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Mitreißend und bewegend: Die Teehändler-Saga geht weiter Die harten Zeiten scheinen überwunden. Der Teehandel der drei Schwestern beginnt, erste Gewinne abzuwerfen. Doch die Unabhängigkeit der Frauen wird im Dorf mit wachsendem Argwohn betrachtet, was auch Gesas heimliche Beziehung zu Keno belastet. Da steht eines Tages ein abgerissener Kriegsheimkehrer vor der Tür des Friesenhofes. Es ist der verschollene Gerold, der inzwischen von allen, auch von Gesa, für tot gehalten wurde. Nun will er dort wieder anknüpfen, wo er sie vor dem Krieg verlassen hatte. Gesa muss eine schwere Entscheidung treffen ...
Krummhörn, Ostfriesland, Frühling 1951
Hanna lauschte angestrengt in die Dunkelheit. Alles war still bis auf die regelmäßigen Atemzüge ihrer Tochter, die im Kinderbettchen am Fußende des Ehebettes schlief, und die leisen Schnurkser, die Tomek von Zeit zu Zeit von sich gab. Das tat er immer nur dann, wenn er auf dem Rücken lag und fest schlief.
Es musste kurz nach Mitternacht sein, aber Hanna hütete sich, die Nachttischlampe anzuschalten, um auf den Wecker zu schauen. Sie schlug das dicke Federbett zurück, setzte sich auf und tastete mit den Füßen nach ihren wollgefütterten Filzhausschuhen, die auf dem Bettvorleger standen. Sie schlüpfte hinein, erhob sich und griff nach ihrer Strickjacke, die sie beim Zubettgehen am Fußende des Bettes zurechtgelegt hatte.
Es war kalt in der ungeheizten Schlafkammer, und sie zog die lange Wolljacke eng um sich. In der Küche wird es wärmer sein, da ist der Ofen noch an, dachte sie.
Vorsichtig, um keinen Lärm zu machen, zog sie die Nachttischschublade auf und holte das dicke Einschreibeheft heraus, das sie dort versteckt hielt.
Es war eigentlich nichts Geheimes, was sie dort hineinschrieb, aber der ein oder andere Hausbewohner des Friesenhofes würde mindestens verständnislos den Kopf schütteln, wenn er erführe, dass sie manchmal mitten in der Nacht aufstand, um an jemanden zu schreiben, der diese Briefe nie lesen würde. Ihre älteste Schwester Helga würde sie vermutlich gar als »nicht mehr ganz richtig im Oberstübchen« beschreiben.
Aber seit wann gebe ich etwas darauf, was Helga von mir denkt?, dachte Hanna grimmig.
Sie streckte die Linke aus und tastete ihren Weg um das Bett herum, strich über die Gitterstäbe des Kinderbettes und lächelte, als sie hörte, dass Mariechen leise Schnalzgeräusche von sich gab. Die Kleine lutschte an ihrem Daumen. Wieder etwas, worüber Helga dauernd schimpfte.
»Sieh zu, dass du ihr das so schnell wie möglich abgewöhnst«, sagte sie immer. »Mariechen wird noch ganz schiefe Zähne davon kriegen, und es ist deine Schuld, wenn sie dann keinen Mann abbekommt.«
Tante Alma, die von allen im Haus Tanti genannt wurde, rollte dann mit den Augen und sagte kopfschüttelnd: »Von all deinen Geschwistern warst du die Einzige, die am Daumen gelutscht hat, Helga, und du hast weder schiefe Zähne noch bist du als alte Jungfer sitzengeblieben. Also, was regst du dich auf? Hanna macht das schon richtig so, wie sie es macht.« Damit nahm sie ihr Strickzeug wieder in die Hand. Die Diskussion war für sie beendet.
Einen Moment lang war Hanna versucht, der kleinen Marie liebevoll über den Kopf zu streicheln, aber das würde sie womöglich aufwecken und ihre gestohlene Stunde Alleinsein wäre vorbei, ehe sie begonnen hätte.
So leise wie möglich öffnete sie die Kammertür und trat hinaus auf den dunklen Flur. Vier Schritte nach links bis zur Treppe, dann am Geländer festhalten und zwanzig Stufen hinunter in den Flur, von dort nach links um die Ecke bis zur Küchentür. Sie kannte den Weg blind.
Wie oft sie schon im Finsteren hier hinuntergeschlichen war, wusste sie nicht mehr. Das Einschreibebuch mit dem blauen Pappdeckel, das sie in der Rechten hielt, war bereits das dritte, und auch das war schon so gut wie vollgeschrieben. Es wurde allmählich Zeit, ein neues zu besorgen.
In der Küche schaltete Hanna die Lampe über dem Tisch ein, holte sich aus der obersten Schublade des Buffets einen von Mamas Bleistiften und nahm dann am Kopfende Platz. Dort hatte ihr Vater immer gesessen, und sie hatte das Gefühl, ihm hier besonders nahe zu sein.
Hanna öffnete das Heft und blätterte zu ihrem letzten Eintrag, überflog noch einmal, was sie am ersten Weihnachtstag geschrieben hatte, und griff nach dem Bleistift.
Lieber Papa, schrieb sie, dann hielt sie inne, um ihre Gedanken zu ordnen.
Das war der eigentliche Grund, dieses unregelmäßige Tagebuch zu führen, in dem sie ihrem Vater Briefe schrieb. Manches, was sie beschäftigte, wurde erst klar, wenn sie versuchte, es in Worte zu fassen. Außerdem fehlte es ihr, alle Probleme mit Papa zu besprechen, wie sie es früher getan hatte. Sie stellte sich vor, ihr Vater sei bloß auf eine lange Reise gegangen und es sei ungewiss, wann er wieder zurückkehren würde. Auch dann hätte sie ihm Briefe geschrieben, auf die er vermutlich nicht geantwortet hätte, denn er war nur ein paar Jahre zur Schule gegangen, und mit dem Formulieren hatte er immer auf Kriegsfuß gestanden. Doch natürlich würde ihn alles interessieren, was in der Familie, im Dorf und in der Gegend so passierte, daher erzählte sie ihm sämtliche Neuigkeiten, teilte ihre Sorgen und Ängste mit ihm und fragte ihn um Rat. Manchmal meinte sie beinahe, seine Stimme zu hören, und es kam ihr vor, als würde er ihr über die Schulter sehen und lesen, was sie geschrieben hatte. Dann konnte sie beinahe die Wärme seiner Hand auf ihrer Schulter spüren und den für ihn so typischen Geruch nach Kernseife und Rasierwasser wahrnehmen.
Onno de Fries war vorletztes Jahr gestorben und auf dem Friedhof begraben. Hanna besuchte sein Grab ebenso wie ihre Mutter und ihre Schwestern, aber diese Besuche gaben ihr nie das Gefühl, ihrem Vater nahe zu sein. Nicht so sehr, wie wenn sie sich hinsetzte, um ihm zu schreiben.
Herzlichen Glückwunsch zu deinem Geburtstag! Wo auch immer du jetzt bist, ich weiß, du wirst ihn gebührend feiern, und ich hoffe, du hast viel Freude dabei. Nicht zu fassen, dass das jetzt schon der zweite Geburtstag ist, an dem du nicht mehr bei uns bist. Mama wird nachher ein paar Blumen auf den Friedhof bringen, vor den Grabstein in eine Vase stellen und schimpfen, dass das Wasser vermutlich gleich zufriert und die Tulpen dann die Köpfe hängen lassen. In diesem Jahr haben wir viel Frost, aber immer noch nicht genug, dass die Siele und Gräben alle zufrieren und man von Ort zu Ort durch ganz Ostfriesland Schlittschuh laufen kann, so wie früher. Wie viel Spaß wir dabei hatten!
Hanna lächelte. Sie erinnerte sich nur zu gut daran, mit langen wollenen Strümpfen und dickem Schal um Kopf und Hals neben ihm hergelaufen zu sein. Daran, wie er ihr erzählt hatte, dass er als junger Mann einmal bis nach Aurich gefahren war, fast vierzig Kilometer nur über zugefrorene Gräben und Siele, nur um ein Mädchen zu besuchen. Überhaupt hatte er immer gerne Geschichten von früher erzählt.
Die Trauer um ihren Vater war plötzlich wieder sehr stark, auch wenn sie die Schärfe des Schmerzes verloren hatte. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, aber sie lächelte dabei.
Uns allen hier auf dem Hof geht es gut. Tanti wird zwar langsam immer krummer, doch sie will natürlich nichts davon hören, einen Stock zu benutzen. Du weißt ja, wie sie ist. Stöcke sind was für alte Frauen, und solange sie noch nicht achtzig ist, ist sie nicht alt. Ihre Augen wollen inzwischen nicht mehr so richtig, aber sie hört noch immer wie ein Luchs und hat zu allem ihre Meinung. Meistens hat sie auch recht damit.
Mama klagt immer wieder mal über ihre Kopfschmerzen, besonders, wenn ihr etwas gegen den Strich geht oder wir Schwestern uns streiten. Aber wir sind inzwischen alle erwachsen, und so oft kommt das nicht mehr vor.
Besonders Helga ist ruhiger geworden und nicht mehr so schnell auf Streit aus.
Das liegt zum einen daran, dass sie nicht mehr unter der Knute von ihrem Ehemann steht, von dem wir nichts mehr gehört haben, seit er sich aus dem Staub gemacht hat. Zum Glück, wenn du mich fragst. Der wahre Grund ist aber, dass sie jetzt eine Aufgabe hat, die ihr liegt. Die Frau von Egon Reins ist krank und liegt schon seit ein paar Wochen in Emden im Krankenhaus. Mit den drei Kindern und dem Haushalt ging auf dem Hof alles drunter und drüber, und Helga hat angeboten, ihm auszuhelfen und einzuspringen, bis Else Reins wieder auf dem Damm ist. In aller Herrgottsfrühe läuft Helga zum Reinshof hinüber, macht die Kinder fertig für die Schule, kocht Mittagessen, macht sauber und bleibt dort, bis die Kinder abends ins Bett gebracht werden. Wenn sie nach Hause kommt, hat sie immer jede Menge zu erzählen, da sie auf dem Hof erfährt, was im Dorf so vor sich geht. Wer bei wem zum Geburtstag eingeladen war, wo eine Hochzeit ansteht . solche Sachen eben. Das ist zwar auf der einen Seite schön, aber es zeigt uns auch, wie sehr die Nachbarschaft unsere Familie nach wie vor schneidet.
Gesa zuckt bei dem Thema nur mit den Schultern, Helga wirft mir vorwurfsvolle Blicke zu - und ich? Ich versuche, mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mich das trifft. Und all das nur, weil ich Tomek geheiratet habe und die Nachbarn nichts mit ihm zu tun haben wollen.
Wenn sie sich nur die Mühe machen würden, ihn kennenzulernen! Ich meine, das ist doch nicht zu viel verlangt, oder? Tomek ist freundlich und höflich zu jedermann, er grüßt, wenn er jemandem auf der Straße begegnet, und er wäre sofort bereit, den Nachbarn beim Heuen oder Mistfahren zu helfen. Aber es fragt ihn ja niemand! Für sie ist er nur der Polacke, der sich in eine der Bauernfamilien eingeschlichen hat und jetzt der Bauer auf dem Friesenhof sein will.
Meine Hoffnung ist, dass es ja nicht alle Nachbarn sind. Jens Krögers von gegenüber sagt, ihm sei egal, was die anderen denken. Er hat schon immer gut mit den de Fries zusammengearbeitet, und so soll es auch künftig bleiben. Du kannst dir nicht vorstellen, wie dankbar ich ihm dafür bin, dass er Tomek als seinesgleichen ansieht!
Ob ich mit Tomek glücklich bin, willst du wissen? Wenn das mit den...
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