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Teil 1 EINE KURZE GESCHICHTE DER EHE
»Geschichte kann ich nicht leiden [.]. Die machen ihr Ding und ich mach mein Ding. Diese komischen Römer und so«, lautet das Votum einer anonymen Internet-Berühmtheit.6
Wenn es Ihnen ähnlich geht, könnte das nächste Kapitel für Sie eine Herausforderung werden, denn es erwartet Sie ein knapper Überblick über die Geschichte der Ehe. Vielleicht gehören Sie ja aber auch zu denjenigen, die Geschichte schon in der Schule mochten. Wie dem auch sei: Dieses Kapitel hält viel Wichtiges bereit. Es ist nämlich keineswegs so, dass wir einfach nur »unser Ding machen«. Wir machen gewissermaßen das Ding der Römer weiter, auf unsere Art.
Die Ehe versteht sich am besten im doppelten Wortsinn der »Geschichte«: als ein Phänomen, das viele Schichten hat, auch historische, und als Geschehen, das am besten in Geschichten zu verstehen ist. Was wir heute erleben, die Errungenschaften und Probleme, die mit der Ehe einhergehen, unsere eigenen Ehegeschichten, beruhen auf den Geschichten, die Millionen von Frauen und Männern erlebt und gestaltet haben. Es ist das Ergebnis von Überlebenskämpfen, sozialen Verschiebungen, religiösen Entwicklungen, Machtdemonstrationen und Befreiungsbewegungen. Die Ehe hat sich gewandelt, von den Partnerschaften der ersten Menschen bis zu den gesetzlichen Regelungen von heute. Und sie wird sich auch zukünftig weiterwandeln. Unsere eigenen Geschichten tragen ein Körnchen dazu bei und bestimmen die Richtung mit.
Der Durchgang durch die Epochen wird zeigen: Die Ehe ist nicht von sich aus gut. Sie kann, wie so vieles, auch zum Schlechten missbraucht werden. Damit wir unser Ding gut machen, brauchen wir ein Bewusstsein dieser verschiedenen Eheschichten. Meine Hoffnung ist, dass sich auf dieser historischen Reise ein Gefühl für den guten Kern der Ehe entwickelt.
Die biblischen Geschichten von Adam und Eva, dem Baum der Erkenntnis und der Vertreibung aus dem Paradies enthalten tiefe Weisheit - etwa, indem sie die Menschen als beseelte Wesen beschreiben, die von Anfang an sowohl auf dem Boden der Tatsachen leben als auch mit dem göttlichen Schöpfer verbunden sind. Die biblischen Berichte sind grundlegende Welterklärungen - sie sind keine historischen oder naturwissenschaftlichen Dokumente. Wann und wie genau die Menschheit das Licht des Bewusstseins erblickte, steht in den Sternen. Womöglich waren es wirklich die Sterne, die vor grob geschätzten 70 000 Jahren eine Rolle spielten: Das erste Wesen, das man als »Menschenkind« bezeichnen könnte, sitzt vielleicht mit seiner Mutter am Feuer und folgt dem Flug der Funken mit seinen Blicken. Die Funken vermischen sich mit ihren himmlischen Geschwistern, den Sternen. Sie scheinen zu verlöschen und zugleich wie ewige Lichter am Himmel stehen zu bleiben. Das kleine Menschenkind empfindet so etwas wie ehrfürchtiges Staunen und fragt sich in den Worten der einfachen Sprache, die seine Sippe schon beherrscht: »Was bedeutet das?« Vielleicht war es diese allererste Frage nach dem Sinn, die der Menschheit die Tür geöffnet hat zur großen menschlichen Frage des »Warum und Wozu« und zur Suche nach dem Heiligen - der Anfang einer jeden Religion.
Die andere große Frage, die die Menschheit auszeichnet, ist älter: »Wie lässt sich dieses Problem lösen?« Die menschliche Fähigkeit, diese Frage zu beantworten, hat zur Erfindung vieler Werkzeuge geführt, später zur Entwicklung des Ackerbaus, der Erfindung des Rades und - erdgeschichtlich nur wenig später - zur Präsentation des iPhone 12. Und eben zur Beherrschung des Feuers. Ohne diese Fähigkeit hätte unser kleines Menschenkind also gar nicht am Feuer sitzen können, um sich die erste Frage nach dem Sinn des Lebens zu stellen. Beide Eigenschaften zusammen, die gestaltende Vernunft und der suchende Geist, machen den Menschen aus.7
Wir wissen sehr wenig über genaue Zeiten und Orte dieser Menschwerdung, wir kennen die großen Erfinderinnen und Entdecker nicht mit Namen, denen wir das Feuer, das Messer und die Frage nach Gott zu verdanken haben. All das ist herrlich spannende Spekulation. Was wir allerdings mit Sicherheit sagen können ist, dass die Eltern unseres fiktiven Menschenkindes weder standesamtlich noch kirchlich geheiratet hatten. Das erste Menschenkind war unehelich.
Es gibt viele Theorien dazu, wie das Zusammenleben von Männern, Frauen und Kindern in diesen frühen Tagen der Menschheit ausgesehen haben mag. Die Theorien gründen sich auf zwei sehr unterschiedliche Fundamente: zum einen auf archäologische Funde, ethnologische Forschung und Beobachtungen im Tierreich, also auf relativ belastbare Fakten, zum anderen auf den Blickwinkel, Ideologien und Interessen der Forschenden. Das ist oft weniger belastbar. Anders geht es aber nicht.
Diese Mischung aus Fakten und Interessen führt zu unterschiedlichen Theorien, z. B. je nachdem, wo sich die Forschenden auf dem feministischen Spektrum gerade befinden. Die einen, eher testosteroninteressiert, orientieren sich etwa an Gorilla-Familien und stellen sich einen menschlichen Silberrücken vor, der ein Harem von Frauen beschützt und beherrscht, während die Frauen sich um die Aufzucht der Kinder kümmern.8 Die anderen, eher testosteronkritisch, sehen die Clan-Mutter als Zentrum, während die Männer eher versorgende und samenspendende Randfiguren sind.9 Ziemlich sicher scheint, dass die frühen Menschen in Sippen zusammengelebt haben, eine Vater-Mutter-Kind-Konstellation unserer Tage wäre überhaupt nicht überlebensfähig gewesen. In diesen Sippen waren Verbindungen zwischen einem Mann und mehreren Frauen und/oder einer Frau und mehreren Männern das Normale. Und auch das Sinnvollste. Denn es ging bei diesen Verbindungen nicht in erster Linie um die romantische Liebe zweier verwandter Seelen, sondern um den Erhalt der Sippe, um die beste Arbeitsteilung, die beste Ernährung, den besten Schutz.10
Besonders spannend für unsere Suche nach dem guten Kern der Ehe sind die Formen solcher Sippengesellschaften, die sich bis heute erhalten haben. Sie geben uns am ehesten ein Gefühl von der Realität dieser Lebensformen. Und sie zeigen, dass auch die alten Schichten der Ehe-Geschichte keineswegs totes Sediment sind. Im Nordwesten Chinas z. B. gibt es einen Volksstamm, in dem Clan-Mütter im Zentrum das Geschick der Familie lenken und die Idee von Mann-Frau-Partnerschaften eine ganz andere ist: Zu seinem dreizehnten Geburtstag bekommt jedes Mädchen den Schlüssel zu einem eigenen Zimmer, in das es einen Mann hineinlassen kann, der von einer anderen Familie zu Besuch kommt. Macht sie dreimal in Folge die Tür nicht auf, gilt die Beziehung als beendet. Männer haben kein eigenes Zimmer. Sie kümmern sich auch nicht um ihre eigenen Kinder, sondern um die Kinder ihrer Schwestern in ihrer eigenen Familie.11 Niemand in diesen Familien regt sich über diese Rollenverteilungen auf, denn sie funktioniert gut. Allerdings sind solche Gesellschaften die Ausnahme. Die Ehe eines Mannes mit mehreren Frauen hingegen ist heute in weiten Teilen Afrikas und Asiens verbreitet.12 Auch das funktioniert, allerdings regen sich immer mehr Menschen darüber auf. Zu Traditionen, die solche Systeme erhalten, kommen wie später noch. Die Polyandrie, also die Ehe einer Frau mit mehreren Männern, ist deutlich weniger häufig, kommt aber auch vor.13
Rechtsstatus von Polygamie (Polygynie), Datenquelle: fowid.14
Wie auch immer die Familie unseres ersten Menschenkindes ausgesehen haben mag, sie war auf jeden Fall deutlich anders als die westeuropäische Durchschnittsfamilie. Es war eine Gruppe von Menschen, die abhängig war vom Zusammenhalt und von einer klaren sozialen Struktur. Ehe im heutigen Sinn gab es nicht, wohl aber Regeln, die Sexualität, Besitz und Macht über andere steuerten. Es gab Grenzen zwischen denen, die zur Sippe gehörten, und denen, die nicht dazugehörten. Und unabhängig davon, ob Ihnen der Silberrücken oder der Mutter-Clan sympathischer sind, fremd wäre Ihnen die Vorstellung eines solchen Lebens wahrscheinlich in jedem Fall - oder wären Sie ohne Weiteres damit einverstanden, tagtäglich in einer großen Gruppe von Menschen zusammenzuleben, in der Ihr Vater oder Ihre Schwiegermutter darüber bestimmen, wer ein und aus geht und wer mit wem zusammen sein darf? Die meisten meiner Bekannten sind schon von einem langen Wochenende in der Großfamilie überfordert.
Aus den Wurzeln der Menschheit ist, über lange Um- und Abwege, unser heutiges Eheverständnis hervorgegangen. Wenn sich schon in diesen Anfängen ein Beitrag zum guten Kern der Ehe finden lässt, dann wohl dieser: Es gibt viele Formen, aber keine ohne Regeln. Die Regeln des Zusammenlebens sollen dem Wohl der Gemeinschaft dienen. Gut ist, wovon alle Beteiligten profitieren.
Wann genau der erste Krieg losbrach, weiß niemand. Ob schon die ersten wandernden Menschengruppen kriegerisch waren, oder ob erst die Entdeckung der Landwirtschaft ihn hervorgebracht hat, ist nicht bekannt. Auf jeden Fall wurde es den einst nomadischen Menschen erst mit der Entwicklung des Ackerbaus möglich, mehr zu besitzen, als sie tragen konnten.15 Der Besitz von Land wurde zu einem wichtigen Faktor, und damit auch das Vererben von Land sowie die Ehe als Vertrag. Wem gehört der Acker, der die Familie ernährt? Wo verläuft seine Grenze? Erst durch die Landwirtschaft wurde es üblich, Land zu erobern und zu verteidigen, im Kleinen wie im Großen. Über das Land wurde es möglich, Macht zu verfestigen. Fürsten, Herrscher, Könige setzten sich an die Spitze von Macht-Pyramiden,...
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