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Atticus
Die Überprüfungen und Verträge, die jeder einzelne Angestellte unserer Firma akzeptieren musste, waren ein Witz im Vergleich zu jenen, die für Personen galten, die in die Familie aufgenommen wurden. Und die wiederum waren unkompliziert im Verhältnis zu unserem Ehevertrag, aber ich hatte das meiste davon mit Rhys bereits ausgearbeitet.
Jetzt war ich gezwungen, es noch komplizierter zu machen. Ich war nachgiebig gewesen, weil ich Ophelia hatte abschirmen wollen. Nun hatte sich die Frau, die eingewilligt hatte, mich zu heiraten, knapp bekleidet mit meiner Schwester Genevieve und diversen Typen in einem Club vergnügt. Das würde Konsequenzen haben. Das musste ihr klar sein.
Ein Haufen Fotos und Videos von der Clubnacht waren über meine Monitore verteilt. Hugo und Damian hatten dem IT-Sicherheitsteam Anweisungen gegeben zu löschen, was sie löschen konnten, aber der Schaden war angerichtet.
Wir hatten noch nicht einmal unseren ersten öffentlichen Auftritt gehabt und waren schon mit einem Makel behaftet.
»Wie ist es gelaufen?«, fragte Rhys, als er unangemeldet in mein Büro kam.
Ich funkelte ihn an. »Was denkst du denn, wie es gelaufen ist?«
Er ließ sich auf einen der Stühle vor meinem Schreibtisch nieder. »Dann hasst sie dich also?«
»Das wäre irgendwann ohnehin so gekommen. Es war dumm von mir zu denken, ich könnte verhindern, dass sie diese Seite von mir sieht.«
»Der skrupellose König schlägt wieder zu. Zerbricht Herzen und Leben.«
»Ich hätte sie mir nicht aussuchen sollen.«
»Nein, hättest du nicht«, sagte Hamilton, als er eintrat und auf dem Stuhl neben Rhys Platz nahm.
»Was soll das?«, fragte ich, überrascht, dass mein kleiner Bruder sich in das Gespräch einklinkte.
»Empfindest du irgendetwas für sie?«, fragte er.
»Wenn es nicht so wäre, hätte ich den naheliegenden Weg beschritten.« Zumindest wussten Bridget und Antonia, wie man sich benahm. Doch auch wenn ich meine Gefühle für Ophelia noch nicht verbal bekundet hatte, konnte ich sie nicht leugnen. Ich war ein guter Pokerspieler, aber jeder hatte irgendein Zeichen, mit dem er sich verriet. Wenn jemand meins kannte, dann war das Rhys, und natürlich verschwendete er keine einzige Sekunde und ließ meinen Bluff auffliegen, vor allem da Hamilton unser einziges Publikum war.
»Sie hat von Anfang an zu viel Ärger bedeutet. Lass sie einfach gehen.«
Rhys schwieg, anscheinend durchaus an unserem Schlagabtausch interessiert.
Ich ballte die Hände zur Fäusten. »Das kann ich nicht.«
»Kannst du nicht oder willst du nicht?«
Ich musterte Hamilton mit schmalen Augen. »Beides.«
Rhys schüttelte den Kopf. »Du hättest in jener Nacht niemals mit ihr schlafen dürfen.«
»Es sollte nur eine einzige Nacht sein. Vielleicht zwei.«
»Aber dann ist sie deine Kellnerin geworden«, sagte Rhys mit einem Feixen.
Hamilton schaute zwischen uns hin und her. »Kellnerin? Was?«
»Ist dir nicht aufgefallen, dass er plötzlich mehrere Male die Woche ganz allein im 130 Degrees zu Mittag gegessen hat?«, fragte Rhys.
Hamilton schüttelte den Kopf. »Was kümmert es mich, wo er zu Mittag isst?«
»Nun, er ist dort hingegangen, um sie zu sehen.«
Ich zog eine Braue hoch und musterte Rhys. »Seit wann weißt du so viel über meine Angewohnheiten?«
»Seit ich Hugo um Informationen über die Frau gebeten habe, für die ich einen Ehevertrag ausarbeiten sollte.«
Ich schüttelte den Kopf. »Verdammter Hugo. Das hätte er nicht tun sollen.«
»Er arbeitet nicht nur für dich, Cousin. Außerdem war ich neugierig, warum ihr Name nach so langer Zeit plötzlich wieder aufgetaucht ist.«
»Wenn das so ist, solltest du sie einfach gehen lassen«, schaltete Hamilton sich mit einer wegwerfenden Handbewegung ein.
»Warum zur Hölle bist du so gegen sie, Hamilton? Hast du dich mit Vater verschworen? Versucht ihr, mir Amelia Harris aufzudrängen?« Dabei war es mir gelungen, diese Möglichkeit im Keim zu ersticken. Weder Amelia noch ihr Vater hatten Hamilton oder mich kontaktiert, seit ich die Frau aus Stronghold, dem Haus unserer Familie, hinausgeworfen hatte.
Kein Wunder, denn ich hatte es geschafft, viele ihrer Zulieferer zu überreden, ihnen die Zusammenarbeit aufzukündigen. Und bei sechs von ihren acht Hotels, die sich im Bau befanden, war binnen Stunden sämtliche Arbeit niedergelegt worden, und Wochen später lief dort immer noch nichts.
Hamilton riss die Augen auf und schüttelte den Kopf. »Nein. Nichts in der Art. Es ist einfach . sie ist unter der Gürtellinie.«
»Noch nicht, jedenfalls nicht unter seiner.« Rhys kicherte.
Ich musterte meinen Cousin mit hochgezogenen Brauen. »Wirklich?«
Er zuckte die Achseln. »Eure diesbezügliche Vereinbarung ist einer der Gründe, warum sie in den Club gegangen ist, nicht wahr?«
»Nein.« Wieder loderte mein Zorn auf. Ich hatte unterschreiben müssen, dass ich sie nicht anfasse. »Wenn Genevieve ihr nicht über den Weg gelaufen wäre, wäre das nicht passiert.«
»Irgendwann musste es so kommen«, konterte Hamilton. »Sie weiß nichts über unsere Welt. Es ist, als hättest du ein Kleinkind in die Familie geholt.«
Rhys musterte Hamilton mit schmalen Augen. »Sie ist ungeschliffen, da gebe ich dir recht, aber ein Kleinkind?«
»Madeline benimmt sich besser als sie«, argumentierte Hamilton und lockerte seine Krawatte.
Rhys schüttelte den Kopf. »Habt ihr denn das Familiendinner komplett verdrängt?«
Hamilton löste den Knoten seiner Krawatte, und seine Verärgerung wurde deutlich, als er sich das Ding vom Hals zog und die obersten Knöpfe seines Hemdes öffnete. Das war eins seiner Zeichen für Unmut - die Krawatte war das Erste, was wegmusste. Er mochte Ophelia nicht, aber den wahren Grund dafür hatte ich noch nicht herausgefunden.
»Nein, aber du warst während des restlichen Wochenendes nicht dort, Rhys.«
»Sie war nervös und unsicher«, warf ich ein. Es widerstrebte mir, noch länger zuzulassen, dass Hamilton sie in der Luft zerriss. »Außer Penelope hat keiner von euch sie besonders freundlich willkommen geheißen, und selbst Pens Begrüßung war ein wenig frostig. Aber Ophelia hat sich zusammengerissen, trotz der Beleidigungen, die man ihr entgegengeschleudert hat.«
Hamilton schüttelte den Kopf. »Du kannst sie herausputzen, so viel du willst, sie wird immer jemand sein, der auffällt wie ein bunter Hund.«
»Vielleicht gefällt mir das ja gerade.« Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
Hamilton musterte mich mit schmalen Augen. »Ist das dein Ernst?«
Ich stieß einen Atemzug aus und lehnte mich entspannt auf meinem Stuhl zurück. »Es spielt keine Rolle. Was eine Rolle spielt, ist ein Mann namens Lou Milner.«
»Wer ist Lou Milner?«, fragten sie wie aus einem Mund.
»Jemand, den ich auszahlen und zugrunde richten muss.«
Hamiltons Mundwinkel zuckten in die Höhe, und ein aufgeregter Ausdruck trat in seine Augen. Der Hai witterte Blut. »Was können wir tun?«
»Ihn bezahlen und ihn dann mit rechtlichen Mitteln begraben.«
Bei diesen Worten merkte Rhys sichtlich auf, erpicht auf eine Herausforderung. »Wer ist er, dass ich ihn bluten lassen darf?«
»Ophelias Stiefvater. Er hat sie bedroht, also werde ich ihm den Garaus machen. Die Mutter ist ebenfalls ein Miststück, aber er steht im Fokus.«
»Wird das nicht ein weiteres schlechtes Licht auf deine zukünftige Braut werfen?«, fragte Rhys.
Ich schüttelte den Kopf. »Nicht wenn er dafür verhaftet wird, dass er seine Stieftochter erpresst hat. Stellt ihn als Monster dar.«
Rhys zog eine Braue hoch. »Und dich als ihren Ritter in schimmernder Rüstung?«
Ich nickte. »Es wird helfen, die öffentliche Meinung zu beschwichtigen.«
»Und warum interessiert uns das noch mal?«, fragte Hamilton mit einem Stöhnen.
»Weil Götter nur Macht haben, wenn ihre Untertanen ihnen Tribut zollen«, sagte ich.
»Selbst wenn wir alle schlechte Presse bekämen, würde das kaum Auswirkungen auf die Firma haben«, wandte Hamilton ein.
»Stimmt, aber ich werde auf keinen Fall zulassen, dass der Name de Loughrey genauso in Misskredit gerät wie andere. Namen, die allen bekannt sind, die aber von der Bildfläche verschwunden sind.« Es war ein weit verbreitetes Problem bei jenen, die im Industriezeitalter zu Macht aufgestiegen waren - binnen drei Generationen vom Blaumann zum Smoking.
»Weil sie ihren Reichtum missbraucht haben«, gab Rhys zu bedenken.
Hamilton nickte zustimmend. »Wir wachsen und entwickeln uns ständig weiter. Ein kleiner Makel kann dem nichts anhaben. Wie man am Beispiel von Genevieve sehen kann.«
»Sie ist die Ausnahme«, bemerkte ich. »Sie hat es im Laufe der Jahre so weit getrieben, dass die einzige Möglichkeit, sie wirklich zur Vernunft zu bringen, darin besteht, ihr den Zugang zu ihrem Treuhandvermögen zu verweigern.«
»Ich führe den Stift, und du übst die Macht aus, Cousin.« Rhys grinste ein wenig zu breit für meinen Geschmack, obwohl ich seine Begeisterung durchaus teilte. »Sag einfach, was passieren soll, und es wird geschehen.«
Ich lehnte mich zurück. »Lass Vater sich fürs Erste um Genevieve kümmern. Ich muss mich jetzt darauf konzentrieren, meinen zukünftigen Stiefschwiegervater unschädlich zu machen.«
»Dann werden wir dich allein lassen, damit du dich damit in...