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Gerhart Hauptmann zum sechzigsten Geburtstag
Sie waren unter meinen Zuhörern, Gerhart Hauptmann, darf ich Sie erinnern?, als ich an einem Tage der Goethe-Woche zu Frankfurt in der Universität über Bekenntnis und Erziehung, über Humanität also, sprechen durfte; in erster Reihe saßen Sie vor mir, und hinter Ihnen war das Festauditorium bis zur Empore hinauf voll akademischer Jugend. Das war schön; und so sei es heute wieder. Noch einmal, kraft meiner Einbildung, will ich Sie vor mir haben, wie damals, dass ich Sie anspreche zu Ihrem Geburtstag, werter Mann; und wenn ich den Kopf ein wenig höher hebe, soll deutsche Jugend da sein und ihre Ohren spitzen, denn auch zu ihr will ich, über Ihre Person hinweg, heute wieder reden, auch mit ihr, wie die Wendung lautet, wenn der Sinn jenes Hühnchens darin liegen soll, das zu pflücken ist, habe ich zu reden: über Sie, den wir feiern, und über Anderes und Weiteres, alles in allem aber wiederum über Dinge der Humanität - Dinge also, für welche deutsche Jugend nie und nimmer sich unempfänglich erweisen kann, sie wäre denn eben nicht deutsche Jugend mehr. Dennoch ist leicht möglich, dass sie scharrt. Aber das macht nichts, ich werde zu Ende reden und Herz und Geist daran setzen, sie zu gewinnen. Denn gewonnen muss sie werden, soviel ist sicher, und ist auch zu gewinnen, da sie nicht schlecht ist, sondern nur stolz und vertrotzt in ihren scharrenden Teilen.
Um noch einmal anzuheben, so ist nicht verwunderlich, dass ich mich jener Frankfurter Umstände gern erinnere und sie im Geist wieder herstelle: unzweifelhaft, wie ich nachträglich gewahr wurde, (denn die Gegenwart findet uns immer undankbar) bedeuteten sie einen Höhepunkt meines Schriftstellerlebens. Rechts vorn, wie gesagt, saßen Sie, Gerhart Hauptmann, und linkerseits der Vater Ebert. Vor König und vor Reich also, wie Lohengrin singt, enthüllte mein Geheimnis ich in Treuen - wobei mit dem »Reiche«, versteht sich, der Vater Ebert gemeint ist, mit dem König aber Sie. Denn ein König sind Sie heute, wer wollte es leugnen, ein Volkskönig wahrhaft, wie Sie da vor mir sitzen - der König der Republik. Das wäre ein Widerspruch? So rufe ich Novalis an, einen Royalisten besonderer Art, der gesagt hat, man werde bald allgemein überzeugt sein, dass kein König ohne Republik und keine Republik ohne König bestehen könne - ein demokratisches Wort auf jeden Fall und zu der Ergänzung auffordernd, dass immer noch viel eher eine Republik ohne König bestehen könne, als das Umgekehrte (Scharren im Hintergrunde) und man sich keineswegs wundern dürfte, wenn Sie, in Ihrer Eigenschaft als König, durchdrungener Republikaner wären, da Ihr Königtum durch unsere Republikanisierung so außerordentlich verstärkt und verdeutlicht worden - nach einem kurzen Schwanken Ihrer Stellung während des Prozesses der Umwälzung selbst.
Wir leben rasch, die Beleuchtung, worin der Einzelne steht, wechselt mit Lidschlagschnelle, heute tot, heißt es, und morgen, bis auf weiteres, wieder rot; es ist unterhaltend, wenn auch freilich nicht mehr, das Auge ans Kaleidoskop der öffentlichen Umstände und Geltungen zu halten, selbst insofern unsere eigenen Tagesschicksale im Spiele sind. Der intellektualistische Radikalismus, der in literarischer Sphäre die Revolution begleitete, war Ihrem Wesen nicht hold. »Der Geist« war wider Sie. Das ist schon vorbei. Die scharfen Knabenstimmen, die Sie »ungeistig« nannten, sind verstummt, die Welle trägt Sie, die sozialen sowohl wie die demokratischen Tendenzen der Zeit kommen Ihrer Größe zustatten. Der Sozialismus dieser Zeit ehrt in Ihnen den mitleidigen Dichter der »Weber« und des »Hannele«, den Dichter der Armen; und nachdem man der Demokratie alles nachgesagt hat, was ihr nachgesagt werden kann, ist festzustellen, dass sie des Landes geistige Spitzen, nach Wegfall der dynastisch-feudalen, der Nation sichtbarer macht: Das unmittelbare Ansehen des Schriftstellers steigt im republikanischen Staat, seine unmittelbare Verantwortlichkeit gleichermaßen - ganz einerlei, ob er persönlich dies je zu den Wünschbarkeiten zählte oder nicht.
Wodurch Sie aber namentlich siegten, Gerhart Hauptmann, war Ihr Deutschtum, das heißt Ihre echte Popularität - um nochmals Novalis zu zitieren, der das Ideal der Deutschheit eben hierdurch, als »echte Popularität«, bestimmt - eine Volkstümlichkeit des humansten Gepräges, wie man nicht säumen darf hinzuzufügen, um rohe und hausbackene Vorstellungen abzuwehren: human bereits im Punkte ihrer historischen Ursprünge. Kommilitonen! (»Nanu?«) Ich rede euch an, akademische Jugend, namentlich soweit ihr mit scharrender Unruhe meine Worte zu begleiten euch schon mehrmals bemüßigt fandet. Die letzte stark internationalistische Befruchtung unserer Literatur ereignete sich in den achtziger und neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, als Ibsen, Zola und die großen Russen bei uns ihren Einzug hielten; sie fiel zusammen mit dem Durchbruch des Naturalismus, der Lufterneuerung durch das jüngste Deutschland. Und welches ist die Dichterpersönlichkeit, die diese künstlerisch kosmopolitische Bewegung zeitigte? Welche bleibende Gestalt ließ sie zurück? Nun, sie bildete das deutscheste Angesicht, das Gerhart Hauptmanns, sie führte diesen Meister empor, der kraft echter Popularität heute zu fürstlich repräsentativer Stellung aufgerückt ist, und in dem In- und Ausland das geistige Haupt des nachkaiserlichen Reiches ehrt. Es lohnt, darüber nachzudenken. Es lohnt, das zu tun auch im Falle Stefan Georges, aus dessen Frühzeit die Propheten Baudelaire und den französischen Parnass nicht wegstilisieren sollten, dessen Leben, Gestalt und Wirkung aber heute eine hoch und rein nationale Angelegenheit ist. Wo irgend Größe waltet, da setzt das Physiognomisch-Nationale sich aller kosmopolitischen Hingabe ungeachtet unfehlbar durch, und unter uns Deutschen wenigstens scheint Grundgesetz, dass, wer sich verliert, sich bewahren wird, wer sich aber zu bewahren trachtet, sich verlieren, das heißt der Barbarei oder biederer Unbeträchtlichkeit anheimfallen wird. (Verbreitete Unruhe.)
Human, sage ich, und nicht roh oder hausbacken, ist dieses Mannes dichterische Deutschheit ihrer literarischen Geschichte nach. Human, setze ich hinzu, weder völkisch simpel noch völkisch ungeschlacht und randalierend, sondern liberal im menschlichsten Sinn, kulturmilde, würdig-friedfertig stellen sein Deutschtum, seine hohe Echtheit, seine Popularität sich überhaupt und durchaus unserer Verehrung dar. Wie hätte er freilich in Kriegsnot und -drang sich ihrer nicht schmerzvoll innig bewusst werden sollen! Er prahlte nicht mit Philanthropie. Er benahm sich nicht literatenhaft, ging nicht nach Zürich, um von dort aus sein Land und Volk pazifistisch zu begeifern. Mit Herz und Mund stand er zu Deutschland, tat es noch eben jetzt wieder, als es galt, Grenzgebiete des Reichs, deren Abtrennung die zweifelhafte Weisheit der Sieger verfügt, in Trauer zu grüßen - und aus dem Saal auf die Straße drängte die Menge dem hohen, väterlichen Manne nach, unwillig, ihn zu lassen, unersättlich in Liebesbekundungen. Wäre es aber so, könnte er von einem Volk, in dessen Wesenstiefe organisch-unbewusst und sein Gewissen doch unverleugbar bestimmend, große Kulturüberlieferungen lebendig sind - könnte er, sage ich, von diesem seinem Volke solchermaßen als Vater und Fürsprecher empfunden werden, wenn seine Popularität von völkisch enger, plump aggressiver und humanitätloser Art wäre? So kann wirkliche und echte deutsche Popularität niemals sein. Was Europa auch sagen möge: humanitas als Idee, Gefühl und sittlich-geistiges Regulativ, das stille Bewusstsein, dass Staat nur »eine besondere Verbindung mehrerer Menschen in dem großen Staate ist, den die Menschheit für sich selbst schon ausmacht«, um wieder ein bereites Wort des Dichters einzusetzen, der, wie es scheint, bei dem, was ich heute zu sagen habe, mein Eideshelfer sein soll, ist unserm Volke niemals abhandengekommen, und kein anderer hat die Werte des Nationellen und des Universellen in Gewissenstiefen und Geisteshöhn bedachtvoller gegeneinander abgewogen.
Am geistreichsten geschah das in jener wundervollen Sphäre, der Friedrich von Hardenberg angehörte, und deren Kunstsinn für das Völkisch-Pittoreske so stark war, dass er sich ins Human-Umfassende steigerte, dass Nationalismus und Universalismus hier glücklich beieinander wohnten. »Alles Nationale«, sagt Novalis, »alles Temporelle, Lokale, Individuelle lässt sich universalisieren und so kanonisieren und allgemein machen. Christus ist ein so veredelter Landsmann.« Und er fährt fort: »Dieses individuelle Colorit des Universellen ist sein romantisches Element. So ist jeder national und selbst der persönliche Gott ein romantisiertes Universum. Die Persönlichkeit ist das romantische Element des Ich.« - Hier herrscht Gerechtigkeit. Hier ist anerkannt, dass das Kanonisch-Universelle nicht windige Nationalisierung, sondern »Veredelung« bedeutet; zugleich aber ist das Individuelle und Nationale als das romantische Persönlichkeitselement des Universellen und damit als Lebenspoesie gekennzeichnet. Was ist das Höhere? Wer will es sagen. Möge die höhere und geistigere Sphäre die »kanonische« sein, so ist die der Persönlichkeit vielleicht die innigere, vielleicht selbst die wirklichere. Sie ist zugleich seit Jahrhunderten die kriegerische. Ja, die Sphäre des Bluts ist auch auf schreckliche Art die blutige...
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