Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Als die ersten Regentropfen auf das Wellblechdach klopfen, zuckt Zodwa zusammen und lässt das Buch in ihren Schoß sinken. Die flatternden Seiten löschen die Kerze, und die Hütte ist in Dunkelheit getaucht.
Obwohl sie schon seit über einem Jahr in dem Squatter Camp lebt, hat sich Zodwa immer noch nicht daran gewöhnt: die Panik, wenn die ersten dissonanten Schläge ihren Rhythmus finden und zu einem stetigen Trommelschlag werden, der eine Katastrophe ankündigt. Die Hütten nahe am Flussbett wurden im Januar überflutet und weggespült. Niemals wird sie das unmenschliche Heulen der Frau vergessen, als am Tag darauf die aufgequollene Leiche ihres zweijährigen Kindes zwei Kilometer flussabwärts gefunden wurde.
Am schlimmsten findet es Zodwa, dass die dünne Schaumstoffmatratze anfängt zu stinken, wenn Wasser in die Hütte läuft und den Lehmfußboden tagelang schmierig aufweicht. Es gibt ihr das Gefühl, wie ein Insekt in feuchter Erde eingegraben zu leben, anstatt ein menschliches Wesen zu sein, das versucht, sein Leben auf dem winzigen Stückchen Land zu fristen, das sie für sich beanspruchen.
Doch sogar das Konzept des Eigentums ist eine Illusion. Die Leute hier haben zwar ihre Hütten gebaut, aber das Land gehört nicht ihnen. Wie Tausende anderer hausen sie hier ohne offizielle Genehmigung und leben in ständiger Furcht - vor den Bulldozern und den Hüttenfeuern, die gelegentlich aufflammen und durch das Lager brausen. Die Regierung und die Polizei stellen eine gleichermaßen schlimme Bedrohung dar.
Zodwa ist erleichtert, als die Regentropfen leiser werden. Gerade hat sie ein Streichholz entfacht, um die Kerze wieder anzuzünden, als sich ihre Mutter plötzlich aufrichtet, geschüttelt von einem heftigen Hustenanfall. Auch der Hund, der zusammengerollt zwischen Leletis Beinen geschlafen hat, erhebt sich.
Leleti hat in den letzten Wochen so viel Gewicht verloren, dass sie nur noch aus Haut und Knochen besteht. Als Zodwa die Hand auf das Knie ihrer Mutter legt, fühlt es sich so hart an wie eine Zurückweisung. »Mama. Was kann ich für dich tun?«
Leleti wartet, bis der Hustenanfall abgeebbt ist, bevor sie mühsam keuchend antwortet: »Gar nichts, mein Kind, aber ich danke dir. Versuche, dich ein bisschen auszuruhen.« Der Hund winselt, als er ihre Stimme hört, und leckt ihre Hand.
»Ich kann nicht schlafen. Bitte lass mich dir helfen. Komm, ich befeuchte das Tuch, dann kannst du dein Gesicht damit kühlen«, sagt Zodwa und macht Anstalten aufzustehen.
Ihre Mutter deutet auf den Topf voller Wasser neben sich, in dem nutzlos ein Tuch schwimmt. Es ist voller Blut, das in Schlieren herausläuft und rosa Farbwirbel im Wasser hinterlässt. »Es nützt doch sowieso nichts.«
Endlich gibt sich der Anfall, und Leleti legt sich wieder hin. Der Hund tut es ihr nach. Gerade als Zodwa glaubt, ihre Mutter sei eingeschlafen, sagt sie: »Du solltest nach Hause gehen.«
»Ich bin zu Hause, Mama.«
»Nein, zurück nach Ulundi. Nach KwaZulu. Nach Hause ins Dorf.«
»Nein, ich möchte hier bei dir bleiben.«
»Ich bin krank, Zodwa, ich habe diesen furchtbaren Husten. Er wird nicht besser, und ich kann mich nicht um dich oder das Baby kümmern.« Dann fügt sie hinzu: »Du wirst Hilfe mit dem Baby brauchen, wenn ich nicht mehr da bin.«
»Sag so etwas nicht! Du wirst wieder gesund.«
»Das hier ist kein Ort für dich. Ich hätte dich bei deiner Großmutter lassen sollen. Sie hat gleich gesagt, dass es ein Fehler wäre, dich hierherzuholen, aber ich war so egoistisch und wollte dich bei mir haben.«
Zodwa muss an den Tag vor etwas mehr als fünfzehn Monaten zurückdenken, an dem sie in der Township endlich wieder vereint waren. Leleti hatte stundenlang in der Gluthitze am Straßenrand gesessen und auf das Taxi gewartet, das ihr endlich ihre Tochter bringen würde.
»Mein Kind«, sagte Leleti, und ihr sorgenvolles Gesicht entspannte sich, als Zodwa schließlich aus einem der Dutzenden von Minivans stieg, die ankamen und wegfuhren. »Was für eine wunderschöne Frau du geworden bist!« Sie hatten sich fast zwölf Jahre lang nicht gesehen, und Leleti war Zodwa fremd geworden.
»Danke, Mama.« Zodwa war ganz verlegen, als die Augen ihrer Mutter auf ihr ruhten. Sosehr sie sich nach ihr gesehnt hatte, nachdem sie weggegangen war, so sehr hatte sie jetzt Heimweh nach ihrer gogo, die die Rolle ihrer Mutter so gut ausgefüllt hatte, dass ihre wirkliche Mutter zu einer Art Mythos geworden war, den sie nur aus den Erzählungen anderer kannte. Und dennoch stand sie jetzt vor ihr, einer Frau aus Fleisch und Blut, die sichtlich krank war, obwohl Zodwa noch nicht wusste, was sie hatte.
»Du hast mich so stolz gemacht«, sagte Leleti und nahm Zodwas Gesicht in beide Hände. »Genau wie Dumisa. Und du wirst noch Größeres vollbringen. Das weiß ich.«
Zodwa schämt sich, wenn sie daran denkt, wie sehr sie ihre Mutter enttäuscht hat.
»Du hättest die Schule beendet, wenn du in KwaZulu geblieben wärst. Das«, sagte Leleti und deutet mit dem Kinn auf Zodwas Bauch, »wäre dort nicht passiert. Ich habe gerade genug Geld, um dich zurückzuschicken. Wenn du morgen aufbrichst, wirst du es schaffen, bevor das Baby kommt.«
»Nein, Mama. Wir nehmen das Geld, um dich zu einem Arzt zu bringen und behandeln zu lassen.«
»Ärzte sind nichts für Leute wie uns.«
Leleti sagt die Wahrheit. Erst vor wenigen Tagen ist ihre Freundin Mama Beauty mit zwei Plastiktüten voller Babysachen zu ihnen gekommen. Die Kleidung war teilweise noch ungetragen und roch trotzdem nach Weichspüler, weil die Weißen offenbar alles waschen, was sie neu gekauft haben, egal ob ihre Babys es jemals benutzen oder nicht.
Mama Beauty ist die einzige Schwarze aus Zodwas Bekanntenkreis, die eine weiße Freundin hat, eine jüngere Frau namens Robin, die regelmäßig hinaus in die Township kommt und sie besucht. Soweit Zodwa weiß, hat Mama Beauty für Robins Familie als Hausmädchen gearbeitet, bevor sie in Rente gegangen ist.
Sie hat gehört, dass die weiße Frau, Robin, Mama Beauty regelmäßig bittet, zu ihr nach Johannesburg zu ziehen, aber Beauty lehnt jedes Mal ab, weil sie bei ihren Söhnen bleiben will, die beide in den Platinminen in Rustenburg arbeiten. Zodwa weiß, dass sie noch eine ältere Tochter hatte, Nomsa, die in den 1980er Jahren verschwunden ist. Darauf beruht die Freundschaft zwischen Mama Beauty und Leleti: Sie sind einander nähergekommen, weil sie beide nach einem Kind suchten, das während der grausamsten Jahre der Apartheid verschwunden ist.
Mama Beauty ist freundlich zu Zodwa und hat Umstandskleidung und Babysachen für sie aufgetrieben. Dabei erhält Zodwa Einblick in eine Welt, von der sie ansonsten nie etwas erfahren hätte. Zum Beispiel, dass weiße Frauen regelmäßig zu Blutuntersuchungen und zur Vorsorge gehen, wenn sie schwanger sind, und dass sie Medikamente extra für Schwangere bekommen.
Für Zodwa hat es keine Arztbesuche oder Untersuchungen gegeben. Als ihre Periode ausblieb und ihre Brüste anschwollen, wusste sie, dass sie schwanger war - ganz einfach. Die nächste Klinik liegt einen halben Tag Fußmarsch entfernt, und als ihre Mutter sie zwang hinzugehen, fand Zodwa dort eine lange Schlange vor, die sich kaum voranbewegte. Nachdem sie stundenlang gewartet hatte und immer noch nicht untersucht worden war, kehrte Zodwa wieder nach Hause zurück und ging nie wieder hin. Es schien ihr wenig sinnvoll zu sein.
»Du wirst wieder gesund, Mama. Du brauchst einfach nur Ruhe. Ich werde mit deiner Madam sprechen und fragen, ob du eine Woche Urlaub bekommen kannst.«
»Ich bin heute entlassen worden. Ich habe keine Arbeit mehr.« Leletis Stimme klingt hohl.
»Warum? Du bist sogar hingegangen, als du dir für die Wahl einen Tag hättest freinehmen dürfen.«
»Schau mich doch an, mein Kind. Ich schaffe die Hausarbeit nicht mehr. Es wundert mich sowieso, dass sie mich so lange behalten hat.«
Offenbar hat die Madam Leleti nur das bezahlt, was sie ihr für diesen Monat schuldig war. Mehr Geld haben sie nicht, und Leleti möchte es gerne dazu benutzen, Zodwa zurück ins KwaZulu-Homeland zu schicken. Eine Weile sitzen sie schweigend da, beide in ihre eigenen Gedanken versunken. Da sie nur so viel Geld haben, dass eine von ihnen nach Hause fahren kann, und keine Aussicht darauf besteht, in nächster Zeit etwas zu verdienen, werden sie beide bleiben müssen.
»Sag mir doch wenigstens, wer der Vater ist«, bittet Leleti nach einer Pause. »Als Kindsvater muss er dir Geld geben, um dich zu unterstützen.«
»Mama, er wird nicht .«
»Er wird! Ich werde mit ihm reden. Ich habe dafür gebetet, und es ist der Wille des Herrn, dass ich ihn so lange beschäme, bis er bezahlt.«
»Ich möchte das nicht, Mama.«
»Sag mir nur, wer er ist! Welcher Mann mit einem Funken von Selbstachtung würde sich weigern, sich um sein eigenes Kind zu kümmern? Lass den Unsinn und sag mir, wer .«
»Ich wurde vergewaltigt, Mama!« Zodwa ist so erschrocken über diese Enthüllung, dass sie die Hand vor den Mund schlägt. Sie schaut ihre Mutter an, entsetzt über den Schrecken auf ihrem Gesicht.
In der letzten halben Stunde haben sie mehr miteinander geredet als in all den vergangenen Monaten. Zodwa hat sich so sehr gewünscht, ihre alte Vertrautheit zurückzugewinnen, aber als sie nun endlich die Worte ausspricht, die sie so lange in sich getragen hat, wirken sie wie eine...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.