Schweitzer Fachinformationen
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Das Gutshaus Lenz war beeindruckend mit seinen Giebeln, dem Fachwerk und den weitläufigen Ländereien im Hintergrund, aber trotzdem herrschte eine angespannte Atmosphäre. Die schwülwarme Juniluft drückte vielen aufs Gemüt. Die Pferde, die später den VIP-Gästen präsentiert werden sollten, donnerten mit ihren Hufen gegen die Türen der Boxen, als wäre ihnen der vertraute Stall plötzlich zu klein geworden. Die Menschen zerrten an den Kragen ihrer Anzüge oder zupften an ihren Oberteilen. Alle schienen sich woandershin zu wünschen. So auch die Gruppe von knapp zwanzig Besuchern - die Damen mit mehr Schmuck, je enger die Kleider waren, die Herren tapfer in Hemd, Weste und Krawatte -, die sich seit geschlagenen zehn Minuten vor dem Hauptgebäude herumdrückte und den Catering-Stand nicht aus den Augen ließ.
Noemi verfiel in den Arbeitsmodus und ließ sich von alldem nicht anstecken, auch wenn ihr die weiße Bluse am Rücken klebte. Sie löste das Cellophan von den ersten Silberplatten und rückte die Lachs-Dill-Röllchen mit der Zange zurecht, damit sich ein symmetrisches Bild ergab. Trotz der Wärme war sie froh, hier draußen zu sein und sich nicht in einem Büro von einer Klimaanlage auskühlen lassen zu müssen. Zufrieden betrachtete sie das Ergebnis ihrer Bemühungen, und augenblicklich kam Bewegung in die Gäste.
»Ich dachte, hier geht es heute darum, die Pferde in sämtlichen Gangarten zu präsentieren«, flüsterte ihre Kollegin und gute Freundin Anja ihr so zu, dass sich ihre Lippen kaum bewegten, polierte weiter die Gläser und hielt dabei ihr Business-Lächeln aufrecht. »Die Einzigen, die hier gleich rennen, sind allerdings die Leute dort vorn, und zwar frontal auf den Stand zu. Ob die nur unseretwegen hier sind? Vielleicht sind denen die Tiere völlig gleichgültig. Andererseits, wenn sie die so gierig betrachten würden wie das Essen, würde ich mir echte Sorgen machen.«
Das Gutshaus Lenz am Rande Düsseldorfs war in der nun schon dritten Generation ein bekannter Name in der Reitpferde-Zucht; die alljährliche Präsentation der Tiere hatte sich als Treff- und Vernetzungspunkt von Publikum mit Rang und Namen in der Region etabliert. Wer bei Lenz geladen war, hatte es geschafft. Hier traf man den pferdebegeisterten Bürgermeister ebenso wie Mitglieder des alten Landadels oder die Köpfe wohlhabender Familien, die auf der Suche nach einem möglichst edlen Tier für den Nachwuchs waren.
Und sie alle schielten nun mehr oder weniger verhohlen auf die Köstlichkeiten vor Noemi. Aber das war völlig in Ordnung. Wenn den Gästen das Catering zusagte und vielleicht sogar die allgemeine Stimmung hob, würde der Tag vergehen wie im Flug.
»Keine Sorge, Anja. Ich beschütze dich.« Sie unterdrückte ein Lachen und wandte sich dem Tisch links von ihr zu, der mit Getränken auf Eis, Süßspeisen in winzigen Schalen und drei Silberplatten mit Pralinen bestückt war, die sie bis gerade gekühlt gelagert hatten und nun auf einem Eisbett anboten. Ihre Pralinen! Stolz betrachtete sie die gleichmäßig geformten Irish-Cream-Kugeln, die weißen Trüffelherzen, die sie für das heutige Event mit Blattgold verziert hatte, und die glänzende Schokolade der Mandelpralinen, deren Rezept sie von ihrer Großmutter übernommen hatte. Nach ihrer Ausbildung zur Konditorin war sie eine Weile angestellt gewesen und hatte mehrmals versucht, das angestaubte Angebot der Konditorei Fechner aufzupeppen, das nur noch Stammkunden und kein frisches Publikum anlockte, war aber jedes Mal auf taube Ohren gestoßen. Nach einer Weile hatte sie sich nach etwas Neuem umgesehen und den Catering-Bereich für sich entdeckt. Hier fand sie die Freiheit und Experimentiermöglichkeiten, die sie sich erhofft hatte und die ihr wichtig waren. Für ihre Chefs, Marion und Guido Ingmann, hatte sie vor Wochen Kostproben angefertigt und kurz darauf die Erlaubnis bekommen, ihre Pralinen beim nächsten größeren Auftrag anbieten zu dürfen. Sie hatte sich nur für ihre besten Kreationen entschieden, denn Catering Ingmann war auf exklusive und gehobene Veranstaltungen spezialisiert.
Und nun stand sie auf dem Gutshof Lenz und zupfte möglichst unauffällig an ihrem Blazer - das Schwarz mit den goldenen Ornamenten war an einem solchen Tag eine kleine Tortur. Noemi war froh, dass sie sich den Pony mit einem goldenen Band zurückgebunden und ihre dunklen Haare vergangenen Monat auf Kinnlänge hatte stutzen lassen. So konnte sie sich immerhin ein wenig abkühlen, wenn sie sich mit einer der Menükarten Luft zufächelte.
Verstohlen warf sie einen Blick zum Himmel und musterte die im Westen aufziehenden Wolken. Das Gewitter war erst für den Abend angekündigt, und sie hoffte, dass die Prognose stimmte.
»Entschuldigung?« Eine Frau trat an den Stand und riss sie aus ihren Gedanken. Sie trug einen Hut, der unter dem üppigen Federschmuck in Metallicblau und grellem Orange beinahe verschwand und mit den gewagtesten Modellen in Ascot mithalten konnte, und tippte auf eine Mandelpraline. »Sind da Walnüsse drin?«
Noemi lächelte, schüttelte den Kopf und erläuterte die Zutaten der drei Sorten, während die übrige Gruppe näherkam, als sei die Dame vorgeschickt worden, um die Lage zu erkunden. Die meisten Frauen sahen sich zuerst die Süßspeisen an und griffen nach den Pralinen - manche nur, um sie mit spitzen Fingern wieder zurückzulegen -, wobei die Silberzangen von den meisten ignoriert wurden. Ein Mann nahm ein Kaviartörtchen mit der einen und ein Trüffelherz mit der anderen Hand, und auch andere aßen Süßes und Pikantes durcheinander.
Noemi und Anja beantworteten Fragen, reichten Häppchen, schenkten Champagner ein und warfen sich zwischendurch immer wieder amüsierte Blicke zu. Schließlich deutete Anja zur Seite und trat einen Schritt näher an Noemi heran. »Der Pferdeprinz kehrt zurück«, flüsterte sie, zwinkerte ihr zu und nahm eine neue Champagnerflasche aus der Kühlung.
Noemi drehte sich um und sah Julian Lenz auf sie zuschlendern. Er trug Reithose samt Stiefeln und dazu ein Sakko, alles auf leger getrimmt, aber eindeutig edel. Die Hände baumelten lässig neben seinem Körper, und das helle Haar leuchtete, auch wenn sich die Sonne bereits hinter eine dünne Wolkenschicht zurückgezogen hatte. Sein Lächeln passte zu der Haltung, die ausdrückte, dass er um sein Aussehen und seine Stellung wusste: Sohn des Gutsherrn und Erbe riesiger Ländereien sowie preisgekrönter Warmblutpferde. Noemi hatte die Urkunden und Metallplaketten bewundern können, als Julian ihr und Anja am Vormittag eine Führung durch das Haus und über das Grundstück gegeben hatte. Doch er schien nett zu sein, und sie war froh, hauptsächlich mit ihm zu tun zu haben und nicht mit seinem Vater, der vermutlich jeden in seiner Nähe einschüchterte.
Julian hob eine Hand. »Alles klar bei Ihnen?« Einige der Gäste wandten sich um und strahlten ihn an, und er lächelte zurück, ehe er sich an Noemi wandte. »Ich brauche zwei Flaschen und sechs Gläser im Empfangszimmer.« Er musterte die Auswahl auf den Tischen. »Und vielleicht ein paar Häppchen. Mein Vater hat sich spontan auf ein Geschäftsgespräch eingelassen.«
»Kein Problem.« Noemi zog zwei Tabletts unter dem Tisch hervor und wandte sich an Anja. »Kommst du für einen Moment allein klar? Dann helfe ich, alles ins Haus zu tragen.«
Ihre Kollegin winkte ab und drehte sich mit fliegendem Pferdeschwanz zu einem Mann um, der sich auffällig räusperte. »Natürlich«, rief sie über die Schulter. »Wenn du magst, kannst du auch gleich deine Pause vorziehen, ehe es hier losgeht. Komm einfach wieder, wenn du drinnen nicht mehr gebraucht wirst.«
»Alles klar.« Noemi befüllte ein Tablett mit Häppchen und drückte es Julian in die Hände. »Schaffen Sie das? Dann nehme ich die Gläser und Flaschen.«
Die gespielte Empörung in seinem Blick war nicht zu übersehen. »Ich könnte dieses Tablett bei einem Pferderennen in einer Hand halten und würde kein Salatblättchen verlieren.«
»Sie nehmen an Rennen teil?« Bisher hatte sie nur gewusst, dass er stark in den Zuchtbetrieb eingebunden war.
Er brummte zustimmend. »Es ist Teil der Familientradition. Mein Vater hat früher viele Rennen gewonnen, auch im Ausland. Jeder erwartet, hin und wieder einen Lenz auf der Bahn zu entdecken.« Bei den letzten Worten hatte seine Stimme diesen herrschaftlichen Ton angenommen, der manchmal durchblitzte. Obwohl sich Julian meist locker und freundlich gab, war ihm seine Stellung bewusst - aber das war wohl einfach so, wenn man auf einem solchen Anwesen aufwuchs, und sie nahm es ihm nicht übel.
Noemi folgte ihm über den Kiesweg und hatte dabei Zeit, das lang gestreckte Haupthaus mit den weißen Säulen und den Puttenbrunnen davor aus der Nähe zu betrachten. Sie ging die Steinstufen zu der massiven Eingangstür hinauf und betrat das Innere: Marmorböden, Deckenstuck weit über ihnen und mannshohe Gemälde in verzierten Goldrahmen, die das Anwesen selbst oder Jagd- und Reitszenen zeigten. Schlagartig veränderte sich die Kulisse, wurde ruhig und erhaben, und von draußen drang kaum ein Laut herein. Zwei Blumenbuketts auf dem Beistelltisch, der größer war als die Essecke in Noemis Wohnung, verströmten zarten Duft. Es war ein beeindruckender Anblick, aber Noemi vermisste die Gemütlichkeit, die sie von zu Hause kannte und liebte. Ein Lenz ließ sich vermutlich nicht mit Schwung auf sein Sofa fallen.
Sie brachten die Tabletts in das Empfangszimmer, wo eine Frau, die ungefähr so alt wie Noemis Mutter war, sie entgegennahm und Julian versicherte, sie würde sich um alles Weitere kümmern.
Er wandte sich wieder an Noemi. »Sie haben es gehört,...
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