Schweitzer Fachinformationen
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Die kühle Luft des Morgens hing wie ein zarter Schleier über der Seepromenade. Jule Hansens Füße trafen im Rhythmus von Kanye Wests Stronger auf den Asphalt, der bald von der Sonne aufgeheizt und von unzähligen Füßen bevölkert werden würde. In Flip-Flops. Birkenstocks. Und Trackingsandalen mit Tennissocken. Aber im Moment waren es nur Jule und ihre knallpinken Asics. Ihre Muskeln brannten. Die Lunge pumpte im steten Rhythmus ihres Atems Sauerstoff durch ihren Körper. Sie ließ die auf dem Wasser schaukelnden Boote des Segelvereins hinter sich und nickte einem älteren Paar zu, das seinen Hund Gassi führte.
Jule verlangsamte ihr Tempo nicht, als ihr Handy in der Tasche ihrer Laufshorts zu vibrieren begann. Sie lief am H'ugo's Beachclub vorbei und zwinkerte einem der Hausmeister zu, der vor dem Eingang fegte. »Hansen - Die gute Fee am See«, meldete sie sich einen Moment später, nachdem sie Kanye West mit einem Fingertippen auf ihr Headset den Saft abgedreht und den Anruf angenommen hatte.
»Jule«, tönte ihr Name in einem schweren chinesischen Akzent in ihr Ohr.
»Tian«, grüßte sie den persönlichen Assistenten eines chinesischen Industriellen, der zu ihren Stammkunden gehörte. »Sie rufen an, um mich nach den Karten für die Schwanensee-Premiere zu fragen.« Was unnötig war. Sie hatte den Wunsch des superreichen Asiaten problemlos erfüllen können und hätte Tian Liu die Reservierungen gemailt, sobald sie zu Hause gewesen wäre. Aber sie verstand, dass der junge Mann sichergehen wollte, dass alles funktionierte, bevor sein Boss einen Fuß in seinen Privatjet setzte.
»Das freut mich zu hören«, antwortete er mit seiner schweren, tiefen Stimme, die so gar nicht zu seinem Alter von Mitte zwanzig passen wollte. »Können Sie mir die Unterlagen mailen?«
»Sie finden sie in spätestens einer halben Stunde in Ihrem Postfach. Einen schönen Tag, Tian, und guten Flug nach München. Wenn ich noch etwas für Sie und Ihren Boss tun kann, lassen Sie es mich wissen.«
»Xièxiè«, sagte er und wiederholte seinen Dank dann auf Deutsch. Mit einem »Auch Ihnen einen schönen Tag«, beendete er das Gespräch.
»Dieser Tag ist jetzt schon perfekt«, murmelte Jule und ließ Kanye weiterrappen. Sie lief an den kleinen Bootshäusern vorbei, in denen die ortsansässigen Fischer Tret- und Elektroboote an Touristen verliehen. In einer dieser Hütten, die auf Stelzen über das Wasser gebaut worden waren, befand sich eine der coolsten Bars der Stadt.
Ihre Füße trugen sie weiter am Ufer des Starnberger Sees entlang. Das Wasser glitzerte silbern unter den frühen Sonnenstrahlen, und drei Entendamen glitten wild schnatternd über das Wasser. Jule grinste, als sie an ihnen vorbeilief. Ein bisschen wie Felicia, Lina und ich, dachte sie. Dann winkte sie Carlo zu. Der Barista, der den kleinen Caféstand an der Anlegestelle der Ausflugsschiffe hatte, trat mit einem Pappträger mit vier Kaffeebechern aus der Seitentür, als er sie entdeckte.
Jule wurde langsamer und blieb schließlich vor dem rundlichen, gut gelaunten Italiener stehen. »Ciao, Carlo.«
»Ciao, Bella. Eine kleine Stärkung für dich und deine Freunde«, sagte er und überreichte ihr die Kaffeebecher mit einem strahlenden Lächeln.
»Danke, Carlo. Du weißt, dass das nicht nötig ist«, antwortete sie, nahm den Kaffee aber entgegen. Weil der Barista sonst beleidigt wäre. Und weil sie seinen Cappuccino mindestens so sehr liebte wie den, den ihre Freundin Felicia zubereitete.
Carlo legte die Hand auf sein Herz. »Du hast mich gerettet, Bella. Ich werde für immer in deiner Schuld stehen. Dieser Tag wird wundervoll. Genieß ihn!«
»Das werde ich«, versprach Jule und verfiel in den leichten Trab, in dem sie immer das letzte Stück ihrer sieben Kilometer langen Joggingstrecke zum Auslaufen zurücklegte. Ein Tempo, bei dem sie keinen Tropfen Kaffee verschütten würde. »Dir auch einen schönen Tag. Mögen die Touristen in Massen an deinem Stand anstehen, bevor sie auf die Ausflugsschiffe strömen.« Sie winkte dem Barista über die Schulter zu und lief in Richtung der Unterführung, die unter den Bahngleisen hindurchführte. Carlo war ein Fan von ihr, seit sie vor ein paar Monaten die Siebträgermaschine in seiner Cafébar mit ein paar Handgriffen wieder zum Laufen bekommen hatte, nachdem diese ihren Dienst verweigert hatte. Seitdem hatte sie bei Carlo ein lebenslanges, kostenloses Koffein-Abo.
»Hey, Jule«, riss sie eine Stimme aus ihren Gedanken. Peter Hummel stand vor seinem Laden Blütenpracht und winkte sie zu sich herüber.
»Peter.« Jule machte einen kleinen Schlenker in seine Richtung und überquerte die Straße. »Wie geht es dir?«, fragte sie. »Und dem Drucker?« Vor ein paar Tagen hatte er gestreikt, als Jule gerade eine Bestellung im Laden abgeholt hatte. Es war nicht weiter schwierig gewesen, ihn neu einzurichten. Sie hatte die Rechnung schließlich gebraucht. Und ja, okay, sie konnte an keinem kaputten Gegenstand vorbeigehen, ohne nicht wenigstens zu versuchen, ihn zu reparieren.
»Schnurrt wie ein Kätzchen«, bestätigte Peter, dass er die Einstellungen nicht wieder völlig durcheinandergebracht hatte. Er zog eine leuchtend gelbe Gerbera aus einem Eimer neben der Tür und reichte sie ihr mit einer angedeuteten Verbeugung. »Ich wollte dir nur schnell einen schönen Tag wünschen.«
»Danke.« Jule joggte auf der Stelle und nahm die Blume entgegen, die sie an die viktorianische Blumensprache erinnerte, die eine große Rolle in der Liebesgeschichte ihrer Freunde Felicia und Ben gespielt hatte. Eine Gerbera - die erste Blume, die Ben seinem Herzblatt geschenkt hatte - stand für Freundschaft und dafür, dass mit den Menschen um einen herum alles schöner wurde. Genau dafür stand ihr neues Zuhause, die alte Schule am See, in das sie vor ein paar Wochen eingezogen war. Und dafür standen ihre neuen Nachbarn, die längst zu Freunden geworden waren. Peter hatte also instinktiv die richtige Blüte ausgesucht. »Ich muss weiter, bevor der Kaffee kalt wird«, entschuldigte sie sich bei dem Blumenhändler. »Ich melde mich diese Woche noch bei dir wegen ein paar extravaganter Sträuße, die eine meiner Kundinnen für ihr Haus haben möchte.«
Jule legte das letzte Stück zurück und schob dann mit einer Hand eine Seite des schmiedeeisernen Tores auf, das zu der alten Villa im Knittl-Stil führte, die jahrzehntelang eine Schule beherbergt hatte - und seit Kurzem Jules Wohnung und Büro. Lange Zeit hatte am linken Torflügel nur das Schild gehangen, das auf die Küchennachhilfe, Felicias Kochschule, hingewiesen hatte. Inzwischen war darunter eine Tafel mit der Aufschrift Ben Lindner - Landschaftsarchitekt angebracht und daneben das Schild von Linas Nanny-Service und ihr eigenes Logo der Guten Fee am See. Denn genau das war ihr Job als Privat-Concierge: Wünsche erfüllen. Am liebsten solche, die unmöglich schienen. Denn was wäre das Leben ohne Herausforderungen?
Jule trabte um das Haus herum auf die kleine Terrasse, die hinter der Hausmeisterwohnung lag, in der Felicia lebte. Und die meiste Zeit Ben, auch wenn er im ersten Stock eine eigene Wohnung hatte. »Guten Morgen«, rief sie und stellte den Pappträger mit dem Kaffee auf den Bistrotisch. Die Gerbera steckte sie vorübergehend in die kleine rote Gießkanne mit den weißen Punkten, die an der Natursteinmauer stand, die den Sitzplatz vom Rest des Gartens trennte. Felicia zog auf dem Mäuerchen Kräuter in kleinen Töpfen, und obwohl sie sonst alles tötete, was grün war, schienen diese Pflanzen nachsichtig mit Jules Freundin zu sein - und sich hartnäckig an das Leben zu klammern.
»Morgen.« Felicia klappte ihren Laptop zu und legte ihn neben sich auf die verwitterten Holzdielen. »Kaffee von Carlo?«, fragte sie und zog einen der Becher aus der Halterung. Sie trug Leggins und eine Tunikabluse, und ihre wilden roten Locken waren auf ihrem Kopf zu einem unordentlichen Knoten zusammengefasst. Ein gutes Indiz dafür, dass Felicia heute von zu Hause aus arbeiten würde, statt im Hosenanzug und sittsam geglätteten Haaren in die Steuerkanzlei nach München zu fahren, in der sie angestellt war.
»Er hat mir regelrecht aufgelauert.« Jule grinste. »Ich konnte mich nicht dagegen wehren.«
»Und die Blume?«, wollte Felicia mit Blick auf die Gerbera wissen.
»Aus dem Blütenpracht.« Als ob ihre Freundin sich das nicht denken konnte.
»Passt zum Auftritt des Postboten«, verkündete Lina, die mit einem Tablett aus dem Haus kam, auf dem sie Schüsseln, Müsli und Milch balancierte. »Guten Morgen«, sagte sie, als sie das Tablett neben die Becher auf den Bistrotisch stellte und den Starnberger Merkur darunter hervorzog. »Er hat uns die Zeitung bis hinter das Haus gebracht, aus lauter Dankbarkeit über das Flicken seines Fahrradreifens neulich.«
»Wie nett von ihm.« Jule zog ebenfalls einen Kaffeebecher aus der Halterung, nippte daran und stellte ihn dann auf die Mauer, um noch ein paar Dehnübungen zu machen.
Lina bediente sich ebenfalls am Kaffee. Vermutlich hatte sie bereits die erste Fuhre Kinder in der Stadt verteilt. Ihren Nanny-Service erreichten meist schon früh am Morgen die ersten Notrufe, bei denen es um kranke Kinder oder Eltern ging. Probleme, für die sie Lösungen finden musste. Jemandem wie Lina raubte so etwas allerdings nie die gute Laune. Wahrscheinlich war sie schon allein deshalb gut drauf, weil die großen, bunten Blumen auf ihrem Kleid so fröhlich aussahen. Genau wie die Flechtfrisur, zu der sie ihre langen blonden Haare zusammengefasst...
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