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Emilia
Tu es schon.«
Alica, die hinter mir auf der Kante meines Bettes saß, tippte ungeduldig mit den Füßen. Ich spürte ihre Unruhe überdeutlich in der Luft, als wäre es meine eigene. Dabei war ich eigentlich ruhig. Ich fühlte mich so ruhig wie lange nicht mehr, obwohl der Cursor meiner Maus gerade über dem vielleicht wichtigsten Button meiner Zukunft schwebte. Zum zweiten Mal in meinem Leben.
Und obwohl ich nicht wusste, ob es diesmal klappen würde.
Ganz leicht legte ich den Kopf schief, damit ich meine beste Freundin ansehen konnte, die auf meinem Bett im Wohnheimzimmer saß. Sie trug bereits ihren Pyjama, obwohl es erst acht Uhr abends an einem Freitag war. Aber das zweite Ausbildungsjahr war deutlich anstrengender als das erste, und vor allem diese Woche war wegen der bevorstehenden Jahresprüfungen anspruchsvoll gewesen. Wir hatten so viel Anatomie-Unterricht gehabt, dass selbst mir der Kopf rauchte, und da war es nur verständlich, dass Alica völlig fertig war. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen, als ich sie ansah. Trotzdem strahlte sie, wie immer, eine unbändige Lebendigkeit aus.
»Klick drauf«, drängte sie mich. »Sonst mache ich es!«
Langsam drehte ich mich wieder zu meinem Laptop um. Meine Augen brannten von dem hellen Licht, aber mein Blick wanderte sofort wieder zu dem Button, auf dem stand: »Bewerbungsunterlagen hochladen«.
Okay, vielleicht war ich doch nicht so ruhig, wie ich gedacht hatte. Aber weil ich das auf keinen Fall zeigen wollte, riss ich mich zusammen und betätigte den Knopf. Ein paar Sekunden lud die Seite, dann erschien in großen Buchstaben: Herzlichen Glückwunsch! Sie haben Ihre Unterlagen eingereicht. Sie werden in wenigen Wochen über den Stand Ihrer Bewerbung informiert!
Ich ließ die Luft entweichen, und Alica hinter mir tat es zeitgleich.
Ich hatte es getan. Ich hatte mich für das Medizinstudium beworben.
Es war nicht einmal ein besonders großer Act gewesen. Die Unterlagen, mit denen ich mich vor anderthalb Jahren beworben hatte, waren noch größtenteils aktuell gewesen.
Die Unterlagen, mit denen ich damals abgelehnt worden war.
Ich versuchte, nicht zu viel darüber nachzudenken, aber es war wirklich schwer, weil ich mich noch gut an mein gebrochenes Herz erinnerte. Vielleicht war auch das der Grund, warum ich mich letztes Jahr nicht beworben hatte - nicht etwa, weil ich die Ausbildung unbedingt hatte durchziehen wollen, wie ich es den anderen hatte weismachen wollen.
Sondern aus Angst.
»Wie fühlst du dich?«
Ich drehte mich auf meinem Schreibtischstuhl wieder zu Alica um und zuckte mit den Schultern. »Wie soll ich mich schon fühlen? Ich habe ja nur die Unterlagen eingereicht. Jetzt kann ich nur abwarten.«
Meine Freundin hob sofort die Augenbrauen, als würde sie meinen Worten auf keinen Fall glauben. »Komm schon, Emilia. Wir wissen beide, dass es nicht so einfach ist. Das ist dein großer Lebenstraum, also muss es doch was mit dir machen.«
Langsam ließ ich eine Hand zu meiner Brust wandern. Legte sie darauf ab und tastete nach meinem Herzschlag, obwohl er eigentlich durch meinen ganzen Körper donnerte. »Na ja«, gab ich dann leise zu. »Vielleicht war es ein wenig aufregend.«
Alica lachte laut auf, bevor sie sich rücklings auf mein Bett fallen ließ. »Du bist wirklich gut darin, deine Gefühle zu verstecken.«
War ich das? Meine Mundwinkel zuckten. »Ich versuche nur, mich nicht verrückt zu machen. Letztes Mal hat es mir ja auch nichts gebracht.« Da war er wieder. Dieser kleine, aber deutlich spürbare Stich in meinem Herzen, der mich an das erinnerte, was ich vor anderthalb Jahren gefühlt hatte, als die Absage reingeflattert war. Unwillkürlich fragte ich mich, ob ich den Schmerz endlich vergessen konnte, falls es diesmal klappte.
WENN es diesmal klappte.
Ich musste positiv denken, das hatte Filina mir gesagt. Das Universum wird dir schon antworten, hatte sie außerdem gesagt, aber weil ich nicht an so etwas glaubte, klammerte ich mich vor allem an dem ersten Teil fest.
Alica beobachtete mich vom Bett aus, als ich zum Balkon ging und die Tür aufriss, um frische Luft in mein Zimmer und meine Gedanken zu lassen.
»Klappt das? Das Nicht-verrückt-Machen, meine ich.« Das Bett hinter mir raschelte, wahrscheinlich, weil meine Freundin sich auf die Seite gerollt hatte. »Denn ich weiß, dass es das bei mir ganz sicher nicht würde.«
»Die Effektivität hält sich tatsächlich in Grenzen.«
Sie lachte wieder. »Ist das der Grund, warum du nicht wolltest, dass Lio dabei ist?«
Bei der Erwähnung meines Zwillingsbruders konnte ich nicht verhindern, dass ich leicht zusammenzuckte. Etwas schuldbewusst schielte ich über meine Schulter und bemerkte, wie Alica die Augen aufriss. »Halt, es gibt noch einen anderen Grund? Ich dachte, dass das nur wieder so ein komisches Ding zwischen euch ist, dass du keine Schwäche mehr vor ihm zeigen willst, seit . du weißt schon. Entschuldige.«
Ich schüttelte sanft den Kopf. Dann setzte ich mich wieder auf meinen Schreibtischstuhl, diesmal in Blickrichtung zu Alica. Sie richtete sich auf, vielleicht, weil sie die plötzliche Ernsthaftigkeit der Situation wahrnahm. Ein paar Sekunden starrten wir uns nur an, dann seufzte ich tief. »Kannst du ein Geheimnis für dich behalten?«
Sofort wirkte Alica verunsichert, und ich verstand, warum. Sie und mein Bruder waren jetzt seit fast einem Jahr zusammen, und ich bezweifelte, dass sie viele Geheimnisse voreinander hatten. Sie waren selten ohne einander anzutreffen, und es war immer noch seltsam, Lio in einer Beziehung zu sehen, nachdem er sich so lange gegen alles gewehrt hatte, was Commitment bedeutete. Schön, aber seltsam.
Trotzdem wartete ich ihre Reaktion ab. Und als Alica endlich nickte, wusste ich, dass sie definitiv dichthalten würde. Auch vor Lio.
Ich seufzte erneut und griff eher unbewusst nach dem kleinen Frosch auf meinem Schreibtisch, den ich letzte Woche fertig genäht hatte. Mir war der grüne Stoff ausgegangen, also war dieser hier mein erstes blaues Exemplar zwischen mittlerweile bestimmt dreißig grünen. Anfangs hatte ich sie gemacht, um das Nähen zu üben - irgendwann war es einfach nur ein seltsames Hobby geworden. Ich drückte ihn in meiner Hand zusammen, bevor ich sagte: »Wir haben dieses komische Ding, dass ich nicht mehr so gut Schwäche vor Lio zeigen kann, weil er sich solche Sorgen um mich macht. Da hast du recht. Aber es ist wirklich nicht nur das.« Alica wirkte irgendwie nervös, und das brachte mich wieder zum Lächeln. »Kennst du dich mit dem Prozess der Bewerbung um ein Medizinstudium aus?«
»Überhaupt nicht. Ich weiß nur, dass du dich online beworben hast.« Sie deutete auf meinen Laptop, der immer noch aufgeklappt hinter mir stand. »Und dass es offensichtlich sehr schwer ist, einen Platz zu bekommen. Selbst für jemanden wie dich.«
Ich wusste, was sie meinte. Die Menschen, die mich kannten, taten das als eine verdammt gewissenhafte Person, die die meiste Zeit ihres Lebens damit verbrachte, zu lernen. Das war schon in meiner Schulzeit so gewesen - ich hatte immer gern gelernt. Aber seit meiner Diagnose vor ein paar Jahren hatte sich das auf ein neues Höchstmaß gesteigert. Es gab in meinem Leben kaum noch etwas, das wichtiger war als mein Medizinstudium. Als Ärztin zu werden. Onkologin. Ich dachte seit Jahren an nichts anderes.
Nur meine Freunde waren da noch. Und Lio.
Leider war das genau das, wo meine Probleme ansetzten.
»Man kann seine Wunsch-Unis angeben«, sagte ich leise. »Und natürlich habe ich die Unis hier in Berlin angegeben und in der Umgebung. Aber das heißt nicht, dass ich unbedingt einen Platz dort bekomme. Es kann sein, dass ich bei einer anderen Uni eine Chance bekomme.«
Es dauerte ein paar Sekunden, bis Alica realisierte, was ich damit sagen wollte. Dann wurden ihre Augen wieder tellergroß. »Es kann sein, dass du irgendwo anders hinmusst?«
»Ja.«
»Irgendwo in Deutschland, auch wenn es ganz weit weg ist?«
Ich nickte. Und Alicas Schultern sanken ein. Ich hatte befürchtet, dass sie so reagieren würde, und ich verstand es. Sie war mir über die letzten anderthalb Jahre wirklich, wirklich wichtig geworden. Meine beste Freundin. Ich konnte mir nur schwer vorstellen, dass wir uns nicht mehr jeden Tag auf dem Flur des Wohnheims über den Weg liefen. Aber lieber sagte ich es ihr zuerst als Lio. Wie mein Bruder auf die Nachricht reagieren würde, dass ich vielleicht wegziehen musste, wollte ich mir gar nicht erst vorstellen.
Er würde wahrscheinlich durchdrehen. Und ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie ich damit umgehen sollte. Mein Bruder war ein Freigeist, und wenn man ihn nur flüchtig kannte, würde man ihn wahrscheinlich für sehr locker halten. Das war er auch . wenn es nicht um mich ging. Wir hatten schließlich unser ganzes Leben zusammen verbracht, ganz lange hatte es nur uns beide gegeben. Er hatte die Jungen, die mich in der Grundschule ärgerten, verprügelt und nach meinem ersten Liebeskummer nächtelang mit mir Videospiele gespielt. Meine Krankheit damals und dass unser Vater uns verlassen hatte, hatte uns nur noch enger zusammengeschweißt. Ich wusste, dass er mich immer beschützen würde. Ich wusste, dass er sich Sorgen um mich machte. Wie würde das erst werden, wenn wir uns nicht mehr täglich sehen konnten?
»Okay.« Alica versuchte offensichtlich, sich zu sammeln. Sie verschränkte die Arme vor der Brust. Vor dem Kapuzenpulli von Lio, den ich in den letzten Monaten nur noch an ihr gesehen hatte. »Es kann also sein, dass du einen Platz in einer anderen Stadt bekommst. Was ist...
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