Schweitzer Fachinformationen
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In Ulm hatte ich das Eros-Center schon nicht gefunden, später dann im Alten Herzog, einem altmodischen Puff am Ehinger Tor, nach Sperrstunde immer wieder Spaghetti gegessen und mir in der Tangente die Nächte um die Ohren geschlagen. Das Loch, wie wir es nannten, war ein kleiner enger Sehnsuchtsort für Nachtschwärmer mit ehrlichem Hang zu Rap, Soul und R&B. Schon ab dem frühen Abend hechelten wir auf der anderen Seite der Donau am Tresen des Café D'Art und konnten es kaum erwarten, dass das Loch seine Türen öffnete, um in dem mitten in der Frauenstraße gelegenen Keller, auf rotem Kunstleder sitzend, hinter verspiegelten Raumteilern in schwarz-weißen Sitznischen, neuen Abenteuern aufzulauern.
Natürlich gab es auch das Violet in Neu-Ulm. In einer biederen stadtauswärts führenden Seitenstraße gelegen, fehlte es ihm gänzlich an Glanz. Auf einer Ebene vereint tummelten sich hier Medizin- und Wissenschaftsstudenten mit schlechtem Geschmack zu langweiliger Musik. Der Sound aus England im Stil von Here Comes the Rain Again brachte es einfach nicht. Dazwischen lag der grelle McDonald's am Ulmer Hauptbahnhof, wo ich mich eingeschüchtert an die Kinder vom Bahnhof Zoo erinnert fühlte und kalte Cheeseburger in mich hineinstopfte. Auch das schillernde Liberty im Neu-Ulmer Industriegebiet, wo sich undurchsichtige G.I.s mit Dauerwellenblondinen trafen, war mir ohne Reiz, obwohl hier 19 von Paul Hardcastle und die Hits von Cameo, Jimmy Jam und Terry Lewis liefen. Zwei Meter große schwarze Bouncer waren es nicht wert, und auch der Gorki Park, die nagelneue Großraumdisco, die mit viel Trara von Nina Hagen im ewig nebligen Industriegebiet eröffnet wurde, war musikalisch und auch sonst ein Flop - selbst wenn hier später dann Mother's Finest auftraten. Baby Jean Kennedy und ihre Band hatte ich schon in früheren Jahren in der Donauhalle gesehen, dabei Beedis geraucht und meiner Meinung nach auch intime Blicke mit ihr ausgetauscht. Als ich sie viele Jahre später zum Radiointerview traf, erinnerte sie sich tatsächlich an mich, natürlich mit Augenzwinkern und dem professionellen Charme, der dem amerikanischen Showbusiness auf so unvergleichliche Art zu eigen ist.
Hier in Ulm, an der schönen Donau, hatte ich die Berufsschule besucht. In der erhabenen Ferdinand-von-Steinbeis-Schule, einer Lehranstalt für Grafik und Druck, war ich wöchentlich ein und aus gegangen. Das unscheinbar graue Schulgebäude lag auf dem Kuhberg, gelehrt wurde hier ganz im Sinne und im verbliebenen Glanz der legendären und längst geschlossenen Hochschule für Gestaltung, in der einst Design- und Kunstgrößen wie Max Bill und Otl Aicher wegweisende Formen entwickelt und internationalen Ruhm erlangt hatten. Meine Mutter hatte hier in den Fünfzigerjahren in der Cafeteria gejobbt und zusammen mit den Studierenden aus aller Welt eine wilde Zeit gehabt, von der sie bis heute schwärmt.
Mein ehrwürdiger Lehrer Mäser, eine Institution in Fragen der Typografie und ehemaliger Mitarbeiter Otl Aichers, mit dem er gemeinsam die Piktogramme für die Olympischen Spielen 1972 in München entworfen hatte, brachte mir vieles bei. Er war ein kauziger Schwabe mit einer wirren weißen Frisur. Design stand für ihn ausschließlich im Dienst der Kommunikation. Stil und Geschmack veranschaulichte er uns, indem er uns zur Pausenzeit mit auf den nahe gelegenen Friseusenschulhof nahm. Anhand der Menge und Art, wie diese Berufsschülerinnen von Jahrgang eins bis Jahrgang drei ihre Schminke auftrugen und das offensichtlich mit den Jahren immer geschmackvoller, machte er deutlich, wie sich Schönheit, Stil und Ästhetik durchaus erlernen lassen.
Diese erste Zeit in Ulm beeindruckte mich sehr. Nach all den piefigen Jahren und kleingeistigen Reibereien sah ich jetzt endlich eine offene Tür, die in eine leidenschaftlichere Welt führte, in der Musik, Kunst, Freiheit und Kultur eine tragende Rolle spielen. Also nahm ich mir vor, diese Stadt zu erobern, und begab mich auf die Suche nach natürlichen Verbündeten.
Pauls Ruf eilte ihm weit voraus. Dafür sorgte er. Viele meiner Freundinnen arbeiteten für ihn in seinen Cafés. Mit vorgeschriebener Arroganz und entsprechender Einbildung servierten sie Getränke und modernen Mittagstisch für das städtische Szenepublikum. Zudem waren Pauls hässliche Ausfälle regelmäßig Stadtgespräch. Manche Bedienung wurde gefeuert, weil ihr Kaffeeschaum zu heiß gewesen war. Gäste mit zu bunten Hosen schmiss er schnurstracks raus. Paul hatte einen ekelhaften Spaß daran, unangemeldet in seinen Läden aufzutauchen, um seinen Milchschaumtanz aufzuführen, und dabei ging es ihm um Leben und Tod.
Anja, die im Café Schnipp am Tresen stand und plötzlich im Radiosender, wo ich mittlerweile in der Musikredaktion saß, auftauchte, war zuvor von einem seiner schönen Barkeeper enttäuscht worden und wollte sich nicht schon wieder auf riskante Gefühle einlassen. Anja war schön, groß, hatte echte Klasse und einen selbstbewussten Gang mit ewig langem Schritt. Blondiertes kurzes Haar, nach hinten gekämmt und die hübsche Nase hoch - über einem erdbeerroten Mund, dessen Leuchtkraft sie von Anlass zu Anlass geschickt mit Lippenstift zu variieren verstand.
Als ich irgendwann liebeshungrig an ihre Tür klopfte, schickte sie mich weg. Sofort hatte ich mich über beide Ohren in sie verliebt und machte mich deshalb auch gerne zum Idioten. Nachdem ich dann aber von einer Winterreise in die Türkei zurückkehrt war, wo ich im traurigen, menschenleeren Antalya in der Strandkneipe eines türkischen Ex-Junkies wochenlang darüber nachgedacht hatte, ob ich nicht vielleicht doch bei meiner damaligen Freundin bleiben sollte, schenkte sie mir überraschend ihr Herz, und wir wurden ein Paar. Die beiden Mädels wurden beste Freundinnen - was mir sehr lieb war.
Anjas Zuhause war eine Oase der Lebensfreude. Die riesigen offenen Glastüren, vorzügliches Essen, liebevoll von ihrer Mutter, einer Buchhändlerin, zubereitet, und das turbulente Durcheinander aus außergewöhnlichen Freunden, Bewohnern und Katzen in einem Glashaus oben auf dem Pfuhler Berg, vor den Toren einer für mich noch unbekannten Stadt, bereiteten in mir das wohlige Gefühl, willkommen zu sein. Bei Hausfesten veranstalteten wir Zaubershows, wir klärten die wichtigen Fragen des Lebens und imitierten anhand des prächtigen Gartens unsere eigene Interpretation afrikanischen Lebensgefühls. Wir waren als Steinzeitmenschen verkleidet auf Festen in den Höhlen der Schwäbischen Alb zu Gast, und einmal hab ich für Anja sogar einen Hasen erlegt. Eigentlich war der nach einer ausufernden Disconacht auf dem Eiermarkt am Rathaus eingekauft und als Mitbringsel in den Kühlschrank gelegt worden. Ein lilablauer Metzgerstempel am Hasenarsch verriet mich, und während einer der abendlichen Twin-Peaks-Vorstellungen in ihrem Mädchenzimmer malte ich ihr dann meinen eigenen Stempel auf. Wir beide verbrachten herrliche Wochen im fernen Madagaskar, wo ich ihr aus Tom Wolfes Fegefeuer der Eitelkeiten vorlas. Eine madagassische Freundin ihrer Mutter hatte uns geraten, ihre alte Heimat zu besuchen. Nach einer abenteuerlichen Rundreise, in der wir kaum andere Touristen zu Gesicht bekommen hatten und an deren Ende wir uns gemeinsam die Seele aus dem Leib kotzten, waren wir froh, dass wir gesund wieder zu Hause waren. Über Moral sprachen wir nie, und das gefiel mir.
Ihr Vater war ein sympathisch-lausiger Geschäftsmann und weltberühmter Industriedesigner. Er redete viel über Ästhetik, die Moderne und die hohe Schule des Designs. Er war einer von Pauls früheren Weggefährten, einer von der alten Garde, die sich gerne und regelmäßig traf. Der Kornhauskeller war Treffpunkt dieses gesetzteren Herrenclubs aus Architekten, Designern, Wirten und Kreativen, die im Café Wichtig, wie sie es nannten, gemeinsam an den Samstagvormittagen Zuflucht vor ihrer desillusionierten Bürgerlichkeit fanden. Von ihm erfuhr ich viel über diesen Paul, den Café-Besitzer, den ich bis dahin nur als den »Kaffeeschaum-Arsch« und Inhaber einiger Ulmer Kneipen kannte, unter anderem auch des Cafés 113.
Schon vor Jahren hatte Paul die damals noch gänzlich unbekannte Truppe Trio aus einer norddeutschen Künstlerkommune zum Konzert zu sich ins 113 eingeladen. Das Café am unteren Ende der Ulmer Frauenstraße war damals Treffpunk der Kreativen und, wie auch das Café Omar, ein Hotspot heimischer intellektueller Auseinandersetzung. Damals wurde das großräumige helle Terrassencafé in der Frauenstraße 113 von Pauls ehemaliger Freundin geführt, einer sympathisch grobkörnigen Blondine mit strammem Busen und anhaltend schlechter Laune. Ich hatte sie eigentlich recht gern und großen Respekt vor ihr. Mürrisch, hart und fair managte sie den Laden ganz im Sinne ihres Ex, mit dem sie sich immer noch blendend verstand. Paul pflegte zudem ein sehr herzliches Verhältnis zu seiner Mutter, um die er sich liebevoll kümmerte. Seine sonstigen familiären Verhältnisse waren nicht...
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