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Stanjel - Kobdilj - Lipa
Zumindest war es zu Max Fabianis Zeiten so. Der im heutigen Kobdilj geborene Architekt und Mitarbeiter Otto Wagners gilt als ein Gründervater der Wiener Moderne.
Man kennt sich. Theodor Körner, der Bundespräsident und »rote Kaiser«, hatte im Ersten Weltkrieg als Generalstabschef des VII. Armeekorps das Verteidigungssystem an der Isonzofront geplant. Den Wiederaufbau der dort zerstörten Gebiete leitete dann Max Fabiani. Der Gesprächsstoff geht den rüstigen Greisen also bestimmt nicht aus, als sie sich 1952 anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Wien an den Architekten Fabiani im privaten Rahmen treffen. Aber entgegen der Erwartung des etwas jüngeren Bundespräsidenten schwelgt Fabiani - mit seinem weißen Spitzbart ähnelt er ein bisschen dem alten Sigmund Freud - keineswegs nostalgisch in Erinnerungen. Der frischgebackene Doctor honoris causa steckt voller Tatendrang! Seinen Malakka-Rohrstock mit verziertem Knauf scheint Fabiani nicht wirklich als Gehhilfe zu benötigen. Aus der Tasche ein Notizbuch sowie einen Stift hervorziehend, wirbelt er ihn wie ein Jungspund effektvoll durch die Luft, während er Theodor Körner erklärt, was man jetzt in Wien alles neu machen müsse - im Nullkommanix wirft er einen Plan für die städtebauliche Entwicklung der Hauptstadt auf das Papier: Die Stadtbahn sei auszubauen, in der Nähe der Bahnhöfe und am Ring sollten Wolkenkratzer mit billigen Wohnungen hochgezogen werden. Außerdem - Wien ist noch von den vier alliierten Siegermächten besetzt - rät Fabiani dem Bundespräsidenten, an die Errichtung eines effizienten Raketenverteidigungssystems zu denken. Das Staatsoberhaupt, der Antimilitarist, so stelle ich es mir vor, zuckt zusammen: Raketen! Und dann Hochhäuser vor dem Burgtheater! Bei aller Freundschaft, auch einem Genie geht manchmal ein Wurf daneben, mag der verdutzte alte Herr gedacht haben.
Der österreichisch-italienisch-slowenische Architekt Max Fabiani arbeitete in jungen Jahren im Atelier Otto Wagners mit, wo er am Bau der Wiener Stadtbahn beteiligt war. Später wirkte er in seiner Heimat am Karst.
Geboren wurde Fabiani 1865 in Kobdilj im slowenischen Karst, dort verbrachte er die meiste Zeit seines Lebens, und dort wurde er schließlich in der Familiengruft beigesetzt. Seine Mutter entstammte einer Adelsfamilie aus Triest mit Tiroler Wurzeln. Im Haus Fabiani wurde Deutsch, Italienisch und Slowenisch gesprochen. Nach der Volksschule besuchte Max in Laibach die Oberschule, zum Studieren ging er nach Wien, wo er an der Technischen Hochschule von Karl König unterrichtet wurde, dem Erbauer des Palais Herberstein im 1. Bezirk. Nach einer dreijährigen Bildungsreise, die ihn unter anderem nach Italien und Griechenland führte, wurde Fabiani Mitarbeiter von Otto Wagner. Es folgten große Aufträge in Wien, etwa die Urania am Donaukanal, außerdem in Ljubljana, Triest und anderen Städten der Monarchie. Auch in den Dörfern im Karst hat der Architekt unermüdlich Projekte verwirklicht. Dort will ich mich auf die Spurensuche begeben.
Vor der Tankstelle an der Durchzugsstraße unterhalb von Stanjel sitzen, die ledernen Arbeitshandschuhe neben sich auf einem leeren Stuhl abgelegt, in der Hand einen G'spritzten, zwei verschwitzte Gemeindemitarbeiter in greller Schutzkleidung und blicken den wenigen vorbeifahrenden Autos nach. Richtung Dorf, das auf einem Hügel liegt, sticht ein Gebäude mit einem wie angeklebt wirkenden runden Turm hervor. »Wir sagen hier Mussolini-Haus dazu«, erklärt der ältere der beiden Männer, nachdem er sein Glas mit zwei großen Schlucken geleert hat, auf den Turm zeigend. »Dort war ja der Parteisitz der Faschisten, der Plan ist von Max Fabiani«, ergänzt der Jüngere, er hat seinen G'spritzten ebenfalls zügig getrunken und zündet sich nun eine Zigarette an. In den 1920er- und 1930er-Jahren, als in der Region die italienischen Faschisten herrschten, war Fabiani Bürgermeister von Stanjel.
Hinter dem nur teilweise restaurierten Schloss in der Dorfmitte habe ich ein Zimmer gemietet. Mit ihren Händen Zeichen gebend, lotst mich die Vermieterin im Auto durch das Stadttor. Ich passiere es mit angehaltenem Atem, zwischen die eingeklappten Seitenspiegel und den steinernen Torrahmen passt nämlich kein Blatt Papier. Dahinter winden sich die von grauen Steinhäusern gesäumten Gassen spiralförmig nach oben. Auf der Hügelkuppe, wo noch Reste der Stadtmauer stehen, befindet sich das Häuschen, in dem ich die Nacht verbringen werde. Die flachen Kalksteine, mit denen das Dach bedeckt wurde, wiegen vermutlich Tonnen. Hoffentlich wusste der Erbauer, warum er für die Last über meinem Kopf nicht dickere Balken ausgewählt hat, sinniere ich, als ich auf dem Bett erschöpft alle viere von mir strecke. Vor dem geöffneten Fenster sägen Zikaden. Der Blick schweift über silbrig schimmernde Steindächer.
Am nächsten Morgen stapfe ich über schief getretene Steintreppen hinunter zum Schloss. Etliche Häuser, an denen ich vorbeikomme, sind unbewohnt und fallen langsam auseinander. Vor jedem Gebäude gibt es eine runde Zisterne, in die früher über steinerne Rinnen das auf dem Dach aufgefangene Regenwasser geleitet wurde. Wegen der Korrosion des Gesteins fließt im Karst an der Oberfläche kein Wasser, es sucht sich einen unterirdischen Weg, daher war man hier bis zur Errichtung moderner Wasserleitungen auf das gesammelte Regenwasser angewiesen, jeder Tropfen war kostbar.
Auch vor dem Schloss steht eine Zisterne mit dem Wappen der Cobenzl, über Jahrhunderte die Herren von Stanjel. Im Ersten Weltkrieg wurde das Bauwerk von den Österreichern als Kaserne genutzt, im Zweiten Weltkrieg erlitt es große Schäden. In seiner Zeit als Bürgermeister richtete Fabiani im Schloss eine Bücherei ein, es gab auch eine Arztpraxis und einen Saal für Tanzabende, Kino- und Theatervorführungen. Heute sind im restaurierten Flügel ein Restaurant mit Café sowie das Tourismusbüro untergebracht, andere Gebäudeteile dämmern mit blinden Fensterhöhlen vor sich hin.
Um 10 Uhr bin ich mit der Leiterin des örtlichen Tourismusbüros verabredet. Weil noch etwas Zeit ist, trinke ich, mein Gesicht in die Morgensonne haltend, im geschotterten Innenhof des Cafés einen Cappuccino - am Nebentisch eine Gruppe Radfahrer, die ihre Vehikel vor der gegenüberliegenden Kirche des heiligen Daniel zusammengehängt haben.
Blick auf das Schloss Stanjel, wo Max Fabiani als Bürgermeister residierte
Die Leiterin des Tourismusbüros versicherte per E-Mail, mir in Stanjel, wenn ich zu Besuch käme, »alles zu zeigen«. Jetzt klaubt sie in der Ablage neben den Regalen, wo lokale Erzeuger Marmeladen und Trockenobst anbieten, zwei oder drei vergilbte Prospekte zusammen und drückt sie mir mit den Worten in die Hand: »Damit können Sie sich alles selbst anschauen.« Die Dame scheint es eilig zu haben. Als ich das Büro vorhin pünktlich betrat, war niemand da. Nach etwa zehn Minuten kam die Chefin angerannt - dieselbe Frau, die ich vorhin im Café mit dem Kellner herumturteln sah. Kaum hat sie mich hinauskomplimentiert, rennt sie erneut - es gibt eben Prioritäten - ins Café hinüber.
Zu meinem Glück hat eine Gruppe italienischer Blogger um halb zwölf eine geführte Besichtigung der Villa Ferrari gebucht, der wichtigsten Sehenswürdigkeit im Dorf. Barbara Jeicic, die Touristenführerin, hat nichts dagegen, dass ich mich dranhänge. Fabiani habe die Villa in seiner Zeit als Bürgermeister für seinen Schwager, den Arzt Enrico Ferrari aus Triest, umgebaut, erzählt Jeicic. Sie studierte in der Hafenstadt Übersetzen und Dolmetschen, jetzt lebt sie wieder im Heimatdorf Stanjel. Während wir, vorbei an einem algengrünen Teich, durch den mit künstlichen Grotten und Brunnen geschmückten Garten trotten, sucht Jeicic meinen Blickkontakt - ich bin ihr aufmerksamster Zuhörer. An meinem Akzent erkannte die Führerin sofort, dass ich kein waschechter Italiener bin. Als die anderen, die Köpfe über ihre Mobiltelefone gebeugt, immer mehr zurückfallen, zischt mir Jeicic erzürnt zu: »Die Italiener wollen, dass ich unser Dorf italienisch San Daniele nenne. Ich frage dann zurück, ob sie etwa für die Karstdörfer über Triest, wo im Gegensatz zu hier hauptsächlich Slowenen leben, den slowenischen Namen verwenden!« Noch immer, schimpft Jeicic, glaubten einige »Nostalgiker, dass Teile Sloweniens rechtmäßig zu Italien gehören!«.
Dass Max Fabiani vor einigen Jahren zum Ehrenbürger von Stanjel erklärt wurde, findet Barbara Jeicic eher problematisch. Ihre Großeltern seien von den Italienern als minderwertig behandelt worden, »das haben wir nicht vergessen«. Und Fabiani habe unter Mussolini für die Italiener gearbeitet! Barbara Jeicic ist jedoch für die Meinungsvielfalt....
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