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Hamburg Anfang der 1940er: Hakenkreuzfahnen wehen über der Hansestadt. Die Lage für die Familie Deharde spitzt sich so zu, dass Mina daran denkt, ihre Lieben außer Landes zu bringen. Doch dann braucht Edo ihre Hilfe, um eine Gruppe Flüchtiger zu verstecken, und sie packt mit an, ohne Rücksicht auf die Folgen für das Kontor. Selbst als beim Bombenangriff 43 das Haus in Flammen aufgeht und Mina in den Keller ziehen muss, macht sie weiter. Bis sie sich und andere in große Gefahr bringt.
ZWEI
Edo bat Mina darum, niemandem etwas über den wahren Grund seiner Reise in die Vereinigten Staaten zu erzählen, und sie versprach es ihm auf Treue und Gewissen. Im Kontor und auch an der Kaffeebörse hieß es nur, Herr Becker werde nach New York reisen, um mit den dortigen Banken zu verhandeln. Auch wenn es ungewöhnlich war, dass ein Prokurist solche Aufgaben übernahm, so war es doch nichts noch nie Dagewesenes, und niemand fragte nach, nicht einmal Edos bester Freund und Ziehbruder Heiko Peters, der sich bloß ein wenig wunderte.
»Komisch, dass er persönlich hinfahren will und das nicht per Post oder Telefon regelt. Ich hatte immer den Eindruck, Edo würde sich eher den Fuß abhacken lassen, statt dieses Land noch einmal zu betreten«, brummte er bei einem seiner täglichen Besuche in Minas Büro. »Menschen ändern sich im Laufe der Jahre«, fügte er mit einem Achselzucken hinzu. »Manche weniger, andere mehr.«
Mina ließ es sich nicht nehmen, Edo persönlich zum Pier zu bringen, von wo aus das Passagierschiff nach New York ablegte, auch wenn er meinte, er könne sich ebenso gut ein Taxi nehmen.
Eine merkwürdige, nicht greifbare Angst flatterte in ihrem Magen, als sie an der Gangway zur ersten Klasse standen, um sich zu verabschieden. Sie wusste selbst nicht, was ihr solche Sorgen machte, aber all ihre Nerven waren angespannt, so als stünde irgendein Unglück bevor, von dem sie weder wusste, was es war, noch, wie man es verhindern könnte.
Vielleicht war es aber auch nur die Erinnerung an jenen Herbstmorgen vor etlichen Jahren, als sie an genau dieser Stelle schon einmal Abschied voneinander genommen hatten, weil Edo nach Amerika aufgebrochen und sie in Hamburg zurückgeblieben war. Sie hatte ihn danach fast sieben Jahre lang nicht mehr gesehen, bis Heiko seinen Bruder zufällig in einer Irrenanstalt gefunden hatte. Seit sie wieder zueinandergefunden hatten, waren Mina und Edo nicht einen Tag voneinander getrennt gewesen.
Vielleicht fällt mir dieser Abschied deshalb so schwer, dachte Mina. Nun komm schon, Mina, reiß dich zusammen!
Sie streckte das Kreuz durch und zwang sich zu einem Lächeln, während sie fürsorglich den obersten Knopf seines Mantels schloss. Ein ruppiger Wind wehte von der See her und brachte kalte Regentropfen mit sich. »Pass gut auf dich auf, Edo!«, sagte sie. »Nicht dass du dich übernimmst und in Amerika krank wirst und dortbleiben musst. Du wirst hier gebraucht!«
»Keine Sorge, Mina. Ich bin viel zäher, als ich aussehe.« Edo, der die Krempe seines dunklen Filzhutes wegen des Windes tief ins Gesicht gezogen hatte, zwinkerte ihr mit dem gesunden Auge zu. »Außerdem habe ich dir bestimmt schon hundert Mal gesagt, dass es nicht nötig ist, mich zu bemuttern.«
»Ich kann nun einmal nicht aus meiner Haut. Das Bemuttern kommt automatisch, wenn man Kinder hat oder sich Sorgen um jemanden macht.«
»Dazu besteht aber doch gar kein Grund. Ich bin ja nur ein paar Tage weg; in zwei, spätestens drei Wochen bin ich wieder zurück«, versicherte Edo. »Gib den Kindern jeden Abend ihren Gutenachtkuss von mir, und pass auf, dass Frau Kruse sie nicht heimlich mit Kuchen vollstopft.«
Mina musste lachen. »Wenn Lotte und Fräulein Brinkmann nicht aufpassen würden, dann könnte man Ella und Amelie allmählich kugeln.«
»Siehst du, jetzt lachst du endlich wieder.«
Edo griff nach Minas Schultern und zog sie an sich. »Es gibt keinen Grund zur Sorge, Mina«, wiederholte er mit warmer Stimme. »Wirklich nicht! Ich werde mich von vorn bis hinten bedienen lassen und meine Schiffspassage genießen wie eine Luxuskreuzfahrt. Nach meiner Ankunft fahre ich mit dem Zug nach Toledo, mache meine Aussage und komme postwendend zurück. Und garantiert bin ich lange vor den Briefen, die ich dir schreiben werde, wieder bei dir.«
Plötzlich war da ein dicker Kloß in Minas Hals, und sie musste zwinkern, um die Tränen zurückzudrängen. »Versprochen?«, fragte sie heiser.
»Mit Hamburger Kaufmannsehrenwort!« Edo küsste sie.
Alles wollte sie sich einprägen. Die Weichheit seiner Lippen, die auf ihren lagen, den Duft seines Bartöls, das sich mit dem Geruch von Kernseife und Rasierwasser mischte und so typisch für ihn war. Sie spürte das leichte Zittern seiner Finger, als er die Kontur ihres Gesichtes nachzeichnete. Und sie sah die kleinen Fältchen im Winkel seines rechten Auges, das dunkel und liebevoll auf ihr ruhte.
»Bis bald, meine Mina!«, sagte er und drückte einen Kuss auf ihre Hände, die er in seine genommen hatte.
»Bis bald, Edo. Und wenn irgendetwas ist, schickst du mir sofort ein Telegramm, ja?«
Edo seufzte. »Ich wüsste zwar nicht, weswegen, aber ja. Falls etwas passiert, schicke ich dir natürlich ein Telegramm.«
Der uniformierte Steward an der Gangway räusperte sich vernehmlich.
»Es wird Zeit, sonst legt das Schiff noch ohne mich ab.« Edo umarmte Mina ein letztes Mal und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange, ehe er sie losließ und mit großen Schritten die Gangway hinauflief. Oben angekommen blieb er stehen und winkte ihr zu. Dann wandte er sich um und verschwand im Inneren des Schiffes.
Edo war noch nie ein Freund langer und tränenreicher Abschiede gewesen. Vor allem wusste er, dass Mina es nicht gutheißen würde, wenn er sich noch länger in dem kalten Wind aufhielte.
Einen Moment lang überlegte sie, ob sie bei der Gruppe von Leuten stehen bleiben sollte, die mit Taschentüchern winkend darauf warteten, dass das Passagierschiff von den Schleppern in die Fahrrinne geschleppt wurde. Doch dann schüttelte sie über sich selbst den Kopf und ging eilig durch den Regen zu ihrem Automobil zurück und setzte sich hinter das Steuer.
Am liebsten wäre sie jetzt nach Hause gefahren, hätte sich in ihrem Zimmer verkrochen oder sich zu Fräulein Brinkmann ins Kinderzimmer gesetzt und eine Weile mit ihren Töchtern gespielt, aber es war erst später Vormittag, und sie wusste, wie viel Arbeit noch auf ihrem Schreibtisch auf sie wartete. Sie seufzte resigniert, startete den Motor ihres Cabriolets und steuerte die Speicherstadt an. Der Wagen war erst vor einem Monat geliefert worden und ersetzte die in die Jahre gekommene Limousine, die ihr Vater noch vor dem Krieg gekauft hatte. Mina hatte lange gezögert, sich ein neues Automobil zuzulegen, aber die letzten zwei Jahre waren sehr erfolgreich gewesen, und von den Kaufleuten an der Kaffeebörse war sie als Einzige noch mit einem Vorkriegsmodell herumgefahren.
Sie stellte das dunkelblaue Mercedescabriolet vor den Warenschuppen am Sandtorkai ab und strich liebevoll mit den Fingern über den glänzenden Lack. Edo hatte die Farbe ausgesucht.
»Elegant, aber nicht aufdringlich«, hatte er gemeint. »Ganz so, wie man sich eine erfolgreiche Geschäftsfrau vorstellt. Das Auto sollte etwas über seinen Besitzer aussagen.«
Mina lächelte bei der Erinnerung daran und fühlte den scharfen Schmerz in ihrem Inneren, den sie von früher noch so gut kannte. Sie vermisste Edo schon jetzt, dabei war er doch kaum abgefahren. Wie sollte das nur in den nächsten zwei oder drei Wochen werden?
»Reiß dich zusammen, Mina. Haltung zeigen!«, murmelte sie. Sie straffte die Schultern und überquerte - eine Lücke zwischen den Lastwagen und Fuhrwerken nutzend - die Straße, die an den hochaufragenden Speichergebäuden entlangführte.
Neben dem Eingang zu Nummer 36 hingen einige Firmenschilder, eines davon war neu. Es war aus schwarz glänzendem Bakelit, auf dem in goldenen Lettern der Name Kopmann & Deharde - Caffee-Import und Export zu lesen stand. Mina hatte das alte Emailleschild, das an den Ecken zu rosten begonnen hatte, vor ein paar Monaten ersetzen lassen. Sie trat durch die schmucklose Tür und lief die Treppe zum Kontor hoch. Beim Näherkommen hörte sie leise Stimmen und Schreibmaschinengeklapper. Dann lachte jemand glucksend, und andere Stimmen fielen in das Gelächter ein.
Dieses Lachen hätte Mina überall erkannt: Ihre Freundin Irma Peters schien auf einen Sprung vorbeigekommen zu sein und unterhielt offenbar wieder mal das gesamte Kontor mit ihrem trockenen Humor.
Mina öffnete schwungvoll die Eichentür des Büros und trat ein. »Guten Morgen, zusammen!«, rief sie. Wie auf Kommando verstummte das Gelächter, die Angestellten drehten sich zu ihr und murmelten einen Gruß, ehe sie sich wieder der Arbeit zuwandten.
Beinahe wie damals, als Papa noch das Kontor geleitet hat, dachte Mina amüsiert. Wenn der Chef ins Büro kommt, sind auf einmal alle still.
»Guten Morgen, Mina!«, rief Irma strahlend. Sie erhob sich von dem Stuhl, den sie sich neben Agnes' Schreibtisch gezogen hatte, kam auf Mina zu und deutete einen Kuss auf ihre Wange an. »Ich habe meine Brut für den Vormittag dem Mädchen aufs Auge gedrückt, um zwischendurch mal was anderes zu hören als das ewige Kindergezänk. Wer hat nur behauptet, es würde besser, wenn man zwei hat, weil die dann so schön miteinander spielen können?« Irma rollte theatralisch die Augen. »Nicht wenn man lauter rothaarige Sturköpfe in die Welt setzt, die sich prügeln wie die Hafenarbeiter.«
»Glaub nicht, dass meine Mädchen besser sind!«, erwiderte Mina lachend. »Die prügeln sich zwar nicht, aber sie piesacken sich, wo sie nur können. Schwestern eben!« Als sie Agnes' entrüsteten Gesichtsausdruck sah, zwinkerte sie ihr zu. »Anwesende sind natürlich ausgenommen. Ist noch Kaffee da?«
»Ich habe vorhin eine Kanne für dich gemacht und warm gestellt«, sagte Agnes.
»Danke, das ist lieb...
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