Schweitzer Fachinformationen
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Hochverehrter Herr Dr. Mann,
mit Ihrem grossen Brief habe ich mich ja so gefreut! Allerallerherzlichsten Dank dafür und für Ihr gütiges Interesse an meinem Schicksal! Das tut so wohl und hilft! Wenn ich manchmal meine: es geht jetzt nicht mehr - denn trotz aller Widerstandskraft und Geduld, trotz des »Trostes und der seelischen Rückendeckung der Literatur« - die Dauer dieser unerträglichen Wirklichkeit ist manchmal noch stärker und überwältigt - dann rettet mich der Gedanke an Ihre Freundschaft vor der lauernden Verzweiflung.
Man will die kleinlichen Qualen des Alltags nicht zu wichtig nehmen, man will nicht in den Fehler der meisten Leidensgenossen verfallen, die das ganze Geschehen nur unter dem engen Gesichtswinkel des unterdrückten Juden zu betrachten vermögen, man fühlt die Verpflichtung zur objektiven Beurteilung stärker vielleicht als je und ist dieser Verpflichtung weniger als je gewachsen. Man versucht immer wieder und immer wieder vergebens an die Grundfragen und Grundprobleme des neuen Staates heranzukommen, denn der Zugang dahin ist nicht auffindbar, weil ja alles noch so unklar ist und kein Mensch weiss, wie die Forderungen: der totale Staat z.B., oder die Gestaltung einer neuen nationalsozialistischen Kultur, oder des rassisch-reinen Volkskörpers zu erfüllen sein sollen. Und nicht einmal nur das, die massgebenden Kreise sind sich auch gar nicht einig, weder in dem, was sie unter »totalem Staat«, noch unter »nationalsozialistischer Kultur« noch was sie unter »rassisch-reinem Volkskörper« verstehen, noch über die Wege zu ihrer Verwirklichung. Sagen Sie, hochverehrter Herr Dr., wären wir schließlich nicht alle bereit das Ganze gutzuheissen, auch wenn es sich gegen unsere geistige und körperliche Existenz richtet, wenn wir Gutes für das Vaterland davon erhoffen könnten? Aber wir können es nicht und sehen nur Niedergang und geistiges und wirtschaftliches Elend. Aber wir sind doch immer wieder misstrauisch gegen unser Urteil, wir zweifeln an der Richtigkeit unserer Einsicht, wir verdächtigen uns mangelnder Objektivität - und doch - und doch - wir können nicht anders, wir kommen zu keinem anderen Ende, wir sehen nur Niedergang und Unheil für das deutsche Vaterland daraus entstehen.
Die aufgezwungene Abgeschlossenheit der verschiedenen Lebens- & Gesellschaftskreise voneinander macht die Verständigung untereinander überhaupt unmöglich. Die früheren Freunde, aus den gutbürgerlich-christlichen Kreisen, müssen uns, im Interesse ihrer materiellen Erhaltung, meiden. Den Kontakt mit dem bildungsbedürftigen Teil früherer Sozialdemokraten und Arbeiter kann man - vorsichtshalber - nicht mehr aufrecht halten. Es bleiben nur noch einige sehr wenige unabhängige Menschen, die aber, seien sie nun Arier oder Nichtarier, unter dieser Zeit genau so leiden, genau so sehr davon bedrückt sind, wie wir Juden, und die daher auch die gleiche Einstellung, die gleiche Abneigung gegen das nationalsozialistische Deutschland haben wie wir. So dass jedes Zusammensein und jede Diskussion bald erlahmt und der ganze Unterschied zwischen den einzelnen Menschen, mit denen man noch zusammenkommen kann, nur noch ein Niveauunterschied, aber kein Richtungsunterschied mehr ist. Unter diesen Umständen hat die Geselligkeit keinen Reiz mehr, ist sie auch nicht mehr fruchtbar oder förderlich für den Einzelnen. Man wird immer mehr zum Einsiedler, aber zum Einsiedler wider Willen, denn man spürt ja auch ganz genau, dass man erst recht hinaus müsste und in Fühlung bleiben müsste mit allen Kreisen des Volkes. Wie kann ich die Zeit noch beurteilen oder erkennen, wenn ich mich separiere und isoliere?
Hinzu kommt, dass auch unsere Informationsmöglichkeiten denkbar unvollkommen sind. Man liest die Frankfurter Zeitung, man liest mehr das, was nicht drin steht, - dabei bleibt aber das Misstrauen gegen uns selbst beständig wach, wir möchten möglicherweise und vielleicht höchstwahrscheinlich doch nicht das Richtige zwischen den Zeilen gelesen haben. Unser Wunsch Gewisses hinter den gedruckten Berichten zu finden, verleitet uns doch allzu leicht zur Selbsttäuschung.
Das alles erzeugt jene entsetzlich bodenlose Situation, die für unseren Zustand und für den Zustand des ganzen deutschen Volkes so bestimmend ist. Sie ermöglicht erst jene Unbegrenztheit an Bosheit und Dummheit, an Hilflosigkeit und Ratlosigkeit, an Hoffnungslosigkeit und Aussichtslosigkeit. Sicherlich wissen Sie über die meisten Tatsachen in innen- und aussenpolitischer Beziehung draussen viel besser Bescheid als wir hier. Aber vielleicht fehlt Ihnen doch die Kenntnis jenes sonderbaren Krankheitszustandes unter dem wir hier alle leiden und von dem wir jedenfalls auch alle bereits ergriffen sind, jeder auf seine Weise, aber unberührt bleibt keiner der hier lebt.
Ich gehöre zu den wenigen Juden, die auch jetzt noch mit Ariern, ja sogar mit Nationalsozialisten, zusammenkommen und ich erhalte mir diese Verbindungen so gut ich kann. Dieser Umgang mit den Ariern oder mehr und weniger überzeugten Nazis ist allerdings eine ziemliche geistige und seelische Anstrengung. Man steht immer wieder vor fast unüberwindlichen Schwierigkeiten. Man ist zu einer Sachlichkeit gezwungen, die in dem zerquälten Zustand, in dem man sich jetzt befindet, unsagbar weh tut. Sehen Sie, da ist z.B. mein bester Freund, der in den Kreisen der Volksbildungsbestrebungen schon viele Jahre eine ziemlich bedeutende Rolle spielt. Er sieht sich genötigt mitzugehen, ich glaube weniger aus Gründen der Existenzerhaltung, als aus der empfundenen Verpflichtung die Bindung zum Volk nicht verlieren zu dürfen. Welch ungeheure Konflikte dadurch in unsere Freundschaft schon hineingetragen worden sind, kann ich Ihnen nicht schildern, aber ich bin überzeugt, Sie können sie sich genau ausmalen. Ich litt darunter, dass jedes Zusammensein zerrissen ward von Auseinandersetzungen, die niemals zu einem befriedigenden Ende geführt werden konnten. Durch mündliche und schriftliche Aussprache kam es zu einer immer grösseren Entfremdung zwischen uns und jetzt - bei meinem letzten Besuch in M. - zum endgültigen Bruch. Es ist so entsetzlich was diese Zeit alles für uns vernichtet, wie sie menschliche Beziehungen zu einer unlösbaren Aufgabe macht, wie sie eingreift in das Intimste und das Gesichertste zerstört. Es ist das alles umso schmerzlicher und quälender, als man als geistiger Mensch sich zur Verständigungsbereitschaft immer verpflichtet fühlt, zur Achtung und Anerkennung der anderen Meinung, als man der Ueberzeugung ist, dass die Geistigen unter den Menschen die Brücken zwischen den aufgerissenen Abgründen zu bauen und zu erhalten haben - man selbst tut was man kann, aber man bleibt allein mit dieser Bemühung, weil die andere Seite von dieser Verpflichtung nichts mehr wissen darf und darum das von uns mühsam bewahrte und aufgebaute zerstört.
In Ihrer Freundschaft mit dem Paten B. ist das aber nicht der Fall. Ich habe mir von Frl. K. von seinem Besuch draussen in der P.-Str. erzählen lassen und ich habe mich wirklich gefreut, dass hier einer, der sich zu den Ueberzeugten geschlagen hat, seinem anders gesinnten Freund die Freundschaft zu erhalten und zu beweisen gewillt ist. Er ist erschüttert von Ihrem Schicksal und des guten Willens Ihnen zu helfen. Er sagt etwas, was ausser ihm noch mehrere Ihrer Freunde sagen - ich nicht, ich bin noch anderer Ansicht - dass Sie ins Land gehörten, dass Sie zurückkommen müssen! Und Ihr Freund B. sichert seine ganze Bereitschaft zu Ihnen dazu zu verhelfen, rücksichtslos ob daraus für ihn irgendwelche Folgen entstehen könnten. Ich verstehe Ihre Bitterkeit gegen ihn, die aus Ihrer Erzählung über seinen Anruf und Besuch in M. spricht, aber ist denn nicht schliesslich in allen menschlichen Beziehungen das Herz massgebender als die Meinung? Ich hörte von Frl. K., dass Prof. B. Sie in Z. besuchen will; er glaubt also wirklich sich noch vor Ihnen sehen lassen zu können und ich glaube auch, dass Sie sich trotz allem mit seinem Besuch schliesslich doch freuen werden.
Für die deutsche Erhebung kann es auch nur gut sein, wenn Menschen wie dieser für sie arbeiten und eintreten. Nur von solchen ist eine Vergeistigung und Reinigung zu erhoffen. Viele dieser spontanen Mitgerissenen sind heute schon wesentlich zurückhaltender in ihrer Begeisterung. Sie halten dazu, vielfach wirklich nur deshalb, weil sie ihren mässigenden Einfluss nur so anzubringen hoffen können. -
Das amtlich versiegelte Arbeitszimmer - das ganze so verschlossene Haus - es war ein fürchterlicher Eindruck, den ich nie vergessen werde, in seiner ganzen Schauerlichkeit. Frl. K. hat sich in dieser Sache ja wirklich ganz famos gehalten! Ich habe wirklich Respekt vor ihr bekommen! Ich bin sehr froh, dass Sie an ihr eine so treue Stütze haben. Noch kurz vor meiner Abreise konnte ich die Nachricht mitnehmen, dass das Haus in den nächsten Tagen wieder geöffnet werden wird. Aber welch grosse Opfer das gekostet hat! Man mag gar nicht daran denken!
Inzwischen sind Sie alle hoffentlich gesund in Z. angekommen. Bitte schreiben Sie mir bald, recht bald, wie es der lieben gnädigen Frau geht. Wenn Sie sich nur in dem ihr gemässeren Klima wieder vollkommen erholen kann! Es ist ja wirklich kein Wunder, diese ewigen Aufregungen, diese beständige Unruhe und Unsicherheit können auch die festeste Gesundheit erschüttern. Bitte hochverehrter Herr...
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