Eins
Becca
»Becca«, meldet sich eine männliche Stimme am Telefon.
»Mr. Grant«, sage ich und klopfe mit meinem Montblanc-Füller auf den Schreibtisch. Ich lehne mich in meinem Bürostuhl zurück und schaue aus dem Fenster in den strahlenden Sonnenschein.
»Die Kacke ist am Dampfen, wenn du mich Mr. Grant nennst«, bringt Matthew mich zum Lachen.
Ich richte mich in meinem Stuhl auf und sage: »Heute habe ich einen anderen Hut auf. Wenn ich dich sonst anrufe, geht es normalerweise darum, dass du mehr bezahlen sollst.«
Matthew ist der General Manager der New York Stingers, und als Sportagentin habe ich einige Kunden in seinem Team. Er stammt aus einer Eishockeyfamilie, und so ist es keine Überraschung, dass sein Sohn in seine Fußstapfen treten soll.
»Wie viele Hüte hast du denn?«, fragt er, und ich muss lächeln. Wenn es um meine Kunden geht, trage ich jeden Hut, den ich aufsetzen muss, um ihnen so viel Geld einzubringen und sie so erfolgreich wie möglich zu machen.
»Ich kann nicht alle meine Geheimnisse verraten.« Ich bleibe cool, ruhig und gelassen. »Heute ist mein Hut der einer Agentin, die um ein Gespräch mit dem zukünftigen NHL-Torschützenkönig bittet.« Matthew hört zu, ohne mich zu unterbrechen, denn sein Sohn ist der Grund meines Anrufs. »Ich weiß, dass Cooper dieses Jahr gedraftet wird. Er wird wahrscheinlich die Nummer eins, wenn alles glattläuft.«
»Das hoffe ich«, sagt Matthew, und ich kann mir nur vorstellen, was er als Elternteil durchmacht, der nicht will, dass sein Sohn mit ihm verglichen wird. Wenn mich jemand mit meiner Mutter vergleicht, würde ich wohl am liebsten im Erdboden versinken. »Also, was kann ich für dich tun, Becca?«
»Ich wollte fragen, ob du Zeit für ein Treffen mit mir hast. Ich bin Ende nächster Woche in der Stadt«, sage ich und schaue auf meinen Kalender. Ich werde für vier Tage in New York sein.
»Sollte ich mir Sorgen machen?«, fragt er und lacht. »Jedes Mal, wenn du in die Stadt kommst, steigen meine Spielergehälter.«
Jetzt bin ich an der Reihe leise zu lachen. »Komm schon, Matthew. Wir kennen uns doch schon so lange. Ich bin nie unfair zu dir gewesen.«
»Wir können uns darauf einigen, dass wir uns nicht einig sind«, sagt er, und ich höre, dass er geht.
»Na gut«, sage ich, »aber ich würde mich gerne mit Cooper zusammensetzen und ein paar Dinge durchgehen, um zu sehen, ob wir zusammenpassen.« Er findet niemand Besseren als mich. Ich gebe ihm auch keine Chance zu antworten. »Ich weiß, dass du das Beste für Cooper willst, und unterm Strich musst du zugeben, dass ich die Beste bin.« Ich klopfe mit meinem perfekt manikürten Nagel auf den Schreibtisch.
Ich werde bei ihm nicht mehr um den heißen Brei herumreden. Ich bin die erfolgreichste Sportagentin in der Liga. Wer da anderer Meinung ist, dem kann ich Fakten und Zahlen entgegenstellen. Ich vertrete die zwanzig besten Spieler auf dem Eis, ohne die anderen dreißig mitzuzählen. Ich habe vom ersten Tag an dafür gekämpft, die beste Sportagentin der Branche zu werden, und jetzt werde ich dafür kämpfen, es zu bleiben.
Schließlich lenkt er ein. »Ich schaue in unserem Terminkalender nach und sage dir, wann wir Zeit haben.« Ich will gerade auf etwas Konkreteres drängen, als er hinzufügt: »Ich spreche heute Abend mit Cooper, wann es ihm passt, und schicke dir eine Nachricht.«
»Klingt nach einem Plan. Ich freue mich auf ein Treffen mit euch beiden«, sage ich, und wir legen beide auf. Ich lächle, denn ich weiß, dass der erste Schritt darin besteht, sie an einen Tisch zu bekommen, um zu besprechen, was ich für sie tun kann. Eine Sache, die ich beherrsche, ist, mich selbst zu verkaufen.
Ich hole meinen Terminkalender hervor und setze ihn mit einem Sternchen an den Anfang der Liste, um mich daran zu erinnern, dass ich nachhaken muss, wenn ich nicht bald eine Antwort erhalte.
Mein Handy klingelt und erinnert mich an unsere wöchentliche Besprechung im Konferenzraum in fünf Minuten. Ich fange an, meine Papiere einzusammeln, und verlasse mein Eckbüro. »Erika«, sage ich zu meiner Assistentin, »du kannst früher gehen. Wir müssen nicht beide hierbleiben.«
»Ich habe dir gerade die beiden E-Mails von heute Morgen weitergeleitet«, sagt sie. »Ich habe mein Handy das ganze Wochenende an, falls etwas dazwischenkommt.«
Ich nicke, denn ich weiß, dass sie jederzeit einsatzbereit sein wird, egal, wann ich sie anrufe. Sie hat keine Ahnung, dass ich sie darauf vorbereite, Agentin zu werden. Ich weiß, dass sie das Zeug dazu hat, und wenn sie ihre Karten richtig ausspielt, wird sie es schaffen.
Nichts schreit so sehr nach guter Laune wie ein Freitag um vier Uhr. »Schönes Wochenende«, sage ich zu allen, die zu mir aufschauen, als ich zum Konferenzraum gehe.
Ich laufe an der Empfangsdame Tammy vorbei, die zu mir freundlich herüberschaut. »Brauchst du etwas, Becca?«, fragt sie, und ein Lächeln erhellt mein Gesicht.
»Ich würde für einen Milchkaffee von Starbucks töten«, sage ich, und sie nickt. Ich bin mir sicher, dass sie ihn schon bestellt hat, noch bevor ich den Konferenzraum betrete, in dem das Logo der TRI Star Sports Agency die Wand ziert. Ich setze mich auf einen leeren Platz und will gerade meine beiden Partner anpiepsen, als sie in fast identischer Kleidung den Raum betreten. »Schön, dass ihr beide da seid«, sage ich mit einem Grinsen. Francis zwinkert mir zu, und ich stöhne.
»Sie ist deine Schwester, Arschloch«, sagt Trevor und setzt sich auf den Stuhl vor mir.
»Stiefschwester«, sagt Francis, setzt sich und nimmt sich eine Flasche Wasser von der Mitte des Tisches. »Sie ist unsere Stiefschwester, also ist sie ...«
Ich lehne mich zurück, verschränke die Arme vor der Brust und sehe sie an.
»Tabu«, unterbricht Trevor. »Unser Vater war mit ihrer Mutter verheiratet. Das macht uns zu Familie.«
Hätte man mir, als ich jünger war, gesagt, dass diese beiden nicht nur meine besten Freunde, sondern auch meine Geschäftspartner werden würden, hätte ich dagegen gewettet. Sie traten in mein Leben, als ich zehn und sie dreizehn beziehungsweise vierzehn Jahre alt waren. Meine Mutter ließ sich von meinem Vater scheiden, als er eine Affäre mit meinem Kindermädchen und meiner Nachhilfelehrerin hatte. Bis heute weiß ich nicht, ob das gleichzeitig oder hintereinander geschah. Aber meine Mutter muss einem nicht sonderlich leidtun, denn sie brauchte weniger als einen Monat, um Ernest aufzutreiben und ihn kurze Zeit später prunkvoll zu heiraten. Sie war das Gesprächsthema der Stadt, was sie mehr als alles andere liebte; die eine Frau, die Ernest endlich dazu brachte, sich wieder auf eine Beziehung einzulassen, nachdem seine erste Frau an Brustkrebs gestorben war. Ernest zog seine Jungs mithilfe eines Kindermädchens, eines Kochs, eines Chauffeurs, Nachhilfelehrern und allen auf, die er brauchte, um keine Zeit mit ihnen verbringen zu müssen.
Seit der Hochzeit mussten die Brüder dieses nervige zehnjährige Mädchen mit sich herumschleppen, und wir drei wurden eine verschworene Gemeinschaft. Nachdem unsere Eltern geheiratet hatten, verschwanden sie für ein gutes halbes Jahr. Wir hatten einander, und sieben Jahre lang war es das, was wir uns unter einer Familie vorstellten. Die Weihnachtsfeiertage verbrachten wir beim Skifahren in der Schweiz, die Sommer auf einer Jacht irgendwo in Europa. Wir hatten ein gutes Leben, bis Ernest eines Nachts mit Schmerzen in der Brust aufwachte. Zwei Stunden später wurde er für tot erklärt und ließ meine Mutter als trauernde Witwe zurück. Jeder von uns hat anders getrauert. Francis stürzte sich kopfüber in den Sport. Man rechnete damit, dass er als Erster in der MLB gedraftet würde, bis ihm im letzten Spiel des Jahres eine Sehne im Knie riss. Trevor flüchtete sich in die Schule und schloss sein Studium mit einem Master in Kommunikation ab. Ich habe mein Studium mit Auszeichnung absolviert und einen Master in Marketing gemacht.
Meine Mutter wiederum trauerte, indem sie einen anderen Mann heiratete, und dieser hatte drei Kinder. Zum Glück waren wir alle alt genug, um nicht mehr am Leben des anderen teilhaben zu müssen. Das machte es weniger chaotisch, als die Scheidung kam. So, wie es bei meiner Mutter lief, glaube ich nicht, dass ich jemals heiraten werde. Ich will einfach nicht, dass ein Mann diese Art von Kontrolle über mich hat.
»Okay«, sage ich. »So viel Spaß es auch macht, euch beiden beim Streiten zuzusehen, ich würde wirklich gerne hier rauskommen, bevor die Sonne untergeht.«
»Ich habe Angelica gesagt, dass ich pünktlich zum Abendessen zu Hause sein werde«, sagt Trevor und meint damit seine langjährige Freundin.
»Ich weiß nicht, wie du das machst.« Francis sieht Trevor an. »Tag ein, Tag aus mit derselben zusammen zu sein.« Sein Gesicht verzieht sich zu einer Grimasse. Als ich meinen Abschluss an der Universität machte, waren die beiden die Einzigen, die das mit mir gefeiert haben. Bei Bier und Chicken Wings scherzten wir drei darüber, mit...