Schweitzer Fachinformationen
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Frauke Lüpke-Narberhaus, Hamburg
An einem Sonntag, einen Tag nachdem er sich verliebt hatte, hängte er den ersten Zettel auf. 600 weitere sollten folgen.
Jonas, 30 Jahre, schlaksig, Nickelbrille und Dreitagebart, hatte sich abends mit einem Freund verabredet, doch der hatte ihn versetzt. Jonas ging allein ins Hamburger Völkerkundemuseum, schaute sich die Ausstellung im Maori-Haus an, besuchte das Konzert einer marokkanischen Band. Mehr als ein Jahr ist das jetzt her.
Dort sah er diese Frau. Allein tanzte sie neben der Bühne, völlig in sich versunken, er tanzte sie an, sie bemerkte nichts. Jonas sagt, ihr Gesicht habe er gar nicht gesehen, nur ihre langen Haare, ihren Körper, ihre Bewegungen.
Als sie ging, folgte er, sprach sie an: »Entschuldigung, kann ich mal dein Gesicht sehen?« »Quatscht du immer Mädchen an?«, fragte sie. »Nein, ich bin eher schüchtern.« Er brachte sie zum Bus.
»Eigentlich lief es ganz gut«, sagt Jonas. Nur ihre Telefonnummer wollte sie ihm nicht geben, er wusste seine nicht auswendig und sein Handy lag zu Hause. Er diktierte ihr seine E-Mail-Adresse. Heute glaubt er, er habe dabei den Unterstrich vergessen.
Jonas hat schon mal Zettel aufgehängt, als er einen Musiker für seine Band suchte, das klappte damals. Also klebte er wieder. Erst am Völkerkundemuseum. Dann recherchierte er: Sie hatte gesagt, dass sie in Hamburg Tourismus studiere. Er fuhr zu jeder Hochschule. Eine Stunde verteilte er täglich seine Zettel, dann schmerzten seine Hände zu sehr vor Kälte. Drei Monate lang hielt er das durch.
Er bekam viele Anrufe und SMS, auch von Männern. Ein Reporter meldete sich, ein Blogger, ein Musiker schrieb, der Zettel inspiriere ihn, er habe ihn in seinen Probenraum gehängt. Jemand schrieb, er sei die hessische Perle. Als Jonas anrief, meldete sich ein Junge, im Hintergrund lachten seine Freunde. Frauen wünschten ihm Glück oder wollten den Mann kennenlernen, der hartnäckig die Liebe sucht.
Anfangs, sagt Jonas, sei ihm das egal gewesen. Später ließ er sich darauf ein, schrieb sich monatelang SMS mit einer Frau. Draus geworden ist nichts.
Jetzt wartet Jonas nicht mehr. Er könne ja nicht sein Leben lang Zettel aufhängen. Er glaubt, die hessische Perle hat seinen Zettel einfach nur nicht gesehen. Diese Vorstellung kann er ertragen.
Claus Hesseling, Hamburg
Früher war nicht alles besser, aber vieles anders. Hermann weiß das. Er sagt, heute wisse man ja gar nicht mehr, ob jemand lesbisch sei oder schwul oder pervers. Hermann ist 74 Jahre alt, Raucher, FKK-Fan, Exseefahrer - und nicht rassistisch oder sonst was angehaucht, sagt er. Mehrmals. Vielleicht weil er weiß, dass sich heute viele an dem stören, was auf seinem Zettel steht.
Angeblich hat Hermann, der eigentlich anders heißt, ihn in sämtlichen Supermärkten und Drogerien im Großraum Hamburg angeklebt, die ein Schwarzes Brett besitzen. Angeblich war Hermann aber auch schon mal tot und regelmäßig bei Altkanzler Schmidt zu Gast, angeblich hat er früher löffelweise Kaviar gegessen, den echten natürlich. Es könnte also auch nur jeder zweite Supermarkt im Großraum Hamburg gewesen sein oder jeder dritte. Vielleicht waren es auch nur eine Handvoll Zettel.
Mit diesen Zetteln jedenfalls sucht er eine »liebe, ungebundene, ledige Partnerin (auch mit Kind), ab ca. 30 bis 60 Jahre, egal, welcher Herkunft, Nationalität oder Hautfarbe, einigermaßen schlank, am liebsten eine Frau (nicht Voraussetzung oder Bedingung!) mit asiatischem Hintergrund«. Sie sollte, genau wie er, »rauchen, weltoffen, nicht prüde oder verbiestert sein«.
Anfangs will Hermann am Telefon gar nicht über diesen Zettel sprechen, er habe darauf ja schließlich schon alles erklärt. Dann hört er gar nicht mehr auf zu reden. Wie das manchmal bei alten Menschen so ist, denen nicht mehr oft jemand zuhört.
Hermann erzählt, dass er sich früher noch immer und überall eine Zigarette anzünden konnte und das ja heute fast schon ein Verbrechen sei. Er erzählt von seinen drei Exfrauen, an die er schöne Erinnerungen habe und schlechte. Er fasst zusammen: »Wir haben uns gestritten und nicht gestritten. Wie das eben so ist.« Er erzählt von seiner Zeit auf See, dass er ganz oben war und ganz unten im Dreck. Dass er schon mal eine Kontaktanzeige in einer Zeitung aufgeben habe, dass er einen wunderschönen Brief von einer wunderschönen Frau bekommen habe, besser hätte man ihn nicht schreiben können. Als er anrief, meldete sich eine Partnervermittlung. »Wir besorgen Ihnen bis Ende des Jahres eine Frau, wenn Sie 300 Euro zahlen.« Hermann legte auf.
Hermann sagt, er würde eine Frau nie schlagen können oder etwas gegen ihren Willen tun. Er suche einfach eine bessere Hälfte, jemanden zum Pferde stehlen, jemanden, der zu ihm hält. Und er glaubt, dass er bei einer Frau »aus irgendeinem asiatischen Gebiet« am ehesten findet, was er sucht.
Warum?
»Weil sie im Vergleich zu vielen anderen Frauen eine Eigenart haben, mal mehr, mal weniger. Sie geben dem Mann, mit dem sie zusammen sind, das Gefühl, er sei der Chef. Man denkt also, man sei der Macker, ist es aber gar nicht. In Wahrheit ist sie das.«
Und das ist nicht rassistisch? So eine Eigenart allen Asiatinnen zu unterstellen, mal mehr, mal weniger?
»Nein.«
Die 27-jährige amerikanische Schauspielerin Anna Akana, mit Wurzeln aus irgendeinem asiatischen Gebiet, sieht das ein bisschen anders. In einem YouTube-Video regt sie sich knapp drei Minuten lang über Männer mit »yellow fever« auf, Männer also, die diese süßen, sexy, unschuldigen, dankbaren asiatischen Mädchen mögen. Mehr als drei Millionen Mal wurde das Video bisher angeklickt.
Dabei spreche ja gar nichts dagegen, auf einen bestimmten Typ Mensch zu stehen. Aber Männer mit dem »gelben Fieber« hätten dabei eben nur ein Kriterium: die Hautfarbe. »Das ist billig. Das ist beleidigend. Das macht mich sauer.« Sie empfiehlt diesen Männern bei der Partnersuche eine andere Strategie: »Warum kommen die Männer nicht und sagen: >Ich bin ein rassistisches Arschloch.< Da würdest du wenigstens denken: Oh, das ist ehrlich. Das ist cool.«
Hermann hat offenbar noch nicht ganz so hohes gelbes Fieber, denn letztlich sagt er: »Ob gelb, rot, braun oder schwarz ist mir egal.« Er redet viel und freundlich, wer eine Frage hat, muss ihn schon unterbrechen, denn Pausen macht er keine.
Viele Menschen hätten ihn wegen des Zettels angerufen, sagt Hermann, 40 seien es sicher gewesen. Darunter einige Kinder, die ihn ärgern wollten, und viele Frauen, mit einigen habe er sich schon getroffen. Die schwarze Frau aus Mombasa zum Beispiel habe ihm gefallen - bis sie gesagt habe, dass sie seit vier Jahren illegal in Deutschland lebe.
Hermann sagt, er gebe die Hoffnung nicht auf. Er sei schließlich ein zielstrebiger Mensch. Und wahrscheinlich ist er auch wirklich nur ein alter Mann, der noch einmal die große Liebe sucht, bis dass der Tod sie scheidet. Ein Mann, der sagt: »Ich komme nicht aus dieser Zeit.«
In dieser Zeit hängt eben kaum jemand mehr seine mehr oder weniger abseitigen Vorlieben mit Namen und Handynummer ans Schwarze Brett eines Supermarkts. Heute füllen Männer und Frauen Fragebögen zum Traumpartner auf Datingportalen aus. Das ist mitunter nicht weniger seltsam, aber immerhin weniger öffentlich.
Jens J. Parrée, Köln
Jan Strozyk, Hamburg
Theo Lüpke-Narberhaus, Osnabrück
Jan-Henrik Wiebe, Jena
Er kannte es nicht mehr, allein ins Bett zu gehen. Meist schlief Freundin eins neben ihm oder Freundin zwei. Nun war es so, dass Freundin eins bei ihrem Zweitfreund in Leipzig weilte und Freundin zwei in Berlin. Was also tun?
Torben, der eigentlich anders heißt, schrieb einen Zettel. Klar, im Netz hätte er auch eine Frau finden können, die nur Sex will, nicht mehr. Portale gibt es genug. Nur fühlt er sich dort wie auf Partys in den Morgenstunden: Ein paar bleiben immer übrig.
Früher, erzählt Torben, liebte er nur eine Freundin. Irgendwann gestand sie ihm, dass sie Lust auf eine Frau habe. Warum also kein Dreier? Nur fanden sie keine, die mitmachte. Er fragte seine Freundin: »Würdest du allein mit einer anderen Frau schlafen?« »Ja«, sagte sie. »Auch mit einem anderen Typen?« »Ja«. »Und du?« Torben nickte und spürte, dieser Moment würde sein Leben ändern.
Seit rund sechs Jahren lebt Torben mit dieser Freundin in einer polyamourösen Partnerschaft. Das »amourös« ist ihm wichtig, es geht um Liebe, weniger um Sex. Er hat eine primäre und eine sekundäre Beziehung, so nennt er das. Ein Partner erfordert schon Organisation, das Leben mit zwei Partnern klingt fast bürokratisch. Vielleicht hilft das, die Eifersucht zu zügeln. Torben sagt, er kenne keinen, der so eifersüchtig sei wie er.
Torben sagt, er brauche eine Art Hierarchie: Die primäre Beziehung bezeichnet er als Sockel, von dem aus er zu Exkursionen aufbricht - manchmal auch nur zu Sex. Mit seiner Erstfreundin redet er über Kinder, er bespricht Wohnortwechsel und Jahresurlaube. »Die Zweitfreundin hat weniger Interventionsrechte«, sagt er, »trotzdem erlebe ich auch mit ihr heftigste Gefühle.«
Torben...
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