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Oleg Gordijewskis Weg in den sowjetischen Geheimdienst war ihm als Sohn zweier KGB-Agenten in die Wiege gelegt. Da er Deutsch konnte, brachte ihn eine seiner ersten Anstellungen nach Berlin, wo er den Bau der Mauer hautnah mitbekam - es sollte sich als eines von vielen Ereignissen erweisen, die seinen Glauben an den Kommunismus zerrütteten. Ganz brach er mit ihm aber erst 1968, als sowjetische Truppen in Prag einmarschierten, und bot sich dem britischen MI6 als Doppelagent an. Schnell wurde er zur wichtigsten Informationsquelle für den Geheimdienst ihrer Majestät. Seine Identität wurde nicht nur vor den Sowjets geheim gehalten, auch die engsten Verbündeten tappten im Dunkeln. Etwas, was die CIA nicht auf sich sitzen lassen konnte: Sie beauftragte einen ihrer Offiziere mit der Identifizierung des Mannes. Der Offizier hieß Aldrich Ames und sollte noch zu zweifelhaftem Ruhm als sowjetischer Spion gelangen .
Ben Macintyres Buch entfaltet ein Dreiecksspiel zwischen den Geheimdiensten der USA, Großbritanniens und der Sowjetunion und gipfelt in Oleg Gordijewskis fesselnder und filmreifer Flucht aus Moskau 1985. Wie ein Roman von John le Carré entführt es den Leser in eine Welt des Verrats und der Täuschung.
Oleg Gordijewski wurde in den KGB hineingeboren, von ihm geformt, geliebt, verdreht, gebrochen und beinahe vernichtet. Der sowjetische Spionagedienst lag ihm nicht nur im Blut, sondern auch am Herzen. Sein Vater arbeitete sein ganzes Leben lang für den Geheimdienst und trug seine KGB-Uniform jeden Tag, auch an den Wochenenden. Die Gordijewskis lebten inmitten der Spionagebrüderschaft in einem eigens für sie errichteten Wohnblock, aßen einzig den Offizieren vorbehaltene Lebensmittel und verbrachten ihre Freizeit mit anderen Spionage-Familien. Gordijewski war ein Kind des KGB.
Der KGB, das Komitet Gossudarstwennoi Besopasnosti oder Komitee für Staatssicherheit, war der komplexeste und weitreichendste Nachrichtendienst, der je geschaffen wurde. Als direkter Nachfolger von Stalins Spionagenetz vereinte er die Aufgaben der Auslands- und Inlandsnachrichtendienste, der inneren Sicherheit und der Staatspolizei. Repressiv, geheimnisvoll und allgegenwärtig, durchdrang und kontrollierte der KGB jeden Aspekt des sowjetischen Lebens. Er spürte interne Meinungsverschiedenheiten auf und beseitigte sie, bewachte die kommunistische Führung, führte Spionage- und Spionageabwehroperationen gegen feindliche Mächte durch und zwang die Völker der UdSSR durch Einschüchterung zu unterwürfigem Gehorsam. Er rekrutierte Agenten und platzierte Spione auf der ganzen Welt, sammelte, kaufte und stahl militärische, politische und wissenschaftliche Geheimnisse von überallher. Auf dem Gipfel seiner Macht prägte der KGB mit seinen mehr als eine Million Offizieren, Agenten und Informanten die sowjetische Gesellschaft so stark wie keine andere Institution.
Für den Westen war das Akronym der Inbegriff von Terror nach innen und Aggression und Subversion nach außen, eine Abkürzung für die ganze Grausamkeit eines totalitären Regimes, das von einer gesichtslosen Beamtenmafia geführt wird. Aber der KGB wurde von denen, die unter seiner strengen Herrschaft lebten, nicht so gesehen. Sicherlich flößte er Angst und Gehorsam ein, aber er wurde auch als Prätorianergarde bewundert, als Bollwerk gegen westliche imperialistische und kapitalistische Aggression und als Beschützer des Kommunismus. Die Zugehörigkeit zu dieser elitären und privilegierten Truppe verschaffte Bewunderung und erzeugte Stolz. Wer dem Dienst beitrat, tat dies fürs ganze Leben. »So etwas wie einen ehemaligen KGB-Mann gibt es nicht«, sagte einmal der ehemalige KGB-Offizier Wladimir Putin. Man trat einem exklusiven Club bei, den man nicht mehr verlassen konnte. In die Reihen des KGB einzutreten war eine Ehre und eine Pflicht für diejenigen, die über genügend Talent und Ehrgeiz verfügten, dies zu tun.
Oleg Gordijewski hatte nie ernsthaft darüber nachgedacht, etwas anders zu tun.
Sein Vater, Anton Lawrentjewitsch Gordijewski, Sohn eines Eisenbahnarbeiters, war Lehrer gewesen, bevor ihn die Revolution von 1917 zu einem überzeugten, kompromisslosen Kommunisten machte, einem rigiden Befürworter der ideologischen Orthodoxie. »Die Partei war Gott«, schrieb sein Sohn später, und die Loyalität des älteren Gordijewski schwankte nie, selbst wenn sein Glaube von ihm verlangte, sich an unaussprechlichen Verbrechen zu beteiligen. Im Jahr 1932 half er bei der »Sowjetisierung« Kasachstans und organisierte die Enteignung der Bauern, um die sowjetischen Armeen und Städte zu ernähren. Rund 1,5 Millionen Menschen starben an der daraus resultierenden Hungersnot. Anton erlebte das staatlich verursachte Verhungern aus nächster Nähe. Im selben Jahr trat er der Vereinigten staatlichen politischen Verwaltung bei, kurz OGPU bzw. GPU, der sowjetischen Geheimpolizei, die 1934 im NKWD aufging, dem Volkskommissariat für innere Angelegenheiten, Stalins Geheimpolizei und direkter Vorläufer des KGB. Als Offizier der politischen Abteilung war er für politische Disziplin und Indoktrination zuständig. Anton heiratete Olga Nikolajewna Gornowa, eine 24-jährige Statistikerin, und das Paar zog in einen Moskauer Wohnblock, der der Geheimdienstelite vorbehalten war. Das erste Kind, Wasili, wurde 1932 geboren. Den Gordijewskis ging es unter Stalin sehr gut.
Als Genosse Stalin verkündete, dass die Revolution einer tödlichen Bedrohung von innen ausgesetzt sei, stand Anton Gordijewski zur Verfügung, die Verräter zu beseitigen. Bei der Großen Säuberung 1936-38 wurden »Staatsfeinde« in großem Stil liquidiert: mutmaßliche subversive Kräfte und versteckte Trotzkisten, Terroristen und Saboteure, konterrevolutionäre Spione, Partei- und Regierungsbeamte, Bauern, Juden, Lehrer, Generäle, Mitglieder der Intelligenz, Polen, Rotarmisten und viele andere. Die meisten von ihnen waren völlig unschuldig. In Stalins paranoidem Polizeistaat war das eigene Überleben am ehesten gesichert, indem man jemanden denunzierte. »Besser, zehn Unschuldige leiden, als dass ein Spion davonkommt«, sagte Nikolai Iwanowitsch Jeschow, Chef des NKWD. »Wo gehobelt wird, fallen Späne.« Die Spitzel flüsterten, die Folterer und Henker machten sich an die Arbeit, und die sibirischen Gulags platzten aus allen Nähten. Doch wie bei jeder Revolution gerieten die Vollstrecker selbst unweigerlich unter Verdacht. Das NKWD begann gegen sich selbst zu ermitteln und zu säubern. Auf dem Höhepunkt des Blutvergießens wurden im Wohnblock der Gordijewskis über einen Zeitraum von sechs Monaten mehr als ein Dutzend Razzien durchgeführt. Die Verhaftungen erfolgten nachts: Zuerst wurde das Familienoberhaupt abgeführt, anschließend die anderen.
Es ist wahrscheinlich, dass einige dieser Staatsfeinde von Anton Gordijewski identifiziert worden waren. »Das NKWD hat immer recht«, sagte er - eine sowohl absolut vernünftige als auch völlig falsche Feststellung.
Ein zweiter Sohn, Oleg Antonowitsch Gordijewski, wurde am 10. Oktober 1938 geboren, als der Große Terror zu Ende ging und bereits der Krieg drohte. Freunden und Nachbarn erschienen die Gordijewskis wie ideale Sowjetbürger, ideologisch rein, loyal gegenüber Partei und Staat und nun auch Eltern zweier strammer Jungs. Sieben Jahre nach Oleg kam Tochter Marina zur Welt. Die Gordijewskis waren wohlgenährt, privilegiert und sicher.
Bei näherer Betrachtung jedoch zeigten sich Risse in der Fassade der Familie, und unter der Oberfläche wurden Schichten der Täuschung erkennbar. Anton Gordijewski sprach nie darüber, was er während der Hungersnöte, der Säuberungen und des Terrors getan hatte. Er war ein Paradebeispiel der Spezies Homo sovieticus, eines gehorsamen Staatsdieners, geformt durch die kommunistische Repression. Darunter jedoch war er ängstlich, voller Abscheu und vielleicht von Schuldgefühlen geplagt. Später sah Oleg seinen Vater als einen »verängstigten Mann«.
Olga Gordijewski, Olegs Mutter, war aus einem weniger formbaren Material. Sie war nie in die Partei eingetreten, und sie glaubte nicht an die Unfehlbarkeit des NKWD. Die Wassermühle ihres Vaters war von den Kommunisten enteignet worden, ihr Bruder landete in einem ostsibirischen Gulag, weil er die kollektive Landwirtschaft kritisierte, sie hatte mit eigenen Augen gesehen, wie viele Freunde nachts aus ihren Häusern geholt und abtransportiert worden waren. Mit dem angeborenen gesunden Menschenverstand der Bäuerin erkannte sie die Willkür und Rachsucht des Staatsterrors, hielt aber den Mund.
Oleg und Wasili, altersmäßig sechs Jahre auseinander, wuchsen während des Krieges auf. Eine von Oleg Gordijewskis frühesten Erinnerungen war der Anblick langer Reihen abgemagerter deutscher Kriegsgefangener, die durch die Straßen Moskaus geführt wurden, »gefangen, bewacht und geführt wie Tiere«. Anton war häufig für längere Zeiträume fort, um Soldaten Vorträge über Parteiideologie zu halten.
Oleg Gordijewski lernte pflichtbewusst die zentralen Lehrsätze der kommunistischen Ideologie: Er besuchte die Schule 130, wo er schon früh eine Begabung für Geschichte und Sprachen offenbarte; er beschäftigte sich mit den in- und ausländischen Helden des Kommunismus. Trotz des dicken Schleiers der Desinformation, der den Westen umgab, ...
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