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»Aber das ist Unrecht!« Rosa hob zum ersten Mal, seit sie an der Seite ihrer Mutter das gewaltige Portal des Nürnberger Rathauses durchschritten hatte, ihren Blick und funkelte ihre Peiniger wütend an.
Die sieben Männer starrten fassungslos zurück.
Auf den ersten Blick sahen sie für Rosa alle gleich aus in ihren schwarzen Kniehosen, den schwarzen Hemden und Wämsern mit den weiß aufleuchtenden Spitzenkragen. Wie bösartige Raben, fand Rosa, hockten sie da oben hinter dem langen Tisch.
»Großes Unrecht!«, wiederholte Rosa noch einmal lauter, doch ein Rempler ihrer Mutter brachte sie zum Schweigen, was von den Männern mit einem wohlwollenden Nicken aufgenommen wurde.
»Ehrwürdige Herren«, begann die Mutter mit brüchiger Stimme, »soweit mir bekannt ist, hat der Rat der Stadt Nürnberg noch niemals eine Witwe dermaßen ungnädig behandelt.«
Rosa, die schräg hinter ihrer Mutter stand, bemerkte, dass deren bester schwarzer Leinenrock vibrierte, als ob die Knie ihrer Mutter stark zittern würden. Sie fragte sich, warum ihre Mutter so viel Angst vor diesen Männern hatte.
Sie musterte den Rat jetzt eingehender und fand, dass sich die Raben, zumindest was Haartracht und Körperfülle anging, doch voneinander unterschieden.
»Wir tragen Sorge für jedwede Witwe in Nürnberg«, erklärte der Mann mit der größten Stirnglatze, »doch wie sollen wir Euch gestatten, das für Eure Verhältnisse viel zu prächtige Haus und noch dazu den ebenso vollständig überschuldeten Betrieb Eures Mannes weiterzuführen, wenn es weder einen männlichen Erben gibt, noch ein Geselle im Haus ist.« Er wischte mit einem Tuch seine glänzende Stirn trocken.
»Aber für gewöhnlich erlaubt Ihr der Witwe für wenigstens drei Jahre ...«
»Ei, da schaut an, die Zapfin kennt sich aus!«, spottete einer und brachte die anderen so zum Lachen, dass ihre weißen Spitzenkragen wackelten.
»Ihr habt in der Tat nicht ganz unrecht«, erbarmte sich der Herr ganz links am Tisch. Er zwirbelte seinen Spitzbart, während er mit einem merkwürdigen Lächeln weiterredete. »Doch dieser endlose Krieg hat Nürnberg auf Jahre hinaus arm gemacht, und wir können es uns nicht leisten, einen Betrieb weiterlaufen zu lassen, von dem keinerlei Einnahmen für den Stadtsäckel zu erwarten sind. Noch dazu gibt es bereits mehr als genug Spielkartendrucker in der Stadt.«
Rosa, die wie alle anderen in der kleinen Ratsstube stark schwitzte, spürte, wie eine lähmende Kälte in den sechsten Finger ihrer linken Hand stieg - wie immer, wenn jemand log. Unwillkürlich fasste sie mit ihrer rechten Hand nach der behandschuhten linken. Sie hasste es, wenn ihr sechster Finger sich auf diese Art bemerkbar machte, und wünschte sich nichts mehr, als dass er endlich einmal so kalt wie ein Eiszapfen würde, den sie dann einfach abbrechen und fortwerfen könnte.
Stets hatte sie Angst, jemand könnte diese seltsame Fähigkeit ihres Fingers bemerken, doch ein Blick auf die Männer überzeugte sie davon, dass diese Furcht unbegründet war: Der Spitzbärtige redete noch, und die anderen lauschten andächtig.
»Euer selig verstorbener Mann, der Johannes Willibald Zapf, hätte zum Ersten gut daran getan, sich zu bescheiden, zum Zweiten, besser zu wirtschaften ...«, er wandte sich Beifall heischend zu den Herren, die rechts und links von ihm saßen, und zwinkerte diesen zu, »und zum Dritten hätte er statt Eurer teuflisch krüppeligen Tochter und deren kränklichen Schwestern auch einen Sohn zeugen sollen.«
Die Herren brachen in gemeinschaftliches Gelächter aus, nickten sich zu, nur um dann mit neugierigen Blicken Rosas üppige Gestalt nach ihrer Missbildung abzusuchen.
Rosa spürte unterdessen ihren Hexenfinger kalt wie nie, es kam ihr so vor, als würde er mit jedem Lachen wachsen, anschwellen, als müsste er gleich seinen ledernen Handschuh sprengen. Sie zwang sich, nicht nachzusehen, und versteckte die unselige Hand noch tiefer zwischen den Falten ihres dunkelblauen Leinenrocks. Diese schreckliche Hand, die allein schuld war an dem plötzlichen Tod des Vaters.
Sie spürte, wie ihre Mutter in sich zusammensank.
»Mutter«, flüsterte sie ihr zu, »du musst dich wehren. Der Vater hätte gewollt, dass wir weitermachen. Die Ratsherren sagen uns nicht die Wahrheit.«
Ihre Mutter bedachte sie nicht einmal mit einem Blick, sondern zischte nur ein kurzes »Schweig!«, atmete tief ein, straffte ihre Schultern und begann erneut.
»Mag sein, dass es Gott beliebt hat, meinen seligen Ehemann und mich für unsere Sünden zu strafen, indem er uns den sehnlichst erwünschten Sohn versagt hat, doch wer seid Ihr ...«
Der spitzbärtige Rabe wurde rot im Gesicht und sprang auf. »Ihr vergesst Euch, denkt daran, vor wem Ihr hier steht!« Die Mutter verstummte und zuckte zurück, als hätte er sie geschlagen.
»Ihr schließt den Betrieb, verkauft Euer Haus und alle Gerätschaften und sucht Euch eine andere Bleibe, eine, die Euch und Euren merkwürdigen Töchtern besser ansteht. Am allerbesten verlasst Ihr Nürnberg gleich ganz.«
Die Männer nickten zustimmend, und ein besonders schmerbäuchiger, dessen Kinn in drei Ringen über dem Spitzenkragen lag, fügte noch an: »Für die mit der Hexenhand werdet Ihr sowieso niemals einen Mann finden, und Eure Zwillinge sind, so wurde uns glaubhaft versichert, zu kränklich, um für den Ehestand tauglich zu sein.«
Der Spitzbärtige fügte, immer noch rot im Gesicht, hinzu: »Welcher ehrbare Kartendruckergeselle würde eine Alte wie Euch schon ehelichen. Noch dazu eine«, er holte tief Luft, um dann mit allem Nachdruck zu sagen: »eine, deren Leib verflucht zu sein scheint.«
Dieser letzte Hieb brachte ihre Mutter zum Schwanken. Rosa spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss. Was die Mutter wegen ihr alles ertragen musste! Diese Art von Gemeinheiten hatten die Leute auch schon bei der Beerdigung des Vaters geraunt. Der Mutter wurde widerwillig das Beileid ausgesprochen, Rosa nur mit abfälligen Blicken bedacht. Als ob sie nicht am allermeisten um ihren Vater trauern würde, den einzigen Menschen, der sie je geliebt hatte.
Und es war nicht bei den Blicken geblieben. Schon auf dem Weg zum Leichenschmaus hatte sich das boshafte Zischeln der Schwätzerinnen ausgebreitet wie der Geruch nach frischem Blut am Schlachttag. Obwohl ihr Vater nur mit wenigen darüber gesprochen hatte, war man sich einig, dass der Vater nur deshalb vom Pferd gestürzt war, weil er für die verfluchte Tochter ein gar zu eitles Geschenk besorgt hatte. Immer wieder hatte Rosa versucht, das Geflüster zu ignorieren, aber Worte waren wie Staub: Sie drangen überall durch, bohrten sich in ihre Seele und setzten sich dort fest.
Und nun hatte es dieser Spitzbärtige gewagt, ihrer Mutter ins Gesicht zu sagen, was bis jetzt nur hinter ihrem Rücken getuschelt worden war. >Teuflischer Krüppel<
Aber sie alle hatten etwas vergessen! Dorothea und ihren Sohn.
Ihre zehn Jahre ältere Halbschwester, die weder krank noch missgebildet war und die der Vater mit in die Ehe mit ihrer Mutter gebracht hatte. Der Gedanke an ihre geliebte Schwester gab Rosa Kraft, sogar ihr Finger wurde wieder wärmer. Und je wärmer er wurde, desto stärker wurde in Rosa das Gefühl, sie würde platzen, wenn sie nicht endlich gegen dieses Unrecht vorging. Es musste doch eine Möglichkeit geben, etwas gegen diese Männer auszurichten.
Aber was würde sie überzeugen?
Aus den Augenwinkeln ihrer mageren Mutter rann eine Träne, die diese mit einer ungeduldigen Handbewegung wegwischte. Sie war keine, die jammerte.
»Damit ist alles gesagt«, verkündete der Spitzbärtige gerade und schlug zur Bekräftigung auf den Tisch.
Die Raben erhoben sich.
»Nein!«, rief Rosa völlig verzweifelt, und obwohl ihr Herz wie rasend klopfte, wiederholte sie noch einmal und noch viel lauter: »Nein!«
Die Männer sahen sich verblüfft an, ihre Mutter schüttelte den Kopf. »Schschsch«, sagte sie mit einer Handbewegung zu Rosa hin, als wollte sie eine lästige Taube verscheuchen.
Doch Rosa ließ sich nicht mehr zurückhalten. Alles, was ihr Vater aufgebaut hatte, sollten sie verkaufen, ja aus ihrer Heimat wegziehen? Ihr war, als könnte sie förmlich hören, wie ihr Vater mit der Faust auf den Tisch schlug. Aber der Vater war nicht hier, und die Männer wollten das ausnutzen. Wenn sie jetzt klein beigab, dann wäre das Verrat an dem einzigen Menschen, der sie niemals wie ein Monster behandelt hatte. Diese Gedanken und ihr Zorn gaben Rosa die Kraft, zu sprechen. Ja, sie musste sprechen!
»Ehrwürdiger Rat, diese Unwürdige möchte nur verhindern, dass Ihr ein großes Unrecht begeht.«
Die Ratsherren sahen sich an, zögerten.
Gut, dachte Rosa, die von ihrer Wut angetrieben wurde, aber noch gar nicht wusste, was genau sie vorbringen wollte.
Der mit der Stirnglatze ließ sich zuerst wieder auf seinen Platz sinken und forderte Rosa dann mit einem ungeduldigen Schnicken der Hand auf weiterzureden.
Die anderen folgten seinem Beispiel und setzten sich, leise stöhnend, wieder hin. Vor allem der Spitzbärtige schüttelte dabei vehement den Kopf.
Rosa hatte die Worte ihres Vaters im Ohr: Jedes Blatt ist nur so gut wie sein Spieler. Sie rief: »Mein...
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