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«Wahrhaftig, es lohnt nicht, sich durch Eifersuchtsgram die Verdauung stören zu lassen.» Wer diesen Satz in sein Tagebuch schrieb, neigte offenbar dazu, sich durch Eifersuchtsgram die Verdauung stören zu lassen. Auf wen war der Magenleidende eifersüchtig? Auf H., wie er ihn im Tagebuch abkürzt.
Diesem H. galt die erste schüchterne Veröffentlichung des heute von Ihnen Geehrten. Sie erschien in einer gratis ausliegenden Buchhändlerbroschüre und war eine kurze Hymne auf Die kleine Stadt. Ohne es zu ahnen, hatte der junge Student die heutige Feier also früh angebahnt.
Seine zweite Veröffentlichung, in einer kurz darauf kollabierenden Quartalsschrift namens Joseph & Suleika, galt dann schon dem jüngeren eifersuchtsgramen Bruder. Auch sie spann, in der Rückschau, schon feine Fäden in die Zukunft. Nicht darum, weil sie auf den Josephsroman vorausdeutete, sondern weil sie zum ersten Mal ein von den Biographen übersehenes Rätsel behandelte. Das Rätsel stellte sich, wenn man Zeitzeugen über ihre Begegnung mit dem Dichter vernahm, beziehungsweise ihre Zeugenaussagen miteinander verglich.
Der Blick seiner blauen Augen sei durchdringend, hieß es da bei einem Besucher. Ein anderer sah «große graue Augen unter einer typisch durchgearbeiteten Beobachterstirn». Seine «verblüffend lebhaften braunen Augen starren manchmal ernst», war an anderer Stelle beobachtet worden, bestätigt von einem weiteren Besucher, der Manns «tiefe, nußbraune Augen» hervorhob, damit freilich einem weiteren Zeugen in den Rücken fiel, der sich von den «grauen Augen des Nordländers» beeindruckt gezeigt hatte. Wieder einem anderen schien, als ob in den «offen blickenden blauen Augen» ein wenig harmloser Neid aufleuchte.
Blau, grau oder braun? So vielfarbig schillernd wie die Iris dieses Mannes war das Verhältnis der beiden Brüder. Ganz offensichtlich spielte nicht nur harmloser Neid bei diesem Verhältnis eine gewisse Rolle.
Das letzte Wort hatte die Liebe. Aber schon in der Kindheit war es vorgekommen, daß die beiden über ein Jahr lang nicht miteinander gesprochen hatten, weil ihnen eine bis heute unbekannte Laus über die Brüderlebern gelaufen war. Sobald sie beide Schriftsteller waren, folgten ständige Konkurrenz, magenbelastender Eifersuchtsgram, Kriechströme, die zu Explosionen führten; zu Zeiten Feindschaft bis zum Haß. Als sie sich wegen ihrer Gedanken zum Kriege entzweit hatten und jahrelang aus dem Weg gingen, hatte sich die Laus monströs zu der Frage vergrößert: Er oder ich?
Was umgekehrt hieß, daß es im Grunde nur auf den andern ankam. Thomas Mann hat das Bruderproblem in der Zeit ihres Zerwürfnisses das größte seines Lebens genannt. Der positive Ausdruck desselben Gefühls schlägt sich in der Widmung nieder, die Heinrich seinem Bruder in den Henri Quatre schrieb: «Dem Einzigen, der mir nahe ist.»
Thomas Manns Tochter Erika hatte die Brüder über die Jahrzehnte erlebt und ihr Verhältnis wie folgt resümiert: «Bis zur Lebensmitte – bis zu Bruch und Versöhnung – war Thomas der Liebende (weil Leidende) gewesen. Schließlich, gegen Ende, stand es umgekehrt. Heinrich liebte, wahrscheinlich litt er.»
Dieses Resümee trifft im zweiten Teil genauer zu als im ersten. Es stimmt, daß Heinrich vor allem im letzten vereinsamten Jahrzehnt des kalifornischen Exils rührend an dem Bruder hing, der seinerseits den wunderlich werdenden Greis mit nur notdürftig verborgener Kühle auf Distanz hielt und noch in dessen schwerster Stunde, dem Selbstmord seiner Frau Nelly, über den Heinrich nie hinwegkam, ein erleichtertes Aufseufzen nicht unterdrücken konnte. In seinen Augen blieb Nelly, die ehemalige Animierdame, eine «schreckliche Trulle».
Aber stimmt es, daß es bis zur Lebensmitte umgekehrt und nur Thomas der Liebende, weil Leidende war? Daß er litt, ist glaubwürdig bezeugt. «Weich, verwundbar, liebebedürftig», hatte der junge Thomas Mann, wie Erika schrieb, keine Waffe gegen den kühlen Hochmut des Älteren, der den Bruder mit ein paar hingeworfenen Sätzen «aufs Blut verletzen» konnte.
1915 hatte ein einziger solcher Satz genügt, um das Verhältnis fürs erste zu sprengen. Man muß sich vor Augen halten, in welcher Lage Thomas Mann dieser Satz traf. Er war zwar mit den Buddenbrooks an dem Bruder, der lange der Erfolgreichere war, vorbeigezogen. Aber seit diesem frühen Meisterwerk hatte er nichts mehr zuwege gebracht, was dem Vergleich mit dem Debut standhalten konnte. Er freue sich mehr auf Heinrichs Werke als auf seine eigenen, hatte er 1913 in einer düsteren Novemberstunde dem Bruder geschrieben; er für sein Teil sei ausgedient und hätte wohl nie Schriftsteller werden dürfen. Tonio Kröger sei bloß larmoyant gewesen, Königliche Hoheit eitel, der Tod in Venedig «halb gebildet und falsch».
Zwei Jahre später las der Absender dieser scharfblickenden Selbstabrechnung im Zola-Essay seines Bruders, daß es Sache derer sei, die früh vertrocknen sollten, schon zu Anfang ihrer zwanzig Jahre bewußt und weltgerecht hinzutreten. Gerade noch, daß der Name Buddenbrooks nicht fiel.
Das war ein Pfeil in die wunde Stelle. Thomas war eine Woche lang krank und machte sich anschließend an die Betrachtungen eines Unpolitischen, in denen er zwei Jahre lang nicht nur Pfeile abschoß, sondern pro Kapitel ein Dutzend Katapulte gegen den brüderlichen Zivilisationsliteraten auffuhr. Heinrich duckte sich darunter hinweg, indem er das Buch nie las.
Aber auch Heinrich, und das übersieht Erika, litt schon vor dem Bruch an den Haß- und Racheattacken des Jüngeren. Bezeichnend ist ein Bekenntnis aus seinem 1918 begonnenen Roman Der Kopf, dem dritten Band der sogenannten Kaiserreich-Trilogie, die mit dem Untertan begann. Es ist eine Passage, die wiederum Thomas nicht gelesen hat, nicht lesen konnte, weil Heinrich sie für den Druck gestrichen hatte.
Er erzählt darin eine Szene, die wir aus einem Brief Heinrichs an Thomas als Reminiszenz an den gemeinsamen Rom-Aufenthalt von 1897 wiedererkennen. Thomas hatte damals, auf dem Klavier aus dem Tristan spielend, ein vernichtendes Wort in den Raum gesprochen. Im Roman ist es der nach Thomas gezeichnete Mangolf, der es ihm nachspricht. «Deine Vernunft ist die ärgste Tyrannei», sagt er, Tristan spielend, zur Hauptfigur Terra, dem Alter ego Heinrichs. «Du sollst mich mit ihr nicht länger unterjochen. In inimicos!»
Das ist die Formel, wie wir sie aus dem Brief Heinrichs kennen. In der Handschrift seines Romans gesteht er, anders als im Brief, wie sehr ihn diese Erklärung erschüttert hatte. «Terra hörte das Wort und wußte sogleich, niemals werde er es vergessen. Unzählige Male im Leben werde er dies an ihm vorbeigewendete, erbitterte Gesicht wiedersehen und den Freund sagen hören: ‹Mein Feind bist nur du.›»
Wer dies schrieb, liebte und litt nicht weniger. Und wie kein anderer durchschaute er den jüngeren Bruder und dessen «wüthende Leidenschaft für das eigene Ich», wie es in dem großen, auf dem Höhepunkt ihres Konflikts geschriebenen und nie abgeschickten Brief an ihn hieß.
Aber auch im veröffentlichten Werk des Bruders konnte Thomas Mann genügend über sich selbst erfahren. Was genau hatte Heinrich im Sinn, wenn er jenen Mangolf bekennen ließ, er stehe «in steter, geheimnisvoller Verbindung mit dunklen Kräften» – spielte er damit auf die Teufelsvision an, die Thomas in Palestrina gehabt hatte und prompt in Buddenbrooks hatte einfließen lassen –, tückischerweise als eine Vision des nach Heinrich gezeichneten leichtfertigen Bruders? Teufelsbesuch hin oder her, etwas anderes war vielleicht noch bedenklicher. Auch daß Mangolf ein «großer Streber» und von Ehrgeiz zerfressen sei, konnte Thomas aus dem Roman erfahren. Dann aber auch wieder, daß sie alle beide, Mangolf wie Terra, herrschsüchtig seien. «Jeder für sich», stand hier zu lesen, «litt köstlich unter seiner tiefen Ähnlichkeit mit dem andern.»
Trotz dieses so aufschlußreichen intimen Austauschs über das Bruderproblem ist Heinrichs Roman Der Kopf, wenn denn jetzt endlich über Heinrich geredet werden soll, nicht unbedingt das Buch, das man auf die famose einsame Insel mitnehmen würde. Um die ganze Wahrheit zu sagen, ist es ein Buch, das man selbst, wenn es auf dieser Insel als Strandgut angeschwemmt würde, nur unter gewissen Mühen zu Ende brächte.
Heinrich Mann zu lesen, hat mitunter etwas von einer gymnastischen Übung. Weil er fast prinzipiell die ungewöhnlichste, gerade noch zulässige Wortstellung wählt, muß man immerzu Denkmuskeln dehnen, die man gar nicht mehr gespürt hat. Auch seine Syntax ist anstrengend. Anders als Thomas lehnt Heinrich untergeordnete Satzglieder ab; das ist die Demokratie der Grammatik. Auf dem Felde des Stils bekämpfen sich die Brüder mit ungleichen Waffen: der Zierdegen der Hypotaxe trifft auf das...
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