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Es gibt ein trauriges Künstlerschicksal, vor dem jeder sich fürchten muß, dem es auch nur von weitem droht: nämlich bis zum Tode und in die Unsterblichkeit hinein der Autor eines erfolgreichen Erstlingswerkes zu bleiben. Vielleicht war es ein Werk, das in erster Frische und Naivität, in völliger Verborgenheit, Unberühmtheit und Ungestörtheit entstand, eine ehrliche und rücksichtslose Arbeit, die, ohne den leisesten Gedanken an einen Erfolg bei der Menge, in gelassener Erwartung vielmehr einer ruhigen Würdigung von seiten der Freunde und Kenner, in die Welt gesetzt wurde, das aber, von irgendeiner Zeitströmung ergriffen, als Ausdruck irgendeines Masseninteresses mißdeutet, in das Geschrei der Leute kam und zur Sensation, zum Modewunder, zum großen Treffer ward. Sei es denn, daß der verblüffte Künstler sich von Glück überwältigen, vom Erfolge einhüllen läßt, daß er sich mit Geld und Ruhm inmitten des Volkes, das ihn verehrt, behaglich einrichtet, zufrieden, gewöhnlich und dumm wird; sei es, daß die Analyse seines Erfolges ihn allzu bewußt macht und sein Talent in die Lage jenes Tausendfußes bringt, der, als er einmal nachzudenken begonnen hatte, mit welchem seiner tausend Füße er antreten solle, überhaupt nicht mehr von der Stelle kam und verderben mußte ., sei es, daß er nicht Geist und Verachtung genug besitzt, um der ungeheuren Suggestion des Massenbeifalls zu widerstehen, die ihn lehrt, sein Werk mit den Augen der Leute zu sehen und alle Makel und Schwächen zu vergessen, die ihm bei der Arbeit so große Schmerzen bereiteten, daß der Genieschauder ihn entkräftet, oder die Vorstellung, als sei sein Werk größer als er selbst, seine Hand bei neuen Arbeiten zittern macht, sei es auch nur, daß er selbst sich zwar unentwegt auf der Höhe seines erfolgreichen Werkes erhält, daß aber Publikum und Kritik ihn ihre eigene Überschätzung seines Wertes entgelten lassen und alle seine späteren Leistungen mit Enttäuschung ablehnen: er bleibt der Mann dieses einen Werkes, bleibt, welche inneren Entwicklungsstrecken er noch durchmessen möge, der Öffentlichkeit doch nur bis zu dem Punkte bekannt, an welchem er jenes Werk hervorbrachte, und muß es erleben, daß sein Name in der allgemeinen Vorstellung einfach gleichbedeutend mit dem Titel dieses einen Werkes wird.
Es scheint Leute zu geben, die der Verfasserin von »Aus guter Familie« dieses Schicksal zudiktieren möchten. Ich habe Besprechungen ihres neuesten Werkes gelesen, die voll Freude und Bewunderung waren, aber auch solche, deren Verfasser ihre Enttäuschung ganz unverhüllt zum Ausdruck brachten. Wenn ich annehme, daß es Verfasserinnen waren, so habe ich meine Gründe dafür. Auf jeden Fall muß man sie zurückweisen. Gabriele Reuter hat außer dem zwölf- oder dreizehnmal aufgelegten Buch, das sie berühmt machte, noch »Ellen von der Weiden«, die »Frauenseelen« und die bewunderungswürdige Geschichte von Frau Bürgelin und ihren Söhnen geschrieben, und sie hat mit »Liselotte von Reckling« ein geistiges Kunstwerk von so stiller Überlegenheit, so klarer Tiefe hingestellt, daß es den Vergleich mit jenem gärenden und hinreißenden Erstlingswerk vollauf ertragen kann. Die Entwicklung dieser ausgezeichneten Schriftstellerin ist zu reich und interessant, als daß man dulden dürfte, daß Unverständige sie auf ihre Anfänge zurückverweisen, und wen »Liselotte von Reckling« enttäuscht, weil Agathe Heidling ihn fanatisierte, der hat sie alle beide nicht verstanden.
Was ist der Ruhm? Ein Mißverständnis. Gabriele Reuters »Aus guter Familie« ist von der Frauenbewegung emporgetragen worden. Ein bekannter »Frauenrechtler« soll, so las ich, geäußert haben, wenn er Kultusminister wäre, so würde er dieses Buch in Hunderttausenden von Exemplaren drucken und verteilen lassen. Er täte ungemein wohl daran. Wenn ich Kultusminister wäre, so würde ich jeden vorzüglichen Roman in Hunderttausenden von Exemplaren drucken und verteilen lassen: es wachsen ja deren nicht so überwältigend viele auf deutschem Boden. Allein die Meinung gerade dieses Buch sei im Innersten zu Agitationszwecken im Sinne der »Frauenemanzipation« geeignet, ist eine Naivität - und nichts weiter.
Wie steht die Reuter zur »Frauenemanzipation«? Vorigen Herbst, als ich in ihrem hübschen Arbeitszimmer an der Ludwigskirchstraße zu Berlin bei ihr saß, kam unser Gespräch darauf. Ich bin ein ausgemachter Bourgeois, ich rede über diese Dinge wie ein Trottel. »Also gut!« sagte ich. »Ich habe einmal in München einer Frauenversammlung beigewohnt, auf mein Wort, ich bin hingegangen. Auf der Tagesordnung stand die Frage: >Können Frauen philosophieren?< Es war ein wild bewegter Abend; sogar ein Universitätsprofessor griff ein, und das Ergebnis war die sieghafte Bejahung der Frage, ob Frauen philosophieren können. Übrigens war man ja zu diesem Ende zusammengekommen. Ein bleicher und leidenschaftlicher Herr, der sich aufstellte und das Resultat aus gewissen Gründen anzweifeln zu müssen glaubte, ward niedergemacht; der Universitätsprofessor streckte ihn zu Boden. Nun frage ich aber jedermann: was soll das Ganze! Wenn eine Frau >philosophieren kann<, so möge sie sich doch hinsetzen und es tun! Niemand wird sie hindern, niemand ihr übelwollen. Ich bin bereit, sie zu heiraten, wenn sie mir sonst gefällt. Aber wozu sich zusammenrotten .« Die Reuter wandte mir ihr kluges und diskretes Gesicht zu, das vom weißen Haar so eigenartig umrahmt ist. »Sie müssen bedenken«, sagte sie mit einem nachsichtigen Lächeln, das sowohl mir als der Frauenversammlung zu gelten schien, »daß es gleichsam Kinder sind, die sich verabreden, sich Mut machen müssen .«
»Kinder!« Welche Überheblichkeit! Aber diese Überheblichkeit stand ihr gut, ihr, der selbstherrlichen und schöpferischen Frau. Wie mag sie von diesen »Kindern« mit Zuschriften überschüttet worden sein, wie mögen sie ihr die Rolle einer Führerin im Streite aufgedrängt haben! Sie hat sich mit der Daseinsform eines Herdenführers wie Lorenz Altenhagen zu vertraut gezeigt, als daß ihre spielende Phantasie sie nicht selbst einmal eine Weile in eine solche Daseinsform versetzt haben sollte. Nun, und ich kann mir die liebenswürdigen und sacht distanzierenden Briefe denken - ich weiß von keinen, aber ich kann sie mir denken - mit denen sie alle diese Zuschriften und Zuständigkeiten beantwortet haben mag und zwischen deren Zeilen zu lesen war: »Macht erst ein Buch wie meins da, liebe Damen, eh' ihr euch meine Schwestern nennt!« Denn sie ist Künstlerin, und soweit sie es ist, muß sie, man bilde sich keine Schwachheiten ein, Egoistin und Aristokratin sein.
Ein agitatorischer Mensch wird sich stets gegen die Vorstellung empören, daß jemand die Gottesgabe des Wortes und des Gedankens empfangen haben könne, ohne gewillt zu sein, sie zu praktischen und sozialen Zwecken zu benützen. Er wird deine Ironie, deine Wirklichkeitskritik, den moralischen Unterton deiner Schilderungen immer mißverstehen, wird niemals begreifen, daß Ironie nur ein Stil, Wirklichkeitskritik nur ein Pathos, Moral nur ein Vertiefungsmittel zu sein braucht, und setzest du dich nicht ausdrücklich zur Wehr, so akklamiert er dich unversehens vor allem Volk als Vorkämpfer der Regenerationsbewegung oder der Schulreform, während du nichts gemacht zu haben glaubst als ein wenig absolute Musik. Aber der kontemplativ-künstlerische Mensch ist wesentlich kein Weltverbesserer. Er will nichts als erkennen und gestalten: tief erkennen und schön gestalten; und nur in dem geduldigen und stolzen Ertragen der Schmerzen, die von beiden unzertrennlich sind, findet er die sittliche Genugtuung, die dem Agitator die begeisterte Hingabe an eine reformatorische Idee gewähren mag. Regeneration, Schulreform und Frauenbefreiung sind ohne Zweifel edle Dinge, und gegen Banausen wird ein Künstler sie stets in Schutz nehmen. Und doch wird er sich sperren, wird auch mit hinterhältigen und Abstand suchenden Komplimenten antworten, wenn ihr ihn als Angehörigen einer solchen guten Sache begrüßen zu dürfen glaubt . Warum nur? Fehlt es ihm vielleicht am Glauben?
Im Ernst, es ist nur zu wahrscheinlich, daß er eigentlich auf Erden an nichts glaubt als an sein eigenes Talent. Er kann lieben - haltet ihn nicht für gänzlich in Bildnerkälte erstarrt! Aber um glauben zu können (wenn anders der Begriff des Erkennenden in den des Künstlers hineingehört), um glauben zu können, sieht er zu gut, zu scharf, zu tief, zu schmerzlich-humoristisch auf sich selbst, vor allem sich selbst . Er kennt sich zu gut als reizbares und unnützliches Luxus-Individuum, um auch nur an sein Recht zu glauben, um eine »Verbesserung« der Welt zu seinen Gunsten zu verlangen. Mag er die Leiden, die seine schöne und empfindliche Seele in dieser Welt zu erdulden hat, in noch so beweglicher Anklage schildern: einmal, sofern er die schmerzliche Tugend der Ehrlichkeit besitzt, einmal im Jahre wird er zu sich selber sagen: »Wir Poeten und Artisten sind bei Tage besehen eine ziemlich zweifelhafte Sippe. Wir würden uns schon mit fünfzehn Jahren auch auf der reformiertesten Schule schlecht benehmen, wir würden auch in einer bis zum Ideal verbesserten Welt immer voll Opposition, Protest, Ironie stecken, immer fremd, anders, >besser<, bürgerlich untauglich sein und uns im Kampf mit dem Segenvoll-Bestehenden befinden. Diejenigen von uns, welche die menschliche Gesellschaft nicht durch die Ergötzlichkeit ihres Talentes für ihre totale Unbrauchbarkeit zu entschädigen vermögen, täten gut, möglichst rasch zugrunde zu gehen, anstatt durch allerlei ausschweifende Forderungen den Bürger in verständnisloses...
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