Schweitzer Fachinformationen
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Zorn brummte eine Verwünschung und legte das Handy zurück auf den Nachttisch. Dann richtete er sich vorsichtig auf und lauschte. Malina lag auf der Seite, sie hatte die Decke zwischen die Beine geklemmt und schien fest zu schlafen.
Scheiße, dachte Zorn und gab ihr einen Kuss auf die Wange, ich würde wirklich lieber hierbleiben, aber es lässt sich nicht ändern.
Sie lächelte, ohne die Augen zu öffnen.
»Wie spät ist es?«
»Zu früh.«
Sie lebten jetzt seit ein paar Monaten zusammen, doch noch immer hatte er das Gefühl, sie kaum zu kennen. Nun, eines hatte er mittlerweile mitbekommen: dass sie einen leichten Schlaf hatte. Schon das kleinste Geräusch konnte sie wecken, egal, zu welcher Uhrzeit, innerhalb von Sekunden war sie wach, als ob ein Schalter umgelegt würde.
Ansonsten wusste er noch immer nicht viel über die Frau, die er liebte.
Abgesehen davon, dass sie Rotwein mochte, John Irving vergötterte und absolut unausstehlich wurde, wenn sie Hunger hatte und nichts zu essen in der Nähe war.
Das war nicht viel, aber besser als nichts.
Seine Sachen lagen verstreut neben dem Bett. Mit dem Fuß angelte er nach einer Socke und zog sie an.
»Was ist passiert?«
Sie hatte den Kopf auf den Ellbogen gestützt und sah ihn an. Ihr Haar hatte sie wachsen lassen, es hing ihr wie ein schwarzer Vorhang bis über die Nase. Sie pustete es aus der Stirn. Noch etwas, das er an ihr liebte.
»Ein Toter im Fluss«, erklärte er und streifte sein T-Shirt über.
»Das klingt nicht gut.«
Er nickte und ließ sich zurück aufs Bett sinken. Malina legte den Kopf auf seine Brust, er atmete den Duft ihres warmen, vom Schlaf trägen Körpers. Während er ihr sacht mit den Fingern durchs Haar fuhr, fragte er sich, woher dieser Geruch kam. Soweit er es beurteilen konnte, benutzte sie weder Parfum noch irgendein Deo, und doch roch sie frisch, als habe sie die Nacht nicht in einem verschwitzten Bett, sondern auf einer frisch gemähten Wiese verbracht.
»Wenn Schröder sich um diese Zeit meldet, hat er selten gute Nachrichten.« Vorsichtig schob er ihren Kopf zurück auf das Kissen. »Diese Anrufe gehören zu meinem Job.«
»Dann ist es kein guter Job, Claudius.«
»Ich habe nie das Gegenteil behauptet.«
»Vergiss deine Brille nicht. Auf der Waschmaschine.«
Sie war mit ihm beim Optiker gewesen, und obwohl er sich anfangs mit Händen und Füßen sträubte, hatte er den Laden zwei Stunden später mit einer nagelneuen Brille auf der Nase wieder verlassen. Sie fand ihn süß, hatte sie behauptet, das schmale, dunkle Gestell passe wunderbar zu seinen langen Wimpern und dem schwarzen Wuschelkopf. Das hatte Claudius Zorn wiederum gefallen. Sehr sogar.
Er stand auf.
»Ich versuche nicht zu spät wieder hier zu sein.«
Doch das hörte Malina schon nicht mehr. Denn ebenso wie sie von einem Moment auf den anderen hellwach wurde, konnte sie urplötzlich wieder in tiefsten Schlummer fallen.
Claudius Zorn hatte sich mittlerweile damit abgefunden, in der Öffentlichkeit als erfolgreicher Ermittler zu gelten. Logisch, schließlich hatte er in den letzten beiden Jahren gleich mehrere schwere Verbrechen aufgeklärt. Jedenfalls offiziell, denn immer war es Schröder gewesen, der im Hintergrund die Fäden gezogen und den größten Teil der Arbeit geleistet hatte. Doch Zorn war der Vorgesetzte, er war es, dessen Name in der Presse genannt wurde. Schröder war diese zweifelhafte Art der Anerkennung egal - das glaubte Zorn zumindest. Sicher war er nicht, doch wann konnte man bei Schröder schon sicher sein?
Als er kurz vor halb acht den Volvo vor dem Präsidium parkte, beschäftigte ihn etwas anderes. Seufzend verstaute er den Autoschlüssel und machte sich auf den Weg zu seinem Büro, wo Schröder bereits auf ihn wartete.
»Ich hab Quarkbällchen mitgebracht, Chef. Und im Fenster steht frischer Kaffee.«
Zorn brummte etwas Unverständliches, nickte Schröder zu, hängte seine Jacke an den Garderobenständer und goss Kaffee ein.
Seit vier Monaten hatte er jetzt ein neues Büro. Er hätte zufrieden sein sollen, das Zimmer war geräumiger als das alte, mindestens dreimal so groß. Und es war viel heller, der Raum lag im vierten Stockwerk des Präsidiums, die Westseite war komplett verglast. Die Verwaltung hatte sich nicht lumpen lassen, ein senffarbener, flauschiger Teppich, hohe Regale und eine verchromte Stehlampe gehörten zur Einrichtung.
Und der dicke Schröder.
Schröder, der in einem gelb-grün karierten Pullunder hinter dem großen Schreibtisch saß, der jetzt ihr gemeinsamer Arbeitsplatz war.
»Gut geschlafen, Chef?«
Zorn antwortete nicht. Er hatte damals gar nicht erst versucht zu protestieren. Man hatte ihre Büros zusammengelegt, um, wie es hieß, die Dienstwege zu verkürzen. Schröder hatte sich ehrlich gefreut, so schien es Zorn jedenfalls. Und er selbst? Nun ja, sicher war er nicht. Klar, er mochte Schröder, und nachdem sie jetzt seit Jahren zusammen arbeiteten, hatte er akzeptiert, dass Schröder ihm geistig ebenbürtig war. Mindestens.
Seit sie sich das Büro teilten, wurde der Fußboden regelmäßig gesaugt, Schröder hatte Bilder aufgehängt und Grünpflanzen aufgestellt, große exotische Pflanzen, deren Namen Zorn sofort wieder vergessen hatte.
Aber seine Ruhe war dahin. Er hatte keine Tür mehr, die er hinter sich schließen konnte.
Tröstlich war, dass Schröder immer etwas zu tun hatte, ständig im Präsidium unterwegs war. Diese Zeit nutzte Zorn, um das zu tun, was er am liebsten machte: Dann legte er die Füße hoch und starrte die frisch geweißten Wände an.
Er stellte die Kaffeetasse ab und nahm Schröder gegenüber Platz.
»Also, was liegt an?«
Schröder klappte eine rosafarbene Akte zu.
»Eine ganze Menge. Die Kondensmilch ist alle. Außerdem müssen die Begonien umgetopft werden.«
»Schröder, bitte«, unterbrach Zorn ihn sanft. »Ich habe wenig geschlafen.«
Schröder senkte schuldbewusst den Blick.
»Weil ich dich aus dem Bett geholt habe.«
»Ja. Und jetzt erzähl.«
»Wir haben eine Leiche, männlich, circa sechzig Jahre alt«, begann Schröder, nachdem er sich umständlich geräuspert hatte. »Ungefähr eins fünfundsechzig groß und fünfundsiebzig Kilo schwer.«
»Also ungefähr deine Statur.«
»Ja«, nickte Schröder. »Aber das würde ich dem armen Mann nicht zum Vorwurf machen.«
Zorn trank einen Schluck Kaffee.
»Das hatte ich auch nicht vor. Er ist tot, damit ist er genug gestraft.«
»Er wurde oberhalb des Wehrs gefunden«, fuhr Schröder fort. »Ein paar hundert Meter von der Brücke entfernt. Der Gerichtsmediziner kann noch nicht viel sagen, außer, dass er nicht länger als zwei Stunden im Wasser lag.«
»Todesursache?«
»Aufgesetzter Kopfschuss.«
»Mord?«
»Oder Selbstmord. Der Schusskanal deutet darauf hin.«
»Dann müssten Schmauchspuren an der Hand sein.«
»Da will sich der Gerichtsmediziner noch nicht endgültig festlegen, aber es sieht danach aus, sagt er. Ich habe nachgedacht.« Schröder schob sich eine dünne rötliche Strähne aus der Stirn. Sein Haar war merklich lichter geworden, trotzdem achtete er noch immer peinlich genau darauf, die verbliebenen Reste sorgfältig quer über die Glatze zu kämmen. »Wenn man von Selbstmord ausgeht, könnte er sich von der Brücke gestürzt haben, die Strömung hätte ihn in dieser Zeit ziemlich genau zu der Stelle treiben müssen, an der er gefunden wurde.«
Zorn nahm die Brille ab und überlegte einen Moment. Dabei kaute er nachdenklich auf dem Bügel, etwas, das er sich angewöhnt hatte, wenn er nachdenken musste und dabei nicht rauchen konnte. Die Bissspuren waren mittlerweile deutlich zu erkennen.
»Er ist also gesprungen und hat sich dabei in den Schädel geschossen? Warum?«
»Um sicherzugehen.«
»Möglich«, nickte Zorn. »Er könnte aber genauso gut vorher erschossen worden sein. Dann hat man ihn zur Brücke gebracht und die Leiche über's Geländer geworfen.«
»Das sollten wir bald herausfinden, Chef. Ich habe die Brücke absperren lassen, die Spurensicherung arbeitet schon dran. Die Anwohner werden ebenfalls befragt, irgendjemand muss ja den Schuss gehört haben. Vielleicht gibt's auch einen Augenzeugen.«
»Gut, dann ist ja erst mal alles geklärt.« Zorn erhob sich schwerfällig und streckte den Rücken. »Ich geh dann eine rauchen.«
»Das«, erklärte Schröder heiter, »wollte ich dir gerade vorschlagen, Chef.«
Zorn hastete über den Parkplatz, im Laufen knöpfte er seine Jeansjacke zu. Früher hatte er sich zum Rauchen gleich auf die Bank vor dem Haupteingang gesetzt, doch irgendwann war ihm klargeworden, was für ein Bild er abgeben musste: Ein müder Staatsdiener, der einen großen Teil des Tages mit hängenden Schultern direkt vor dem Eingang des Polizeipräsidiums rauchend unter einer Kastanie saß, die personifizierte Unlust, in sich gekehrt und doch für jedermann sichtbar wie auf dem sprichwörtlichen Präsentierteller.
Eine Alternative musste her, dringend. Da traf es sich natürlich gut, dass dort, wo die Mannschaftswagen geparkt wurden, eine niedrige Hecke wuchs. Ein schmaler Pfad führte zu einer kleinen, ungepflegten Wiese mit zwei versteckten Bänken.
Hier saß Zorn also und starrte abwechselnd auf seine Turnschuhe und die Rückseite eines Einkaufszentrums. Kein schöner Anblick, doch das war Zorn egal.
Solange er nur in Ruhe rauchen konnte.
Er hatte keine Lust, über den Toten vom Fluss nachzudenken. Darüber konnte er sich später den Kopf zerbrechen, dann nämlich, wenn Schröder die ersten...
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