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Brandenburg 1432: Die Familie der Brauerstochter Jonata lebt in Angst und Schrecken. Immer wieder überfallen böhmische Kämpfer die Dörfer und Städte und töten und brennen nieder, was ihnen in die Quere kommt. Auch Jonatas geliebter Cousin fällt den marodierenden Hussiten zum Opfer, und ihre Furcht verwandelt sich in Hass. Als es bei Müllrose zum Kampf kommt und einer der berüchtigten Krieger verletzt wird, muss die junge Frau sich entscheiden: Wird sie den Feind sterben lassen? Oder setzt sie ein Zeichen für die Menschlichkeit inmitten des Kriegs und rettet sein Leben?
Auf den Märkten, auf die er mit Beil und Hauklotz zog, nannten sie ihn hinter verstohlener Hand den Hussiten.
Ein wenig stolz war er auf diesen Namen, auch wenn er als Schimpfwort gemeint war. Mancher schimpfte ihn obendrein einen Ketzer oder verfluchte ihn, er werde in den Feuern der Hölle brennen. Aber die Schimpfenden kauften trotzdem bei ihm, weil seine Wurst die würzigste war, weil kein Marktmeister bei ihm einen Fetzen finniges Fleisch fand und weil er beim Abwiegen kein Knausern kannte. Insgeheim mochten sie ihm sogar Recht geben: Er tat nicht mehr, als seine Meinung zu sagen, gegen die Deutschen, die Böhmen für sich allein wollten, wie gegen die Pfaffen, die Gott für sich allein wollten, und darin waren viele einig mit ihm.
Er selbst nannte sich keinen Hussiten, auch wenn er Jan Hus, der für den Glauben gestorben war, tief verehrte. Einen frommen Christenmenschen nannte er sich, einen Freund von Gottes Liebe und Wahrheit, und zur Vorstellung benutzte er seinen Taufnamen, den er gern mochte, weil sein Bruder ihn für ihn gewählt hatte.
Bedrich, sein Bruder, war kein Anhänger des Jan Hus. Ihn scherte weder die freie Kirche, in der ein tschechischer Mann sein Lied singen und den Kelch seines Herrn trinken durfte, noch das freie Böhmen, in dem ein tschechischer Mann dieselbe Würde besaß wie ein Deutscher. »Dafür bin ich zu alt«, sagte Bedrich, der zehn Jahre älter war als er, also kaum dreiunddreißig. »Ich will nicht im Feuer enden, vor dem Feuer ist mir mehr bange als vorm Tod.«
Manchmal musste er über Bedrich, der wie ein altes Weib wimmerte, den Kopf schütteln, aber er liebte ihn über alles. Mit seinem Vater war er nie ausgekommen und hatte mehr Schläge bezogen, als einem Jungen gut tat. Einen hässlichen Jungen prügelte jedermann lieber als einen hübschen, aber Bedrich gab nichts auf Hübschheit und nahm den hässlichen kleinen Bruder in Schutz. Als der Vater starb und Bedrich sein Erbe antrat, war es, als sei das Himmelreich auf Erden angebrochen.
Zwei Brüder waren sie, die sich ihr Leben einrichten konnten, wie es ihnen passte. Zwar schimpfte auch Bedrich ihn ein Raubein, das nicht zu bändigen war, aber er war zu gutherzig, ihm je ein Haar zu krümmen. Wenn ich einen Sohn habe, will ich ihn halten, wie Bedrich mich gehalten hat, dachte er. Milde und zärtlich, sodass der junge Baum Raum zum Wachsen hat. Schläge nur sparsam, ob er hübsch oder hässlich ist, damit er mir nicht verkümmert und nur in eine Richtung sprießt.
Bedrichs Liebe, so fand er, hatte einen Menschen aus ihm gemacht. Natürlich musste aus Liebe keine Verzärtelung werden wie bei dem schwarz gelockten Sohn der Nachbarn, gut gestellten Wollwebern, die schon die Tochter haltlos verwöhnt hatten. Den Buben riefen sie bei närrischen Kosenamen und küssten ihm das kleinste Weh von der Stirne. Wofür der hübsche Wollwebersohn nicht mehr als eine lächelnde Ermahnung erhielt, war er selbst verprügelt worden, doch die schlichte Liebe seines Bruders Bedrich hatte ihm gezeigt, dass er etwas wert war. Er hätte kein Hussit sein können, kein Streiter für die Liebe Gottes, hätte nicht Bedrich ihn auf seine stille Art gelehrt, was Liebe unter Menschen war.
Der Name, den Bedrich für ihn ausgewählt hatte, bedeutete Der von Gott Geschenkte.
Sie führten das herrlichste Leben. Knochenhauer, das war ein angesehener Beruf, er ernährte sie redlich, und die Arbeit teilten sie sich, wie es ihnen passte. Der behäbige Bedrich blieb im Haus, würzte die Wurst im Kessel und ließ feinen Talg aus, den ihm die Lichterzieher aus den Händen rissen. Auf seine Weise war Bedrich ein Künstler: Er tat alles mit Sorgfalt und Behutsamkeit.
Er selbst hingegen liebte das Reiten. Als Knochenhauer durften sie ein Pferd halten, auf dem ritt er über die Dörfer und kaufte Vieh. Auf seinen Blick für Fleisch war er stolz; an den Tieren, die er auf die Wursthöfe trieb, fand kein Beschauer einen Mangel. Er bezahlte den Kuttler, der sie ihm ausnahm, und brachte die Batzen heim zu Bedrich. Was der daraus machte, trug er auf Märkte, wo das Volk vor seinem Scharren Schlange stand. Auch heute wieder. Obwohl jetzt viele Leute aus Furcht vor einem Krieg ihr Geld zusammenhielten, hatte er alles verkauft, kaum dass Mittag vorüber war.
Das Mädchen mit den braunen Zöpfen hatte schon häufiger bei ihm gekauft. Heute kam sie als Letzte und blickte dreist zu ihm auf. »Mein Vater sagt, ich soll nicht beim Hussiten kaufen«, sagte sie.
»Und warum tust du's dann, wenn dein Vater das sagt?«
Sie lachte. »Was meinst du denn? Etwa, weil du so ein ansehnlicher Bursche bist?«
Ihr Spott ließ ihn zusammenzucken. Er wusste ja, dass er kein Mann war, der Frauen gefiel, aber sie war selbst keine Schönheit, und er besaß immerhin ein Auskommen. Mit Mädchen war er schüchtern, doch letzthin hatte er begonnen, von einer Frau im Haus zu träumen. Die Braune hatte für ihres Vaters Nachtmahl bei ihm eingekauft, und er hatte sich vorgestellt, wie sie für ihn und Bedrich ein Nachtmahl zubereitete: Knödel, Speck und Kraut an Werktagen, Kuttelsuppe und für den Sonntag eine Svícka, eine Lendenschnitte mit geschmortem Obst.
Kinder hätte er auch gern gehabt, einen Buben, der das Gewerbe weiterführte, aber beleidigen ließ er sich nicht. Er beachtete sie nicht länger, sondern machte sich daran, seine Waage in ihre Teile zu zerlegen.
»Hab ich dich gekränkt?«, fragte das Mädchen.
Er schüttelte den Kopf, weil sich auf einmal kein Wort mehr aus seiner Kehle zwängen ließ.
»Kränken wollt' ich dich nicht«, sagte sie. »Dass die Leute hier sagen, du bist ein Hussit, weißt du ja selbst, oder nicht?«
»Das kränkt mich nicht«, rief er. »Ist es etwa falsch, dass wir in unserer Kirche tschechisch singen wollen und das Blut Jesu, das für uns vergossen ist, nicht allein den Priestern lassen?«
»Das soll mich nicht kratzen«, sagte sie. »Nur wenn du ein richtiger Hussit wärst, dann käm ich nicht mehr zu dir.«
»Weshalb glaubst du, ich bin kein richtiger Hussit?«
»Ganz einfach, weil du hier auf dem Markt dein Fleisch verkaufst, statt ehrbare Ratsherren aus Fenstern zu stoßen«, sagte sie. »Du rennst nicht mit Spieß und Speer dem einäugigen Teufel hinterher, diesem Zizka, der das Land ins Unglück reißt.«
Er setzte zur Antwort an, hielt dann aber inne und überlegte. Eigentlich hätte er ihr erklären müssen, dass Jan Zizka kein Teufel war, sondern ein Heerführer, der seinen Glaubensbrüdern half, sich ihrer Haut zu wehren. Dass er die Herren aus dem Fenster des Neustädter Rathauses hatte stoßen lassen, war nur geschehen, weil diese einen Prediger gesteinigt hatten, und dass jetzt viele einen Krieg fürchteten - wer hatte sich das denn zuzuschreiben?
Sigismund, König Wenzels Bruder, hatte Jan Hus freies Geleit versprochen, wenn er auf dem Konzil in Konstanz predigte. Und was war in Wahrheit geschehen? Hus war in den Kerker geworfen und verbrannt worden! Nun war Wenzel tot, und Sigismund wollte König in Böhmen sein - wie konnte er glauben, dass die, die Hus geliebt hatten, seinem Mörder als ihrem Herrn huldigten? Da und dort war es zu Scharmützeln gekommen, doch dass aus berechtigter Empörung ein Krieg zu erwachsen drohte, war allein die Schuld von Papst Martin, der den Kampf gegen die Lehre des Jan Hus zum Kreuzzug erklärt hatte.
Erschrocken duckte er den Kopf, als hätte er Schläge zu erwarten. Hatte er in seinen Gedanken wirklich den Papst beschuldigt? Tief in ihm war der Glaube verwurzelt, der Stellvertreter Gottes sei unfehlbar, obgleich Hus gelehrt hatte, dass in der Heiligen Schrift nichts von Stellvertretern stand. War das der Grund dafür, dass er noch immer hier im Süden hockte, statt nach Prag zu gehen, wo die Spitzen der Bewegung predigten? Verkaufte er deshalb Fleisch, statt zu den Waffen zu greifen und dem Ruf des kühnen Zizka zu folgen?
Es war nicht so, dass er sich aufs Kämpfen nicht verstanden hätte. Seinen Waffendienst für die Zunft hatte er gewissenhaft abgeleistet und sich dabei sogar bewährt, denn als Knochenhauer saß ihm das Gespür für den Schwung einer Klinge im Gelenk. Blieb er den Kämpfen seiner Glaubensbrüder also fern, weil er von deren Wahrheit nicht bis ins Herz überzeugt war?
Nein, erkannte er und sah das Mädchen wieder an. Ich bleibe hier, weil dies mein Leben ist: mein Dorf, meine Werkstatt, mein Bruder Bedrich und unser Heim voller Wärme. »Ich bin ein richtiger Hussit«, sagte er stolz zu der Braunhaarigen. »Ein Streiter Gottes kann man auch sein, ohne eine Waffe zu erheben.«
Das Mädchen lachte wieder, aber ihm kam es nicht mehr vor, als verhöhne sie ihn. »Ich weiß doch, dass du kein Haudegen bist«, sagte sie. »Deshalb kauf ich ja bei dir, was immer der Vater vor sich hin murrt. Jetzt gib mir ein schönes Stück Schinken für mein Kraut, willst du? Und eine Brühwurst für die Suppe.«
Er wies auf die leere Theke, dann auf die Fleischerhaken an der Stange. »Siehst du hier noch Schinken? Noch einen Zipfel Wurst? Wenn du bei mir kaufen willst, musst du früher aufstehen.«
»Dich hat wohl niemand gelehrt, wie man sich mit einem Mädchen beträgt«, rief sie.
»Nein«, gab er zu, und wirklich, wer hätte es ihn lehren sollen? Bedrich verstand sich nicht auf Frauen, und der Vater hatte ihn gar nichts gelehrt.
»Man sagt einem Mädchen nicht Nein.« Ihr Lächeln traf ihn, als breche die Sonne durch die Wolken. Sie hatte grobe Züge, und ihre Haut war nicht rein, aber ihr Lächeln machte sie hübsch.
Er ging an sein Bündel und zog die Wurst heraus, die er sich als Wegzehrung aufgehoben hatte, armdick, mit reichlich Blut und...
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