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Am 19. Februar des Jahres 974 (23. Gumada I 363 AH) trat aufgrund anhaltenden Regens in Córdoba der Guadalquivir über die Ufer. Das Wasser überflutete die Läden auf dem Großen Markt, dessen Ausläufer sich bis an den Fluss hinabzogen, und überschwemmte sogar die Verkaufstische der Metzger. Einige Wochen später, Anfang April (Ragab), wurden dieselben Metzgereien abermals überschwemmt. Opfer gab es beide Male nicht, doch mehrere Jahrzehnte später, im Jahr 1010 (401 AH), soll ein weiteres Hochwasser fünftausend Tote gefordert haben. Dies zeigt, wie zerstörerisch das Anschwellen des Flusses sein konnte, wenn sein Pegel beim Durchfließen der Stadt sieben oder gar zehn Meter über Normalniveau stieg. Obwohl der Guadalquivir mit seinen Wehren und Staudämmen heute ein hochgradig regulierter Fluss ist, kommt es in Córdoba noch immer zu Überschwemmungen, sobald sein Durchfluss 1500 Kubikmeter pro Sekunde überschreitet, und sie werden katastrophal, wenn die Durchflussmenge - wie im Jahr 1963 geschehen - auf über 5400 Kubikmeter klettert. Man kann sich leicht ausmalen, dass zu Zeiten des Umayyadenkalifats schon weit niedrigere Wasserstände fatale Folgen haben konnten.[1]
Überschwemmungen, ebenso wie häufige Dürreperioden, störten die natürliche Ordnung des Kalifats von Córdoba empfindlich: das Einbringen der Ernten, das Eintreiben der Steuern, Feldzüge und wirtschaftliche Aktivitäten wurden von sintflutartigem Regen ebenso beeinträchtigt wie von extremer Dürre. Aus diesem Grund war das Klima am Hof al-?akams II. keineswegs nebensächlich, sondern Gegenstand sorgfältiger Beobachtung: Regelmäßig wurde das Wetter dokumentiert, sein Einfluss auf die Ernten untersucht, und wenn es rau wurde und die Menschen mit seinen unerklärlichen Kräften geißelte, wandten sich der Kalif und die Geistlichen an Gott und beteten um Milde angesichts der Leiden, die solche Unglücke verursachten. So zeigte sich das Umayyadenkalifat gegenüber der Unvorhersehbarkeit der Elemente als verlässliche Instanz, welche die Prüfungen, die Gott der Bevölkerung von al-Andalus auferlegte, abzumildern versuchte.
Ab der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts mehrten sich derartige Prüfungen, denn es kam zu einer Häufung extremer Klimaphänomene. Die Ursache dafür war der Beginn der sogenannten mittelalterlichen Klimaanomalie, einer Periode, in der sich die Temperaturen und Niederschläge der westlichen Hemisphäre spürbar veränderten. Die Durchschnittstemperaturen über dem Nordatlantik stiegen, und die darauffolgende Eisschmelze ermöglichte den Wikingern die Überfahrt nach Nordamerika und sogar den Siedlungsbau in Grönland. Die Warmphase manifestierte sich auch in den Alpen, wo die Wachstumsringe der Lärchen, deren Breiten je nach Temperatur und Feuchtigkeit variieren, zwischen 960 und 980 zwei warme Jahrzehnte belegen. In Marokko zeigt die Analyse der durch Versinterung von Wasser in Höhlen entstandenen Tropfsteine, dass das 10. Jahrhundert insgesamt trocken war. Auf der Iberischen Halbinsel weisen die Daten in dieselbe Richtung. Die Sedimente der Seen von Estany (Huesca) und Montcortés (Lleida) sowie der Laguna de Zóñar (Córdoba) deuten auf eine vergleichsweise dürre Wetterperiode hin. Gesamtanalysen zeigen, dass diese Bedingungen auf nahezu der gesamten Iberischen Halbinsel vorherrschten.[2]
Paläoklimatologen führen diese Warmphase auf ein Phänomen zurück, das man als Nordatlantische Oszillation (North Atlantic Oscillation, NAO) bezeichnet. Sehr vereinfacht ausgedrückt, verursachen die Hochdruckgebiete der Azoren und die in Island vorherrschenden Tiefs Oszillationen in Höhe des Meeresspiegels, welche die Windrichtung beeinflussen: Ist die Oszillation negativ, dominiert der Einfluss von Westwinden, die Regen und Kälte bringen; ist sie positiv, ändert sich die Richtung, aus der der Wind weht, und es herrschen Wärme und Trockenheit vor. Simulationen der Nordatlantischen Oszillation zur Zeit der mittelalterlichen Klimaanomalie bestätigen, dass damals Werte vorherrschten, die tendenziell zu einem Temperaturanstieg führten. Die Gründe dafür liegen allerdings im Dunklen. Als mögliche Ursachen für diesen Temperaturanstieg im Frühmittelalter werden eine verstärkte Sonneneinstrahlung oder aber eine Verringerung vulkanischer Aktivitäten angenommen.[3]
Die verfügbaren Berichte über die klimatischen Bedingungen in al-Andalus zu jener Zeit zeichnen kein einheitliches Bild. So waren die Jahre zwischen 971 und 975 (360-364 AH) von Regen und sogar Schneefall geprägt, was einen damaligen Leugner des Klimawandels sicher erfreut hätte. Ein umfassender Blick auf das Geschehen zeigt allerdings, dass sich seit dem vorangegangenen Jahrhundert die Trockenperioden gehäuft hatten.[4] So ereignete sich 867 (253 AH) eine extreme Dürre, die vier Jahre lang anhielt. 874 (260 AH) war die Dürre derart entsetzlich, dass sie sprichwörtlich wurde. Jene von 898 (285 AH) ging als "Jahr des Elends" in die Geschichte ein, während die Hungersnot von 907-908 (297 AH) eine Emigrationswelle nach Nordafrika auslöste. Wenig später, zwischen 915 und 916 (302-303 AH), wurde al-Andalus mit solcher Wucht von einer neuen Dürre ergriffen - "vergleichbar mit der von 874" -, dass "die Menge der Toten [.] weder gezählt noch errechnet werden konnte". Weitere Dürreperioden ereigneten sich 887 (274 AH), 926-927 (314 AH), 929-930 (317 AH) und 936 (323 AH), wobei die letzte weniger zerstörerisch war, da die kalifale Verwaltung von überallher Vorräte bringen ließ, denn "es herrschte allgemeiner Wohlstand und keinerlei Mangel". Von 941-942 (330 AH) gab es abermals eine Trockenzeit, die erst im Februar von Regen und Schneefall abgelöst wurde, was die Chronisten auf den Erfolg der vom Kalifen angeordneten Bittgebete zurückführten. Eine neuerliche Dürre trug sich von 946-947 (335 AH) zu; in der darauffolgenden im Jahr 964 (353 AH), bereits in der Regierungszeit al-?akams II., versorgte der Kalif die Bevölkerung der Vorstädte Córdobas mit Lebensmitteln. 968 (358 AH), also vier Jahre später, wurde Córdoba abermals so erbarmungslos von der Dürre heimgesucht, dass der Kalif täglich 12 000 Brote unter den Einwohnern verteilten musste, bis sich die Lage besserte.[5]
Derartige Dürreperioden hatten weitreichende Folgen. Auch wenn man danach anscheinend rasch zur Normalität zurückkehrte, litt die öffentliche Ordnung während solcher Ereignisse stark. Die Preise auf den Märkten stiegen deutlich, bis hin zu dem extremen Fall, dass ein mudd (sp. almudí) Weizen - hier knapp 340 kg - bis zu dreißig Dinar kosten konnte (etwa 240 Silberdirham), ein fünfmal höherer Betrag als üblich.[6] Aufgrund des allgemeinen Mangels mussten Feldzüge ausfallen, da diese in Anbetracht der Unwägbarkeiten rund um die Versorgung der Truppen ein allzu gefährliches Unterfangen gewesen wären. Auch die Steuereinnahmen erreichten nicht das Niveau normaler Jahre, es sei denn, die amtlichen Eintreiber gingen mit äußerster Gewalt vor. Zudem nahm die Kriminalität merklich zu und mit ihr die Klagen in der Bevölkerung. Schließlich traten wie bei jeder Katastrophe jene auf den Plan, die zu munkeln begannen und das Handeln der Menschen, vor allem das der Regierenden, als gotteslästerlich beklagten. Und so wuchs die allgemeine Unzufriedenheit proportional zu den Preissteigerungen von Weizen und Gerste.[7]
Eine besonders einschneidende Folge der Teuerungen war die Tatsache, dass die in den Agrarverträgen festgeschriebenen Abgaben nicht entrichtet werden konnten. Handelte es sich um Pachtverträge, konnte dies für die Bauern, die wegen ihrer dürftigen Ernte nicht bezahlen konnten, dramatische Auswirkungen haben. Das außerordentlich hochentwickelte islamische Recht im al-Andalus der Kalifatszeit sah Regelungen für solche Situationen vor. Juristen bezeichneten sie mit dem arabischen Begriff ga?i?a, was sich als "Schadensfall" übersetzen lässt. Eine Dürre (qa??) war ein solcher Schadensfall - ebenso wie Überschwemmungen, Frost, Hagel, Feuer oder Schädlingsbefall -, der es den Pächtern ermöglichte, über eine Senkung ihrer Abgaben zu verhandeln.[8] Ein Schadensfall wurde amtlich gemacht, indem sich eine Reihe von Zeugen am Feld zusammenfand, um die "Triebe des diesjährigen Anbaus" zu prüfen und zu konstatieren, inwieweit "die Dürre die Saat geschädigt hat". Anschließend stellten die Zeugen die Ernteverluste und die Menge brauchbaren Saatguts für die nächste Aussaat fest. Als Nachweis wurde anschließend ein Schriftstück aufgesetzt. Um den Schadensfall zu prüfen und auf diese Weise den Bauern zu schützen, konnte man auch bei Experten (ahl al-ba?ar) den durchschnittlichen Ertrag des Landes erfragen. Lag dieser beispielsweise in gewöhnlichen Jahren bei 1 : 6, errechnete man den Schaden und zog ihn von der Pacht ab. Ging es um Erzeugnisse aus dem Gartenbau, etwa Kürbisse, Auberginen, Hennasträucher und andere, wurde der Gartenbrunnen untersucht: Nachdem man das Tier, von dem das Schöpfrad angetrieben wurde, einige Runden hatte drehen lassen, war in der Regel ersichtlich, ob der Brunnenpegel durch die Dürre gesunken war.[9]
Vieles hing in al-Andalus also von den Hoch- und Tiefdruckgebieten über den Azoren und Island ab. Dies erklärt das Interesse des kalifalen Palastes...
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