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EIN ABRISS FÜR DEN TAG UND DIE STUNDE
Ja, womit soll man anfangen! Der Geschichtschreiber - und nun gar der Gelegenheitshistoriker - ist immer jener Versuchung ausgesetzt, der Wagner auf das großartigste erlag, als er, eigentlich nur gesonnen, den Untergang seines Helden aufzuführen, von einer begeisterungsvollen Pedanterie sich immer weiter im Mythos rückwärts locken ließ, ein immer größeres Stück der »Vorgeschichte« mit aufzunehmen sich genötigt fand, bis er endlich am Grundanfange und Anbeginn aller Dinge notgedrungen haltmachte: beim tiefsten Es des Vorspieles vom Vorspiel, womit er denn feierlichst und fast unhörbar zu erzählen anhob. Da aber Raum und Zeit den lebhaftesten Protest dagegen erheben, daß wir bei dieser Skizze der Ursprünge eines Krieges, dessen Wiederholung oder Fortsetzung wir heute erleben, mit dem tiefen Es beginnen, so wollen wir uns einen Stoß geben und mit dem großen Mißtrauen den Anfang machen, dem tief wurzelnden und, wenn wir billig sein wollen, ziemlich begründeten Mißtrauen der Welt gegen König Friedrich II. von Preußen.
Man erinnere sich nur: Der junge Mann, knabenhaft seinen Zügen nach, zierlich und etwas dicklich von Statur, »das niedlichste Menschenkind im Königreich«, wie ein Fremder urteilte, von lebhafter Gesichtsfarbe und kindlichen Backen, mit großen, kurzsichtig glanzblauen Blicken, sowie einer Nase, die genau in der Linie der Stirn verläuft und vorn eine naive Rötung aufweist, nach damaligen Bildern zu urteilen, - dieser niedliche junge Mann, dessen teils liederliche, teils schreckhafte und momentweise fürchterliche Kronprinzenvergangen{56}heit bekannt ist, libre-penseur dabei, keck philosophisch, Literat, Verfasser des überaus humanen »Antimacchiavell«, durchaus unmilitärisch, wie es bisher den Anschein hatte, zivil, lässig, selbst weibisch, ein Schuldenmacher, auf Kurzweil und Prunk von Herzen bedacht, - wird König, weil ehrloserweise keine Tracht Prügel und kein Am-Halse-Würgen von seiten seines beängstigenden Papas ihn seinerzeit hat bewegen können, sich eine Kugel in den Kopf zu schießen oder wenigstens zugunsten seines Bruders zu resignieren, und benimmt sich als König in einer Weise, daß man nicht weiß, was man denken soll. Der Tag seiner Thronbesteigung hieß fortan: »La journée des dupes« - fast alles kam anders, als man es sich gedacht hatte. Diejenigen, die vor der Rache des neuen Herrn gezittert hatten, wurden nicht gestraft, und die, welche ihre Stunde gekommen glaubten, sahen sich enttäuscht. Die Glücksritter und Poeten, die den Thron umschwärmten und sich mit hoffnungstrunkenen Vivats nicht genugtun konnten, wurden zusehends kleinlauter, und ein lustiger Bruder von Rheinsberg, der die Harmlosigkeit hatte, das Tönchen von damals zutraulich wieder anzuschlagen, bekam einen glanzblauen Blick und das schneidende Wort: »Monsieur, à présent je suis Roi!« Auf deutsch: »Die Possen haben ein Ende!« Das ist die Stelle bei Shakespeare, die schönste vielleicht in seinem ganzen Werk, wo jemand unter einem ebensolchen Blicke zu jemandem sagt: »Ich kenn' dich, Alter, nicht.«
Einiges, was der junge Herr gleich in den ersten Tagen tut, hat ja literarischen Habitus, - ist also keck und etwas extravagant. Er schafft die Folter ab, - desto besser für die Diebe. Er erklärt, daß Gazetten, wenn sie ein bißchen amüsant sein sollen, nicht geniert werden dürfen, und hebt die Zensur auf (führt sie übrigens ein Jahr danach wieder ein). Er proklamiert religiöse Toleranz, - nun, das ist die berühmte Aufklärung. {57}Aber was wird aus dem galanten, üppigen, sorglosen Musenhof, den man sich erträumt hatte und an dem die Mode und der schöne Geist herrschen sollten? Gar nichts wird daraus. Der Herr ist vor allen Dingen auf einmal eisern sparsam. Nichts von Gehaltserhöhung für die Beamten. Nichts von Aufhebung der hohen Zölle, - wie sehr auch gewisse Leute sich auf dergleichen gespitzt haben. Die Domänenkammern bekommen ausdrückliche Weisung, daß das genaue Finanzsystem des hochseligen Königs strikte zu respektieren ist. Finanzminister Boden, ein verhaßter Geizkragen, bleibt. Von Vertrauensseligkeit, Lässigkeit, Sorglosigkeit - auch nicht eine Spur. Jedem wird auf die Finger gesehen wie nie zuvor. Damals war es, daß Baron von Pöllnitz, Oberzeremoniemeister, wörtlich den Seufzer tat: »Ich wollte hundert Pistolen geben, wenn ich den alten Herrn wieder haben könnte!«
Kein irgendwie grundstürzender Systemwechsel also, keine Zügellockerung in der Verwaltung, keine neuen Gesichter im Ministerium. Aber eines bleibt doch wohl sicher: Die verkörperte Zivilität ist zur Herrschaft gelangt, die Literatur im seidenen Schlafrock, - der Korporalstock hat abgewirtschaftet, mit dem Potsdamer Militarismus wird es gründlich zu Ende sein. Ja, freilich! Gerade hier gibt es die vollkommenste Überraschung. Der schlappe und ziemlich wollüstige junge Philosoph entpuppt sich zur allgemeinen Verblüffung als passionierter Soldat, - welcher nicht daran denkt, das militärische Fundament des Staates zu schwächen. Zu schwächen? Er vermehrt die Armee um fünfzehn Bataillone, fünf Schwadronen Husaren (die er nach österreichischem Muster einführt) und eine Schwadron Gardedukorps, womit sie nun also rund neunzigtausend Mann stark ist. Die Uniform, früher ein vermaledeiter Sterbekittel, zieht er überhaupt nicht mehr aus. Sein Konservatismus geht so weit, daß er jede Veränderung in den {58}Kommandostellen unterläßt. Die Heeresorganisation ist ein Denkstein der Regentenweisheit von Unsers höchstgeliebtesten Herrn Vaters Majestät, sie ist im wesentlichen nicht anzutasten. Ein paar Plumpheiten im Werbewesen werden allenfalls abgestellt, das Fuchteln der Kadetten, Mißhandlungen des gemeinen Mannes haben ehrenhalber zu unterbleiben, - das ist alles. Was sich aber ändern zu sollen scheint, das ist der Sinn der Einrichtung, der Geist, in dem man sich ihrer bedient, kurzum: ihre politische Bedeutung, - und dies eben ist das Bedenkliche.
Das Militär war ja so etwas wie ein Puschel des höchstseligen Herrn gewesen, eine rauhe und ziemlich kostspielige Liebhaberei, über die man an allen Höfen gewitzelt hatte und die bei den europäischen Geschäften nie irgendwie ins Gewicht gefallen war. Auf einmal ist es »die Macht des Staates« - dies ist der Ausdruck Friedrichs in einem der ersten Briefe, die er als König schreibt, - eine sonderbar sachliche Auffassung, die übrigens auch darin zum Ausdruck kommt, daß der Institution das Schrullenhafte und Kuriose, das ihr anhaftete, genommen wird. Das Riesenregiment, sehenswürdig aber etwas stupid, wird abgeschafft - es tut bei der Leichenparade für Friedrich Wilhelm zum letzten Male Dienst, und nur ein Bataillon »Grenadiergarde« wird der Pietät halber beibehalten. »Die Macht des Staates« . Preußens Vertreter an fremden Höfen führen plötzlich eine Sprache, daß man seinen Ohren nicht traut. Preußen tritt auf, Preußen wünscht durchaus, sich als die beträchtliche Realität betrachtet zu wissen, die es ist, - sein überraschender junger König nimmt eine Miene an, als empfinde er seine Stellung nicht sowohl als die eines deutschen Reichsstandes, denn als eine europäische, er gibt zu verstehen, daß er nicht gemeint ist, »immer nur zu spannen und niemals abzudrücken«, wie das spöttische Europa es so lange von Preußen gewöhnt gewesen ist .
{59}Aber was soll man aus alldem nun machen! Hat er denn bis dahin Komödie gespielt? »Der größte Fehler an ihm«, hat Graf Seckendorff einmal über den Kronprinzen nach Wien geschrieben, »ist seine Verstellung und Falschheit, daher mit großer Behutsamkeit sich ihm anzuvertrauen ist.« Ja, das scheint so. Und wenn Seckendorff fortfährt: ». Er sagte mir, er wäre ein Poet, könne in zwei Stunden hundert Verse machen. Er wäre auch Musiker, Moralist, Physiker und Mechaniker. Ein Feldherr und Staatsmann wird er niemals werden,« - so sieht es jetzt aus, als ob auch dies Verstellung und Falschheit von seiten des jungen Menschen gewesen sei. Denn was nun kommt, ist denn doch das Stärkste an Überraschung und zeigt überhaupt erst, wessen man sich von ihm zu versehen hat.
Nicht ein halbes Jahr ist seit Friedrichs Thronbesteigung vergangen, als Karl VI. stirbt, und kaum ist der Kaiser unter der Erde, so erhebt Friedrich zur größten Bestürzung seiner eigenen Minister, Generale, Verwandten und der ganzen Welt irgendwelche Ansprüche auf Schlesien, - Ansprüche, vollständig unbegründet dem Buchstaben nach und feierlichen Verträgen zufolge, begründet, wenn man denn will, in mancherlei Untreue und Schnödigkeit, die Brandenburg von Habsburg je und je hat erdulden müssen, und Ansprüche jedenfalls, die Friedrich, wenn Maria Theresia sich nicht fügt, was sie unmöglich tun kann, mit dem Schwerte geltend zu machen sich anschickt. »Alles ist vorbereitet,« schreibt er an Algarotti; »es handelt sich nur um die Ausführung der Entwürfe, die ich seit langer Zeit in meinem Kopfe bewegt habe.« Seit langer Zeit? Und alles längst vorbereitet? Ohne daß irgend jemand eine Ahnung davon gehabt hat? Ohne daß er von solchen Ansprüchen und Absichten sich bisher das Geringste hat anmerken lassen? Aber dann ist er ja ein hinterhältiger, versteckter und in aller Rheinsberger Geselligkeit einsamer junger Mensch gewesen! - An Voltaire übri{60}gens schreibt er: »Der Tod des Kaisers zerstörte all meine friedlichen Ideen.«...
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