Schweitzer Fachinformationen
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Gundi Starck steht zur selben Zeit vor dem vertrauten Verlagsgebäude. 20 Jahre lang ging sie hier täglich ein und aus, allerdings schaffte sie ihren Dienstbeginn als Redakteurin für Klatsch und Tratsch über die Münchner VIPs nie so früh. Das »Münchner Tagblatt« war ihr Arbeitgeber gewesen, die Kollegen ihre Familie, die Zeitung ihre Heimat. Wie viele Reporter, die abends zu Terminen unterwegs sind, ist sie eine Nachteule. Heute hat sie schon um 10 Uhr einen Termin bei ihrem ehemaligen Ressortleiter. Selbst zwei Jahre nach ihrem Rauswurf hatte Gunther sich anfangs geziert, sie zu empfangen. Als ob eine Kündigung ein Makel wäre. Man wird für die Ex-Kollegen sofort zur Unberührbaren, das hatte Gundi nach ihrem Rauswurf gespürt. Es ist, als ob man plötzlich eine ansteckende Krankheit hätte.
Gunther ist Feuilletonchef beim Tagblatt und in seinen Bereich fällt auch die leichte Unterhaltung, in der Gundi früher so gut war. Ein bitteres Gefühl macht sich in ihrem Magen breit. Vielleicht hätte sie doch etwas frühstücken sollen, anstatt eine Stunde im Bad zu verbringen, um sich die Haare hochzustecken und sich unter Jeans und T-Shirt in Spanx zu quälen. Gundi war lange Zeit die beste Society-Reporterin beim Tagblatt gewesen. In jungen Jahren hatte sie eine feste Kolumne, in der sie die Neuigkeiten aus dem Liebesleben der Münchner Stars aus Film und Fernsehen erörterte, und war Gast auf jeder Backstage-Party. Sie pflegte Beziehungen zu Promis und Möchtegern-Stars und ihre süffisanten Geschichten waren eine schöne Weile lang der Grund, warum sich die Münchner das Tagblatt kauften. In ihren letzten fünf Jahren bei der Zeitung war ihr kein großer Coup mehr gelungen. Die Romanze eines Pop-Sternchens mit einer verheirateten Ski-Legende, der sie mit heimlich gemachten Fotos auf die Spur kam, war lange her. Klatsch und Tratsch wiederholten sich, die sogenannten Stars wurden in ihren Augen immer hohler, mehr und mehr eroberten die Teppichluder und Realitystars die Schlagzeilen und Gundi verlor »ihren Biss«, wie man sagte. Als sie mit Ende 40 ihren bis dato sicher geglaubten Job verlor, stand sie zunächst vor dem großen Nichts. Sie verstand nicht, warum es ausgerechnet sie traf. Aus »Compliance-Gründen«, sagte der Chefredakteur, sie hatte nur einen Pauschalistenvertrag. Weil ihr gleichzeitig ein ungelöster Mordfall in ihrem niederbayerischen Heimatdorf in den Schoß fiel und andere Blätter für ihre exklusive Berichterstattung gutes Geld zahlten, war sie zunächst zuversichtlich gewesen, was ihre berufliche Zukunft anging. Ein »Neuer Fall für Gundi Starck« ergab sich aber nicht, auch eine neue Anstellung fand sie nicht.
»Wer stellt schon eine Frau ein, die über 50 ist«, klagt sie seither. »Männer sind dann in den besten Jahren. Frauen sind alt.«
Die Stütze vom Amt ist seit geraumer Zeit ausgelaufen und ihre Ersparnisse sind aufgebraucht. Jetzt droht Hartz IV. Sie ist mit ihrer Miete im Rückstand und braucht dringend Kohle. Und sie weiß, dass ihr ehemaliger Ressortchef zum Start des Oktoberfests in Arbeit ertrinkt. Sie schluckt die kränkenden Erinnerungen an ihren Rauswurf und den allgemeinen Groll über ihr Schicksal hinunter, betritt den Verlag durch die Drehtür und meldet sich beim Empfang an.
Der Feuilletonchef richtet seine geradlinig aufgereihten und nach Länge geordneten Bleistifte auf dem Schreibtisch zwischen ihnen millimetergenau neu aus, bevor er etwas sagt. Gundi hatte ihm angeboten, jede Nacht aus dem Käferzelt zu berichten und dem nächtlichen Chef vom Dienst exklusive Wer-mit-Wem-Fotos zu schicken, und er hatte keine Miene verzogen.
Er riecht meine Verzweiflung, fürchtet sie in Gedanken.
»Ich weiß nicht, ob dieser Job das Richtige für dich ist, Gundi«, antwortet er nach einer kurzen Denkpause, die Gundi wie minutenlange Missbilligung vorkommt.
»Wieso, ich hab es doch immer verstanden mit der Schickeria . grad zur Wiesn . Wieso nicht das Richtige? Was meinst du denn damit, Gunther?«
»Schickeria? Echt jetzt? Gibt es die noch? Die ganzen neuen Realitystars heute und die Influencer . kennst du die überhaupt?«
Gundi ahnt, dass sie gleich eine Kröte schlucken muss.
»Und außerdem müssen die jungen Redakteure heute alle SEO-optimiert schreiben und selbst republishen. Mit den Tools, mit denen wir Zielgruppen-Traffic messen«, fährt er fort.
SEO, republishen, Traffic, Tools - all das schreckt Gundi nicht. Die Kröte ist etwas anderes, das spürt sie. Ihre mangelnde Jugend. Sie ist nicht mehr jung genug.
»Das ist nichts, was ich nicht auch kann«, widerspricht sie todesmutig.
Ihr ehemaliger Ressortleiter steht auf und schließt die Tür seines Büros, die Gundi offen vorgefunden hat, als sie eintrat. Zur Begrüßung hatten sie über die guten alten Zeiten geplaudert. Sie hatten zur selben Zeit beim Tagblatt angefangen, Gunther und sie. Er mit einer akademischen Journalistenausbildung, Gundi mit nichts als ihrem schlagfertigen Mundwerk und ihrer Jugend. Er hatte einen einflussreichen Ziehvater beim Tagblatt, einen namhaften Theaterkritiker in München, sie stammte aus einer Bäckersfamilie vom Land. Und dann war sie zu einem »Gesicht« des Tagblatts geworden. Ein hübsches Gesicht, mit dunklen langen Haaren und einer Ausstrahlung, die Türen öffnete. Sie schlug sich die Nächte um die Ohren auf After-Show-Partys, auf Filmpremieren und Konzerten und hatte von vielen Prominenten die private Handynummer. Gunther blieb als Faktenfuchs hinter den Kulissen, selektierte und korrigierte in der Redaktion bis spät in die Nacht die Nachrichten, die ihm die Reporter von draußen lieferten. Er war überzeugt, dass es die schludrig formulierenden Berichterstatter draußen intellektuell mit ihm nicht aufnehmen konnten. »Korinthenkacker« nannten die Schreiber ihn, wenn er ihre Zeilen zurechtstutzte.
»Es ist nun einmal so«, widerspricht Gunther und setzt sich wieder hinter seine aufgereihten Stifte. »Wenn du mal raus bist, bist du raus.«
Gundi versteht und beginnt zu nicken. Man soll ja jeden Morgen eine Kröte schlucken, erinnert sie sich an den Spruch eines französischen Schriftstellers. Um sicherzugehen, dass dieser Tag nichts Schlimmeres mehr bringen kann.
»Du gibst mir also keinen Job?«, fragt sie, als wäre sie begriffsstutzig. Gunther schüttelt grimmig den Kopf.
Trotz einer Vorahnung hatte sie nicht erwartet, so eiskalt abzublitzen. Sie hatte damit gerechnet, dass ihr der Ex-Kollege irgendeinen Scheißjob anbieten würde. Kleinere Sachen vielleicht, mit denen sie ihren Mietrückstand ausgleichen hätte können. Eine Filmkritik oder eine verdammte Baumarkteröffnung wenigstens. Tränen schießen ihr in die Augen, und um sie zu verbergen, steht sie auf. Wie konnte sie nur vergessen, dass Gunther schon immer ein neidischer, kleiner Wicht war. Die miese Rache des Korinthenkackers.
»Leck mich«, sagt sie. Sie will die Tür kraftvoll hinter sich zuschmeißen, als ihr Gunther noch etwas nachruft: »In deinem Alter laden die dich ohnehin nicht mehr auf die wichtigen Events ein .«
Die Tür knallt.
Gundi fühlt sich, als ob sie während des kurzen Gesprächs mit dem Feuilletonchef um weitere zehn Jahre gealtert ist. Jetzt steht sie an der Fußgängerampel vor dem Verlag und bemerkt nicht, dass längst Grün ist. Sie steht einfach da und starrt die Straße an.
»Was hast du denn geglaubt?«, schimpft sie sich aus. »Dass man auf dich gewartet hat? Journalisten, die Geschichten schreiben können, gibt es genügend. Jüngere Leute. Leute, die weniger Honorar wollen. Die besser sind als du.«
Gundi presst ihre Hände auf den Mund. Nicht genug, dass sie sich durch die Ablehnung alt und überflüssig fühlt. Jetzt zweifelt sie sogar an ihrem Können.
»Gemma, Oma!«, witzelt ein Mann hinter ihr an der erneut auf Grün gesprungenen Fußgängerampel und marschiert an ihr vorbei auf die Straße. Wütend über den frechen Lackl, noch mehr über ihre Selbstzweifel, brüllt sie ihm hinterher. »Hast du kein eigenes Leben, Depp?«
Irgendwann schafft es Gundi über die Ampel. Sie beschließt, die zwei U-Bahnstationen bis zum »Monarch« zu laufen. Die Sonne lacht wie zum Hohn über München und im Straßencafé gegenüber sitzen Leute, die die morgige Eröffnung des endlich wieder stattfindenden Oktoberfests nicht mehr erwarten können und in Lederhosen und bunten Edeldirndln heute schon vorglühen. Nach diversen Notbremsen zum Infektionsgeschehen ist die »Bierpreisbremse für die Wiesn« das beherrschende Stadtgespräch in München.
Über dem Richard-Strauss-Tunnel schlendern Einheimische und Touristen in der Vormittagssonne. Niemand beachtet Gundi. Sie ist unsichtbar. Einmal mehr wird ihr bewusst, dass sie früher auf der Straße die Blicke der Männer anzog. Heute sieht sie keiner mehr begehrlich an. Wenn überhaupt, dann schauen sie durch sie hindurch.
»Ich kann doch nichts anderes als schreiben«, klagt sie ihrem alten Freund Ferdl, dem Direktor der Promi-Absteige. Von ihm hat sie in ihren Reportertagen manchen Tipp bekommen, wenn zum Beispiel ein internationaler Star inkognito eincheckte. Das »Monarch« ist ihr zweites Zuhause. Hier hat sie ihre Knüller gefeiert und auch manchen Misserfolg ertränkt. Äußerlich grundverschieden, haben die beiden die Klatschsucht über allzu menschliche Verfehlungen und die Vorliebe für Weißbier aus der Flasche gemeinsam. Und sie stehen beide auf denselben Typ Mann. Gundi kennt Ferdinand Freudenreich, seit sie als junge Frau aus ihrer dörflichen Heimat nach München geflüchtet ist. Er kennt ihre geheimen...
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