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Schweißperlen bildeten sich auf Niklas Zetterbergs Stirn, obwohl er einfach nur reglos dasaß und auf zwei nackte Füße starrte. Ein Kleid fiel herunter, ein anderes wurde hochgezogen. Dieser Vorgang wiederholte sich mittlerweile bestimmt zum fünften Mal. Im nächsten Moment wurde der Vorhang aufgezogen, er musste eine kurze Einschätzung abgeben, fing sich einen Blick ein, der zwischen Skepsis und Unverständnis schwankte, und ohne dass er sich überhaupt äußern konnte, verschwand Emma schon wieder hinter dem samtenen roten Stoff.
Die kleine Vintage-Boutique besaß keine Klimaanlage, nicht einmal einen Ventilator, der für etwas Abkühlung gesorgt hätte. Die wenigsten Geschäfte waren auf diese Hitzewelle vorbereitet, die Skåne seit mehr als zwei Wochen fest im Griff hielt. Temperaturen jenseits der dreißig Grad und achtzehn Stunden lang strahlend blauer Himmel am Tag. Ein Jahrhundertsommer, wie »Expressen« und »Aftonbladet« nicht müde wurden zu titeln. Für die meisten Schwedinnen und Schweden gerade noch rechtzeitig, ehe die langen Ferien in einer Woche endeten.
Niklas war allerdings genau wie Emma seit einigen Tagen wieder im Dienst. Auch wenn sich der Büroalltag längst noch nicht wieder als solcher anfühlte und ihre Gedanken immer wieder abschweiften. Die Bilder und Erlebnisse ihres gemeinsamen Roadtrips durch Kalifornien waren präsenter als die wenig spannenden Akten von unspektakulären Überfällen und Einbrüchen. Viel lieber dachte Niklas zurück an San Francisco und den Pacific Highway, an Buckelwale und Orcas vor Santa Barbara und an die grandiose Landschaft im Yosemite National Park.
Niklas hatte sich einen Lebenstraum erfüllt und ihn gemeinsam mit Emma erlebt. Nicht mit Pernille, seiner langjährigen Lebensgefährtin, mit der er die Reise mal vor vielen Jahren geplant hatte. Damals war noch alles in Ordnung zwischen ihnen gewesen. Er hatte nie daran gezweifelt, Pernille eines Tages zu heiraten. Ihre Beziehung hatte den normalen Gang genommen. Nicht mehr so verliebt wie in der Anfangszeit, aber alles harmonisch und ohne irgendein Anzeichen dafür, dass er an ihr zweifeln sollte.
Doch irgendwann war etwas passiert, das sich Niklas bis heute nicht erklären konnte. Pernille hatte sich binnen weniger Monate stark verändert. Depressive Schübe und Panikattacken, die schon als Jugendliche bei ihr diagnostiziert worden waren, waren mit großer Wucht zurückgekommen und hatten sich immer mehr zu einer ernsthaften Bedrohung für ihre Beziehung entwickelt. Dazu kamen ihr stetig ausufernder Alkoholkonsum und eine immer problematischere Eifersucht, die so weit ging, dass sie ihm sogar während des Dienstes nachstellte. Innerhalb von nicht einmal zwei Jahren war alles, was sie miteinander verbunden hatte, kaputtgegangen.
Irgendwann hatte Niklas den Mut gefunden, die Reißleine zu ziehen und sie zu verlassen. Was allerdings alles noch viel schlimmer gemacht hatte, denn von dem Tag an waren bei Pernille endgültig alle Sicherungen durchgebrannt. Sie hatte betrunkenen Kopfes bei ihm im Vorgarten gestanden und von ihm verlangt, sie sofort in sein Haus zu lassen. Ein anderes Mal war sie auf seine Motorhaube gestiegen, als er sein Grundstück verlassen wollte, und schließlich sogar mit einem Messer auf ihn losgegangen. Und beinahe täglich hatte sie ihn mit Textnachrichten voller übler Beschimpfungen einerseits und hilflosem Flehen, dass sie ohne ihn nicht leben könne, andererseits vollgespammt.
All dies war nicht spurlos an Niklas vorbeigegangen. Pernille hatte sich in seinem Kopf festgesetzt. Ihr Konterfei war ihm auf einmal in den unpassendsten Momenten erschienen. Manchmal hatte er ihr Gesicht nur für wenige Sekunden gesehen, aber er hatte auch Visionen gehabt, in denen sie in sein Haus eingedrungen war, um auf ihn loszugehen. Sie hatte ernsthaft versucht, ihn zu töten. Dazu kamen noch die Alpträume, die ihn manchmal wochenlang begleitet hatten.
In der Zwischenzeit war es besser geworden. Pernille hatte sich in eine Entzugsklinik begeben, und seitdem hatte Ruhe geherrscht. Keine Anrufe mehr, keine Nachrichten, kein plötzliches Auftauchen vor seinem Haus. Je mehr Zeit vergangen war, desto seltener war sie in Tag- oder Nachtträumen erschienen. Nicht einmal während ihres letzten Einsatzes in Österlen, der ihn nicht nur wegen der Ermittlungen, sondern vor allem auch aufgrund des dramatischen Todes seines Vaters und der schockierenden Beichte seiner Mutter, vor sechzehn Jahren ein Kind überfahren und es bis heute verheimlicht zu haben, an seine Belastungsgrenze gebracht hatte.
Bis zum vergangenen Donnerstag.
Fünf Tage waren mittlerweile vergangen, seit er Pernille völlig unvermittelt über den Weg gelaufen war. Auf dem Weg ins Präsidium war sie ihm mit zwei Einkaufstüten in den Händen entgegengekommen. Im letzten Moment, bevor sie ihn bemerkt hätte, war er ihr ausgewichen und hinter einem parkenden Auto verschwunden. Er hatte dort ausgeharrt, bis er sich sicher gewesen war, dass sie ihn nicht gesehen hatte. Es hatte nicht lange gedauert, bis die Bilder des vergangenen Jahres wieder präsent gewesen waren, als sie völlig die Fassung verloren hatte.
Die wenigen Sekunden, in denen er sie beobachtet hatte, waren verstörend gewesen. Ihr Gesichtsausdruck war seltsam leer, ihr Blick starr, als würde sie ziellos durch die Straßen Malmös laufen. Sie hatte noch blasser und dünner gewirkt, als er sie in Erinnerung hatte. Ihre Kleidung und die gesamte Optik machten einen ungepflegten Eindruck. Von der attraktiven Frau, in die er sich vor langer Zeit verliebt hatte, war längst nichts mehr übrig.
»Ich nehme die ersten beiden Kleider, das hellblaue und das gelbe«, unterbrach Emma seine Gedanken. »Wenn du willst, kannst du schon bezahlen gehen.« Sie reichte ihm die beiden Kleidungsstücke durch den kleinen Schlitz zwischen Vorhang und Kabinenwand und warf ihm ein Lächeln zu, gepaart mit einem Zwinkern.
Seine Augen blieben einige Momente an ihrem braun gebrannten, fast nackten Körper hängen. Unter anderen Umständen hätte er nicht wenig Lust gehabt, zu ihr in die Kabine zu schlüpfen, aber die Hitze und die unschönen Gedanken an Pernille sorgten dafür, dass jede Lust im Keim erstickt wurde. Er nahm die beiden Kleider und bezahlte bei einer Frau in seinem Alter, die in überfreundlichem Ton immer wieder betonte, wie schön sie waren und wie unglaublich gut Emma darin aussah, als müsse sie ihn noch immer vom Kauf überzeugen. Niklas gelang es aber nicht, sich ein Lächeln abzuringen, er bedankte sich nur knapp und entschuldigte sich dann, dass er lieber draußen auf der Straße auf seine Freundin warten würde, wo es vielleicht etwas kühler war.
Er trat auf den Bürgersteig der Kärleksgatan und atmete tief durch. Die erhoffte Abkühlung wollte sich leider überhaupt nicht einstellen. Die Hitze hing wie eine Glocke über dem kleinen Stadtbezirk Davidshall südlich des Södra Förstadskanalen in nicht allzu weiter Entfernung der Altstadt, wo sich ein Second-Hand- und Vintage-Geschäft an das andere reihte. Das kleine Viertel war seit einiger Zeit bei jungen Menschen und vor allem auch bei Leuten seiner Generation äußerst beliebt. Emma fand hier jedes Mal einen neuen Lieblingsladen. Und zunehmend versuchte sie, auch ihn für die Mode vergangener Jahrzehnte zu begeistern, bislang allerdings ohne Erfolg. Nicht, dass ihm Mode egal war, aber er favorisierte es moderner und meistens schick.
Aktuell war ihm stimmungsmäßig allerdings eher nach Jogginghose und Schlabberpullover, nur die Temperaturen hatten ihn daran gehindert, dass er heute Morgen seine legeren Klamotten aus dem Kleiderschrank hervorgeholt hatte.
Das Handy in der hinteren Tasche seiner dunklen Chinohose vibrierte. Er wechselte die Tüte mit den Kleidern in die linke Hand und fingerte das Telefon mit der rechten hervor. Eine Nummer aus dem Präsidium.
Es war schon nach achtzehn Uhr, und eigentlich gab es aktuell nichts Dringliches. Also konnte das nur bedeuten, dass etwas passiert sein musste.
Gerade als er das Gespräch annahm und die Anruferin mit ernster Stimme ansetzte, erkannte er aus dem Augenwinkel eine dunkel gekleidete Gestalt, die sich ihm langsam auf dem Bürgersteig näherte.
»Es passt gerade nicht so richtig gut«, versuchte Niklas, die Kollegin aus der Einsatzzentrale des Präsidiums abzuwürgen. Er war abgelenkt durch diese Person. Und so wichtig würde es schon nicht sein, hoffte er.
»Eigentlich ist es ziemlich dringend«, sagte die Frau am anderen Ende der Leitung, die Niklas nur flüchtig kannte. »Es geht um diesen Hof bei Helsingborg, der vor zwei Tagen abgebrannt ist. Dort wurde eine Leiche gefunden, und es gibt offenbar Hinweise auf Fremdverschulden. Genaueres weiß ich aber auch nicht. Du sollst dich bei Larsson melden.«
Niklas verstand sofort, dass die ruhige Phase nach ihrem Urlaub in diesem Augenblick ein jähes Ende gefunden hatte. Wie aus dem Nichts öffnete sich die Tür zu einem neuen Fall. So war es eigentlich immer. Und auch jetzt spürte er sofort wieder das Adrenalin durch seinen Körper strömen. Zu ahnen, dass dies der Anfang einer nervenaufreibenden Ermittlung sein konnte, ließ augenblicklich sein Kopfkino starten.
Dennoch war etwas anders. Das eigentlich positiv-aufgeregte Gefühl wurde von einer unterschwelligen Nervosität verdrängt, die sich in ihm ausbreitete. Die fremde Person befand sich auf einmal nur noch eine Körperlänge von ihm entfernt. Trotz der Hitze trug sie einen Hoodie, dessen Kapuze tief ins Gesicht gezogen war.
Niklas trat einen Schritt zurück, damit der Unbekannte ihn nicht anrempelte. Aber dann verstand er, dass der das gar nicht vorhatte. Er blieb direkt vor ihm stehen und hob langsam den Kopf.
Es war kein Mann, der sich da vor ihm aufbaute. Es war...
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