Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Von einer Gegenwart, die gern mehr über ihre Zukunft wüsste. Der neue Roman von Jonas LüscherEin algerischer Soldat gerät in den ersten deutschen Giftgasangriff, beschließt, einer müsse damit aufhören, steht auf und geht. Im Kairo der Zukunft beobachtet eine Stand-up-Comedian eine Androidin beim Lachen über ihre Witze. Ein böhmischer Weber wird durch einen automatisierten Webstuhl ersetzt, raubt einen Hammer und attackiert den Apparat. Wovon träumen wir Menschen des Kapitalismus, wovon unsere sich zunehmend gegen uns erhebenden Maschinen? Im einzigartigen Spiegelraum dieses Romans ist kein Konflikt vorbei und noch jede Geschichte möglich.
Klug und irrsinnig, komisch und scharf erzählt Jonas Lüscher auf der Höhe seiner Kunst.
"Ein Pageturner, atemlos gelesen, gefangen im intellektuellen Tornado. Sprachlich und stilistisch brillant." Marianne Wille, SRF 2 Kultur, 28.03.2025"Dieser Autor hat eine Syntax im Repertoire, die wohltuend aufwendiger daherkommt als die banale Alltagssprachlichkeit der meisten Gegenwartsromane. All das macht aus 'Verzauberte Vorbestimmung' den ersten Covid-19-Roman der Literaturgeschichte und markiert einen neuen 'State of the Art' im Romanschreiben." Sigrid Löffler, Falter, 19.02.25"Eine präzise und zugleich philosophische Reflexion unserer Gegenwart. Und dazu: literarisch brillant." Wiebke Porombka, Deutschlandfunk, 02.02.25"Jonas Lüschers neuer, radikal verwilderter Roman ist ein Erwachen. In jeder Zeile spürt man seinen von einer beinahe tödlichen Erfahrung rasend beschleunigten Herzschlag." Iris Radisch, Die Zeit, 30.01.25"Jonas Lüscher meldet sich mit einem Donnerschlag zurück: 'Verzauberte Vorbestimmung' ist ein erzählerischer Triumph. Ein Lebenszeichen nicht nur des lange vermissten Schriftstellers, sondern auch eines Erzählens generell, das politische und philosophische Ansprüche an die Literatur gleichermaßen erfüllt wie das Verlangen nach Form- und Sprachbewusstsein.« Andreas Platthaus, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.01.25"Ungemein originell und aufschlussreich, sehr sorgfältig durchdacht und sehr gut geschrieben.« Thomas Strässle, SRF Literaturclub, 28.01.25"Wenn es einen Roman gegen den galoppierenden Irrsinn der Zeiten braucht, dann diesen. . Jonas Lüscher hat einen gewaltigen Roman geschrieben, der das Denken wieder ins Nadelöhr des eigenen Lebens fädelt." Paul Jandl, Neue Zürcher Zeitung, 28.01.25"Warum hängen unser Glück und unser Leben heute so oft von Technik ab? Jonas Lüscher erzählt mit enormer Sprachmagie davon. Ein erster Höhepunkt im noch jungen Literaturjahr 2025." Lothar Müller, Süddeutsche Zeitung, 25.01.25
Verehrer von Wundern
Ich selbst habe mir
Einen unvergleichlichen Ort der Ruhe geschaffen
Die durch meiner Hände Arbeit gezogene Furche
Wird in der glorreichen Vergangenheit meines Lebens eingraviert bleiben
Und nach meinem letzten Atemzug werde ich in der Unendlichkeit weiterleben.
Ferdinand Cheval
Einer lebt, wenn sein Name genannt wird.
Sprichwort im Alten Ägypten
An Aufhören war nicht zu denken. Nicht, solange er gebraucht wurde. Und Platz auf dieser Welt gab es nur für die, die gebraucht wurden. Nein, sagte er, an Aufhören sei nicht zu denken. Und Platz gebe es auf dieser Welt nur für jene, die gebraucht würden. Sie meine ja nur, sagte sie und zuckte mit den Schultern, das klinge nicht gut, dabei klopfte sie sich mit der flachen Hand auf die Brust und deutete mit dem Kinn in seine Richtung. Ihre Nägel waren lang und rot lackiert. Er winkte ab. Der Husten, das sei nichts. La guerre, sagte er, nicht der letzte, der vorletzte, als ob das alles erklären würde: das Pfeifen in seiner Lunge, den Schweiß, der ihm auf der Stirn stand und in den steifen Wollkragen seiner dunkelblauen Uniformjacke lief, die Tatsache, dass er in seinem Alter noch immer Briefe austrug.
Und im Grunde genommen war das auch so, zumindest schien ihm, wenn er über sein Leben nachdachte, wozu er allerdings selten Zeit fand, als habe sich alles in jenem Moment entschieden, als er sich in Oran in das Rekrutierungsbüro an der Place Kléber locken ließ und es wenig später als Rekrut der Armée d'Afrique durch den Hinterausgang wieder verließ. Nicht in jenem Moment, in dem ihn Boubeker, vor Aminas Augen, einen nutzlosen, pockennarbigen Idioten geschimpft hatte, nicht am Tag darauf, an dem er im Morgengrauen sein Dorf verlassen hatte, nicht, als er an der Reling stand und einen kurzen Moment Zeit hatte, zurück auf Algier zu schauen, das langsam in der Ferne verschwand. Nein, es war in jenem Augenblick, an dem er in den frühen Morgenstunden vom Hafen kam, wo man ihn ohne Arbeit weggeschickt hatte, und sich an der Place Kléber von einem Offizier in sauberer Uniform ansprechen ließ.
Lange war das her, sehr lange. Er wusste nicht einmal mehr das Jahr. Ziemlich am Anfang des Krieges musste es gewesen sein. Er wusste nicht viel von der Geschichte, hatte nie gelernt, wann sich was zugetragen hatte, und deshalb fiel es ihm schwer, die Ereignisse in eine sinnvolle Reihenfolge zu bringen. Und sein Stand in der Welt, das war nichts, worüber er nachdachte. Zumindest nicht, was die Vergangenheit betraf. Die Gegenwart, das schon, die Zukunft auch. War er noch zu gebrauchen? Würde er auch in Zukunft noch zu gebrauchen sein? Um diese Frage kreisten seine Gedanken, wenn er die Zeit hatte, ihnen freien Lauf zu lassen.
Sie schien ernsthaft besorgt um ihn. Zwang ihn, sich wenigstens für einen Augenblick an einen der kleinen runden Tische zu setzen, die auf dem Trottoir nebeneinanderstanden. Nur um etwas zu Atem zu kommen. Ein Schluck Wasser vielleicht? Es sei heiß heute. Er müsse genügend trinken. Er willigte ein. Warum nicht. Er war fast am Ende seiner Tour, und es war erst elf. Sie verschwand im dunklen Innern des Cafés, um sein Wasser zu holen, den dünnen Stapel Briefe und Werbeprospekte für das Café, den er ihr eben kurzatmig und hustend überreicht hatte, in der Hand. Die Terrasse war leer. Er saß allein unter der Markise, seine Posttasche auf dem Stuhl neben ihm. Die Tischplatte glänzte rot. Mit den Fingern fuhr er über den glatten Kunststoff, über die chromstählernen gebogenen Armlehnen seines Stuhles. Auch sie glänzten. Alles war neu. Nicht nur das Mobiliar. Das ganze Café, das Gebäude, in dessen Erdgeschoss man es eingerichtet hatte, die Gebäude, die daran anschlossen, die Häuser gegenüber, die Straßen, die scharfen, weißen Linien auf dem schwarzen Asphalt, die Verkehrsschilder, die Blumenkübel aus Faserzement. Es kam ihm vor, als sei er in letzter Zeit immer öfter von neuen, glänzenden, beinahe unbenutzten Dingen umgeben. Das schien ihm, er hätte nicht wirklich sagen können, weshalb, ein gutes Zeichen. Erst hatte er gefürchtet, für einen wie ihn werde es keinen Platz und keine Verwendung geben, in dieser neuen, makellosen Welt. Aber dann war es doch weitergegangen. Oder sogar gerade deswegen.
Sie bauten eine ganze neue Stadt, am Rande der alten. Er wusste nicht, wer genau sie baute. Solche Dinge schienen ihm immer undurchsichtig und schwer verständlich. Wie konnte es sein, dass man einfach so eine neue Stadt baute, wer konnte so etwas verantworten. Es musste der Staat sein, wer sonst war groß und mächtig genug, eine ganze Stadt zu bauen? Auch wenn es nur eine Vorstadt war.
Es kämen eben so viele Menschen. Aus dem Maghreb, aus seiner alten Heimat, von den Komoren, aus Griechenland, aus Italien . Und für sie baue man diese Städte, hatte ihm seine Tochter erklärt, die in der Stadtverwaltung arbeitete. Lyon platze aus allen Nähten, es brauche neuen Wohnraum.
Die Straßen waren breit und gerade, die Häuser, strenge geometrische Körper, waren wie Bauklötze entlang dieser Straßen angeordnet und warfen scharfe Schatten über den frischen Asphalt und dahinter Riegel um Riegel und dazwischen nackte Erde, aus der wie Flaum schüttere erste hellgrüne Halme sprossen. Manchmal ein Spielplatz. Hinter die Fensterfronten entlang der Straßen zogen Läden ein. Supermarché, Hypermarché . Aber keine Restaurants und nur selten ein Café. Eigentlich war dieses hier, vor dem er nun saß, das einzige auf seiner Runde.
Sie stand bald wieder an seinem Tisch. Stellte ein großes Glas Wasser vor ihn hin. Verschwenderisch zur Hälfte mit Eiswürfeln gefüllt. Das war auch etwas Neues, diese Eiswürfel in den Gläsern. Das kalte Wasser sandte einen elektrischen Schmerz durch einen seiner Backenzähne. Er ließ sich nichts anmerken. Hätte gerne die Eiswürfel aus dem Glas gefischt, aber er fürchtete, die junge Frau zu beleidigen. Ihre Freundlichkeit galt nicht nur seiner Uniform. Dafür hatte er im Lauf seines Lebens ein Gespür entwickelt. Vielleicht gerade weil ihm Freundlichkeit in den ersten fünfundzwanzig Jahren seines Lebens nur selten zuteilgeworden war, nicht in Timiaouine, nicht in Oran, nicht in der Kaserne von Blida und schon gar nicht in den Schützengräben von Flandern. Und auch nicht in der langen Reihe von Lazaretten, durch die er geschleust worden war, mit verbrannter Lunge und verätzten Augen, auf der Flucht vor den vordringenden Deutschen, quer durch die Etappe, auf Pritschen von Lastwagen und Pferdekarren und manchmal zu Fuß, die Hand auf der Schulter des ebenso blinden Vordermannes. Lazarette in Zeltstädten, Lazarette in Scheunen, Lazarette in Schulhäusern mit eingestürzten Dächern und in halb ausgebrannten Klöstern. Er erinnerte sich an eine französische Nonne, in Algerien geboren, die ihm ein Glas Pfefferminztee brachte. Das war ein Akt der Freundlichkeit. Der einzige in vielen Jahren. Einer aus Solidarität mit dem fremden Mann, der, wenn auch unter unterschiedlichen Voraussetzungen, dasselbe Land Heimat nannte.
Und als er dann, nachdem er wieder einigermaßen zu sehen in der Lage war, in einen Zug nach Lyon gesetzt wurde und in der dortigen Bahnhofshalle, einem spitzgiebligen Gerüst aus rußigem Stahl, das einen überwältigenden Raum schuf, in dessen Weiten das Geschrei Tausender Soldaten und das Fauchen der Lokomotiven widerhallten, nach Luft rang und schließlich willenlos mit dem Strom Kriegsversehrter, im Gegenstrom zu den kampfeslustigen Unversehrten, die hinein in die Halle, auf die Bahnsteige, in die Züge, an die Front drängten, hinaus auf die Straße gespült wurde, auf der er sich die nächsten zwei Jahre durchschlagen sollte, da war das auch nicht der Beginn eines Lebens, in dem ihm viel Freundlichkeit entgegengebracht wurde.
Als aber der Krieg kein Ende nehmen wollte und in sein viertes und fünftes Jahr ging, wurde es auf den Straßen Lyons leerer und leerer, und es verschwanden vor allem die Männer, und da wurde dann erstaunlicherweise das Versprechen des Rekrutierungsoffiziers, man werde für einen wie ihn in Frankreich sicherlich Verwendung finden, doch noch wahr. Die Farbe seiner Uniform wechselte von Hellblau zu Dunkelblau. Bei der Post konnte man ihn brauchen, als Briefträger. Sein...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.