Schweitzer Fachinformationen
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ZWEI
Barbara seufzte und wischte Krümel von Cems Weste. «Du bist wie ein Baby», sagte sie und schaute auf ihn hinunter. In dem engen Lift wirkte sie noch grösser als üblich. «Die halbe Pizza klebt an deiner altmodischen Kleidung.»
«Keine Kritik an meinem Outfit», sagte Cem und hielt dem scharfen Blick der blauen Augen stand. «Auch Sherlock Holmes trug Mützen und Westen. Okay, Jeans vielleicht nicht.»
«Eben», seufzte Barbara.
Cem setzte sein bestes Grinsen auf. Hey, er war türkischer Abstammung, niemand konnte seinem Charme widerstehen. Auch nicht Barbara.
Sie musste lachen.
Kevin, der danebenstand, schüttelte belustigt seinen blonden Haarschopf. «Erst drei Wochen bei uns im Team, und schon wickelt er die Chefin um den Finger. Wenn du als Ermittler auch nur halb so gut bist wie im Flirten .»
«Das werde ich euch schon beweisen», sagte Cem und zog seine Schiebermütze aus der Stirn. «Ich brauche nur endlich meinen ersten richtigen Fall, und ihr werdet staunen, was für ein Bulle in mir steckt.»
«Männer!», rief Barbara aus. «An Selbstsicherheit hat es ihnen noch nie gemangelt.» Sie zupfte Cems Weste und seinen Hemdkragen zurecht.
«Mich hast du nie so bemuttert», sagte Kevin.
«Du bist hier auch nicht das Küken», sagte Barbara.
«Aber immerhin vier Jahre jünger als Cem. Er hat die dreissig schon passiert, ich noch nicht.»
Barbara liess es nicht zu, dass man ihr das letzte Wort stahl. «Cem ist der Neue, du dagegen ein alter Hase. Und du hast Gabi, die dich zu Hause verwöhnt. Unser Küken hier hat die Richtige noch nicht gefunden, also kümmere ich mich ein bisschen um ihn.» Damit war für sie die Diskussion beendet, und ihre beiden Kollegen wussten, wann es angebracht war, vor Barbara zu kuschen.
Die kleine Gruppe trat im sechsten Stock der Luzerner Polizeizentrale aus dem Lift.
Kollege Petersen von der Fachgruppe für Drogendelikte kreuzte ihren Weg. Er schob seine Nickelbrille den Nasenrücken hoch. «Wie war das Mittagessen mit der Stadträtin?», fragte er und beäugte Barbara dabei schon fast provozierend.
Cem beobachtete seine Chefin genau. Jetzt wurde es interessant. Sie konnte Petersen nicht ausstehen. Barbara liess sich diesmal nicht aus der Ruhe bringen und trat ungemütlich nahe an Petersen heran. Sie überragte ihn um Kopfeslänge. Bedrängt wich der Kollege einen Schritt zurück. Cem hielt sich zurück. Schadenfreude sollte man nicht zu offen zeigen.
«Wir führten ein privates, sehr konstruktives Gespräch», ging Barbara auf Petersens Frage ein. «Die Stadträtin wird sich hüten, Bestechungsgelder zu zahlen, nicht mal einen Schüblig. Sie hat sich nicht in meinen Fall einzumischen, bei dem es um schwere Körperverletzung geht. Ist mir egal, dass der Verdächtige der beste Kumpel ihres Sohnes ist. Auch wenn ich ihr die Schmiergeldaffäre nicht beweisen kann . so eine kleine Unterhaltung beim Mittagessen vollbringt oft Wunder. Sie ist sich jetzt bewusst, dass ich ihr peinlich genau auf die Finger schaue, und wird in Zukunft schön artig faire Politik anstreben.»
Petersen schnaubte. «Sie haben ohne stichhaltige Beweise eine Stadträtin angeprangert. Laut Gesetz gilt die Unschuldsvermutung, bis diese Beweise vorliegen.»
Barbara lächelte und warf ihre roten Haare in den Nacken. «Das Gesetz muss nicht zwangsläufig richtigliegen. Wir haben verlernt, auf unser Bauchgefühl zu hören - manchmal wenigstens. Und in diesem speziellen Fall, da hatten wir einfach ein Problem, die Stadträtin und ich, und das haben wir bei einem Mittagessen aus der Welt geschafft. Was regen Sie sich denn so darüber auf, werter Kollege? Sie haben doch nicht etwa auch am Fiskus vorbei verdient?»
Petersens Zorn stand ihm ins Gesicht geschrieben. «Sie leben gefährlich, Frau Kollegin Amato.»
«Sagen wir, meine Erfolgsquote bei der Verbrecherjagd ist unantastbar, und nach zwanzig Jahren in diesem Job ging es mir gesundheitlich nie besser. Ich denke, meine Eigeninitiative gegenüber gewissen Schurken hat mir nicht wirklich geschadet. Übrigens, wie sieht es in Ihrem Fall aus? Schon eine Spur, woher das Kokain stammt, das Sie letzte Woche aus diesem ominösen Lieferwagen sichergestellt haben?»
«Wir arbeiten daran», sagte Petersen. «Kollegen, das ist reine Zeitverschwendung hier.» Er nickte Cem und Kevin zu und marschierte zu den Liften.
«Ich kann den Kerl nicht ausstehen», sagte Kevin.
Cem schob seine Mütze aus der Stirn. «Nicht auszudenken, ich wäre in seinem Team gelandet.»
Barbara Amato leitete die Fachgruppe «Delikte Leib und Leben» des Ermittlungsdienstes der Kriminalpolizei und war für Cem ein wahrer Glückstreffer. Sie war eine Powerfrau mit italienischer Abstammung, was schwer zu übersehen war. Auch mit Mitte vierzig konnte sie optisch locker gegen jede Zwanzigjährige antreten. Sie war sportlich, schlank, hatte ungemein lange Beine und war gross. Riesig. Funkelten ihre blauen Augen erst einmal auf einen Kollegen nieder, wagte niemand mehr, ihr zu widersprechen. Barbara war der wahre Boss hier.
Sie drehte sich nach der Bemerkung zu Cem um und zog erfreut die Augenbrauen hoch. «Wow, das nenne ich ein Kompliment, wenn ein Türke weibliche Autorität einem männlichen Kollegen vorzieht.»
«Hey», sagte Cem, «das sind rassistische Vorurteile. Ich habe den Schweizer Pass und lebe seit meinem achten Lebensjahr hier. Und wer sagt denn, dass wir Türken die Frauen nur am Herd haben wollen? Ist nicht mein Ding.»
Barbara musste laut lachen. «Sieh einer an, ein emanzipierter Kanake. Komm her, mein Küken, lass dich drücken.» Sie zog Cem in ihre Arme und klopfte ihm kräftig auf den Rücken.
«Ist ja gut!» Cem kämpfte sich aus ihrer Umarmung. «Und keine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz bitte, sonst handle ich auch aus dem Bauch heraus.» Cem zog sein Hemd und die Weste zurecht. «Das war echt spannend heute, das Gespräch mit der Stadträtin. Ich kann noch viel von dir lernen, Boss - vorausgesetzt, du begrapschst mich nicht ständig.»
«Keine Sorge», mischte sich Kevin ein. «Sobald sie ihr nächstes Küken gefunden hat, bist du nur noch ihre Legehenne, die zu produzieren hat. Ich spreche aus Erfahrung.»
Barbara nickte zustimmend. «Genau, Kevin. Hast du den Bericht über den Raubüberfall von gestern schon druckreif?»
«Siehst du», rief Kevin aus. «Sag ich doch. Legehenne.» Er marschierte voraus zu seinem Büro.
«Echt jetzt», sagte Cem ungewohnt ernst. «Ich schätze es sehr, mit dir arbeiten zu dürfen. Du triffst faire Entscheidungen, das bewundere ich. Und du hast keine Angst, dich den Konsequenzen - oder wütenden Stadträtinnen - zu stellen. Du stehst zu dem, was du für richtig hältst.»
Barbara ging nachdenklich dem kalten Flur entlang. «Ja, aber es gab auch zwei, drei Fälle, da lag ich falsch. Auf sein Bauchgefühl zu hören heisst nicht, dass wir uns wie Cowboys aufführen dürfen und die Gesetzbücher im Garten verbuddeln können. Wir haben nach Vorschrift zu handeln. Wir müssen das Gesetz respektieren.»
«Respektieren. Genau. Aber ich bin kein Gesetzesfanatiker. Ich bin bei der Polizei, weil ich den Menschen helfen will.»
Barbara blieb stehen und drehte sich zu Cem um. «Dann hoffe ich für dich, dass die Realität dich nicht überfährt. Wir haben es hier fast ausschliesslich mit dem Bösen zu tun. Wenn du den Menschen helfen willst, hättest du Arzt werden sollen.»
Cem überlegte einen Moment. «Nicht ganz. Indem ich die Bösen zur Strecke bringe, ermögliche ich den Guten ein sicheres Leben.»
«Ach, Kleiner, man kann unseren Job auch auf rosafarbenes Papier niederschreiben, aber es ist und bleibt schmutzige Arbeit.»
Sie betraten ihr gemeinsames Büro. Barbara setzte sich an ihren ordentlich aufgeräumten Schreibtisch und fuhr ihren Computer hoch. Cems Platz war gleich gegenüber. Kevin sass bereits an seinem Tisch seitlich von ihnen und tippte auf der Tastatur herum. Eigentlich hatte Barbara ja ihr eigenes Büro, aber ein Wasserschaden hatte sie dazu gezwungen, sich bei Cem und Kevin einzumieten, bis die Reparaturarbeiten vorüber waren.
Cem legte seine Mütze ab, zog seine Dienstwaffe - eine neue, glänzende Glock - aus dem Holster am Hosenbund und legte sie auf seinen Tisch. Er lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und grinste. Er hatte lange auf diesen Traum warten müssen, aber es war besser, als er es sich je vorgestellt hatte. Vier Jahre Ausbildung lagen hinter ihm. Erst die Polizeischule in Hitzkirch, die er als Jahrgangsältester, aber auch als Jahrgangsbester abgeschlossen hatte. Es folgte die Generalisten-Grundausbildung. Danach hatte er zwei Jahre bei der Sicherheitspolizei gedient, um Berufserfahrung zu sammeln. Vor einem halben Jahr hatte er sich hier beim Ermittlungsdienst beworben. Er hatte das Aufnahmeprozedere und die Prüfungen bestanden, die zwei Monate Zusatzausbildung abgeschlossen, und jetzt, seit drei Wochen, seit dem 1. Januar, war er offiziell ein Mitglied der Fachgruppe «Delikte Leib und Leben». Und glücklich. Kein Sicherheits-, Bereitschafts- oder Verkehrsdienst mehr. Jetzt konnte er die echt bösen Buben jagen. Aber wie durch einen Fluch waren seit drei Wochen all die üblen Kerle verschwunden. Vielleicht war sein Ruf ihm vorausgeeilt und hatte die Verbrecher verjagt. Tatsache war, ausser belangloser Büroarbeit gab es im Moment eigentlich nicht viel zu tun. Cem hatte sich schon bei seinem Freund Emre darüber beklagt, als der ihn gestern Nachmittag überraschend besuchte. Ganz egal, wie...
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