1. Kapitel
Billie
Weder die Lautstärke noch den Gestank von Alkohol, Zigaretten und Sex nehme ich noch wahr, während ich im Clubhaus der Rebels Biker und ihre Gespielinnen bediene und gleichzeitig versuche, ein Auge auf meine siebenjährige Schwester zu haben, die hinter der Theke in der Küche auf dem Boden sitzt und in einem Buch liest. Lesen ist alles, was ich ihr bieten kann, um auszugleichen, dass Rose keine Schule besuchen darf, denn wir sind Gefangene.
Ich schlängle mich mit einem Tablett auf den Händen vorbei an betrunkenen, verschwitzten Männern und halb nackten Frauen, die Augen fest auf den Präsidenten der Rebels gerichtet, der mich mit hasserfülltem Blick mustert, als ich an seinen Tisch trete. Seine Augen verengen sich noch, als er meine Bekleidung entdeckt. Zornig packt er die Hundeleine, die von meinem Hals hängt, zerrt so grob daran, dass sich das Halsband schlagartig um meine Kehle zusammenzieht, und zwingt mich auf die Knie. Verzweifelt versuche ich das Tablett mit den Biergläsern darauf zu balancieren, denn wenn auch nur ein Tropfen danebengeht, wird Walker mich an das Andreaskreuz neben der Theke fesseln und vor allen im Raum demütigen. So wie er es schon viele Male gemacht hat. Die Narben, die sich auf meiner Seele befinden, und so mancher blauer Fleck auf meinem Körper beweisen es. Und niemand wird ihn davon abhalten, denn ich bin sein Eigentum, seit er in diesen Motorradclub eingefallen ist, den Präsidenten und seine Old Lady ? meine Eltern ? getötet und alles an sich gerissen hat.
Er hat jeden Biker getötet, der treu zu meinem Vater stand, die Old Ladys der Brüder verkauft oder versklavt und die Clubschlampen fortgejagt. Das ist jetzt zwei Jahre her. Zwei Jahre, in denen ich unzählige Male versucht habe, zusammen mit meiner Schwester zu fliehen, und dafür bestraft wurde, bis ich irgendwann an einem Punkt angekommen war, an dem mich die Kraft verlassen hat und ich begonnen habe, unser Schicksal hinzunehmen. Man entkommt Bikern nicht. Das Clubhaus der Rebels wird rund um die Uhr bewacht, und irgendjemand hat immer die Fernbedienung für mein Halsband in der Hand, die mich mit Stromstößen dazu zwingen kann, zu tun, was er will.
Meine nackten Knie landen in einer klebrigen Pfütze direkt vor den Füßen des Präsidenten, der mir jetzt das Tablett abnimmt, mein Gesicht packt und es nah vor seines zieht. »Was habe ich dir verfickt noch mal gesagt?«, knurrt er mich an und wendet meinen Kopf hin und her. Sein alkoholschwangerer Atem weht mir über die Wangen, und ich muss den Brechreiz, der mich überkommt, unterdrücken. Er zeigt mir die Fernbedienung, drückt den Knopf und versetzt mir einen Stromstoß. Ich ächze, kippe nach vorn über und fange mich mit den Händen ab.
Ergeben senke ich den Blick. Um ihm meine Unterwürfigkeit und mein Bedauern zu signalisieren, aber auch, um seinem Atem zu entkommen. »Ich soll nicht in Unterwäsche bedienen«, sage ich laut genug, um die Stimmen und das Gelächter im Clubhaus zu übertönen, denn Walker hasst es, wenn er mich nicht versteht. Er hasst eigentlich alles, nur nicht sich selbst und Gewalt, die er anderen antun kann. Egal wie blutig. Egal ob Frau oder Mann.
Der neue Präsident der Rebels ist Ende fünfzig, sein ergrauendes, dunkles Haar ist lang und fettig, er ist brutal und regiert den Club mit eiserner Hand. Niemand hier wagt es, ihm zu widersprechen, denn man weiß nie, was für eine Strafe diesem Wahnsinnigen einfallen könnte. Er ist der König unter den Wahnsinnigen, die jetzt diesen MC bilden, und sein Sohn ist sein ehrfürchtiger Nachfolger.
»Es tut mir leid«, entschuldige ich mich, obwohl ich nichts dafür kann, dass ich nicht dazu in der Lage war, mir etwas anzuziehen, denn jemand hat mir alles gestohlen, was ich besitze. Was nicht viel ist. Ich wette, es war Rowdie, Walkers Sohn, der sich nachts heimlich in den kleinen Raum hinter der Küche geschlichen hat, während meine Schwester Rose und ich auf dem schäbigen Bett schliefen. Unser Zimmer ist karg und fast leer, wir besitzen kaum etwas und verbringen die Nächte an den Boden angekettet, damit wir nicht fliehen können. »Wie es sich für die dreckigen Welpen eines Hundes gehört«, erklärt uns Rowdie immer gern, bevor er sich wieder etwas einfallen lässt, das mir dann eine der Bestrafungen seines Vaters einbrockt.
Walker schiebt seine Faust in mein kurzes, struppiges Haar, das er mir immer dann mit einem Messer abschneidet, wenn er glaubt, dass es wieder an der Zeit wäre, mich für ihn und seine Männer unattraktiv zu machen. Denn es gibt etwas, das er niemals zulassen würde ? dass sich einer seiner Männer an meiner Schwester oder mir vergreift. Nicht auf diese Weise. Manchmal bin ich ihm zumindest dafür dankbar. Aber er tut das nicht aus Sorge um uns, sondern aus Eigennutz. Unberührt sind wir mehr wert. Weswegen ich vehement verschweige, dass ich längst keine Jungfrau mehr bin. Weil ich schon einen Freund hatte. Aber das weiß er nicht, was gut ist, denn sonst hätte er mich seinen Männern längst zum Fraß vorgeworfen.
»Wenn das noch ein Mal vorkommt, sorge ich dafür, dass meine Männer bestimmte Regeln, die ich aufgestellt habe, vergessen«, knurrt er mich an, dann stößt er mich so heftig von sich, dass ich auf dem Rücken lande.
Rowdie taucht über mir auf, auf seinen Lippen ein breites Grinsen. Er zwinkert mir aus seinen kalten grauen Augen zu. Ich weiß, was ihm durch den Kopf geht, wenn er mich so ansieht, sein Blick jeden Zentimeter meines Körpers abtastet und Gier in seine Augen tritt. In ein paar Tagen wird er dreiundzwanzig, zwei Jahre älter, als ich bin, und ist dann alt genug, um ein Vollmitglied im Club zu werden. Und ich weiß auch, was er sich von seinem Vater als Geschenk gewünscht hat: mich. Ich bete jede Sekunde meines trostlosen Lebens, dass es nicht dazu kommen wird.
Ich kämpfe mich mühsam auf die nackten Füße und unterdrücke den Ekel, der sich meine Speiseröhre hochkämpft, als ich mir vorstelle, wie dieser rothaarige Dreckskerl seine Hände auf meinen Körper legt. Rowdie ist mindestens so wahnsinnig wie sein Vater. Ich habe schon oft erleben dürfen, wie er sich über die Lippen leckt und dieser Wahnsinn in sein Gesicht tritt, wenn er dabei zusieht, wie sein Vater mich bestraft.
»Du hast meine Sachen geklaut«, werfe ich ihm trotzig vor. Vor Walker habe ich Angst, weil er derjenige ist, der darüber entscheidet, ob ich leben darf oder sterben muss, aber Rowdie widert mich einfach nur an, weswegen ich kein Problem damit habe, ihm zu sagen, was immer ich über ihn denke.
Walkers Sohn lacht nur, schnappt sich meine Leine und zerrt so grob daran, dass ich das Gleichgewicht verliere und mit dem Gesicht in der nach schalem Bier stinkenden Pfütze vor mir lande. Ich rapple mich wieder auf, ohne weiter darüber nachzudenken. Alles, was sie mir jetzt antun, erlebe ich jeden Tag. Ich bin es also längst gewohnt. Als ich die Augen zu schmalen Schlitzen zusammenkneife und Rowdie wütend anfunkle, verstummt er endlich. Er ist eben doch ein feiger Idiot, der nur mutig sein kann, wenn er sich sicher ist, dass sein Vater ihn beschützt. In letzter Zeit passiert das aber nicht mehr allzu oft. Zu meinem Glück, denn so kann ich ihm hin und wieder zurückzahlen, was er mir antut, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen.
Rowdie wird beiseitegedrängt, und eine Hand erscheint vor meinem Gesicht. Es ist die von Angus, der erst heute aus dem Gefängnis kam, wo er die letzten fünf Jahre wegen schwerer Körperverletzung eingesessen hat. Meine Schwester wird sich nicht mehr an ihn erinnern, aber für mich war Angus immer mein Lieblingsonkel. Früher war er der Vize unseres Vaters. Und wenn ich seinen Gesichtsausdruck richtig interpretiere, ist er nicht glücklich mit dem, was aus dem Club geworden ist.
Ich nehme seine Hand und lasse mir von ihm aufhelfen. Er zögert einige Sekunden lang mit meiner Hand in seiner, sieht mir tief in die Augen, als wollte er sich versichern, dass es mir gut geht. Ich weiche seinem fragenden Blick aus, denn jede Sekunde, die wir zu lange so dastehen, bringt ihn in Schwierigkeiten. Walker darf auf keinen Fall glauben, Angus wäre eine Gefahr für seinen Status und die neue Ordnung im Club. Er muss glauben, dass Angus den MC akzeptiert, so wie er jetzt ist, denn ich kann nicht zusehen, wie noch mehr Menschen sterben, die einst Teil meiner Familie waren.
Mein Vater war wahrscheinlich nicht der beste Präsident, den die Rebels je hatten, nur deswegen hatte Walker überhaupt eine Chance, einen Teil der Brüder um sich zu versammeln und gegen meinen Vater zu putschen, aber Walker ist definitiv der machthungrigste und blutrünstigste. Ich kann nicht zulassen, dass Angus sein Leben wegen mir verliert.
»Habe ich dir gesagt, du sollst dich hier einmischen?«, will Walker hart wissen, steht von seinem Stuhl auf und baut sich neben Angus auf.
Erschrocken halte ich die Luft an, ich könnte es nicht ertragen, jetzt auch noch Angus zu verlieren. Ich wünschte, er wäre nie aus dem Gefängnis gekommen. Warum ist er nicht einfach verschwunden? »Es ist nichts passiert«, werfe ich hastig ein und schaue angsterfüllt zwischen Angus und Walker hin und her, die wütende Blicke wechseln, die Körper so angespannt, dass ihre Muskeln vibrieren.
Angus tritt einen Schritt von mir zurück und hebt beschwichtigend die Hände. »Alles in Ordnung. Ich habe nur eine Lady im Dreck liegen sehen und dachte, ich bin mal höflich. Meine Augen haben ein paar Jahre nichts Hübsches mehr erblicken dürfen«, wirft er ein und zwinkert mir zu.
Walkers von Akne vernarbtes Gesicht drückt deutlich sein Misstrauen aus, ich kann mir auch nicht erklären, warum er Angus nicht längst getötet hat. Vielleicht hebt er sich das für eins seiner Spielchen auf, mit denen er so gern allen...