben, weil ihre Tante sich über die sinnlosen Kosten beschwert hatte.
Der einzige Mensch in England, mit dem Anne sich seitdem noch gelegentlich austauschte, war ihr gleichaltriger Freund William Wills. Nur er allein hatte sie nicht vergessen.
Henrietta spitzte mitleidig die Lippen. »Ich will dir deine Hoffnung nicht nehmen, aber ich fürchte, es ist unwahrscheinlich, dass man dich auch in London in Diensten behalten wird. Das hat nichts mit deinen Fähigkeiten oder deinem Charakter zu tun. Du musst verstehen, dass es die Engländer vor den Kopf stoßen würde, wenn der neue König viele eigene Bedienstete und Hofleute mitbrächte und für die verdienstvollen englischen Höflinge keine Posten und Ämter übrig blieben. Und die Kosten . Gerade gestern führte mir die verehrte Frau von Kielmannsegg vor Augen, wie kostspielig und daher schwierig der Umzug für viele hier werden wird.«
Madam Howard meinte es gut, dennoch musste Anne tief durchatmen, damit ihre Hände nicht anfingen zu zittern. Es klang nicht so, als hätte die Dame Lust, ihren Einfluss zu nutzen, um einer kleinen Zofe einen Wunsch zu erfüllen. Anne fühlte ihre Entschlusskraft wanken, ehe sie den Kampf überhaupt begonnen hatte. Was bildete sie sich auch ein? Wie sollte ausgerechnet sie sich unentbehrlich machen? Nichts an ihr war einzigartig. Hier in Hannover mochten die Damen ihre geschickten Hände loben, doch in London warteten gewiss weit Geschicktere und Begabtere auf den neuen Hofstaat.
Anne sah in den Spiegel, um Henrietta zu antworten, und begegnete ihrem eigenen Anblick. Die fleckige Röte ihrer von Natur aus blassen Wangen verriet ihre Verlegenheit. Sie hätte sich jeden Morgen eine dicke Schicht Puder auflegen müssen, um ihr Erröten oder auch nur ihre Sommersprossen zu verbergen, doch die Zeit dafür nahm sie sich nie. Auch Puder und Farbe hätten ohnehin nicht geändert, dass ihre blauen Augen zu groß für das zu schmale Gesicht waren und sie deshalb immer hungrig aussah, obwohl sie genug aß. Immerhin hatten ihre dunklen Brauen eine feine Form - dem half sie nach. Und die weiße Spitzenhaube saß tadellos.
»Natürlich, Madam. Das ist mir bewusst. Verzeiht mir die Anmaßung. Es gibt gewiss viele, die solche Ehre mehr verdienen als ich. Ich würde mich nicht vordrängen wollen.«
»Warst du denn früher schon einmal in London?«
Anne steckte sorgfältig das Haarteil fest, an dem sie später den Schleier anbringen wollte. »Ja, ein Mal. Ich durfte meine Mutter und meine Schwester begleiten, als sie für die Hochzeitsvorbereitungen meiner Schwester in die Stadt gereist sind. Das war vor sechs Jahren. Wir haben drei Wochen dort verbracht.«
Henrietta hob die Brauen. »Um Kleider und Schmuck auszusuchen, nehme ich an? Und haben deine Eltern viele Bekannte in London, die ihr besucht habt?«
»Meine Mutter war vor ihrer Heirat ein Jahr lang Hofdame am Hof von King James, während mein deutscher Großvater als Abgesandter in London weilte. Einige Bekanntschaften waren ihr aus jener Zeit erhalten geblieben, und die besuchten wir. Allerdings muss ich zugeben, dass mir die Tuchhändler, Schneider und Putzmacher stärker in Erinnerung geblieben sind. In dem Alter erschien mir ein schönes neues Kleid als das höchste Glück des Lebens.«
Madam Howard lächelte sanft. »Ach ja, die Jugend....
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