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Port Hope, 23.02. 2090
Liebe Violetta,
Ich bin 18. Volljährig. Erwachsen. Yay.
Hier, mitten im tiefsten kanadischen Winter, feiere ich meinen Geburtstag und ehrlich gesagt, fühle ich mich gerade verdammt alleine. Deshalb schreibe ich dir. Einen richtigen Brief - auf Papier und mit der Hand. Wenn du wüsstest, wie scheiße das aussieht. Da ich absolut keine Ahnung habe, wo du gerade bist, kann ich dir diesen Brief natürlich nicht schicken. Deshalb wird dir der Anblick meiner fürchterlichen Handschrift hoffentlich erspart bleiben.
Ich sitze hier in meinem winzigen Zimmer, habe mir eine Kerze angezündet und für mich gesungen. Natürlich ganz leise, denn ich wollte nicht, dass es jemand mitbekommt. Irgendwie erscheint es mir nicht richtig, diesen doch eher unbedeutenden Tag zwischen all die harten, bedeutsamen Tage der Menschen in Port Hope zu drängen, die (zu Recht) einen Scheiß auf Volljährigkeit oder die Geburtstage irgendwelcher verwöhnter Siedlungsjungen geben. Erwachsen ist man hier, wenn man sich erwachsen verhält: verantwortungsbewusst, fair und auf das Wohl der Gruppe bedacht.
Ich frage mich schon den ganzen Tag, was Erwachsenwerden für mich bedeutet. Was es mir hier in Port Hope bedeutet und was es bedeutet hat, als ich noch in Berlin gelebt habe, zusammen mit meiner Familie, kontrolliert und bevormundet von einem System, das mich niemals als richtigen Erwachsenen betrachtet hätte, nicht einmal an meinem 90. Geburtstag. Und natürlich höre ich deine Stimme in meinem Ohr, die behauptet: »Das hab ich dir doch damals schon gesagt, Laser. Du wolltest es aber nicht hören.«
Was soll ich sagen? Du hattest recht. Wie immer.
Damals in der Platte ging es beim Erwachsenwerden um Freigaben, um Altersbeschränkungen und um ein paar eher scheinbare Freiheiten in meinem beschränkten Leben. Es ging darum, sich der Kontrolle meiner Mutter zu entziehen, meinen MediaCon U-Account für mich alleine zu haben, ihr den Zugriff auf meine Daten, Bilder und E-Mails verwehren zu können.
Als ich gerade darüber nachgedacht habe, musste ich so heftig lachen, dass ich dabei den Kerzenstummel auf meinem Schoß ausgeblasen habe. Es hat einen Moment gedauert, bis ich im Stockdunklen die Streichhölzer gefunden habe, um ihn wieder anzuzünden. Selbst Licht anschalten dauert in Port Hope ewig.
Was ich eigentlich sagen wollte, in Port Hope ist man mit 18 Jahren wahlberechtigt. Allerdings nur, wenn sich die Menschen des Wahlkreises einig sind, dass man eine verantwortungsvolle Person ist, die mit ihrer Stimme verantwortungsbewusst umgehen kann. Schließlich darf hier nicht jeder Depp wählen. Richtige Deppen gibt es hier aber gar nicht. Nicht so wie bei uns zu Hause. Deshalb kriegen die meisten Volljährigen ihre Wahlerlaubnis ohne Probleme. Freiheiten, so wie die, die mich damals interessiert haben, jucken hier kaum jemanden. Freiheit bedeutet in Port Hope etwas ganz anderes. Und genau deshalb musste ich gerade so lachen.
Ich will unbedingt ein verantwortungsbewusster Erwachsener sein, jemand, der weiß, was gut für ihn ist. Jemand, der sich um andere sorgt, der erst an die Gemeinschaft denkt und dann an sich selbst. Deshalb feiere ich meinen Geburtstag auch alleine. Und nicht nur das! Heute habe ich beschlossen, wieder gesund zu sein. Ich habe beschlossen, keine Albträume mehr zu haben; ich will niemandem mehr auf der Tasche liegen. Ich will nicht mehr um dich trauern, Violetta. Und auf keinen Fall will ich mich länger verstecken.
Genau das mache ich hier nämlich. Ich habe eine scheiß Angst davor, mich dem zu stellen, was da draußen abgeht. Und wenn ich ehrlich bin, habe ich auch eine scheiß Angst davor, mich dir zu stellen.
Wahrscheinlich wird er es dir mittlerweile bereits selbst erzählt haben, aber nur ein paar Tage nach unserer Ankunft in der unabhängigen Siedlung am Lake Ontario, mitten in der kanadischen Wildnis, ist Richard hier aufgetaucht. Richard Mouse. So nenne ich ihn wegen seinem Avatar, den er in eurem komischen Teta-3-Clubhaus benutzt hat. Dein ehemaliger Mentor Richard, dein Ex, der andere Typ, mit dem du geschlafen hast (dieser Gedanke macht mich total wahnsinnig), Albert Einstein (so nenne ich ihn auch manchmal), der in meiner Fantasie immer steinalt und eine absolute Flasche gewesen war. Ein Greis. Ein Arschloch. Dumm nur, dass dein Richard weder aussieht wie Micky Mouse noch wie Albert Einstein. Und wirklich alt ist er auch nicht. Du hast mir da einige Details verschwiegen, meine Liebe. Aber weißt du, ich muss dir sagen, dein Männergeschmack ist wirklich nicht der Beste. Ich nehme mich jetzt mal aus (obwohl, irgendwie habe ich gerade nicht das Gefühl, dass ich eine besonders gute Wahl bin), aber was Richard betrifft: Mit dem Arschloch habe ich absolut recht behalten. Der Typ ist unerträglich!
Schon als er aus dem Helikopter gesprungen ist, mit dem er über den See geflogen kam (natürlich ist er die Kiste selbst geflogen), und mitten auf der verschneiten Wiese vor der Stadt gelandet ist, war ich mir sicher, gegen jemanden wie ihn kann ich auf keinen Fall anstinken. Was zur Hölle willst du mit mir, wenn du ihn haben kannst?
In waschechter Piloten-Montur, mit verspiegelter Sonnenbrille und Dreitagebart kam er auf uns zugerannt, total aufgebracht, besorgt und super dankbar für alles, was jeder von uns getan hat, um dir das Leben zu retten. Richard wollte dich sofort sehen. Und natürlich hat er einen Arzt mitgebracht. Einen richtigen Arzt. Nicht so einen schlecht ausgerüsteten Quacksalber wie der Franzose, der hier in Port Hope für die Kranken verantwortlich ist. Einen Arzt mit Injektoren, Pillen und verdammten Antibiotika.
Neben Richard kam ich mir vor wie der allerschlimmste Versager. Ich habe mich so beschissen gefühlt, ich wäre am liebsten einfach abgehauen.
Richard ist in dein Krankenzimmer gerannt und hat sich vor deinem Bett förmlich auf die Knie geschmissen. Mir kommt jetzt noch die Kotze hoch, wenn ich daran denke. Er hat mich so betroffen angesehen mit seinen stahlblauen Augen, hat meine Hand genommen, hat fassungslos den Kopf geschüttelt und mich dann ganz fest an sich gedrückt. »Danke, Laser, dass du sie gerettet hast«, hat er gesagt und es blöderweise auch noch so gemeint. Das habe ich gespürt. »Du bist ein ganz schön harter Brocken, ein richtiger Dickschädel, aber das hast du wohl von deiner Mutter geerbt.« Die Tatsache, dass er zu feige gewesen ist, selbst nach dir zu suchen, und mich die ganze Drecksarbeit hat alleine machen lassen, schien in diesem Moment keine Rolle mehr zu spielen. Ich habe dich gesucht und gefunden, ich habe dich hergebracht, aber Richard war es, der dich retten würde. Er würde dich zu meiner Mutter bringen und gemeinsam würden sie dir das Leben retten. Ich war ab jetzt überflüssig.
»Bambi will dich unbedingt sehen, Laser«, hat Richard mir ausrichten lassen. Klar wollte sie das. Aber ich wollte Bambi nicht sehen. »Aber es ist absolut okay, wenn du dir noch etwas Zeit lassen willst. Du hast echt einiges erlebt, Junge. Vielleicht ruhst du dich noch ein bisschen aus. Mach dir keine Sorgen, wir passen gut auf Violetta auf.«
Daran bestand kein Zweifel. Dir würde es sicherlich an nichts fehlen. Nicht mit jemandem wie ihm an deiner Seite. Richard und sein verdammter Arzt. Ich habe stumm genickt und ihm gesagt, dass du dich melden sollst, wenn es dir besser geht. Das hast du bis jetzt immer noch nicht getan. Und ich bin fast zwei Monate hier. Ich denke, dir sollte es mittlerweile besser gehen. Jedenfalls so gut, dass du irgendwie Kontakt zu mir aufnehmen könntest. Wenn du es denn wollen würdest.
Der Schmerz hat mich ganz klein gemacht, Violetta. Ich habe es nicht einmal fertiggebracht, mich von deinem leblosen Körper zu verabschieden, den ich mit der Injektion, die ich dir im Drachenflügel verabreichte, irgendwie kurz ausgeschaltet habe. Richards Arzt-Kumpel hat gesagt, dass ich nur verhindert habe, dass du sofort an deinen Verletzungen stirbst. Ich habe dir Zeit verschafft. Richtig geheilt hat das Zeug dich allerdings nicht. Auch der französische Quacksalber hat es nicht geschafft, dich gesund zu machen. Anscheinend hattest du mehrere gebrochene Rippen und innere Blutungen. Nichts, was man hier in Port Hope richtig behandeln kann. Obwohl ich jeden Tag in Port Hope bei dir gesessen ...
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