Schweitzer Fachinformationen
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Der Anruf kam nachts um halb drei. Eine sanfte Stimme. Niemand, den ich kannte.
»Sie schreiben Kriminalromane?«
Ich verstand sofort, dass es im Grunde keine Frage war und der Mann - es war zweifelsohne eine Männerstimme - keine Antwort erwartete. Es war eher eine Feststellung. Dazu kein Wort der Entschuldigung für den ungewöhnlichen Zeitpunkt des Anrufs. Ob der Störenfried wusste, dass ich Nachtarbeiter war? Dass es kein Zufall war, dass er mich zu solch später Stunde am Schreibtisch antraf.
»Wissen Sie, wie spät es ist?«
Schweigen.
»Hallo?«
»Ich habe Ihre Kriminalromane gelesen . sehr spannend.«
Ich wartete. Hörte, wie er atmete. »Ja?«
Was wollte der Mann? Einer meiner Leser, wie es den Anschein hatte. In dem Fall war es besser, höflich zu bleiben. Ich verdiente gut, aber jeder Leser zählte schließlich. Ich wartete. Blickte aus dem Fenster, den Hörer am Ohr. Von meinem Fenster aus sehe ich auf St. Michael und die Fußgängerzone. Selbst nachts ist es dort immer noch recht hell.
»Sagt Ihnen der Name K. etwas?«
»K.?« Ein Name? Ein Begriff für mich. Durchaus. Ebenso, wie für die meisten der älteren Einwohner der Stadt, die ihn vor 30 Jahren erlebt hatten. K., der Nachtclubkönig, der die Provinzler mit seinen für damalige Verhältnisse ungemein freizügigen Sex-Shows geschockt und das kleine Städtchen und seine biederen Einwohner in Unruhe versetzt hatte. Bis man ihn irgendwann ermordet hatte.
»Natürlich.«
»Sie sollten über ihn schreiben. Ein interessanter Fall, der nie aufgeklärt wurde .«
»Ich schreibe nicht über reale Verbrechen«, sagte ich. »Verstehen Sie? Reale Verbrechen zerstören die Fantasie. Ich bin Autor, kein Journalist.«
»Schade. Sie schreiben wirklich gut.«
Wieder blickte ich aus dem Fenster. In einiger Entfernung, vor einem der Schaufenster, bewegte sich etwas. Ein Schatten, vielleicht jemand, der in sein Handy sprach. Ich war mir nicht sicher. »Hören Sie. Es ist spät .«
Der Anrufer ging nicht darauf ein, redete weiter, als habe er meinen zögerlichen Einwand nicht wahrgenommen.
»Ich habe Informationen. Die könnten Sie interessieren.«
»Ich weiß nicht .«
»Kommen Sie am Sonntag zum Bahnhof. Steigen Sie in den Zug nach Regensburg. Abfahrt 12.43 Uhr.«
Er wiederholte den letzten Teil noch einmal. Als käme es ihm darauf besonders an. »Abfahrt 12.43 Uhr.«
Ich wollte etwas sagen, ihm deutlich machen, dass ich nichts dergleichen tun würde. Doch ehe ich antworten konnte, hatte er aufgelegt. Einen Augenblick lang war ich verwirrt. Als ich noch einmal auf den Oberen Markt zu meinen Füßen blickte, war nichts Ungewöhnliches zu erkennen. Niemand, der sich in einen der Hauseingänge drückte. Kein Schatten. Niemand. Der Platz war leer und verlassen. Ich beschloss, zu Bett zu gehen.
In dieser Nacht schlief ich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder tief und fest. Keiner der üblichen Träume quälte mich. Als ich am nächsten Morgen, einem Samstag, erwachte, war es bereits 9 Uhr und meine Frau und die Kinder saßen in der Küche und frühstückten. Ein Bild perfekter Harmonie, dachte ich, während ich hineintrat. Ich fühlte mich hervorragend. Dennoch konnte ich ein Gefühl der Fremdheit ihnen gegenüber nicht leugnen. Als ich sie so sitzen sah, im warmen Kreis des Deckenlichts, ihre freudig unschuldigen Blicke wahrnahm, die sich plötzlich auf mich richteten, empfand ich mit einem Mal die Ausgeschlossenheit, die mit meinem Beruf einherging. Ich bin kein sozialer Mensch und dazu kommt, dass das Leben zwischen Traumwelt und Realität, das ich zu führen gezwungen bin, mich ihrer Gesellschaft weitgehend beraubt hat.
Ich setzte mich zu ihnen, langte zu, trank Kaffee. Wir sprachen über die Schule der Kinder, die täglichen Pflichten meiner Frau, Dinge, die ich wie aus weiter Ferne registrierte.
»Du siehst müde aus«, sagte Lena, was mich ärgerte, da ich mich nach der guten Nacht ausgesprochen erholt fühlte. Ich strich Butter auf eine Semmel.
»Du bist spät ins Bett .« Sie lächelte. Die Kinder blickten mich fragend an, als würden sie eine bestimmte Reaktion von mir erwarten.
»Ich habe gearbeitet«, sagte ich vage. »Mir sind einige Ideen gekommen. Bald werde ich mit einem neuen Buch beginnen können.«
Die jüngere meiner beiden Töchter kicherte. »Das sagst du immer, Papa.«
»Aber Pia«, wies meine Frau sie sogleich zurecht, doch ich sah, dass auch ihre Augen lachten.
Wir saßen noch eine ganze Weile, bis ich allmählich eine gewisse Unruhe in mir zu verspüren begann.
»Soll ich dir beim Abräumen helfen?«, fragte ich Lena, obwohl wir noch nicht fertig waren. Sie schüttelte den Kopf.
»Geh nur«, meinte sie. Das sagte sie meistens.
Der Computer in meinem Zimmer starrte mich an. Ich hatte den Eindruck, er wartete nur darauf, zum Leben erweckt zu werden. Ich war jedoch unschlüssig, was ich tun sollte. Manchmal beschlich mich das unangenehme Gefühl, als sei dieser Kasten drauf und dran, mein Leben mehr und mehr zu bestimmen, mir die Luft zum Atmen zu nehmen. Immer öfter versuchte ich dann, mich seinem Bann zu entziehen. An diesem Morgen hielt ich es jedoch nicht lange aus. Es schien, als würde mich etwas dazu treiben, dem nachzugehen, wovon mein unbekannter Anrufer gesprochen hatte.
Über K. gab es eine Reihe von Einträgen, die mir, nachdem ich den Computer hochgefahren hatte, in weniger als einer halben Sekunde zur Verfügung standen. Kaum mehr als ein Wimpernschlag.
Ich scrollte durch die Seiten, war aber schnell enttäuscht. Nur einige wenige Bilder, die einen Mann zeigten, hinter dem ich weder einen schwäbischen Metzgerlehrling aus Augsburg noch einen Nachtclubbetreiber und Zuhälter oder gar ein Mitglied der Chicagoer Unterwelt vermutet hätte. In seinen Zügen nichts von Brutalität oder menschenverachtender Großmannssucht. Was hatte ich auch erwartet?
Ich überflog die Zeitungsausschnitte von damals, las, was es an spärlichen Fakten gab. Seine Leiche wurde an einem heißen Augusttag vor mehr als 30 Jahren in einem Waldgebiet aufgefunden. Davor hatte er, nachdem er spurlos verschwunden war, zweieinhalb Monate lang als vermisst gegolten. Dann der zufällige Fund durch zwei Spaziergänger, die nach Preiselbeeren gesucht und stattdessen eine halb verweste Leiche gefunden hatten. Tot, hieß es, Tod durch einen gezielten Schuss ins Herz. Dazu Spuren von Folter .
Mehr als 30 Jahre war das her, dachte ich. Wie sollte man nach einer so langen Zeit noch einen Mörder finden? Ich versuchte, mich an die Stimme des Mannes zu erinnern, der vor wenigen Stunden angerufen hatte. Wie alt er wohl gewesen war? Ich wusste es nicht. Die Stimme eines Mannes ohne Alter. Ein schrecklicher Gedanke kam mir plötzlich . Ob er etwas mit dem Mord zu tun hatte oder gar K.s Mörder war? Warum hatte er dann mich kontaktiert? Warum gerade mich? Es ergab keinen Sinn.
Am Sonntag wachte ich früh auf. Wieder hatte ich tief und traumlos geschlafen. Ich öffnete die Augen und lauschte den gleichmäßigen Atemzügen meiner Frau, die von mir abgewandt lag. Ein Gefühl unbändiger Energie erfasste mich und es war mir, als sei ich in der Lage, mich so wie früher in ein Leben zu stürzen, das grenzenlos war. Die Sonne schien ins Schlafzimmer und mit einem Mal roch es nach feuchtem Gras und unendlicher Weite. Ich setzte mich im Bett auf und eine Ahnung von Glück umfing mich wie eine blasse Erinnerung aus den Tagen meiner Kindheit.
Eine ganze Weile saß ich so, als plötzlich das Telefon in meinem Arbeitszimmer läutete. Ein gedämpfter Ton von weit weg, aber deutlich hörbar. Ich schreckte aus meinen Gedanken hoch und eilte hinüber. Als ich den Hörer abnahm, hatte der Anrufer bereits aufgelegt. >Externer Anruf<, stand auf dem Display. Ohne genau den Grund zu kennen, war ich auf einmal beunruhigt. Meine euphorische Stimmung war verflogen.
»Was ist los?«, fragte Lena, die, ohne dass ich sie wahrgenommen hatte, hinter mich getreten war. Sie drängte sich an mich und ich konnte ihre warmen, weichen Brüste mit den harten Warzen unter dem dünnen Stoff ihres Pyjamas spüren. Ich war wohl in Gedanken verloren dagestanden, hatte nicht bemerkt, dass sie mir gefolgt war. Ich fühlte mich seltsam ertappt.
»Nichts. Jemand, der die falsche Nummer gewählt hat. Vielleicht war ich auch nur zu langsam. Du weißt schon .«
Sie lächelte. »Wie geht's dir heute? Keine Kopfschmerzen?«
»Gut. Warum fragst du?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Nur so.«
Ich wusste, dass sie sich Sorgen machte, und wollte ihr sagen, dass dies unnötig war. Ehe ich jedoch etwas äußern konnte, hatte sie sich abgewandt. Was wäre, wenn sie mich verlassen würde, schoss es mir in diesem Augenblick durch den Kopf. Sie und die Kinder. Nicht auszudenken.
Und doch zog es mich in diesem Moment weg von ihr, weg von ihnen. Noch immer hatte ich die Stimme des Mannes im Ohr. »Steigen Sie in den Zug nach Regensburg. Abfahrt 12.43 Uhr.«
Ich musste fahren.
Es war kurz vor elf. Genügend Zeit. Ich beschloss, zu Fuß zu gehen. Zum Bahnhof war es nicht allzu weit und die herrliche Witterung würde mir guttun. Das ständige Sitzen in den eigenen vier Wänden, das Tippen am Computer, dazu das permanente Kreisen der Gedanken führten ohnehin des Öfteren dazu, dass ich mich wie in einem Käfig eingesperrt fühlte. Manchmal war es nicht zum Aushalten.
»Ich komme gegen Abend...
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