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Zwei
»Oh, Messer Leonardo, welch eine Freude, Euch zu sehen.«
Ludovico il Moro stand inmitten des weiten Hofes, der als Waffenplatz bekannt war, und winkte Leonardo zu sich. Neben ihm stand, hager und gnatzig, der herzogliche Steuereinnehmer, Cavalier Bergonzio Botta, dem stets ein dickes Hauptbuch unter dem Arm klemmte.
»Eurer Herrlichkeit zu Diensten«, antwortete Leonardo zögerlich. Man wusste nie genau, weshalb Ludovico einen einberief. Es konnte Begeisterung sein, wie an dem Tag nach dem Paradiesfest, als der Herr von Mailand Leonardo vor versammeltem Hofstaat mit Lobeshymnen überschüttet hatte, oder aber das genaue Gegenteil.
»Kommt nur, kommt«, sagte Ludovico mit heiterem Lächeln. »Herr Schatzmeister, ich glaube, der Kämmerer ruft nach Euch.«
Das wiederum war eine nicht allzu renaissancehafte Art, den Herrn Kammerschatzmeister aufzufordern, die Fliege zu machen, da der Herr von Mailand mit Leonardo unter vier Augen plaudern wollte. Nach einer Verbeugung, bei der er sich bereits rückwärts zu entfernen begonnen hatte, wandte sich Bergonzio Botta um und ging in Richtung Santo Spirito davon. Schweigend ließ Ludovico den Blick umherwandern, ohne Leonardo anzusehen, dann schritt er gemächlich auf das mächtige Südportal zu und bedeutete Leonardo, ihm zu folgen.
»Eure Herrlichkeit scheinen heute Morgen besonders frohgemut zu sein«, versuchte Leonardo die Stimmung seines Brotgebers zu ergründen.
»Das bin ich, Messer Leonardo, das bin ich«, entgegnete Ludovico noch immer lächelnd und ohne innezuhalten. »Und wisst Ihr, weshalb?«
»Ich hoffe, Eure Herrlichkeit haben die Güte, mir den Grund Eures Frohmuts mitzuteilen.«
»Der ist kein Geheimnis«, erwiderte der Moro. »Nicht mehr. Kaiser Maximilian I. erweist uns die Ehre, unsere innig geliebte Nichte Bianca Maria zur Heiligen Weihnacht heimzuführen. Das Geschlecht der Sforza vereint sich mit dem Kaiser, Messer Leonardo.«
Na bitte. Seit Monaten versuchte Ludovico, dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Bianca Maria Sforza unterzujubeln, und umschmeichelte ihn mit fortwährenden Freundschaftsbezeigungen und vor allem mit einer schwindelerregenden Mitgift. Das höfische Bettgeflüster sprach von vierhunderttausend Dukaten, was mehr als die Hälfte der Jahreseinkünfte des Herzogtums ausmachte. Das wäre ungefähr so, als würde der heutige Wirtschaftsminister seine Tochter dem Präsidenten der Vereinigten Staaten versprechen und ihr die Hälfte des italienischen Steueraufkommens als Heiratsgut mitgeben - was in die Milliarden ginge.
»In den ersten Novembertagen werden wir mit dem Hochzeitszug aufbrechen, Messer Leonardo. Und es wird gewiss nicht schwer sein, den Aufbruch der Braut vorzubereiten und unsere Herzensbindungen, unsere Schätze und unser Gefolge hier im Kastell zu versammeln, ein wahres Kinderspiel. Und wisst Ihr, warum?«
Oh, oh!
Selbst für einen Herrn seiner Zeit hatte Ludovico il Moro eine überaus hohe Bildung erfahren, obschon die griechische Philosophie ein wenig zu kurz gekommen war. Dennoch schien er die sokratische Dialektik recht mühelos verinnerlicht zu haben, anhand derer man seinem Gegenüber die gewollte Antwort schlicht dadurch entlockt, dass man ihn in die Enge treibt. Wenn der Moro deinen Nacken mit zärtlichen Küssen bedeckt, dann sieh dich vor, pflegte man bei Hofe zu sagen: Gleich reißt er dir von hinten das Kleid hoch.
»Nein, Eure Herrlichkeit.«
»Weil wir diesen großartigen Hof haben«, sagte Ludovico und deutete mit einer ausholenden Handbewegung auf den vom Kastell umsäumten Waffenplatz.« Diesen wunderbar weiten, geräumigen Platz. Und gegenüber .« Mit der offenen Hand deutete Ludovico, der inzwischen das Tor erreicht hatte, auf die weite Fläche vor der Zugbrücke. »Und gegenüber, seht Ihr, einen noch größeren, vortrefflich ebenen, freien und schmucklosen Platz. Mit anderen Worten, Messer Leonardo, einen vollkommen leeren.«
Der Moro löste seinen Blick von dem Platz und heftete ihn auf Leonardo. Seine Lippen lächelten noch immer. Die Augen nicht.
Seit Ludovico ihn offiziell mit jener Aufgabe betraut hatte, die besser als irgendwer sonst zu erfüllen Leonardo sich gerühmt hatte, waren vier Jahre vergangen. Und zehn Jahre, seit er geschworen hatte, dazu in der Lage zu sein.
Zehn Jahre zuvor hatte Leonardo bei Ludovico il Moro mit einem langen Brief vorgefühlt, in dem er versicherte, er könne Bombarden konstruieren, Flüsse und unterirdische Gräben ausheben, uneinnehmbare Festungen bauen, um erst ganz zum Schluss fallenzulassen, er wisse auch ein wenig zu malen. Das allein war schon bemerkenswert, nicht zuletzt, weil da Vinci als Musiker nach Mailand berufen worden war, der eine von ihm selbst erfundene Lira da Braccio zu spielen verstand. Doch ein Satz hatte es Ludovico il Moro besonders angetan.
Ich werde ein bronzenes Pferd erschaffen, welches dem glücklichen Gedenken an Euren Herrn Vater und das vortreffliche Hause Sforza zu unsterblichem Ruhm und ewiger Ehr gereichen wird.
Aus diesem Versprechen war ein höfischer Auftrag geworden, der Leonardo ein Unterkommen gesichert hatte, seine zweistöckige Werkstatt im Corte Vecchia neben dem Dom und - theoretisch - einen üppigen Lohn. Doch mit den Jahren war das Versprechen nach Dafürhalten mancher, zu denen auch der Moro zählte, zu reiner Prahlerei verblasst.
»Seit drei Jahren bereits versichert Ihr mir, Euch wieder mit Leib und Seele dem Entwurf des Denkmals für meinen Herrn Vater verschrieben zu haben, Messer Leonardo«, fuhr der Moro fort, ohne den Blick von Leonardo abzuwenden. »Ihr habt mir mehrfach versichert, das Denkmal sei in Arbeit, weshalb ich diese weite Fläche vor dem Kastell, an der wir uns nun befinden, habe räumen und ebnen lassen.«
»Ich freue mich, Eurer Herrlichkeit verkünden zu dürfen, dass das Tonmodell des Pferdes so gut wie fertig ist und Ende der kommenden Woche auf eben diesem Platz ausgestellt werden kann.«
»Das Tonmodell?« Ludovico hob eine Augenbraue. »Ist das Euer Ernst?«
»Das Tonmodell in endgültiger Größe, Eure Herrlichkeit. Von sieben Metern Höhe und einer Größe und Stattlichkeit, wie man sie bei einem Reiterstandbild bislang nicht annähernd gesehen hat. Bei meiner Treu, das Modell wird in weniger als zehn Tagen an dieser Stelle ausgestellt werden.«
»Ah, das sind großartige Neuigkeiten. Prächtig. Wunderbar. Und sagt doch, habt Ihr die Absicht, meinem Herrn Vater mit einem Denkmal aus gebranntem Ton die ewige Ehre zu erweisen, oder werdet Ihr ihm auch einen hübschen bronzenen Mantel schenken? Wir sind hier nicht in Eurer von der Sonne verwöhnten Toskana, Messer Leonardo. Wie Ihr wisst, sind die Mailänder Winternächte eisig kalt. Ich möchte nicht, dass mein Herr Vater sich ohne einen angemessenen Überwurf verkühlt.«
Ludovico il Moro war nicht dumm und wusste ganz genau, dass es nicht leicht war, einen über sieben Meter hohen Gegenstand mit geschmolzener Bronze zu überziehen. Zwar waren ihm die technischen und handwerklichen Hürden nicht geläufig, doch dass es schwer war, einen Bronzegegenstand zu fertigen, der zugleich leicht und widerstandsfähig war, wusste er durchaus. Dabei hatte Ludovico il Moro Kanonen im Sinn. Kanonen, die das französische Heer herzustellen verstand, er hingegen nicht.
»Zunächst hatte ich daran gedacht, das flüssige Metall in die Form des auf den Rücken gedrehten Pferdes zu gießen, Eure Herrlichkeit. Damit hätte man der Schwierigkeit der Bildung von Wasserblasen abgeholfen, die sich wegen der allzu großen Hitze in Luft verwandeln, an die Bronzeoberfläche steigen und dort zerplatzen, dieweil .«
»Das scheint mir eine hervorragende Idee zu sein. Wenn ich recht verstehe, entweicht der Wasserdampf über die in die Höhe gestreckten Hufe. Wieso setzt ihr die Idee nicht um?«
»Eure Herrlichkeit hat es auf den Punkt gebracht. Doch leider ist Eure schöne Stadt nicht nur über der Erde kalt und feucht, sondern auch darunter.«
»Was wollt Ihr damit sagen?«
»Dass wir, wenn wir eine Grube graben, die die Form unseres Pferdes aufnehmen kann, wir sogleich auf das Grundwasser stoßen, das unter Mailand fließt, Eure Herrlichkeit. Pferde aus Fleisch und Blut können schwimmen, doch einem Bronzepferd würde das Wasser erheblich schaden.«
Einen Moment lang musterte der Moro ihn mit eisigem Blick. Dann begannen seine Mundwinkel zu zucken, und der Herr von Mailand ließ sich zu einem Grinsen hinreißen.
»Leonardo, ich schätze Euch sehr, und das wisst Ihr«, sagte der Moro und richtete seinen Blick wieder auf den Platz. »Ich schätze Euch als Konstrukteur, als Maler, als Meister der Uniformen und Trachten, und nicht zuletzt schätze ich Euch für Eure Schnurren.«
»Eure Herrlichkeit ist zu gütig .«
»Das glaube ich allmählich auch. Wäre ich nicht zu gütig, hätte ich Euch schon längst auf die Straße gesetzt«, sagte Ludovico trocken und spähte zu einem Torbogen des Kastells hinüber, aus dem soeben ein blonder Bursche trat, der selbst von Weitem als einer der hübschen, stattlichen Jünglinge zu erkennen war, wie sie, so munkelte man, Messer Leonardo so gut gefielen. »Ah, da kommt der Herzog Galeazzo. Aber sagt, diese andere Sache, wie geht die voran?«
Die letzten Worte hatte Ludovico wie obenhin und sehr viel leiser ausgesprochen.
»Genau so, wie von Euch erwünscht«, murmelte Leonardo zurück.
»Gut, gut«, entgegnete Ludovico wieder in normalem Ton. »Zehn Tage also, sagtet Ihr. Das nehme ich als Versprechen.«
»Habe die Ehre, Eure...
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