Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Dreizehn wagemutige Frauen brechen im Frühjahr 1853 in die Arktis auf, um eine Gruppe verschollener Forscher wiederzufinden. Zuvor sind einige männliche Expeditionen gescheitert - nun sollen die Frauen unter der Leitung von Virginia Reeve ihr Können beweisen. Von Buffalo aus machen sie sich auf den Weg. Es ist eine Reise voller Gefahren - und nicht alle kehren zurück. Virginia Reeve wird dafür verantwortlich gemacht - und des Mordes angeklagt . Der Prozess jedoch ist geprägt von Lügen, Intrigen und Bestechung und scheint weniger die Wahrheitsfindung als die Hinrichtung Virginias zum Ziel zu haben .
Die amerikanische Bestsellerautorin Greer Macallister gibt abwechselnd Einblicke in die Expedition und in den Prozess; die Leserinnen und Leser erleben die dramatischen Ereignisse fast hautnah mit.
2. Kapitel
Tremont House, Boston April 1853
Als Virginia den Vorraum von Tremont House betrat, hörte sie nur die ersten drei Schritte. Einer, zwei, drei auf glattem, goldenem Marmor. Der edle tiefe Teppich erstickte den Klang von vier, fünf und allen weiteren.
Lautlos schritt sie im flackernden Schein der vergoldeten Laternen voran, luxuriöse Sofas lockten mit ihren üppigen karmesinroten Kissen, über ihr wölbte sich die höhlenartige Decke. Auf der fernsten Couch saßen zwei Frauen, die Köpfe zusammengesteckt, offenkundig im Gespräch, doch ihre Stimmen waren in einem solch riesigen Raum nicht zu hören. Stumm wie das Grab, dachte sie unwillkürlich. Jahrelang hatte sie sich in offenen Räumen, sei's draußen oder drinnen, fehl am Platz gefühlt, und sie wehrte sich gegen den Fluchtimpuls.
Hinter dem Empfang saß ein Mann in einem Hemd, das so weiß und glatt war wie frisch gefallener Schnee, und er hob bei ihrem Nahen die Brauen.
»Kann ich Ihnen helfen, Miss?«
»Ich bin Virginia«, sagte sie, und als die Stille um sie herum ihre Stimme verschluckte, sagte sie es ein zweites Mal, lauter. »Virginia Reeve. Ich werde erwartet.«
Der Kopf des Mannes senkte sich, wahrscheinlich schaute er in eine Liste oder dergleichen. Sie sah kein Signal, doch wie durch Zauberei erschien unmittelbar hinter ihr ein ganz in Schwarz gekleideter, hochgewachsener Mann. In dem Blick, den sie über die Schulter warf, sah er aus wie eine Krähe, wovon sie jäh zusammenfuhr.
Ihr Führer, so gut geschult, dass er die Aufmerksamkeit nicht auf ihren Lapsus lenkte, nickte lediglich und klackte die Absätze zusammen.
»Miss Reeve, es wäre mir ein Vergnügen, Sie zu Mrs Griffins Suite zu geleiten«, sagte er.
Sie lief hinter ihm die Treppe hinauf und durch einen weiteren Flur mit diesem edlen, üppigen Teppich, dessen Weichheit alles dämpfte. Die Meilen, die sie gereist war, um hier zu sein, hatten sie erschöpft. Die grobe Wolle ihres Reisekostüms scheuerte am Hals, und sie sehnte sich danach, sich dort kratzen zu können. Natürlich hatte sie schon viel Schlimmeres durchlebt, das aber erstaunte sie immer noch: Wie der schlimmste Schmerz, egal wie schrecklich, in die Vergangenheit rücken konnte. Irgendwann keuchte er einem nicht mehr ins Ohr wie ein hungriger Wolf. Die kleineren Ärgernisse der alltäglichen Existenz wurden wieder ärgerlich. Leiden blieben Leiden in all ihren zahllosen Formen, all ihren Abstufungen.
Sie wusste, dass sie nicht darüber sprechen sollte, was sie alles durchgemacht hatte. Das wollte niemand hören. Was aber wollte die mysteriöse Mrs Griffin hören? Um das herauszufinden, hatte Virginia den ganzen Kontinent durchquert.
Ihr Begleiter klopfte leise an die Tür von Zimmer 17, neigte das Ohr auf eine Antwort hin und schien auch eine zu vernehmen. Er umfasste den Griff, öffnete weit die Tür und bedeutete Virginia einzutreten.
»Das wäre alles, William«, sagte eine Frauenstimme, mit Akzent, leise, heiser.
»Sehr wohl, Madam«, antwortete der Begleiter, trat in den Flur zurück und schloss mit geübter Sorgfalt ohne ein Geräusch die Tür.
Das gesamte Zimmer schien vergoldet. Das helle Tageslicht spähte durch zarte Vorhänge und entzündete das Weiß und Gold des Zimmers, bis es glühte. Es wirkte, wie ein griechischer Tempel auf Virginia gewirkt haben mochte, wie in fernen Zeiten.
Virginia lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die einzige andere Person im Zimmer. Mrs Griffin hätte gut und gern auch eine Alabasterstatue sein können, so still und blass saß sie da. Ihr nobler Stuhl schmiegte sich anmutig wie ein Thron um ihren Körper.
Zwar hätte ein genauer Beobachter die Anzeichen des Alters auf ihren Handrücken bemerkt, dennoch war Mrs Griffin mit großer Sorgfalt gepflegt. Ihre Wangen waren weich gecremt, ihr verblasstes Haar noch sorgfältig wie das einer Braut modelliert und hochgesteckt. Die extravaganten Falten ihres moiréseidenen Gewands hätten einem Wurf Collies Schutz für die Nacht geboten. Dem Alter nach hätte sie Virginias Mutter oder gar Großmutter sein können, der Erscheinung nach hätte jeder erkannt, dass die beiden niemals vom selben Stammbaum herrühren konnten.
Die ältere Frau sprach, ohne aufzustehen. Sie hatte einen eindeutig britischen Akzent, spröde wie ein gestärktes Laken. »Ich muss mich entschuldigen, Miss Reed. Ich habe unsere Bekanntschaft mit einer List begonnen.«
Virginia war verdutzt und wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Sie klammerte sich an das, was sie konnte. »Entschuldigen Sie, Ma'am. Sie meinen wohl Miss Reeve.«
So weich das Gesicht der Frau wirkte, ihre Augen waren hart und scharf.
»Ich weiß, was ich meine.«
»Und dennoch«, sagte Virginia, »ist mein Name, verzeihen Sie, Virginia Reeve. Unter dem Namen haben Sie mir doch auch geschrieben, nicht wahr?«
»Das stimmt«, sagte die ältere Frau, »und dennoch können Namen täuschen. Das ist die List, von der ich spreche. Ich bin nicht - und hier nun bitte ich Sie um Verzeihung, wir wollen ja fair sein - Mrs Delafield Griffin.«
»Aber was ist dann Ihr Name?«
»Meine Güte. Die Amerikaner aus meiner Bekanntschaft sind ja direkt, was zu erwarten war, aber Sie - wie nennen Sie das? Schießen den sprichwörtlichen Vogel ab.« Dies mit trockener Stimme, kühl, gelassen, aber nicht ohne eine Prise Humor. »Meine richtige Anrede ist Lady Franklin.«
Verblüfft platzte Virginia heraus: »Lady Jane Franklin?«
Die Frau lächelte beherrscht, bedacht. Virginia hatte das deutliche Gefühl, dass Lady Jane Franklin ihre Palette Lächeln vor dem Spiegel probte, um dann das schmeichelhafteste zu wählen. »Mir scheint, mein Ruf eilt mir sogar bis an die Westgrenze Ihres wilden Landes voraus.«
»Ein kanadischer Freund hat immer gern Ihr Lied gesungen«, sagte Virginia. Sie wollte es eigentlich gar nicht singen, doch dann öffnete sie den Mund, und heraus kam die Erinnerung:
In Baffin's Bay where the whale fish blow,
The fate of Franklin no man may know.
The fate of Franklin no tongue can tell,
Lord Franklin alone with his sailors do dwell.
Eine Wärme sammelte sich in ihren Adern - das Lied erinnerte sie so sehr an Ames -, doch als Lady Franklin die Hand zum Schweigen hob, schluckte Virginia die Töne hinunter.
»Ich habe von Ihren vielen Talenten gehört«, sagte Lady Franklin. »Singen zählt jedoch nicht dazu.«
»Ich wollte Sie nicht verärgern.«
»Das haben Sie nicht im Mindesten«, sagte die Frau, auch wenn es in Virginias Ohren wie eine Lüge klang. »Sie sind einfach nur eine sehr schlechte Sängerin. Und es ist nicht mein Lied, wie Sie das nennen. Es ist einfach ein volkstümliches Lied, das behauptet, mit meiner Stimme zu sprechen, wozu ich nicht meine Einwilligung gegeben habe. Aber lassen wir das. Sagen Sie mir doch bitte, wie war Ihre Reise?«
So eingerostet ihr Benehmen in Gesellschaft auch sein mochte, erkannte Virginia einen Themenwechsel doch sofort, und sie richtete sich danach. »Gewiss lange. Aber weit bequemer, als sie es ohne Ihre Großzügigkeit gewesen wäre. Vielen Dank dafür. Hat man auf dem Schiff im Pazifik wie auch im Atlantik eine Kabine Erster Klasse, dann ist die Beförderung in Panama noch das Schlimmste.«
Sie versuchte, die Reise wie nichts Besonderes klingen zu lassen, wo doch eine weniger erfahrene Reisende vielleicht daran zerbrochen wäre. Die Männer, die ihre Habe in Panama getragen hatten, hatten sich mit einem ihrer zwei kostbaren Koffer aus dem Staub gemacht. Auf der Atlantikfahrt verwechselte ein Säufer ihre Kabine mit einer anderen und hämmerte fast die ganze Nacht an ihre Tür, erst brüllend, dann schluchzend. Doch sie beklagte sich nicht. Ihr Nacken juckte wieder. Sie stellte sich den Ausschlag vor, den sie dort vorfinden würde, wenn sie dann endlich das grässliche Wollkleid abstreifte - ein zwei Zentimeter breiter Streifen gleich einem Priesterkragen, rundherum. Sie vermisste die Lederhose und den Kasack, die sie als Führerin...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.