Schweitzer Fachinformationen
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San Diego, Kalifornien
Das Vibrieren meines Weckers riss mich aus dem Schlaf. Ich verfluchte mich dafür, ihn nicht ausgestellt zu haben, tastete nach meinem iPhone und fegte es vom Nachttisch. Dem Geräusch nach landete es weich. Auf meiner Jeans, die noch genau dort lag, wo ich sie mir nach der Schicht im Lighthouse Grill von den Beinen gestrampelt hatte - was den üblen Geruch erklärte, der mir in die Nase stieg, als ich mich über die Bettkante beugte und das Handy vom Boden aufhob. Zu meiner Irritation stammte das sonore Brummen nicht von meinem Wecker. Stattdessen blinkte eine unbekannte Nummer auf dem Display. Meine Augen zuckten nach links oben. 7:31 Uhr. Alles in mir drängte darauf, den Anruf zu ignorieren. Vor allem die Tatsache, dass ich erst vor wenigen Stunden ins Bett gekommen war, weil jemand zum wiederholten Mal in dieser Woche die Restaurant-Toilette geflutet hatte. Diesmal hatten meine Kollegin Myriam und ich es allerdings erst bemerkt, als das Wasser bereits unter der Tür hindurchgesickert war. Statt Feierabend zu machen, hatten wir bis in die frühen Morgenstunden den Wischmopp geschwungen und nach Kloake stinkende Putzlappen ausgewrungen. Gott, ich hasste diesen Job. Aber wenigstens bezahlte er meine Rechnungen, während ich darauf wartete, endlich als Dokumentarfilmerin Fuß zu fassen. Seit ich vor einem Jahr mein Regie-Studium an der UC San Diego abgeschlossen hatte, war ich nicht über Assistenzen und die Produktion belangloser Image- und Unternehmensfilme hinausgekommen. Freelance-Aufträge, die zwar Geld einbrachten, aber weit entfernt waren von den Themen, die mich umtrieben. Den Lebensrealitäten, die ich aufzeigen, den Botschaften, die ich vermitteln wollte.
Dass ich am Ende über das grüne Symbol wischte, statt ins Reich der Träume zurückzugleiten, hing hauptsächlich damit zusammen, dass ich meine Kontaktdaten auf SetWork, einer Plattform für Filmschaffende, hinterlegt hatte, über die immer mal wieder zu den unmöglichsten Zeiten Jobangebote reinkamen. Ich rappelte mich auf und räusperte mich. Trotzdem klang ich wie eine stimmbandgeschädigte Kettenraucherin, als ich mich mit »Hallo?« meldete.
»Spreche ich mit Millie Preston?«, fragte eine mir unbekannte Männerstimme.
»Ja. Wer ist denn da?«
»Oh, entschuldigen Sie bitte. Alex Jones.« Ein etwas gestresst klingendes Lächeln drang durch die Leitung. »Wir haben uns letztes Jahr auf dem Filmfestival Ihrer Uni kennengelernt, falls Sie sich erinnern.«
Ich kramte in meinem Gedächtnis. Nachdem mein Kurzfilm über den umstrittenen Teleskopbau auf dem Mauna Kea als beste Abschlussarbeit ausgezeichnet worden war, hatte ich viele Hände geschüttelt, Gespräche geführt und Visitenkarten ausgetauscht. Gut möglich, dass ein Alex Jones darunter gewesen war.
»Ich war Teil der Jury«, gab er mir den entscheidenden Hinweis.
Jetzt hatte ich ein Gesicht vor Augen. Ein Kerl um die fünfzig mit Timothée-Chalamet-Ausstrahlung. Dünn, blass, wangenknochenlange Locken, grüblerischer Blick.
»Natürlich. Mr. Jones. Tut mir leid. Hat einen Moment gedauert.«
Noch während ich diese Worte aussprach, erinnerte ich mich daran, dass er als einziges Jurymitglied nicht dem Lehrstuhl angehört, sondern für einen lokalen Fernsehsender gearbeitet hatte. CBS 8 oder KFMB. Ob er mich deswegen anrief? Wollte er mich für einen Fernsehbeitrag anheuern?
»Mehr als verständlich. Sie waren ja sehr gefragt an diesem Abend. Und entschuldigen Sie bitte die frühe Störung.«
»Kein Problem«, murmelte ich, aber er fuhr bereits fort.
»Ich arbeite inzwischen bei Stokes Productions. Der Name ist Ihnen ein Begriff?«
Spätestens jetzt war ich hellwach. Natürlich kannte ich Stokes Productions, die Produktionsfirma aus Los Angeles, die für ihre bildgewaltigen Dokumentarfilme bekannt war. Erst letztes Jahr hatten sie eine Oscarnominierung für The Sky Above Us eingeheimst, einen Film über den Free-Solo-Kletterer Eric Knox.
»Ja, sicher«, beeilte ich mich zu sagen und spürte, wie mein Herz einen Takt schneller schlug.
»Ich habe eine etwas ungewöhnliche und leider auch dringliche Anfrage. Unser Regisseur ist kurzfristig ausgefallen. Liegt mit einer Ciguatera-Vergiftung im Krankenhaus.«
»Oh Gott«, hauchte ich, obwohl ich keine Ahnung hatte, was das bedeutete.
»Hände weg von Supermarkt-Fisch, sag ich da nur.« Er seufzte. »Na ja, jedenfalls fällt er für das aktuelle Projekt aus, und wir suchen dringend Ersatz. Da kommen Sie ins Spiel.«
»Ich?«, stieß ich perplex hervor und klang, als hätte ich mich verhört. So musste es auch sein. Schließlich war es unwahrscheinlich - nein, völlig ausgeschlossen -, dass eine Produktionsfirma wie Stokes Productions mit einer Regisseurin zusammenarbeiten wollte, die sich mit Imagefilmen für mittelständische Handwerksbetriebe durchschlug.
»Ich will ganz ehrlich zu Ihnen sein, Miss Preston. Sie sind nicht meine erste Wahl für diesen Job.«
Ich schluckte.
»Da draußen gibt es zahlreiche Regisseure mit mehr Berufserfahrung, und glauben Sie mir, ich habe so ziemlich jeden davon angerufen.« Er klang zerknirscht. »Aber keiner von denen ist flexibel genug, um heute noch in ein Flugzeug zu steigen.«
Ich hätte gekränkt sein können. Mich vor den Kopf gestoßen fühlen können. Aber mein Verstand stürzte sich auf das Wort »Flugzeug«. Denn es implizierte, dass es hier um ein größeres Projekt ging.
»Ich habe Ihren Namen bei SetWork entdeckt und mich an Ihren Kurzfilm über diesen einen Berg erinnert.«
Auch wenn ich mich an seiner Wortwahl störte - der Mauna Kea war weitaus mehr als irgendein Berg -, spitzte ich die Ohren.
»Daran, wie Sie es geschafft haben, in wenigen Minuten die besondere Beziehung der indigenen Bevölkerung Hawaiis zu ihm einzufangen.«
Sein Lob kam unerwartet und löste ein warmes Gefühl in mir aus.
»Ich hab mir Ihren Film eben noch einmal auf YouTube angesehen und finde ihn nach wie vor sehr gelungen. Bildgewaltig. Emotional. Informativ. Character-driven. Genau das, was wir suchen.«
Das Herz schlug mir bis zum Hals. Ich versuchte, meine Gedanken im Zaum zu halten. Nicht zu spekulieren. Zu hoffen.
»Daher frage ich Sie jetzt einfach direkt: Sind Sie gerade verfügbar? Und mit gerade meine ich sofort.«
Ich presste mir die Hand auf den Mund und unterdrückte ein Quietschen. Passierte das hier wirklich? Um einen professionellen Ton bemüht, antwortete ich: »Ja, ich wäre verfügbar. Worum geht es denn genau?«
»Um die letzte Episode einer achtteiligen Doku-Reihe. Drei, maximal vier Drehtage. Kleines, erfahrenes Team. Überschaubares Budget.«
Ich ließ die Informationen kurz auf mich wirken. »Und . zu welchem Thema?«
Er zögerte. »Sie werden verstehen, dass ich mich ein wenig bedeckt halten muss, bis Sie den Vertrag und die NDA unterschrieben haben.«
Vertrag. NDA. Sie meinten es wirklich ernst.
»Die Reihe trägt den Arbeitstitel Pushing Boundaries. Im weitesten Sinne geht es um Extremsport.«
»Extremsport?«, wiederholte ich und klang genauso geschockt, wie ich war.
»Freeclimber, Basejumper, Apnoetaucher . also Menschen, die .«
»Ihr Leben aufs Spiel setzen«, raunte ich und spürte, wie mein Herz zu rasen begann.
»Genau. Aber keine Sorge. Sie müssen Ihres bei den Dreharbeiten nicht aufs Spiel setzen.« Er lachte, aber ich war nicht zum Scherzen aufgelegt. »Das Filmmaterial in Aktion kaufen wir ein. Ihr Fokus soll auf dem Athleten liegen. Wo er wohnt, wie er lebt, wie sein Umfeld aussieht, wo er trainiert. Wie er damit umgeht, jederzeit sterben zu können. Wie seine Freunde und seine Familie damit klarkommen. So was .«
Mir brach endgültig der Schweiß aus. Ich musste in einer dieser Pranked-Shows gelandet sein. Anders ließ es sich nicht erklären, dass ausgerechnet ich für eine Doku über Extremsport ausgewählt wurde.
»Folge eins, so viel darf ich verraten, handelt von Eric Knox. Dem Extremkletterer aus .«
»The Sky Above Us.«
»Kennen Sie den Film?«
»Ja.«
Es war nicht ganz die Wahrheit. Ich hatte den Trailer gesehen, danach aber beschlossen, dass ich kein Interesse daran hatte, einem erwachsenen Mann zwei Stunden dabei über die Schulter zu schauen, wie er sein Leben für einen Adrenalinkick riskierte. Trotzdem hatte ich größten Respekt vor der Leistung der Regisseurin. Zumal Skylar Lane nur ein paar Jahre älter war als ich und niemandem ein Begriff gewesen war, bevor Stokes Productions sie engagiert hatte.
»Es war gar nicht so leicht, Skylar für den Dreh der Episode zu gewinnen. Sie kann sich vor Aufträgen nicht mehr retten, seit The Sky Above Us so durch die Decke gegangen ist.«
Auch wenn ich durchschaute, was er mit seiner Bemerkung bezweckte, verfehlte sie ihre Wirkung nicht. Skylar Lane musste keine überfluteten Toiletten putzen, das stand fest.
»Ach ja, ich habe noch etwas vergessen, das vielleicht nicht irrelevant für Sie ist. Um ehrlich zu sein, ist es auch ein Aspekt, der für Sie gesprochen hat.« Er ließ einen Moment verstreichen. »Die Dreharbeiten finden auf O'ahu statt.«
Ich erstarrte. »O'ahu?«
»An der Aussprache muss ich wohl noch arbeiten«, bemerkte er in einem selbstironischen...
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