Schweitzer Fachinformationen
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Ein paar Tage lang rechnete ich, nach Rückkehr von meiner Reise, noch immer mit dem Ehepaar, obwohl ich wusste, dass es nicht kommen würde. Nun traf ich jeden Morgen pünktlich im Verlag ein (ich verdrückte mein Frühstück und Schluss, es gab keinen Anlass zum Bummeln), doch etwas trübsinnig und vor allem unlustig, es ist erstaunlich, wie schlecht unser Alltag Veränderung verträgt und sei sie zum Guten, diese war es nicht. Es kostete mich mehr Überwindung, meine Arbeit anzugehen, zuzusehen, wie mein Chef sich aufblies, und die nervtötenden Anrufe oder Besuche der Schriftsteller zu empfangen, was aus unerfindlichem Grund an mir hängengeblieben war, vielleicht, weil ich ihnen vergleichsweise mehr Beachtung schenkte als meine Kollegen, die ihnen bewusst aus dem Weg gingen, vor allem den besonders eingebildeten, fordernden, aber auch den besonders lästigen, hilflosen, denen, die allein lebten, den kaputten Typen, die einen aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz anmachten, denen, die unsere Nummer wählten, damit ihr Tag anfing und jemand wusste, dass es sie noch gab, egal, unter welchem Vorwand. Es sind seltsame Leute, zum Großteil. Sie stehen auf, wie sie zu Bett gegangen sind, immer in Gedanken bei ihren Kopfgeburten, die sie rund um die Uhr beschäftigen. Die von der Literatur und ihren Grenzgebieten leben und somit keiner festen Arbeit nachgehen - das sind inzwischen einige, in dem Geschäft steckt Geld, sosehr man auch das Gegenteil behauptet, vor allem für Verleger und Händler -, sie verlassen nicht ihre Wohnung, müssen sich nur wieder an den Computer oder die Schreibmaschine setzen - manch Kauz benutzt noch Letztere, und die Texte müssen nach Abgabe eingescannt werden -, mit unbegreiflicher Selbstdisziplin: Etwas Überspanntheit gehört wohl dazu, wenn man sich an eine Arbeit macht, ohne dass sie einem aufgetragen wurde. Ich hatte nun also weit weniger Lust und Geduld, fast täglich einem Schriftsteller beim Ankleiden zu assistieren, Cortezo hieß er und rief mich unter einem unsinnigen Vorwand an, um zu fragen, »da ich dich schon mal an der Strippe habe«, ob meiner Ansicht nach Kluft oder Klamotten, in denen er ging oder gehen wollte und die er mir beschrieb, zueinander passten.
»Glaubst du, zu Nadelstreifenhose und braunen Mokassins mit Troddeln, du weißt schon, als Verzierung, passen da Rautensocken?«
»Welche Farbe haben die Rauten?«, fragte ich.
»Braun und orange. Aber ich habe auch rot-blaue und grün-beige, was meinst du?«
»Besser die blau-braunen, die du anhast«, antwortete ich.
»Die Kombination habe ich nicht. Soll ich welche kaufen gehen?«
Ich hatte ein Fünkchen Mitleid, obwohl es mich maßlos ärgerte, dass er mir mit solchen Fragen kam, als wäre ich seine künftige Witwe oder seine Mutter, und dass dieser Mensch sich so viel auf seine Texte einbildete, die von der Kritik gelobt wurden, mir jedoch dümmlich erschienen. Aber ich wollte ihn nicht losschicken, damit er sich in der Stadt noch mehr abartige Socken kaufte, die ihm auch nicht weiterhelfen würden.
»Nein, ist nicht nötig, Cortezo. Warum schneidest du aus den einen nicht die blauen, aus den anderen die braunen Rauten heraus und setzt sie zusammen? Mach ein Patchwork, wie es auf Neuspanisch heißt. Ein Kunstflickwerk.«
Es dauerte, bis er merkte, dass es ein Scherz war.
»Aber so was kann ich doch nicht, María, ich kann mir ja nicht mal einen Knopf annähen, und meine Verabredung ist in anderthalb Stunden. Ach so. Du nimmst mich auf den Arm.«
»Ich? Niemals. Aber besser, du ziehst einfarbige an. Marineblaue, wenn du die hast, und in dem Fall rate ich dir zu schwarzen Schuhen.« Am Ende half ich ihm ein wenig, soweit möglich.
Doch nun war ich ganz und gar nicht bei Laune und wimmelte ihn sofort ab, voll Überdruss und etwas böswilliger Tücke: Wenn er sagte, er gehe in einem dunkelgrauen Anzug zu einem Cocktail in der französischen Botschaft, empfahl ich ihm kurzerhand nilgrüne Socken und versicherte, das sei das neuste Wagnis, alle würden staunen, was ja im Grunde nicht falsch war.
Liebenswert zu bleiben fiel mir auch bei einem anderen Schriftsteller schwer, der als Garay Fontina firmierte - mit zwei Nachnamen also, ohne Vornamen, das hielt er wohl für originell und geheimnisvoll, es klang aber nach Schiedsrichter auf dem Fußballplatz - und der Ansicht war, der Verlag habe ihm jede Mühe und Unannehmlichkeit aus dem Weg zu räumen, auch wenn es nicht im Geringsten mit seinen Büchern zu tun hatte. Er verlangte von uns, einen Mantel bei ihm abzuholen und in die Reinigung zu bringen, einen Informatiker vorbeizuschicken oder die Maler, ihm eine Unterkunft in Trincomalee oder in Batticaloa zu suchen und seine gesamte Privatreise dorthin zu planen, den Urlaub mit seiner tyrannischen Gattin, die manchmal bei uns anrief oder persönlich auftauchte und nicht etwa mit Bitten, sondern mit Befehlen. Mein Chef hielt große Stücke auf Garay Fontina und war ihm über uns gern gefällig, nicht etwa, weil er so viele Bücher von ihm verkauft hätte, sondern weil er sich hatte einreden lassen, man lade ihn häufig nach Stockholm ein - zufällig wusste ich, dass er dort immer auf eigene Faust hinfuhr, um ins Blaue hinein zu intrigieren und die Luft dort zu schnuppern - und werde ihm den Nobelpreis geben, obwohl niemand ihn nominiert hatte, weder in Spanien noch sonst wo. Nicht einmal jemand in seiner Geburtsstadt, wie es bei so vielen der Fall ist. Doch er stellte es meinem Chef und seinen Angestellten als Tatsache dar, und wir wurden rot bei Sätzen wie »meine nordischen Spione sagen, dass er in diesem oder nächstem Jahr fällig ist« oder »ich habe schon im Kopf, was ich Carl Gustav bei der Zeremonie auf Schwedisch vorsetzen werde, Kleinholz mache ich aus dem, sein Lebtag wird der nichts Wilderes gehört haben, und das in seiner eigenen Sprache, die sonst niemand lernt«. »Ja was denn, was denn?«, fragte mein Chef mit vorauseilender Erregung. »Das wirst du am nächsten Tag in der Weltpresse lesen«, erwiderte Garay Fontina hochnäsig. »Keine Zeitung wird sich das entgehen lassen, und alle werden es aus dem Schwedischen übersetzen müssen, sogar die hiesigen, ist das nicht lustig?« (Es war geradezu beneidenswert, mit wie viel Selbstvertrauen er auf ein Ziel hinlebte, wenn auch beides, Ziel und Selbstvertrauen, frei erfunden waren.) Ich bemühe mich, diplomatisch zu bleiben, meine Stelle wollte ich nicht aufs Spiel setzen, aber jetzt kostete es mich unsägliche Überwindung, wenn ich ihn in aller Frühe mit einer maßlosen Forderung am Telefon hatte.
»María«, sagte er mir etwa an einem Morgen, »ihr müsst mir zwei Gramm Kokain besorgen, für eine Szene im neuen Buch. Jemand soll es mir vorbeibringen, so bald wie möglich, aber auf jeden Fall vor Einbruch der Dunkelheit. Ich will mir die Farbe bei Tageslicht anschauen, nicht, dass ich mich irre.«
»Aber Herr Garay .«
»Garay Fontina, meine Liebe, wie oft habe ich dir das schon gesagt; Garay allein kann jeder heißen, ob im Baskenland, in Mexiko oder Argentinien. Sogar ein Fußballspieler.« So sehr ritt er darauf herum, dass ich mir sicher war, den zweiten Nachnamen hatte er erfunden (bei einem Blick ins Madrider Telefonbuch fand ich keinen Fontina, nur einen Laurence Fontinoy, ein noch unwahrscheinlicherer Name, wie der Sturmhöhe entsprungen), vielleicht hatte er auch beide erfunden und hieß womöglich Gómez Gómez oder García García oder sonst etwas doppelt Gemoppeltes, dessen er sich schämte. Wenn es ein Pseudonym war, wusste er sicher nicht, dass Fontina ein italienischer Käse ist, ich weiß nicht, ob von Kuh oder Ziege, den man im Aostatal herstellt, wie mir scheint, und den man vor allem zum Schmelzen gebraucht. Nun gut, es gibt ja auch Erdnüsse mit Namen Borges, was den wohl kaum gestört hätte.
»Ja, Herr Garay Fontina, verzeihen Sie, es war nur um der Kürze willen. Aber wissen Sie«, das konnte ich mir nicht verkneifen, auch wenn es darum gar nicht ging, »zerbrechen Sie sich nicht den Kopf über die Farbe. Ich kann Ihnen versichern, sie ist weiß, ob bei Sonnenlicht oder Lampenlicht, das ist allgemein bekannt. In vielen Filmen kommt es vor, haben Sie seinerzeit nicht die von Tarantino gesehen? Oder den mit Al Pacino, wo er sich ganze Berge davon reinzieht?«
»So weit reicht's bei mir noch, liebe María«, entgegnete er pikiert. »Immerhin lebe ich auf diesem dreckigen Planeten, sowenig es auch den Anschein haben mag, wenn ich gerade schöpferisch tätig bin. Aber sei so lieb und unterschätz mich nicht, die du dich nicht aufs bloße Bücherproduzieren beschränkst wie deine Kollegin Beatriz und so viele andere, sondern sie außerdem liest, mit gutem Urteil dazu.« Derlei sagte er mir bisweilen, vermutlich, um mich für sich zu gewinnen: Ich hatte ihm niemals meine Meinung über irgendeinen seiner Romane gesagt, dafür wurde ich nicht bezahlt. »Ich fürchte nur, nicht das präzise Adjektiv zu finden. Mal sehen, weißt du genau, ob es ein milchiges Weiß ist oder ein Kalkweiß? Und die Beschaffenheit: Ist es eher wie zermahlene Kreide oder wie Zucker? Wie Salz, wie Mehl oder wie Talkum? Na, sag schon.«
Da hatte ich mich auf eine absurde, gefährliche Diskussion eingelassen, überempfindlich, wie der baldige Laureat war. Ich hatte mich selbst reingeritten.
»Wie Kokain eben, Herr Garay Fontina. Heutzutage muss man es nicht beschreiben, denn wer hätte es nicht probiert oder vor Augen gehabt. Höchstens die Alten nicht, doch auch die haben es tausendmal im Fernsehen gesehen.«
»Willst du mir etwa sagen, wie ich zu schreiben habe, María? Ob ich ein Adjektiv setzen soll oder nicht? Was ich beschreiben soll und was überflüssig ist? Soll das eine Lektion für Garay Fontina...
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