Schweitzer Fachinformationen
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Ein einziger trauriger Schlüpfer war die Beute eines ganzen Abends. Nicht gerade der Löwenanteil für einen Tiger. Nach sechzig Jahren - juckt einem da eigentlich immer noch das Fell? Oder will man selbiges nicht lieber an die Wand hängen? Gerade mal zweitausend Leute hatte der Waliser Sänger heute Abend in die Messehalle gezogen.
Ich saß am Schreibtisch und grübelte ein wenig darüber nach. Leipzig ist nun einmal nicht Las Vegas oder L.A. mit E, wie einige der provinzielleren Protagonisten der Berufsjugendlichkeit gern verklären. Da hilft alles sächsische Verbal-Gestikulieren nichts, die Fakten zählen: Ein ranziger Schlüpfer war auf die Bühne geflogen. In Zahlen: 1.
Und Leipzig ist auch nicht Halle, wo ich seit ein paar Jahren im Exil lebte und wo die Menschen die deutsche Sprache auf ihre eigene, liebevolle Weise schändeten. Der Fernseher lief zwar nur so nebenbei, dennoch bekam ich ein paar traurige Bilder vom Ende des Konzerts mit.
Was machen die Sachsen mit ihren Schlüpfern, fragte ich mich und versank in einen Tagtraum. Darin tummelten sich Sachsen, Anhalter, Thüringer - Menschen aus Dunkeldeutschland, die nichts zu verschenken haben, aber jede Menge zu verbergen. Lieber zwei Schlüpfer getragen als einen geworfen, besser den Arsch schön im Warmen behalten. Tom Jones geht das Risiko ein, in den Osten Deutschlands zu fahren und seinen Fans die frohe Botschaft zu überbringen: Sex Bomb grölen zweitausend Feinrippträger und schütten sich vor Freude Hasseröder-Pils-Surrogat in ihre geizigen Krägen. Sex-Bomb, und die Augen leuchten wieder, die meisten denken voller Wehmut zurück an den Kalten Krieg. Den hatten sie damals noch global und mit Weltniveau, wie man gern sagte. Heute findet er nur noch zu Hause statt. Instead of sex we drop the bomb. Vorwärts und nicht vergessen zu vergessen!
Und nach dem Konzert ist Kontrolle. «Wehe dir!», droht der Vati zu Hause am Treppengeländer, «wir haben nichts zu verschenken. Komm du mir nicht ohne nach Hause, Mutti.» Die Kampagne greift mitteldeutschlandweit. Eine einzige Frau mit Mut und Stil. Ein kleiner Ausfallschritt, und runter ist das Ding.
Ich sehe sie schon lachen in Wales. East Germany, you know, the erstwhile, die Ehemalige. «Die geben ihr ganzes Geld für Wonderbras aus», wird Tiger Tom beim Pint erzählen, «dort fliegt alles in die Luft, bloß keine Schl .»
Das Telefon klingelte. «Ein Schlüpfer!», krakeelte eine aufgeregte Stimme am anderen Ende. Sie überstieg den regionalen Nervfaktor um etliches, und ich versuchte, das Organ und das Lebewesen dahinter zu beruhigen.
«Ein Schlüpfer in der Hand», hörte ich mich sagen, «ist besser als 'ne Socke auf dem Dach.» Okay, nicht gerade ein Brüller - an griffigen Vergleichen musste ich im nüchternen Zustand hart arbeiten, angesoffen kamen sie leichter.
Das Hyperventil am Telefon setzte erneut an: «Mit einem Schlüpfer .»
«. kann man unmöglich den Kalten Krieg gewinnen», vervollständigte ich.
Plötzlich gewann das Organ Fassung. Ich hörte einen kurzen Wutschrei, ein «Hörstemirmalzuverdammt», und beinahe ohne Luft zu holen, fuhr das männliche Wesen, das ich auf etwa dreißig bis siebzig schätzte, fort: «Hier liegt 'ne Tote im Funkhaus. Erdrosselt. Mit 'nem Schlüpfer!»
Der zweite heute Abend. Na bitte, dachte ich, so geizig waren sie gar nicht, die Mitteldeutschen.
Ich gebe zu, Hank Meyer ist nicht unbedingt das, was die Kids heute cool nennen, aber der Name hatte seine Vorteile. Er klang besser als Dschingis Lehmann und war leicht zu merken. Der Vorname war durchaus in Ordnung für einen, der die Songs von Hank Williams liebte und sich mit einer Radiosendung namens Lost Songs Found über die ersten zwei Runden des Monats brachte. Die dritte Runde ging ich entweder in die Seile und k.o. oder schleppte mich als Privatdetektiv bis zum Gong. Wenn alles gut ging. Das Ganze entbehrte nicht eines gewissen Witzes, den zumindest ich lustig fand.
Auf meinem Kärtchen stand Hank Meyer, Private I and DJ. Als Rentner, so plante ich schon heute, sollte dann ME, MYSELF & I auf den Karten stehen. Ein klitzekleines Problem war noch, dass ich nicht wusste, wer mir je eine Rente zahlen sollte. Darüber denke ich nach, wenn ich den monatlichen Tag der großen Zukunftsangst habe und mit meinen Freunden bereits am frühen Nachmittag Verdrängungsarbeit leiste, solange die Kneipen noch leer sind und die Praxen der Analytiker voll.
Wenn die Yuppies schließlich aus ihren Büros, Ehegefängnissen oder Therapien entkommen, sind wir meist schon am Boden der möglichen Gläser angelangt und verabschieden uns mit Sprüchen wie: «Muss morgen früh raus, weißt ja, wie es ist.» Das sind die Abende der so genannten friedlichen Koexistenz mit unseren Nachbarn, und sie sind keine Seltenheit mehr. Nur manchmal noch enden die Tage der großen Zukunftsangst mit einem gewaltigen Absturz bei einem von uns zu Hause. Dabei hören wir dann die unschlagbaren Platten der unschlagbaren Helden, und es gibt einen Pflichtteil von Songs, deren Aufzählung allein dem Kenner die Tränen in die Augen treiben dürfte. Die wenigsten haben das Ende dieser Liste je unverschwommen wahrgenommen, aber noch weniger haben diese Liste je zu sehen gekriegt. Antrag auf Einsicht in die eigene Stasiakte, so vorhanden, ist ein Kinderspiel gegen den Sad Song Superhighway, entwickelt von einem Haufen seniler Bettflüchtiger um die vierzig, die vor allem drei Dinge fürchten:
Platz 3 ist besetzt von der Angst, eines Tages so auszusehen wie ihr Held Van Morrison. Auf Platz 2 steht die Furcht davor, ständig so schlecht gelaunt zu sein wie der irische Grantler. Platz 1 der Ängste wechselt ständig, so schwankend wie wir selbst: Haarausfall, Stromausfall, Erektionsprobleme, Müdigkeit, Schlaflosigkeit, Schulden, Sodbrennen oder der mögliche Tod Kinky Friedmans lagen schon ziemlich weit vorn. Aber auch die Vorstellung, sich unsterblich zu verlieben, bereitete uns allen ein ungutes Gefühl. Hinzu kamen einige wiederkehrende Albträume, und seit heute war ein neuer aufgetaucht: der Schlüpfertraum.
Der Taxifahrer war eine Katastrophe, sein Auto ein Krisengebiet auf Rädern. Eigentlich liebe ich Taxis. Einen Führerschein habe ich nie besessen. Nicht, weil ich irgendwie ein Ökogewissen zu beruhigen hätte: Schwarz arbeiten war mir wichtiger als Grün wählen. Ich glaube einfach, dass ich ein lausiger Autofahrer wäre, und davon gibt es schon mehr als genug. Wahrscheinlich wäre ich ein noch schlechterer Chauffeur als der jammernde Taxifahrer, der mir gerade sein Leben erzählte.
«Erst das Eis aufessen», hatte er mich vorm Einsteigen wie einen Dreijährigen belehrt. Man sah ihm den Pflegefall gleich an: Einer, bei dem sich unter den Fingernägeln mehr abspielte als im Kopf. Noch dazu ein Rüberkämmer, ein Sardellentiger, einer, der sich das fettige Resthaar von links nach rechts legt und süßen Rotwein aus dem Ostblock trinkt. Einer, der nicht zu seinen Hormonen steht. Anglerweste, wahrscheinlich mit einem ganzen Hobbykeller in den Westentaschen. Einer, der morgens schon roch, als hätte er in einer Imbissbude übernachtet, und ganz sicher Einserprogramm im Radio. Da, wo die Moderatorinnen mit der Stimme zwei Oktaven hoch gehen, weil Howard Carpendale in die Stadt kommt, und immer so superflinke Reportagen laufen, in denen sich der Fleischer von um die Ecke beschwert, dass er den Laden dichtmachen kann. Na und? Hätte er ein Gewissen, dann wäre der Laden schon lange dicht.
«Sieht komisch aus, Ihr Eis», nörgelte der Taxifahrer.
«Ihr Auto auch», sagte ich ausgesucht freundlich und stieg in den Skoda Octavia. «Kann man bei Ihnen eigentlich noch in Ost bezahlen?» Natürlich lief Einserprogramm in dieser überheizten kokosduftbaumverpesteten Bude. Der Taxifahrer drehte auf, zwinkerte mir zu, als wolle er mir sagen: Wir sind doch Kumpels.
«Zum Funkhaus», sagte ich kurz. Er nickte wissend und stellte die übliche Frage. «Von vorne oder von hinten?»
«Was Ihrem Kampfhund lieber ist.» Im Einserprogramm lief wirklich Howard Carpendale.
«Deine Spuren im Sand», lispelte der Sardellentiger sentimental dem wippenden Duftbaum entgegen.
«Sie waren aber auch nicht immer Taxifahrer, oder?»
«Das erkennen Sie wohl gleich.» Es klang, als wollte er mit mir umgehend die Freundschafts-F 6 rauchen. «Umgeschult, wir wurden ja nicht übernommen, keiner hat uns mehr gebraucht», jammerte er zu die ich gestern noch fand .
«Lassen Sie mich raten», sagte ich. «Atomphysiker?» Er grinste schief.
«Reiseleiter?»
Ungläubiger Blick eines Mannes, der nicht weiß, wo die Reise hingeht.
«Imker», war mein dritter Versuch. Klar, den konnte er einfach nicht verstehen.
«Dispatcher», sagte er und griff nach seinem Stielkamm, während er den Wagen parkte.
«Ich dachte, die gab's nur im Märchen?» Ich tat überrascht.
«Stielkämme?»
«Nein. Dispatcher, das klingt so ausländisch, so Weltniveau.»
Sein Gesicht hellte sich auf, fast lächelte er. Schnell steckte ich ihm meinen 50-Mark-Ost-Schein zu, den ich für solche Fälle immer dabeihatte, sagte: «Stimmt so» und verschwand in der Menge, die sich vor dem Funkhaus tummelte.
Triumph stand auf dem Schlüpfer - das Erste, was ich sah. Ein weißer Schlüpfer, blütenrein, wie aus der Werbung. Nur saß er an der falschen Stelle. Ein Schlüpfer kann einem ganz schön Unbehagen bereiten, besonders wenn er hochrutscht. Dieser allerdings konnte unmöglich von allein hochgerutscht sein. Nicht so hoch.
Die...
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