Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
In dieser Anfangszeit ging mich kaum etwas an, auch wenn sich das schnell änderte, es reicht, jemanden verfügbar, bei der Hand, in Wartestellung zu haben, damit man ihm nach und nach vertraut oder Aufgaben erfindet; und »hier« bedeutete bei ihm zu Hause, obwohl es nach einiger Zeit auch so etwas meinte wie »an meiner Seite«, wenn ich ihn mal auf eine Reise begleiten, mal bei den Dreharbeiten aufsuchen oder an einem Abendessen oder einem Pokerabend mit Freunden teilnehmen sollte, im Grunde nur als Lückenbüßer, wie mir scheint, ein bewundernder Zeuge mehr. In seinen geselligsten Phasen, die zum Glück nicht selten waren - oder sollte man sagen, in seinen weniger melancholischen oder gar misanthropischen, regelmäßig fiel er von einem Extrem ins andere, als säße sein Gemüt auf einer recht gemächlichen Wippe, die seiner Frau gegenüber plötzlich schneller schwang, aus Gründen, die ich mir nicht erklären konnte und die in ferner Vergangenheit liegen mussten -, hatte er gern Publikum, Zuhörer, ja ließ sich gern ein wenig anfeuern.
Bei ihm zu Hause, wenn wir vormittags zusammentrafen, damit er mir, sofern nötig, Anweisungen geben oder eine Weile Reden schwingen konnte, fand ich ihn oft rücklings auf dem Wohnzimmerboden oder dem des angrenzenden Arbeitszimmers (beide Räume von einer Schiebetür getrennt, die fast immer offen stand, später vereinte man die Zimmer tatsächlich zu einem einzigen großzügigen Raum). Vielleicht bewogen ihn dazu die Schwierigkeiten, im Sitzen die Beine unterzubringen, und es war für ihn bequemer so, der Länge nach ausgestreckt, ohne Hürden noch Hindernisse, mal auf dem Wohnzimmerteppich, mal auf den Dielen des Arbeitszimmers. Auf dem Boden trug er natürlich keines seiner Sakkos, die er dort nur zerknautscht hätte, sondern Hemd und Weste oder einen Pullover mit V-Ausschnitt, allerdings immer eine Krawatte, in seinem Alter schien ihm dieses Accessoire unverzichtbar zu sein, zumindest in der Stadt, auch wenn sich damals alle Bekleidungsregeln bereits in Luft aufgelöst hatten. Als ich ihn zum ersten Mal so sah - auf dem Boden liegend wie eine Kurtisane aus dem 19. Jahrhundert oder wie ein verunglückter Zeitgenosse -, war ich überrumpelt und in Sorge, glaubte, er hätte einen Anfall, wäre ohnmächtig geworden oder gestolpert und käme nicht mehr auf die Beine.
»Was haben Sie, Don Eduardo? Geht es Ihnen nicht gut? Soll ich Ihnen helfen? Sind Sie ausgerutscht?« Dienstfertig streckte ich ihm die Arme entgegen, um ihm aufzuhelfen. Nach anfänglichem Ringen (er drängte mich, ihn einfach zu duzen) hatten wir vereinbart, dass ich ihn siezen, aber beim Vornamen nennen sollte, ohne das »Don«, aber es fiel mir schwer, es wegzulassen, es kam mir automatisch über die Lippen und entschlüpfte mir noch immer.
»Unsinn«, entgegnete er vom Boden aus und machte nicht die geringsten Anstalten, aufzustehen oder sich vor mir zu schämen; er blickte auf meine rettenden Hände, als wären sie zwei Fliegen, die ihn umschwirrten und ihm lästig waren. »Siehst du nicht, dass ich hier in aller Ruhe rauche? Da.« Und er hielt mir schwenkend eine Pfeife, fest am Kopf gepackt, vors Gesicht. Er rauchte vor allem Zigaretten und außer Haus nichts anderes, aber bei sich griff er zwischendurch zur Pfeife, als wollte er ein Bild vervollständigen, das im Grunde nur wir wenigen sahen (er holte sie nicht einmal bei den gelegentlichen Einladungen hervor, die er meist ganz spontan gab), das Bild war wohl für ihn selbst gedacht: Augenklappe, Pfeife, schmaler Schnurrbart, dichtes Haar mit hohem Scheitel, maßgeschneiderte Anzüge, manchmal mit Weste, als wäre er unbewusst beim Bild der Galane seiner Kindheit oder Jugendzeit hängengeblieben, in den dreißiger, vierziger Jahren, nicht nur bei Errol Flynns (dem Urbild, mit dem er das strahlende Lächeln gemein hatte), sondern bei Schauspielern, von denen wir heute nur noch ein verschwommenes Bild haben, wie Ronald Colman, Robert Donat, Basil Rathbone, auch David Niven und Robert Taylor, die etwas länger überdauerten, ihnen allen glich er, sosehr sie sich voneinander unterschieden. Da er Spanier war, erinnerte er hin und wieder auch an die Braungebrannteren, die erst recht andersartig und exotisch wirkten, Gilbert Roland und César Romero, vor allen an Ersteren mit seiner großen Nase, schnurgerade wie die seine.
»Und was machen Sie da auf dem Boden, wenn ich fragen darf? Reine Neugier, keinerlei Einwand, Gott bewahre. Ich möchte nur Ihre Gewohnheiten verstehen, das ist alles. Wenn es denn eine Gewohnheit ist.«
Er vollführte eine resignierte Gebärde der Ungeduld, als wäre mein Erstaunen nichts Neues für ihn, als hätte er früher schon anderen die gleiche Erklärung geben müssen.
»Nichts Ungewöhnliches. Was ist dabei? Ich mache das oft. Da gibt es nichts zu verstehen, und ja, es ist eine Gewohnheit. Darf man sich nicht auf dem Boden ausstrecken, auch wenn einem nichts passiert ist, einfach aus Vergnügen? Und aus Bequemlichkeit.«
»Aber natürlich, Don Eduardo, Sie können Balanceübungen machen, wenn Sie Lust dazu haben, das versteht sich doch von selbst. Mit chinesischen Tellern sogar.« Diese Bemerkung ließ ich hinterlistig einfließen, damit feststand, dass seine Haltung so normal nicht war, wie er vorgab, nicht bei einem reifen Mann, einem Familienvater dazu, auf dem Boden lümmeln sonst junge Kerle und Kinder, und er hatte drei davon im Haus. Ich war mir auch nicht sicher, ob man wirklich chinesische Teller nannte, was mir da in den Sinn gekommen war, man lässt mehrere davon auf flexiblen Stäben kreisen, lang und dünn, die man auf den Fingerkuppen balanciert, ich habe keinerlei Vorstellung, wie man das bewerkstelligt und zu welchem Zweck. Aber bestimmt hatte er mich verstanden. »Hier stehen doch zwei Sofas bereit«, fügte ich hinzu und deutete ins Wohnzimmer hinter mir, er lag im Arbeitszimmer. »Es hätte mich nicht die Spur beunruhigt, wenn Sie auf einem davon gelegen hätten, sogar im Schlaf oder in Trance. Aber auf dem Boden, bei all dem Staub . Das erwartet man nicht unbedingt, verzeihen Sie.«
»In Trance? Ich, in Trance? Wie denn in Trance?« Das schien ihn getroffen zu haben, aber schon kam ein halbes Lächeln durch, als hätte es ihn zugleich amüsiert.
»Na ja, nur so eine Redensart. Grübelnd, meditierend oder hypnotisiert.«
»Ich hypnotisiert? Von wem? Wie hypnotisiert?« Nun konnte er ein kurzes offenes Lächeln nicht unterdrücken. »Du meinst Selbsthypnose? Ich mich selbst? Am Morgen? À quoi bon?«, schloss er auf Französisch, kurze Ausflüge in diese Sprache waren nicht selten bei den Gebildeten seiner und der vorhergehenden Generation, die zweite Sprache, die sie gewöhnlich erlernt hatten. Ja, sehr bald schon hatte ich gemerkt, dass meine kleinen Scherze nicht unwillkommen waren, fast niemals schob er den Riegel vor, sondern ging ein wenig darauf ein; wenn er es nicht ausführlicher tat, dann kaum aus mangelnder Lust, sondern nur, damit ich mir nicht allzu schnell zu viel herausnahm, eine unnötige Vorsichtsmaßnahme, ich bewunderte und respektierte ihn. Nach dem Ausflug ins Französische hielt er inne. Wieder streckte er die rauchende Pfeife in die Höhe, um den folgenden Worten Nachdruck zu verleihen: »Der Boden ist der sicherste Ort, den es gibt, solide und bescheiden, wo man die beste Sicht auf den Himmel oder die Decke hat, wo man am besten denken kann. Und auf dem hier liegt keine einzige Staubflocke«, betonte er. »Gewöhn dich dran, mich hier unten zu sehen, denn hier kann man weder herunter- noch tiefer fallen, was sehr von Vorteil ist, wenn man Entscheidungen zu treffen hat, denn dabei sollte man immer von der schlimmsten Hypothese ausgehen, ja sogar von der Verzweiflung und ihrem Pendant, der Niedertracht, so werden wir nicht weich und machen uns nichts vor. Zerbrich dir also nicht den Kopf und setz dich, ich will dir etwas diktieren. Und lass endlich das >Don< weg, wie oft soll ich dir das noch sagen. >Don Eduardo<«, er äffte mich nach, er war ein begnadeter Imitator. »Das macht mich alt und klingt nach Galdós, den ich nur schwer ertrage, mit zwei Ausnahmen, und bei einem so ausufernden Werk macht ihn das zum Despoten. Los, schreib.«
»Von da aus wollen Sie diktieren? Von da unten?«
»Ja, von hier aus, was dagegen? Dringt meine Stimme nicht zu dir? Sag bloß, wir müssen zum HNO-Arzt mit dir, das würde nichts Gutes verheißen in deinem Alter. Wie alt warst du noch mal? Fünfzehn?« Auch ihm lagen der Scherz und die Übertreibung.
»Dreiundzwanzig. Ja, natürlich dringt Ihre Stimme zu mir. Sie ist mächtig und männlich, wie Sie wissen.« Ich fing mit den Scherzen nicht nur an, immer, wenn Muriel einen mit mir machte, gab ich ihn zurück oder antwortete zumindest im gleichen unernsten Ton. Wieder lächelte er unwillkürlich, mehr mit dem Auge als mit den Lippen. »Aber ich sehe Ihr Gesicht nicht, wenn ich mich an meinen Platz setze. Ich wäre dann hinter Ihrem Rücken, und das ist unhöflich, nicht wahr?« Gewöhnlich saß ich in einem Sessel gegenüber dem seinen, wenn wir die Korrespondenz erledigten, zwischen uns sein Schreibtisch aus dem 18. Jahrhundert; aber nun lag er nahe der Wohnzimmerschwelle hinter meinem Sessel.
»Dann dreh den Stuhl um, damit er zu mir sieht. Was für ein kolossales Problem, er ist doch nicht am Boden festgeschraubt.«
Er hatte recht, und ich machte es so. Jetzt lag er buchstäblich zu meinen Füßen, quer davor, eine extravagante Konstellation, der Chef horizontal auf dem Boden und der Sekretär - oder was auch immer ich darstellen sollte - eine Handbreit davon entfernt, ihm bei der geringsten unfreiwilligen, abrupten...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.