Schweitzer Fachinformationen
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Wie eine gesengte Sau rannte der Fürbitten-Franz zurück zu seiner Hausmeisterei. Er schmiss die Haustür hinter sich zu, drehte den Schlüssel um und polterte keuchend durch den kleinen Gang in seine Werkstatt. Mit letzter Kraft schob er den eisernen Riegel vor den Hinterausgang und sank zu Boden. Mit dem Rücken zur Tür rang er nach Luft.
»Warum glaubt mir denn n-n-nie einer?«, klagte er laut. »Warum lacht mich jeder i-i-immer nur aus? K-K-Kruzif-f-fünferl!«
Franz schlug mit den Händen auf den Estrich der ehemaligen Backstube. Momentan war er hier sicher, zwischen all seinen Werkzeugen. Die festen Türen seiner Behausung würde der rasende Axtmörder nicht überwinden können. Hier käme er nicht herein. Aber was, wenn sich der Hackl-Toni dann die Liesi holte?
Der Fürbitten-Franz, der seinen Beinamen vom weit über das übliche Alter hinaus verrichteten Ministrantendienst zurückbehalten hatte, war am heutigen Abend noch mal auf die Baustelle gegangen, nachdem er den ganzen Tag in Bruck Hecken geschnitten hatte. Es war eine schwere Arbeit, das Heckenschneiden, und es jedem Hausbesitzer recht zu machen, war auch nicht leicht. Fünf Halbe hatte er während der Arbeit getrunken und sie fast zeitgleich wieder ausgeschwitzt. Kurz vor Sonnenuntergang wollte er auf dem verlassenen Weimerhof noch einmal nach dem Rechten sehen. Er hatte dort schon seit einer Weile ein mulmiges Gefühl gehabt beim Schuttaufräumen, aber wegen der Liesi war er immer wieder hingegangen. Gleich zu Beginn wäre er beinahe von einem herabfallenden Balken getroffen worden. Da hatte er sich noch nichts dabei gedacht, er wusste ja, wie unsicher das alte Gemäuer war. Ein bisserl unheimlich war ihm geworden, als er im Obergeschoss ein Poltern hörte. Von da oben, wo der Toni seine Kinder zerhackt hat. Und als er hinaufschaute, war dort ein Schatten um die Ecke gehuscht. Franz hatte ihn gerade noch gesehen. Anderntags hatte er ein Wispern gehört, obwohl er ganz allein war.
»Franz«, hatte die Stimme geflüstert, die aus einer alten Mauer kam. »Du bist der Nächste.«
Die Bosheit im Raum hatte er am ganzen Körper gespürt. Aber die Liesi hatte gesagt, dass er sich das nur einbilde. Und heute war das Hackl wieder da. Es lag auf dem Boden des Stadels, genau unter dem Dachbalken, an dem sich der Hackl-Toni nach seiner Gräueltat erhängt hat. Franz war sich sofort sicher gewesen, dass ihn der Geist damit in der Mitte auseinanderhauen würde, wenn er nicht sofort Reißaus nähme.
Langsam richtete er sich an der verriegelten Tür wieder auf, wischte sich die Tränen und den Schweiß vom Gesicht und putzte seine Hände an der blauen Latzhose ab. Wie um sich zu versichern, dass die Welt noch in Ordnung war, berührte er jedes seiner Werkzeuge mit seinen von der lebenslangen Arbeit schwieligen Fingern. Seine Hobel waren alle an ihrem Platz, die Bohrmaschine lag mit dem dazugehörigen Verlängerungskabel im richtigen Regalfach, und die in die Wand gehauenen Stahlnägel hielten die verschiedenen Sägen bombenfest. Zuletzt nahm er sein größtes Beil vom Haken und ging damit nach vorn in den Verkaufsraum der einstigen Bäckerei von Hintersbrunn. Hier hatte er sich eine Art Rezeption eingerichtet, die aus dem alten Verkaufstresen und einem Stuhl dahinter bestand. Auf den setzte er sich jetzt, das Beil auf den Knien. Er blickte auf das frühere Schaufenster, das er bis zur halben Höhe mit alten Zeitungen abgeklebt hatte. Links davon an der Wand hing noch das graue Telefon vom verstorbenen Bäckermeister von Hintersbrunn, das Franz nie benutzte. Auch einen Terminkalender hatte er nicht, so was hielt er für eine ganz und gar unnötige Erfindung. Franz' Hausmeisterei funktionierte dadurch, dass man bei ihm vorbeikam, wenn man etwas brauchte. Wenn er da war, hatte er Zeit, und wenn er nicht da war, dann hatte er keine Zeit. So einfach war das. Franz schüttelte den Kopf darüber, warum andere Leute das so kompliziert machten.
Mit dem sicheren Gefühl, das ihm die Axt auf den Knien gab, versuchte Franz nachzudenken. Er wusste selber, dass er nicht der Hellste war, aber jetzt musste er sich etwas einfallen lassen. Denn er brauchte Hilfe.
Es war erst ein paar Wochen her, dass ihm Liesi von der neuen Idee mit dem Weimerhof erzählt hatte. Dass sie aus dem Weimerhof ein Haus machen wollten, in dem sich alle Hintersbrunner treffen könnten. Zum Feiern oder Reden oder einfach nur Dasitzen. Franz fand das sehr schön. Er hätte gern so einen Platz gehabt. Die Dorfwirtschaft, den Bräu, mied er. Weil sich der Bräu immer über ihn lustig machte. Und weil er das meistens zu spät merkte. Franz wusste, dass es Dorfbewohner gab, die hinter seinem Rücken »Dorfdepp« zu ihm sagten. Er war sich darüber bewusst, dass er nicht so schnell denken und handeln konnte wie die anderen, aber er versuchte, diese Unzulänglichkeit mit Fleiß wettzumachen.
»Das Geld haben wir noch nicht beieinander«, hatte Liesi gesagt, also hatte er angeboten, schon einmal ein paar Vorarbeiten zu machen, bis der Architekt aus der Stadt kam. Schutt wegräumen, morsche Durchgänge sichern und so was. Trotz seines schwerfälligen Körpers konnte Franz anpacken. Er konnte Schnee räumen und Dachrinnen ausleeren, Äste abschneiden, schwere Sachen tragen und Sperrmüll wegfahren. Ein bisserl umständlich vielleicht, und manchmal dauerte es etwas länger, aber er konnte gut zuhören und die Sorgen von anderen Leuten meist im Vorfeld erahnen.
»Was ich jetzt mach, müsst ihr später nicht mehr teuer bezahlen«, hatte er zu Liesi gesagt, und Liesi hatte sich sehr darüber gefreut. Was wiederum den Franz sehr freute.
Er hatte ihr natürlich gleich zu Beginn von den unheimlichen Vorkommnissen auf dem Weimerhof erzählt. Von den Stimmen und von dem Schattengeist. Aber Liesi hatte nur gelacht.
»So was wie Gespenster gibt es gar nicht«, hatte sie gesagt. Sie würde auch die Sache mit dem Hackl nicht glauben. Und beweisen würde Franz es auch nicht können. Denn genau wie der morsche Balken würde es verschwunden sein, wenn sie nachschauen ginge.
»Frag den Moshammer Edi!«, hatte der Franz in seiner Verzweiflung an Liesi appelliert, denn der war einer, der nicht viel sagte, aber viel wusste. Der Moshammer wusste, dass der Hackl-Toni im Weimerhof umging. Liesi nannte ihn einen alten Spinner. Franz ahnte, dass er ihr die Idee mit dem Weimerhof nicht würde ausreden können. Früher oder später würde der Hackl-Toni sie erwischen. Die Liesi, die er so gernhatte, dass sein Herz manchmal heftig pumperte, wenn sie ihn anlächelte. Und auch aus den Lehrern, den anderen beiden im Dorf, die ihn noch nie Depp genannt hatten, würde der Hackl-Toni Hackfleisch machen. Sie waren alle in Lebensgefahr, wenn sie ihre Pläne mit dem Weimerhof nicht aufgaben, das war Franz klar.
In diesem Moment fiel es ihm ein. Er haute sich mit der flachen Hand so fest auf die Stirn, dass es klatschte. Warum war er da nicht schon eher draufgekommen? Es gab noch jemanden, der ihn nie ausgelacht hatte.
Die oide Schoasdromme, schoss ihm in den Kopf, und er musste laut lachen. Sie arbeitete bei der Zeitung in der Stadt. Und sie hatte vor nichts Angst. Gundi, seine Freundin von früher, die ihm dieses Haus überlassen hatte, nachdem der alte Bäckermeister gestorben war. Sie hatte ihm damals ihre Nummer an die Wand geschrieben, gleich neben dem alten Telefon.
»Wenn was ist, kannst mich immer anrufen«, hatte sie gesagt. Bisher war aber nichts gewesen. Franz legte die Axt auf den Tresen und ging zum Telefon an der Wand. Mit einem Finger fuhr er die Nummer entlang, die inzwischen schon etwas verblichen war. Er nahm den Hörer von der Gabel und klemmte ihn umständlich zwischen Schulter und Ohr. Ziffer für Ziffer arbeitete er sich mit dem einen Zeigefinger an der furchtbar langen Nummer entlang. Mit dem anderen bediente er die Wählscheibe.
»Wieder ein unnötiges Risiko eingegangen«, sagte Gundi Starck, als sie auf dem Marienplatz ankamen. Ihre Augen suchten das verblasste Mosaik des bärtigen Riesen an den historischen Fassaden. Man sagt, dass jeder Münchner Bürger, der das Bildnis des Schutzpatrons der Stadt ansieht, an diesem Tag keines plötzlichen Todes sterben wird. Dieser Überlieferung nach hatte Gundi schon den ganzen Tag in lebensgefährlicher Unsicherheit verbracht.
»Wenn ich alt bin, werde ich hier campieren und jeden Morgen als Allererstes den heiligen Onuphrius anschauen«, verkündete sie, als sie ihr kleines Ritual bewerkstelligt hatte. Es war als Witz gemeint, aber ein Körnchen Wunderglaube lag auch darin.
»Feilschst du wieder mit den Türstehern an der Himmelspforte?«, kommentierte Ferdl Freudenreich neben ihr. Die Gastronomie war sein Metier, und in seinen Augen machte die bayerische Spezlwirtschaft auch vor dem Herrgott nicht halt. Anders als er, der mit Religion nichts anfangen konnte, war Gundi in Fragen bezüglich einer höheren Macht unentschlossen.
So wie sie auch äußerlich verschieden waren. Gundi, ein gestandenes Weibsbild, überragte den zarten Ferdl fast um Haupthöhe. Anders als Ferdl konnte sie dieses undefinierbare Resthoffen nicht gänzlich vernichten. Dieses Gefühl, dass es schöner wäre, wenn irgendjemand da oben auf einen aufpasst. Vielleicht, weil sie auf dem Land aufgewachsen war. Im erzkatholischen Hinterland Bayerns. Die beiden langjährigen Freunde marschierten den Petersberg hoch, vorbei an den auf ihre Turmbesteigung wartenden Touristen, als die Uhr der alten Pfarrkirche schlug.
»Weißt du eigentlich, warum der Alte Peter acht Uhren hat und nicht vier, wie jeder andere Kirchturm?«, fragte Ferdl.
Gundi schaute nach oben. »Pfeilgrad. Das ist mir noch nie aufgefallen.«
Ferdl schwieg wissend, und...
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