Schweitzer Fachinformationen
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Liz versuchte so viel wie möglich von all den Satzfetzen aufzuschnappen, die durch den Raum schwirrten. Amerikanische, deutsche und ungarische Worte verstand sie sofort, nach und nach erkannte sie auch rumänische, bayerische und polnische Bruchstücke.
»Das hier ist dann also unsere Kantine, wir nennen sie aber nur Cafeteria. Manche sagen auch, sie wäre das eigentliche Herz von Radio Free Europe.« Ron Summers, Liz' neuer Chef, legte ihr die Hand in den unteren Rücken und schob sie sanft weiter in den etwas dämmrigen Raum hinein, in dem gerade auch noch Pat Boone anfing, mit schmalzig-warmer Stimme »I Almost Lost My Mind« zu singen.
Fasziniert betrachtete Liz die leidenschaftlich gestikulierenden Menschen, die an den Tischen der Cafeteria saßen oder standen und von dichten grau und weiß oszillierenden Rauchschleiern wie von geheimnisvollem Nebel umwabert wurden.
Das also waren von nun an ihre Kollegen! Redakteure, Sprecher, Techniker, Rechercheure und Stenotypisten, alle aus unterschiedlichen Ländern und doch vereint in ihrem mondänen Auftreten und sichtlich durchdrungen von ihrer Mission und dem Bewusstsein, das Richtige zu tun.
So ähnlich wie ich jetzt müssen sich die Menschen damals beim Turmbau zu Babel gefühlt haben, dachte Liz. Ein bisschen verloren angesichts des großen Ganzen. Natürlich war niemand bei Radio Freies Europa so überheblich, gleich Gott herauszufordern. Das Ziel des Senders, seine Mission, die crusade for freedom, bestand viel mehr darin, Informationen hinter den Eisernen Vorhang zu senden, die Kommunisten zu provozieren und in der dortigen Bevölkerung das Verlangen nach Freiheit und Wohlstand anzuheizen.
Liz folgte Summers, der nun voranging und sich nach einem freien Platz umsah. Es roch nicht nur nach dem Qualm der vielen Zigaretten, sondern auch nach Pommes frites, schalem Kaffee und Schweiß. Und über all dem schwebte ein Hauch von Rasierwasser. Was sicher daran lag, dass sich überwiegend Männer in der Cafeteria aufhielten. Die wenigen Frauen, die Kleider in duftigen Farben trugen, wirkten inmitten der vielen schwarzen Anzüge wie elegante Ausrufezeichen. Balenciaga, vermutete Liz, oder Chanel.
Unwillkürlich strich sie über die Wolle ihres engen wadenlangen Rocks und zog ihn an den Seiten glatt, doch es half nicht viel. Obwohl der Rock neu war, kam es ihr plötzlich so vor, als wäre er nicht besser als schäbige Nachkriegsware. Sie fühlte sich zurückkatapultiert in ihre Grundschule in Nordschwabing, wo sie vier Jahre lang immer nur eine Außenseiterin, »die Andere« gewesen war. Das war nun schon lange her, sie war sechsundzwanzig und kein kleines Mädchen mehr. Und sie hatte im Sender eine wirklich wichtige Mission zu erfüllen. Doch genau diese Aufgabe würde dafür sorgen, dass sie letztlich auch hier wieder »die Andere« bleiben musste. Liz seufzte. Jählings brandete eine schmerzhafte Sehnsucht in ihr auf, ein echter Teil von diesem Kosmos sein zu können, ein einziges Mal irgendwo wirklich dazuzugehören. Kitartás, kislánykám, Haltung, Kindchen, hörte sie ihre ungarische Großmutter sagen: Haltung!
Der Rauch, der den ganzen Raum durchzog, reizte ihre Kehle und ließ sie husten.
»Alles in Ordnung?«, fragte Summers, sah sie dabei aber nicht an, sondern suchte weiter nach einem freien Platz.
Sie folgte seinem Blick und entdeckte auf der anderen Seite in der rechten Ecke des Raumes eine rot glänzende Musikbox, die neben der meterlangen Theke aus Glas stand. Von dort steuerte eine junge Frau in einem maigrünen Dirndl und einer weißen Trachtenbluse zielstrebig auf sie zu.
Ganz eindeutig weder Chanel noch Balenciaga. Liz entspannte sich etwas. Und das änderte sich auch nicht, als die Frau näher herankam und ihr klar wurde, dass dieses weibliche Wesen gar keine Haute Couture brauchte, um sich in Szene zu setzen. Sie erschien Liz wie die perfekte Verkörperung der wehrhaften bayerischen Göttin, eine echte Bavaria. Aber kein bisschen kalt und starr wie die Bronzestatue auf der Theresienhöhe, sondern warm und weich wie frische Dampfnudeln. »Hello, Herr Geheimrat«, begrüßte die Bavaria den Sicherheitschef mit einem Nicken und lächelte offen, als sie Liz dann die Hand hinstreckte. »Hi, Miss, I am Rosi.«
Etwas überrumpelt ergriff Liz ihre Hand und schüttelte sie. Warm, zupackend, ein wenig feucht.
»Fräulein Huber, Sie können ruhig Deutsch mit uns sprechen.« Summers schenkte Rosi das Lächeln, das sich Liz während ihres stundenlangen Rundgangs durch den Sender wenigstens ein einziges Mal gewünscht hätte. Ein Lächeln, das diesen etwas bulligen Mann plötzlich geradezu attraktiv wirken ließ. Bisher war Liz gar nicht aufgefallen, wie perfekt der dunkelgraue Anzug an ihrem neuen Chef saß und wie gut seine bordeauxfarbene Seidenkrawatte dazupasste.
Anders als Summers schien sich die Milch-und-Honig-Bavaria über Liz' Anwesenheit zu freuen. Ganz sicher war Liz aber noch nicht, denn es fiel ihr sehr viel schwerer, die Gefühle anderer Menschen korrekt einzuschätzen, als sich mit verlässlichen Fakten zu befassen. So hätte sie zwar genau sagen können, wer die 18,52 Meter hohe Bavaria auf der Theresienwiese gebaut hatte und wann. Aber nicht, ob Rosi sie nur deshalb anlächelte, weil Liz mit einer wichtigen Persönlichkeit wie Summers hier war oder weil sie Liz spontan sympathisch fand. Oder ob sie vielleicht nur froh war, dass die zierliche Liz keine ernsthafte Konkurrenz für so ein Vollblutweib wie sie darstellte.
»Fräulein Rosi ist hier die Chefin, die gute und unersetzliche Seele unserer Cafeteria«, erklärte Summers, wendete sich dann zu Rosi und stellte die beiden einander vor. »Das ist Fräulein Elizabeth Kiss! Jeff Daniels persönlich«, er zerdehnte das Wort, sodass es wie persööööönlich klang, »hat sie eingestellt, als Verstärkung für die ungarische Abteilung.«
Und genau das nahm Summers ihr offensichtlich übel. Nachdem er an diesem Morgen von Daniels mit ihrer Einstellung überrumpelt worden war, hatte er Liz reichlich unterkühlt und in einem dermaßen zackigen Tempo von Abteilung zu Abteilung geführt, dass sie in ihrem Bleistiftrock zu einem Dauerlauf in Trippelschritten gezwungen gewesen war. Von all den Tonstudios, Archiven und Newsräumen war in ihrem Kopf nur ein verwirrendes Labyrinth von Gängen zurückgeblieben. Sie würde sich das alles noch einmal in Ruhe anschauen müssen, ganz besonders den hektischen Newsroom mit den laut hämmernden Fernschreibern.
»Jeff Daniels?« Rosi wiederholte den Namen des obersten Chefs nachdenklich und zog eine Augenbraue hoch. Die schienen genauso blond zu sein wie ihre üppige Flechtfrisur, waren jedoch mit einem schwarzen Stift zu dicken, schwungvollen Balken übermalt worden und lenkten den Blick so auf ihre Augen. Blau wie ein schöner bayerischer Sommerhimmel, fand Liz, Biergartenwetteraugen.
»Oha! Der Daniels! Ja, dann von mir auch ein ganz herzliches Servus!«, sagte Rosi. »Zu den Ungarischen .«, wiederholte sie dann nachdenklich. »Ungarisch .« Plötzlich blitzten ihre Augen auf. »Ja, da hätt i zum Einstand was ganz was Guats!«
Sie nickte Liz zu, dann auch Summers. »Herr Geheimrat, Elizabeth, kommt's mit, alle zwei beide!«
Rosi schob Summers und Liz durch die Menge zu einem kleinen Tisch, der näher an der langen Theke stand. Sie wischte kurzerhand mit der Schürze über die helle Kunststoffplatte des ohnehin schon sauberen Tisches und bedeutete ihnen Platz zu nehmen.
»Kaffee, wie immer?«, fragte sie Summers, nachdem sie sich hingesetzt hatten. Als er nickte, wandte sie sich Liz zu. »Und was magst du?«
»Auch Kaffee, bitte.«
»Ich versteh di net!« Rosi beugte sich so tief zu Liz, dass aus ihrem Dekolleté ein überraschend schwerer orientalischer Duft in Liz' Nase stieg. Was so wenig zu dieser Bavaria passte wie Knoblauch zu einer Schwarzwälder Kirschtorte. Rosi schien überhaupt recht kurios zu sein. Zum einen war Summers so sehr Geheimrat wie Liz die Kaiserin Sissi. Zum anderen duzte Rosi Liz, ohne auch nur zu fragen, ob ihr das überhaupt recht war.
»I versteh di net!«, sagte Rosi noch einmal lauter und deutete zu der Musicbox, aus der gerade Elvis Presleys Stimme erschallte. »Don't Be Cruel«, sang er, und die Hälfte der Cafeteriabesucher fing an, mit dem Fuß zu wippen oder mit den Fingern den Takt auf den Tisch zu trommeln.
»Also, was magst jetzt du trinken?«
»Kaffee bitte«, wiederholte Liz lauter, woraufhin Rosi hinter dem Tresen in der Küche verschwand und sie mit Summers allein ließ. Eigentlich passt Geheimrat doch gut zu ihm, dachte Liz, ein Sicherheitschef hatte ja durchaus mit Geheimnissen zu tun. Sie musste ihn unbedingt dazu bringen, Frieden mit ihr zu schließen, denn immerhin würde sie ihm direkt Bericht erstatten und nicht Jeff Daniels. Vielleicht würde ihr das besser gelingen, wenn sie mit ihm über sein Hobby redete. Der bullige Summers war sehr wahrscheinlich ein leidenschaftlicher Boxer. Während ihres Rundgangs hatte sie bemerkt, wie leichtfüßig er neben ihr hergelaufen war.
Seit sie im Boxklub der Army fotografiert hatte, erkannte sie Boxer nicht nur an ihrem Gang, sondern auch an den muskulösen Oberarmen und an ihrem stark ausgeprägten, leicht verkürzten Nacken. Und den hatte Summers ihr ständig zugewandt, weil er ihrem Blick ausgewichen war.
Die meisten Boxer liebten es, mit einer Frau über ihren leicht verruchten Sport zu reden. Sie würde Rocky Marciano ins Spiel bringen, den Rücktritt des ungeschlagenen Boxstars vor fünf Monaten, am 27. April nach 49 Siegen. Sicher konnte sie Summers mit all dem verblüffen, was sie über das Boxen wusste. Ihr Gedächtnis speicherte nämlich genau solche, eher unwichtige Details nur allzu...
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