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Als der Hotelportier anrief und sagte, im Foyer warte ein Gentleman auf sie, ließ Harriet Pringle den Hörer fallen und rannte ohne Schuhe aus dem Zimmer.
Seit zwei Tagen hatte sie vor dem Telefon gesessen. Die letzten drei Nächte in Athen hatte sie vor Sorge und Hoffnung schlaflos verbracht. Sie hatte ihren Mann in Rumänien zurückgelassen, einem Land, das vom Feind besetzt worden war. Hoffentlich war er entkommen. Möglicherweise war der Mann im Foyer Guy selbst! Als sie jedoch um den Treppenabsatz bog, sah sie, dass es nur Jakimov war, und ging zurück, um ihre Schuhe zu holen, allerdings beeilte sie sich. Selbst Jakimov hatte womöglich Neuigkeiten.
Als sie wieder herunterkam, wirkte er unter seinem Panamahut mit der eingerissenen Krempe so matt wie ein alter Gaul, und der Anblick weckte ihre schlimmsten Befürchtungen. Unfähig, ein Wort zu sagen, berührte sie ihn am Arm. Er hob sein trauriges, unbestimmtes Gesicht, und als er sie erblickte, lächelte er.
«Es ist alles gut», sagte er. «Der liebe Junge ist auf dem Weg hierher.» So eifrig war er darauf bedacht, sie zu beruhigen, dass seine traubengrünen Augen beinahe aus den Höhlen traten. «Habe eine Nachricht erhalten. Habe sie eingesteckt. Muss hier irgendwo sein. Jemand aus Bukarest hat in der Gesandtschaft angerufen. Einer von unseren Jungs hat mich angesprochen. » Seine Finger stocherten wie Fühler in den Taschen seines Anzugs aus Shantungseide herum. «Ein Stück Papier, wissen Sie. Nur ein Stück Papier.»
Er versuchte es in der Brusttasche. Als er seinen langen, knochigen Arm hob, sah sie durch die Risse in seinem Jackett die violette Seide seines Hemdes, und durch das fadenscheinige Hemd blitzte seine bläulich-weiße, haarlose Achselhöhle hervor. Auch die Taschen waren so durchgescheuert, die Nachricht konnte einfach herausgerutscht sein. Sie beobachtete ihn bei seinem Tun und wagte kaum zu atmen, da sie wusste, dass jedes Anzeichen von Ungeduld ihn verschrecken würde.
Ihre Beziehung zueinander war mittlerweile recht unbelastet, doch das war nicht immer so gewesen. Jakimov - Prinz Jakimov - hatte sich in der Wohnung der Pringles eingenistet und war nicht abzuschütteln gewesen, bis Bukarest ihm zu gefährlich geworden war. Sie hatte eine tiefe Abneigung gegen ihn gehegt, und er hatte sich vor ihr gefürchtet, doch als sie sich in Athen wiederbegegnet waren, hatten sie sich versöhnt. Er war der einzige Mensch hier, der ihre Ängste verstand, und sein Mitgefühl war ihr einziger Trost.
Er stieß ein befriedigtes «Ah!» aus. «Da haben wir ihn. Hier ist er! Habe ihn sicher verwahrt, sehen Sie!»
Sie nahm den Zettel und las: «Komme auf derselben Route wie du. Bis heute Abend.»
Es war schon später Nachmittag. Guy musste inzwischen in Sofia gelandet sein, um dort genau wie sie festzustellen, dass die rumänische Maschine nicht weiterflog und er die Reise mit der Lufthansa fortsetzen musste. Die deutsche Fluglinie hatte sich dazu bereit erklärt, alliierte Fluggäste über neutrales Territorium zu transportieren, aber Harriet hatte auch von Flugzeugen gehört, die nach Wien umgeleitet worden waren, damit man britische Staatsbürger als feindliche Ausländer verhaften konnte. Harriet selbst war nicht in Gefahr gewesen, aber bei Guy, einem Mann im wehrfähigen Alter, war das vielleicht eine andere Sache.
Besorgt musterte Jakimov ihre Miene und fragte betreten: «Freuen Sie sich denn nicht? Sind das nicht gute Nachrichten?»
Harriet nickte. Sie ließ sich in einen der Sessel im Foyer sinken und flüsterte: «Wunderbar», doch dann beugte sie sich vor und vergrub das Gesicht in den Händen.
«Aber liebes Mädchen!»
Mit nassen Augen hob sie den Kopf und lachte. «Guy wird bei Sonnenuntergang hier sein!»
«Na bitte. Ich habe Ihnen doch gesagt, er kann auf sich aufpassen.»
Ganz schwindelig vor Erschöpfung und Erleichterung, blieb sie sitzen, denn sie wusste, dass es nicht durchgestanden war. Sie musste noch bis Sonnenuntergang überleben.
Jakimov sah sie bang an und fragte: «Wollen wir nicht ein wenig hinausgehen? Frische Luft schnappen? Das wird Ihnen guttun, wissen Sie.»
«Ja. Ja, das würde ich gerne.»
«Dann holen Sie Ihren Hut, liebes Mädchen.»
Sie trat ins Tageslicht, als wäre sie gerade von einer Krankheit genesen. Die Straße lag im Schatten, aber an ihrem Ende sah sie grelles Sonnenlicht. Als Jakimov sich in die andere Richtung wandte, fragte sie: «Könnten wir dorthin gehen?»
«Dorthin!» Er wirkte verdutzt. «Das ist der Syntagma-Platz. Möchten Sie dort herumschlendern? Dadurch wird der Spaziergang aber ein ganzes Stück länger.»
«Haben wir denn ein bestimmtes Ziel?»
Jakimov antwortete nicht.
Auf dem Syntagma-Platz gab es eine akkurate, aber staubige Grünfläche mit Orangenbäumen, an denen welke Orangen hingen. Bei den Gebäuden, erläuterte Jakimov, handele es sich um Hotels und Behörden. Manche Häuserfronten waren aus Marmor, andere mit bräunlich rosa Stuck verziert. An der Stirnseite erhob sich das Parlamentsgebäude, das einmal ein Palast gewesen war und auch wie ein Palast aussah. Daneben schloss sich der öffentliche Park an, ein rechter Dschungel aus fedrigen Gewächsen, beschattet von den Kronen der Palmen. Vier immens große Palmen mit silbrigen Stämmen standen auch gegenüber dem Parkeingang. Gebäude, Bäume, Palmen, Verkehr, Menschen - in der flüssigen Hitze des Herbstnachmittags schien alles vor Erwartung zu beben.
«Athen», dachte Harriet. «Die Stadt der Sehnsucht.»
Bukarest lag eingeschlossen mitten in Europa, aber hier waren sie am offenen Meer. In Bukarest brach der Winter an. In Athen hatte es den Anschein, als würde der Sommer ewig andauern.
Wenn sie bis zum Abend überlebten, würden Guy und sie wieder zusammen sein. Sie stellte sich vor, wo sein Flugzeug nun war. Im Empyreum, hoch über den Blau- und Grüntönen der Ägäis. Sie beschwor es in Gedanken, auf Kurs zu bleiben. Er hatte die glücklose Hauptstadt und die manischen Lakaien der Neuen Ordnung hinter sich gelassen, nun musste sie nur noch auf seine Ankunft warten. Obwohl sie sich auf diese freudige Aussicht zu konzentrieren versuchte, entzogen sich ihre Gedanken ihrem Willen und wandten sich denjenigen zu, die zurückgeblieben waren. Sie dachte an Sasha.
Jakimov gab den Gastgeber und Fremdenführer und wies sie auf interessante Details hin. Er war sich seiner Überlegenheit vage bewusst, und sein Benehmen hatte etwas leicht Pompöses an sich.
«Hübsche Stadt», sagte er. «Habe sie immer gemocht. Ist für Ihren Jak natürlich ein altbekannter Tummelplatz.»
Er hatte seine Schulden in Bukarest zurückgelassen, und keiner seiner neuen Freunde hatte bislang davon erfahren. Sogar eine Anstellung hatte er gefunden. Obwohl seine Kleidung nicht mehr zu flicken war, war sie gewaschen und gebügelt worden, und er trug sie mit einer Haltung, die von seinem luxuriösen früheren Leben sprach. Er deutete mit dem Kinn auf ein reich verziertes Eckgebäude und sagte: «Das G.B.»
«Wozu dient es?»
«Liebes Mädchen! Das G.B. ist das beste Hotel am Platz! Das Grande Bretagne. Wo Jaki früher seine Socken gewaschen hat. Habe vor, wieder dort einzuziehen, wenn ich ein wenig besser bei Kasse bin.»
Sie bogen wieder auf die Hauptstraße ein, doch seine Schritte wurden langsamer, sein hochgewachsener, schlanker Körper erschlaffte. Sie waren vielleicht ein paar hundert Meter gegangen, da begann er, während sie sich durch die Menschenmenge schoben, zu meckern: «Ein langer Fußmarsch ist das. Zu viel für Ihren Jak. Die Füße sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Anstrengende Stadt, dieses ewige Bergauf, Bergab, heiß und staubig. Ständig sehnt man sich nach einer Erfrischung.»
Sie kamen in Sichtweite eines großen Cafés, und mit einem erleichterten Seufzen sagte er: «Das Zonars. Das neue Café hier. Sehr nett. Genau genommen ist es Jakis liebster Schlupfwinkel.»
Alles an dem Café - die großen Glasfenster, die gestreiften Markisen, die Tische und Stühle davor - strahlte eine gewisse Frische aus. Die Stammkunden trugen noch Sommerkleidung - die Frauen Seidenstoffe, die Männer Anzüge in Silbergrau. Die Kellner hatten weiße Jacken an, und ihre Tabletts und Kaffeekannen glitzerten in der Sonne. Hinter den Scheiben erspähte Harriet Tresen, auf denen extravagante Pralinenschachteln und üppige Kuchen auslagen.
«Es sieht teuer aus», sagte sie.
«Ein kleines bisschen kostspielig», pflichtet Jakimov ihr bei. «Aber angenehm. Und irgendwohin muss man schließlich gehen.» Als sie die Straße überquert hatten und den Gehsteig vor dem Café erreichten, blieb Jakimov stehen. «Wenn ich Bargeld hätte, würde ich Ihnen eine Kleinigkeit spendieren.»
Das war also ihr Ziel gewesen, als sie losgegangen waren! Jakimov hatte...
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