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PAULO DE ASSIS
Luigi Nonos . . . . . sofferte onde serene . . . wurde am 17. April 1977 im Auditorium des Musik-Konservatoriums in Mailand von dem Pianisten Maurizio Pollini uraufgeführt. Nach einem Jahr der Kompositionsarbeiten, die um Weihnachten 1975 im Studio di Fonologia della RAI unter der technischen Assistenz von Marino Zuccheri begonnen hatten (was das ALN Tonband 153 belegt), konnte das Stück erstmals der Öffentlichkeit präsentiert werden, auch wenn das Tonband seine letzte Gestalt noch nicht angenommen haben sollte. Tatsächlich belegt eine private Dokumentationsaufnahme des Konzerts, die von Jürg Stenzl mit einem einfachen tragbaren Aufnahmegerät angefertigt wurde, dass das Tonband der Aufführung eine andere Abfolge und Überlagerung der Abschnitte des Stückes aufwies.1
Wichtig ist - und die Tatsache, dass das Uraufführungstonband anders war als das, was wir kennen, unterstreicht dies -, dass das Stück durchaus experimentell konzipiert und komponiert wurde. Von zentraler Bedeutung für diesen experimentellen Charakter der Komposition war Nonos Entschluss, seine musikalische Sprache wesentlich zu verändern, um neue Wege und neue Arten des musikalischen Ausdrucks zu finden. Dabei wurde die Frage nach der >Wende< in seinem Ouvre nach Al gran sole carico d'amore von Nono selbst mehrmals eindeutig positiv beantwortet. Es ist hervorzuheben, dass eine kompositorische Neuorientierung nicht per se negativ beurteilt werden muss, wie es leider in den 1980er Jahren und auch danach der Fall war. In einer Welt voller turbulenter Veränderungen wäre »sich treu zu bleiben«2 eigentlich ein Zeichen des Starrheit und des Unmuts. Aber Luigi Nono hat sich selbst und seine Musik infrage gestellt. Einerseits waren Nonos Kompositionstechniken der vorangegangenen 15 Jahre im Wesentlichen ausgeschöpft, andererseits gab es schicksalhafte persönliche Erfahrungen (Tod beider Eltern) und politische Gründe (die Wende der Kommunistischen Partei Italiens zum Eurokommunismus) sowie neue philosophische Impulse (insbesondere die Bekanntschaft mit Massimo Cacciari), die Nono veranlassten, nach neuen Wege zu suchen.
Unmittelbar nach der Premiere von Al gran sole carico d'amore im Juni 1975 begann bei Nono eine tiefgreifende Reflexion und Selbstkritik seiner musikalischen Sprache. Diese Reflexion führte zu einer Neubewertung ästhetischer Prioritäten und einer Neuorientierung seines musikalischen Stils. Der Zeitpunkt der Komposition des Klavierstücks markierte den kritischen Moment, in dem Nono bewusst die Entscheidung traf, sich selbst und seine Musik grundlegend zu verändern. Im Gegensatz zu den meisten vorherigen Werken Nonos trägt . . . . . sofferte onde serene . . . keine direkte politische Botschaft oder Inhalte. Das Stück konzentriert sich vor allem auf Maurizio Pollinis Klavierspiel und untersucht Pollinis Klangfarbe und dessen hochdifferenzierte Spieltechniken. Zusätzlich kann . . . . . sofferte onde serene . . . als eine kompositorische Studie angesehen werden, in der verschiedene, seit den frühen 1950er Jahren von Nono nicht mehr oder kaum verwendete Kompositionstechniken erforscht werden. In gewisser Weise ist es eine erneute Erkundung konstruktiver Prinzipien, die Nono bei Hermann Scherchen und Bruno Maderna Ende der 1940er und Anfang der 1950er Jahre erlernt hatte. Das Werk widmet sich (u. a.) der Untersuchung von Variationen und kanonischen Verfahren, komplexen Formationen vertikaler Klangaggregate, die sich von Nonos früheren »harmonischen Feldern«3 durch eine weitaus stärker definierte Granularität unterscheiden, sowie formalen Gliederung von transparenter Einfachheit.
Der akustische Vergleich von . . . . . sofferte onde serene . . . mit Nonos unmittelbar vorangegangenen Werken wie Como una ola de fuerza y luz oder Al gran sole carico d'amore illustriert deutlich den Übergang von seinem »zweiten Stil« (1960-75) zu seinem »späten Stil«.
Dieser ästhetische und ideologische Wandlungsprozess bedeutet jedoch nicht, dass Nono apolitisch wurde oder sich den politischen Fragen seiner Zeit entzog. Im Gegenteil, 1975 wurde er Mitglied des Zentralkomitees der Italienischen Kommunistischen Partei. Er erkannte zunehmend, dass seine früheren Werke, trotz ihres expliziten politischen Engagements, als bloße Pamphlet-Kunst missverstanden werden konnten, deren politische Inhalte die ihnen innewohnenden musikalischen Merkmale überschatteten. In seinen späteren Werken, beginnend mit . . . . . sofferte onde serene . . ., bringt Nono die inneren musikalischen Strukturen und Merkmale in den Vordergrund. Er konzentriert sich auf kleine Instrumentalbesetzungen oder Solostücke, subtile harmonische Felder und klarer differenzierte vertikale Klangaggregate, auf präzise ausgearbeitete Grade der Dynamik sowie feine Artikulationsmarkierungen, fragmentierte Abschnitte und einen nuancierten Dialog mit historischen Formen.
Nimmt man Nonos Schriften und Gespräche aus der Zeit zwischen Al gran sole carico d'amore und Prometeo genau unter die Lupe, findet man zahlreiche Belege für seine Entscheidung, sich selbst und seine Musik grundlegend zu hinterfragen. Zwischen 1979 und 1981 äußerte Nono mehrmals eine innere Notwendigkeit - die er nach Al gran sole carico d'amore verspürte -, seine musikalische Sprache tiefgreifend zu verändern und seinen Kompositionsprozess eingehend zu prüfen. In einem langen Interview mit Renato Garavaglia im Jahr 1979 äußerte er sich dazu wie folgt:
»Unmittelbar nach Al gran sole folgte die Stille, eine unaussprechliche Stille: Ich hatte nicht die geeigneten Mittel, um mich auszudrücken. Ich verspürte das Bedürfnis zu studieren, nicht nur bezüglich meiner musikalischen Sprache, sondern auch zur Analyse meiner geistigen Kategorien, und ich begann wieder zu komponieren mit . . . . . sofferte onde serene . . ., einem Stück, das viel Arbeit erforderte.«4
Ähnlich äußerte sich Nono 1981 im Gespräch mit Carlo Peddis, in dem er darauf hinwies, dass seine musikalische Sprache sich verändert habe:
»Ich bin von Al gran sole, das alles umfasst, übergegangen zum Klavier, zum Schlagzeugensemble für sechs Spieler, zum Quartett. Ich habe mich also >gezwungen<, sowohl in Bezug auf meine Arbeit, meine eigene Forschung, als auch innerlich, mich in Sachen Musiksprache zu verifizieren und mich mit den geringstmöglichen Mitteln zu verifizieren, indem ich eine gewisse Gestik völlig aufgegeben habe.«5
Im Jahr 1980 betonte er in Bezug auf das Streichquartett Fragmente - Stille, dass dieses Stück Ausdruck von »[s]einem gegenwärtigen Experimentierstand« sei: »Ich will die große, aufrührerische Aussage mit den kleinsten Mitteln erreichen«.6 Beachtenswert ist auch ein Interview, das Nono am 29. Mai 1981 der Zeitung/ Zeitschrift >Unità< gab, in dem er - anlässlich der Uraufführung des Werkes Das atmende Klarsein - von seiner Vergangenheit in den 1960er und der ersten Hälfte der 1970er sprach, »zwar ohne jeden Widerruf, jedoch wie von einer nunmehr abgeschlossenen Periode«.7 Schon zuvor sagte Nono in einem Gespräch mit Gerhard Müller (1977) bezüglich Al gran sole:
»Dieses Werk war auch zugleich eine Synthese für mich und das Öffnen einer neuen Tür. Dann kam der Moment, in dem ich alles noch einmal überdenken musste. Nach den großen Werken, die ich zuvor gemacht habe, war es wie eine erneute Prüfung für mich zu sehen, was man erreichen kann, wenn man sich auf ein einzelnes Medium konzentriert.«8
Noch eindrücklicher äußerte sich Nono 1984 bei einem öffentlichen Gespräch in Stuttgart: »Al gran sole: ein großer Elephant der Mittel, von allem. Das ist unglaublich begrenzt.«9 Das Klavierstück wurde somit als eine erste Studie neuerer Kompositionsmethoden verstanden. Wie Nono im bereits erwähnten Gespräch mit Gerhard Müller sagte: »Um mich als Komponist zu prüfen, aber auch wegen meiner großen Freundschaft mit dem Pianisten Maurizio Pollini, wollte ich ein Stück für Klavier schreiben.«10
. . . . . sofferte onde serene . . ., komponiert im Jahr 1976, ist ein Stück für Klavier und Tonband. Das Tonband wurde im Studio di Fonologia della RAI unter der technischen Assistenz von Marino Zuccheri erstellt. Die auf dem Band aufgezeichneten Klänge sind Klavieraufnahmen mit geringfügigen Bearbeitungstechniken, meistens durch das Abschneiden des Anschlags einer Note oder eines Akkords, wodurch ein schwebender Klang erzeugt wird, der an elektronische Musik erinnert und gelegentlich auch perkussionsartige Klangfarben suggeriert. Formal betrachtet umfasst das Stück fünf Teile, von denen...
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