Schweitzer Fachinformationen
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Per Fahrrad auf der ehemaligen Parenzana-Bahnstrecke von Triest nach Porec
Blaurot, mit dem gezackten Dreigestirn des Triglav, hängt die slowenische Flagge an Josko Joras' Haus bei Plovanija. Darunter verkünden schwarze Lettern: »Auch hier ist Slowenien!« Joras, ein stämmiger Endfünfziger mit ergrautem Stoppelbart, ist ein Sturschädel, der mich freundlich einlädt, vom Rad zu steigen und zu ihm hinauf auf seine Terrasse zu kommen. »Damit wir auf Augenhöhe miteinander sprechen können.« Und so sitze ich nun auf einem weiß gepolsterten Rattansessel und erfahre von Joras' Gefängnisstrafe: »Erst nach 17 Tagen Hungerstreik ließen sie mich wieder frei.« Der Grund: Bis heute weigert er sich anzuerkennen, dass sein Haus und seine Felder nach dem Zerfall Jugoslawiens auf kroatischem Staatsgebiet liegen - und nicht auf slowenischem, wie es in alten Verträgen festgelegt war. Joras beweist das anhand eines Stapels ausgebreiteter Dokumente, die zum Teil auf die Zeit Maria Theresias zurückgehen. Er hat sich an den Europäischen Gerichtshof gewandt. Dort wolle aber niemand seine Partei ergreifen. »Die halten es mit dem Recht des Stärkeren«, meint der Endfünfziger und zuckt mit den Schultern. Ans Aufgeben denkt er deshalb noch lange nicht, Josko Joras wird weiterkämpfen.
Es ist mein zweiter Tag auf der Parenzana, einem mit EU-Mitteln finanzierten Radweg auf der Trasse der ehemaligen Parenzaner Bahn zwischen Triest und Porec (italienisch Parenzo). 1902 wurde die Zugverbindung eröffnet, sie sollte das damals österreichische Istrien mit Wien verbinden, im Habsburgerreich waren istrisches Öl und Wein begehrte Handelsgüter. 1935 schlossen die Italiener, die neuen Herren über Istrien, die Parenzaner Bahn schon wieder - mit dem aufkommenden Autoverkehr konnte die langsame Schmalspurbahn nicht mehr konkurrieren.
Das alte Bahnhofsgebäude in Porec
Am Vortag startete ich mit dem Fahrrad vom Bahnhof Campo Marzio in Triest. Nachdem ich vielleicht zwei Kilometer an den im Dunst schwimmenden Gleisen hinter dem aufgelassenen Bahnhof vorbeiradelte, landete ich, weil nirgends eine Hinweistafel zu entdecken war, in einer Sackgasse in einem Vorort von Triest. Über meinem Kopf dröhnte der Autobahnverkehr, rundherum breiteten sich Industriegebäude und riesige Öltanks aus. Eine Zeit lang kurvte ich noch im Slalom um die stinkenden Stahlungetüme herum. Weil nirgends ein Radweg zu entdecken war, rief ich Alen Augustin an.
»Ich bin ein Meister im Improvisieren«, grinste mein Retter, während er mich und mein Rad in einem blauen Lieferwagen ins slowenische Koper chauffierte. Alen Augustin, ein trainierter Typ mit Raspelfrisur, wuchs in Holland auf, 2001 kehrte er als Outdoor-Guide in seine kroatische Heimat zurück. Seinen schweigsamen Gehilfen Ilija stellte Alen mit den Worten vor: »Er ist Serbe, also gefährlich.« Was ein Witz sein sollte, hat einen ernsten Hintergrund: Auch wenn der Kroatien-Krieg von 1991 bis 1995 Istrien verschonte, hat er das Klima zwischen Serben und Kroaten vergiftet. Bevor das gegenseitige Morden losging, wohnte man oft Tür an Tür. Zwar herrscht heute längst Friede, aber der Hass gärt unter der Oberfläche weiter. Nicht so bei Alen und Ilija. Letzterer wird mit dem Auto weiterfahren, während mich Alen auf dem Rad begleitet. In Koper beginnt der gemütliche Teil des Radweges auf der ehemaligen Bahntrasse. Gemächlich pedalieren wir los. Vom Autoverkehr durch Oleander und Ginsterbüsche halbwegs abgeschirmt, zieht sich die erhöhte Radtrasse zwischen Meer und Straße Richtung Süden. Auf der brettebenen, geteerten Piste rollen unsere Trekkingbikes fast von alleine, die Bora, ein böiger Fallwind aus dem Karst, schiebt von hinten. Am Felsufer sitzen Angler, weit draußen pflügt ein Kreuzfahrtriese einen weißen Strich in die Adria. Entgegen kommt uns ein buntes Völkchen aus Skatern, Müttern mit Kinderwägen sowie braun gebrannten Senioren, die, tief über die Lenkstangen ihrer Rennräder gebeugt, ihr Tagespensum abspulen.
Der Radweg führt an den Salinen von Secovlje vorbei. Auf dem über 500 Hektar umfassenden Gelände wird seit dem Mittelalter Salz gewonnen. Heute ist der größte Teil in einen Naturpark umgewandelt. Wie gebleichte Walknochen ragen die Ruinen von Arbeiterhäusern über den ehemaligen Salzbecken hervor, daneben staksen Seidenreiher durch das seichte Gewässer. Wir folgen mäandernden Wasserkanälen, in denen es träge gluckst. In Secovlje leben die Menschen in modernen Einfamilienhäusern oder auf kleinen Bauernhöfen. Durch geöffnete Türen blicken wir auf Familien, die um den Küchentisch versammelt sind. Unter einem Scheunenvordach fläzt ein Kerl in einem ausgebauten Autosessel und blickt den vorbeiziehenden Radtouristen nach.
Bisher ging es über glatten, tellerflachen Asphalt. Nun rumpeln wir in weiten Schleifen über einen steinigen Weg bergan, die Reifen der Trekkingräder wühlen sich knirschend durch den Schotter. Es ist später Nachmittag, die Sonne spiegelt sich über der Bucht von Piran, die Macchia und die Weingärten ringsum leuchten honigfarben. Der Boden strahlt nun die tagsüber gespeicherte Wärme ab. Zum Glück beträgt die Steigung nie mehr als fünf Prozent, das ist leicht zu schaffen. Die Parenzana habe viel zur Entwicklung des isolierten Hinterlandes beigetragen, meint Alen und singt ein Loblied auf die Österreicher, die einst die Trasse klug anlegten. Kurz hinter der slowenisch-kroatischen Grenze überholen uns zwei schwer bepackte Langstreckenradler. Auch sie wollen die ganze Parenzana abstrampeln. »Aus Triest fanden wir mithilfe eines Kompasses heraus«, erzählen die beiden amüsiert, ein junges Paar aus Dresden. Alen und ich haben nur einen leichten Tagesrucksack geschultert. Unser Gepäck wird von Ilija zum Etappenziel Buje transportiert.
Über eine ehemalige Brücke auf der aufgelassenen Bahntrasse der Parenzana
Alen Augustin betreibt eine Pension in einem ehemaligen Bauernhaus mit Blick auf die auf einem Hügel gelegene Kleinstadt Buje. Alen, der die »Casa Romantica« von einem Österreicher übernommen hat, weiß, was das Herz müder Radfahrer erfreut: gutes, reichliches Essen und, falls notwendig, einen Ersatzschlauch. Er tischt regionale Spezialitäten auf, Speck (Panceta) und hausgemachte Nudeln mit Wildspargelspitzen. Auf umgedrehten Kisten am Straßenrand sitzend, bieten Bäuerinnen die Spargel in Bündeln an, der Hausherr empfiehlt dazu einen strohgelben Muskateller vom Nachbarbauern. Alens Pension ist voller Österreicher in Radfahrermontur, die meisten sitzen noch spätabends bei einem Glas Treberbranntwein im Garten. In der Ferne schreit ein Esel, in den Bäumen über unseren Köpfen sägen Zikaden. Die Altstadt Bujes wirkt halb verlassen. Entlang buckliger Gassen bröckeln schmale turmähnliche Steinhäuser vor sich hin, einige mit zerschlagenen Fensterscheiben, auf den Dächern wächst Unkraut. Auf dem mit dunkelgrauen Steinplatten bedeckten Platz vor der Pfarrkirche spielt eine Mädchengruppe Fußball. Eine Bank auf der einen Seite sowie der Sockel eines Fahnenmastes mit steinernem Markuslöwen auf der anderen dienen als Tore. Oft sprintet eine Spielerin eine Gasse hinunter, dem Ball hinterher - es gibt wenige ebene Plätze in Buje. Ein alter Mann mit Schiebermütze erklärt mir auf Italienisch, dass die vielen leeren Häuser rundherum »Esuli« gehört hätten, nach dem Zweiten Weltkrieg vertriebenen Italienern. »Und dort, wo die Schuhe vor der Eingangstür aufgereiht sind, leben heute bosnische oder albanische Muslime.«
Groznjan mit seinen ineinander verschachtelten Steinhäusern ist ein Juwel, dabei wäre es beinahe ausgestorben. Seine Wiederbelebung verdankt das Städtchen auf der Spitze eines Hügels der Initiative eines Bildhauers, der in den 60er-Jahren durchsetzte, dass Künstlerkollegen die verlassenen Gebäude unentgeltlich bewohnen durften - und sie im Gegenzug vor dem Verfall retteten. Heute verkaufen hier Kunsthandwerker ihre Waren. Touristenkolonnen quetschen sich durch die engen Gassen.
Ruhiger ist es in Zavrsje - oder Piemonte d'Istria, wie der italienische Name lautet. Hier schwebt der Rauch von Holzfeuern zwischen den Ruinen, und alte Frauen in zerschlissenen Kleidern beugen sich über ihre Gemüsebeete. Mit mehreren Tunneln und Viadukten bildet die Etappe zwischen Groznjan und Livade den spektakulärsten Teil der Parenzana und hier zeigt sich, wie gut die Mitnahme eines Mountainbikes war. Zwar geht es die meiste Zeit bergab, aber der naturbelassene Boden ist voller faustgroßer Steine, schlammige Pfützen zwingen zu Ausweichmanövern. Im 146 Meter langen Tunnel Freski spendet eine neue Fotovoltaik-Anlage Licht - bis vor wenigen Jahren war es hier stockdunkel, Wasser tropfte von der Felsdecke: Hier schlug das wilde Herz der Parenzana. Bleibt nur zu wünschen, dass...
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