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Der Regen machte ihr kaum etwas aus, mit ihm hatte sie gerechnet. Weniger schön war, dass Oliver schon vor zwanzig Minuten hätte hier sein sollen.
Laura wusste nicht, wie oft sie bereits auf ihr Handy gesehen hatte. Ihre letzte Nachricht - Ich bin da und stehe am Ausgang Ottenser Hauptstraße - hatte er nicht einmal gelesen. Aber sicher gab es einen guten Grund für die Verspätung, und irgendwann würden sie über diese zwanzig Minuten lachen, die sie am Bahnhofseingang gefroren hatte.
Fünfundzwanzig.
Sie zog ihr Halstuch ein Stück in die Höhe, sah noch einmal auf ihr Handy und wandte sich um. Länger warten oder sich in ein Café setzen?
»Laura!«
Laura kniff die Augen zusammen und erkannte seine Silhouette hinter den Silberfäden des Regens, die das Dunkel mit verhaltenem Rauschen durchschnitten. Sie ließ den Griff ihres Rollkoffers los, lief Oliver entgegen und schmiegte sich kurz darauf in seine Arme. »Ich hab mir schon Sorgen gemacht.«
Oliver lachte leise und drückte sie an sich, ließ sie jedoch augenblicklich wieder los. Es war auf eine schöne Weise seltsam, dieses vertraute Gesicht in der Fremde. Seine dunklen Haare glänzten vor Nässe. Oliver schüttelte sich und fuhr mit der Hand über seine Stirn, wie er es immer nach dem Duschen tat. Langgliedrige Finger, von denen Laura regelmäßig dachte, dass sie einem Künstler gehören sollten. »Na komm, gehen wir, ehe wir beide patschnass sind.«
Die Fahrt mit dem Taxi in die Arnoldstraße dauerte knapp zwanzig Minuten. Während Oliver bezahlte, stieg Laura aus und musterte das fünfstöckige Gebäude mit der rot-weißen Ziegelfassade, das sie nur einmal zuvor bei ihrer Wohnungsbesichtigung gesehen hatte. An die zwei winzigen, von Hecken gesäumten Rasenstücke vor dem Haus hatte sie sich schon gar nicht mehr erinnert. Der Baum auf dem Linken hatte bereits einen Großteil seiner Blätter verloren, die nun auf Rasen und Gehweg klebten.
»Laura, kommst du? Der Regen wird stärker.« Olivers Stimme klang ungeduldig und wurde vom Klimpern des Schlüssels begleitet.
Laura betrat das Treppenhaus mit den Briefkästen zur Linken, der breiten Treppe, dem Flur in Mintgrün und dem schönen Bogenfenster im Hochparterre. Auf einer großen Abstellfläche reihten sich Kinderwagen aneinander.
»Und?« Sie deutete darauf. »Ist davon irgendwas zu hören oder sind die Wände dick?«
Er zuckte die Schultern. »Keine Ahnung, ehrlich gesagt. Wenn ich nach Hause komme, ist es spät, und wenn ich im Bett liege, schlafe ich meist schnell ein.«
Sie strich ihm mitfühlend über die Schulter. »Na, dann hoffe ich mal, dass du heute Abend etwas länger wach bleibst«, sagte sie. Sie waren im Bett miteinander niemals wild und unersättlich gewesen, aber sie hatte ihn vermisst und sehnte sich danach, seinen Körper zu spüren.
Oliver hob ihren Rollkoffer mit einer beiläufigen Geste hoch und hielt ihr den Schlüssel entgegen. »Nach Ihnen, Frau Nicolai. Vierter Stock!«
»Ich weiß!« Sie joggte die Treppen nach oben und blieb kurz darauf stehen. Drei Türen, nur eine davon ohne Fußmatte. Selbst wenn sie mit ihren restlichen Sachen nachkommen würde, mussten sie noch eine Menge kaufen, um alles gemütlich einzurichten. Vieles hatten sie ausrangiert, zurückgelassen oder verschenkt, weil es nicht mehr in ihr Leben passte. Laura schloss die Tür auf und trat in die kleine Diele, die mit Kartons, wenigen Schuhpaaren und einem Tischchen zugestellt war.
»Ich bin noch nicht dazugekommen, alles einzuräumen«, sagte Oliver hinter ihr. Er fasste sie an einer Schulter, drückte ihr einen Kuss auf das nasse Haar in ihrem Nacken und schob sie weiter.
»Hey, warte. Das schöne Parkett.« Laura schlüpfte aus ihren Schuhen, die bereits eine feuchte Spur auf dem Boden hinterlassen hatten, und ging ins Wohnzimmer. Für Hamburger Verhältnisse war es höchstwahrscheinlich riesig, die Zimmerdecke schwebte weit über ihnen, und die zwei hohen, schmalen Fenster würden am Tag genügend Licht einlassen. Von der Diele aus zweigten weitere Türen ab - links zur Küche, von der aus man den Balkon erreichte, und rechts in das Arbeits- sowie das Schlafzimmer, hinter dem sich das Bad befand. Die Wände waren weiß, an der Decke zog sich Stuckverzierung entlang, und den Boden hatte der Vermieter kurz vor ihrem Einzug neu schleifen und ölen lassen. Ihre Sofalandschaft sowie das Sideboard strahlten mit ihren klaren Formen und kühlen Farben Modernität aus. Laura musste an das Buch über Tee in Indien denken und fragte sich, wie es wohl in der Wohnung von Agatha Sperlich aussah. Vermutlich war der Kontrast zu dieser hier immens.
»Wow«, sagte sie, obwohl sie sich nicht wow fühlte. Sie fühlte sich gut, nicht überwältigt, aber das lag vermutlich an der Zugfahrt. »Es ist alles noch etwas nackt, aber wenn wir die Bilder aufhängen, die Deko aus den Kartons holen und ein paar Pflanzen kaufen, wird es sicher richtig gemütlich.«
Er nickte. »Die Kartons stehen im Schlafzimmer.«
Laura legte ihre Handtasche auf dem Sofa ab. »Okay, vielleicht kommen wir ja morgen dazu, den einen oder anderen auszupacken. Aber ich finde, jetzt sollten wir erst einmal duschen«, sagte sie mit der zweideutigsten Stimme, zu der sie in der Lage war. O Gott, sie musste das wirklich üben.
Oliver trat auf sie zu und nahm sie in die Arme, verzog dabei aber das Gesicht. Das graue Hemd klebte an seinem Oberkörper. »Ich würde gern, aber ich muss dringend noch zwei Telefonate führen. Ein möglicher Deal für die Firma.« Ein Kuss auf die Nasenspitze, niedlich und harmlos, aber nicht verspielt, weil er bereits das Handy aus der Hosentasche zog.
Laura unterdrückte ein Seufzen und nickte. Sie hatten ja heute Abend noch genug Zeit. »Kein Problem, ich beeil mich. Sind Handtücher im Bad? Und Duschgel?«
»Ja, klar, alles da.« Er wandte sich ab, ließ sich auf das Sofa fallen und schien sogar die feuchten Klamotten zu vergessen, als er auf seinem Display herumwischte.
Kurz darauf schäumte sie sich die Haare ein und überlegte, was das Wochenende wohl bringen würde. Bei ihrem ersten Besuch war durch die Wohnungssuche keine Zeit geblieben, sich die Stadt näher anzusehen, aber das würden sie jetzt nachholen.
Sie drehte das Wasser ab und stieg aus der Dusche. Nachdem sie sich abgetrocknet und eingecremt hatte, frottierte sie ihre Haare, bis sie ihr feucht und leicht verwuschelt über die Schultern fielen. In diesem Stadium sahen sie immer viel voluminöser aus, als wenn sie nach dem Trocknen wieder zu ihrer üblichen feinen Glätte zurückkehrten. Sie schnupperte an ihrem Unterarm - ja, die neue Bodylotion roch wundervoll, frisch und ein wenig nach Zimt -, schlang sich das Badetuch wieder um den Körper, öffnete das Fenster einen Spalt und trat aus dem Bad.
Oliver war noch immer auf dem Sofa in sein Handy vertieft. Mittlerweile musste seine Kleidung fast wieder getrocknet sein. Laura trat neben ihn und wartete, bis er zu ihr aufblickte, dann ließ sie das Tuch bis zu ihren Hüften rutschen. Ihre Haut schimmerte durch den leichten Goldeffekt der Lotion in der gedimmten Zimmerbeleuchtung, und auf einmal fühlte sie sich so verführerisch wie selten.
Olivers Augen wurden groß. Er stand langsam auf, legte beide Hände auf ihre Schultern und strich mit dem Daumen sachte über die empfindliche Stelle zwischen Brüsten und Achselhöhlen. »Was wird das denn?«
Laura lächelte. »Ich denke, du solltest mir das Schlafzimmer genauer zeigen«, sagte sie und ließ das Badetuch noch ein Stück weiter rutschen.
In Olivers Augen blitzte es auf, und er legte seine Hände an ihre Taille. Dann griff er nach dem Badetuch und zog es mit einem entschuldigenden Blick wieder nach oben. »Sorry.«
Sie hätte mit einigem gerechnet - dass sie es nicht bis ins Schlafzimmer schaffen und stattdessen auf dem Sofa bleiben würden. Dass sie küssend übereinander herfielen und vor dem Bett über einen Karton stolperten. Oder allerhöchstens, dass auch er noch duschen wollte und sie ungeduldig auf ihn wartete. Aber nicht damit. »Sorry?«
Er zuckte die Schultern und schenkte ihr diesen zerknirschten Blick, der bei ihm niemals ganz echt wirkte, weil Oliver einfach nie zerknirscht war. Dafür wusste er stets zu genau, was er wollte. »Schatz, setz dich bitte. Es haben sich . Dinge ergeben, die du erfahren solltest.« Er deutete hinter sich, und bei seinem ernsten Gesichtsausdruck verflog die Restwärme der Dusche in Sekundenschnelle.
»Was ist los? Ist was passiert?«
»Nein. Doch. Ach verdammt, Laura. Lass es mich in Ruhe erklären.« Seine Stimme klang dunkel, als schleppte sich jedes Wort widerstrebend aus seiner Kehle. Spätestens jetzt war ihr klar, dass etwas nicht stimmte, und die Puzzleteilchen, die sie nach und nach versucht hatte zu ignorieren, setzten sich zusammen: sein Zuspätkommen am Bahnhof, die Wohnung, die noch immer aussah, als wäre er erst seit gestern hier, seine seltsame Zurückhaltung, obwohl sie sich so lange nicht gesehen hatten, all die Blicke auf sein Handy. Und jetzt das.
Er hat jemanden kennengelernt.
Der Gedanke war urplötzlich da, glasklar und so selbstverständlich, als hätte er nur darauf gewartet, endlich hervorbrechen zu dürfen. Aber nein, nicht Oliver und sie. Nach seinem Umzug hatte sie über die Vor- und Nachteile ihrer ungewohnten Trennung unter der Woche nachgedacht und das Klischee Fremdgehen weil Fernbeziehung sofort von sich geschoben.
Sie fasste das Badetuch und zog es enger um sich. Auf einmal fühlte sie sich so...
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