Schweitzer Fachinformationen
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Ein verschlossenes Zimmer, ein Haufen Erbstücke und vergessene Erinnerungen
Heather, Archivarin Anfang 30, versucht alles, um nicht so zu werden wie ihre Mutter: Ihre Wohnung ist hell, sauber, minimalistisch eingerichtet. Wäre da nicht dieses Zimmer, in dem sie die »Erbstücke« ihrer Mutter weggeschlossen hat - und diese Kommode, in der Heathers ganz eigene Sammlung stetig wächst . Bis die Folgen eines Wasserrohrbruchs sie dazu zwingen, sich nicht nur mit den Gegenständen in diesem Zimmer, sondern auch mit ihrer Kindheit auseinanderzusetzen, an die sie sich nur bruchstückhaft erinnert: vor allem an die Tage am Meer mit der Frau im roten Mantel. Zusammen mit ihrer Schwester Faith und ihrem Nachbarn Jason taucht Heather mit jeder Hinterlassenschaft tiefer in ihre Vergangenheit ein und kommt dabei einem dramatischen Familiengeheimnis auf die Spur .
Die Puppe ist die Königin dieses Hauses. Sie steht auf der Ecke des höchsten Regals und blickt über ihr Reich. Das Zeug strebt ihr entgegen wie ein Gläubiger seinem Gott. Cassandras Augen sind klar, blau und hochmütig, ihr glänzendes braunes Haar ringelt sich in perfekten Locken, und das rosa Rüschenkleid im viktorianischen Stil ist makellos. Wer könnte mit der kalten Porzellanhaut von Gesicht und Armen mithalten? Wer mit diesen rosigen Wangen und korallenfarbigen Lippen?
»Eins . zwei . drei . vier .«
Mit pochendem Herzen läuft Heather los, als Faith zu zählen beginnt. Diesmal muss sie das beste Versteck finden, eines, auf das ihre Schwester nie kommt, denn Faith gewinnt immer beim Verstecken. Jedes Mal findet sie Heather ganz schnell und sagt kopfschüttelnd, sie sei eine »Amateurin«, obwohl Heather gar nicht so genau weiß, was das ist. Vermutlich jemand, der beim Versteckenspielen richtig schlecht ist. Sie hofft nur, wenn sie zehn ist, kennt sie genauso viele schwierige Wörter wie ihre Schwester.
Im Laufen überlegt Heather, wo sie sich verstecken könnte. Auf jeden Fall darf sie nicht kichern wie beim letzten Mal. Sie zwingt sich zu einem langsameren Tempo. Was nicht allzu schwierig ist, denn in ihrem Haus kann man gar nicht richtig schnell laufen. Dafür steht zu viel herum.
Sobald Faith mit dem Zählen begonnen hat, ist Heather einem der »Kaninchenpfade« gefolgt. Sie weiß nicht, warum ihre Schwester sie so nennt - sie hat im Haus noch nie ein Kaninchen gesehen.
Diese Pfade führen zwischen den Sachen hindurch. Sie haben viele Sachen. Bücher und Papiere und Plastikkisten mit allen möglichen Dingen, von denen ihre Mummy nicht will, dass sie sie anfasst. Und Kleider, ganz viele Kleider. Sie liegen in großen Haufen auf dem Sessel und auf dem Tisch, an dem sie früher gegessen haben. Es gibt auch Spielsachen, manche davon alt und kaputt, aber ihre Mummy sagt, sie will sie irgendwann reparieren, und manche ganz neu, sogar noch mit dem Preisschild daran, aber mit denen könnte Heather nicht spielen, selbst wenn sie es wollte, weil sie zu weit oben liegen. Einige Haufen sind so riesig, dass sie manchmal beim Hochgucken das Gefühl hat, sie beugen sich vor und schauen zu ihr herunter, als überlegten sie, ob sie auf sie drauffallen sollen oder nicht. Das mag Heather gar nicht.
Es gibt auch viele Sachen, von denen ihre Mummy sagt, sie wird sie bald aussortieren und wegschmeißen, wenn sie nicht mehr so müde ist. Vielleicht tut sie das, wenn ihr Daddy nicht mehr so viel arbeitet und öfter zu Hause ist. Neulich Abend hat sie gehört, wie ihre Eltern darüber gestritten haben. Sie hat auch mal gehört, wie Tante Kathy gesagt hat, ihr Haus sei wie Aladins Höhle, nur dass sie nicht voller Schätze ist, sondern voller Scheiße.
Das Wort darf Heather nicht sagen. Patrick Hull hat es mal in der Schule gesagt, und da hat Miss Perrins ihn zur Strafe in der Ecke sitzen lassen, und als seine Mum kam, um ihn abzuholen, hat sie sie für ein kurzes Gespräch beiseitegenommen.
Mit ihrer Mummy hatte Miss Perrins auch schon öfter kurze Gespräche, aber nicht, weil Heather etwas Böses gesagt hat. Heather weiß nicht, worüber sie geredet haben, weil Mummy und Miss Perrins dabei im Flur waren, aber es sah wichtig aus, und Miss Perrins hat nicht wie sonst gelächelt.
Einmal ging es wohl um ihre Schuluniform (Mummy hat sie zwischen all den Kleidern im Haus nicht wiedergefunden, und Heather musste in ihrem blauen Trägerkleid zur Schule gehen), und ein anderes Mal juckte es Heather ganz schlimm, weil die kleinen Insekten von ihrer Katze Fluffy sie in den Bauch gebissen haben, sodass sie sich immerzu kratzen musste und nicht buchstabieren üben konnte. Manchmal haben sie sich in ihrem Pulli versteckt und sind mit in die Schule gekommen, und dann haben sie die anderen Kinder auch gebissen. Faith hat sie »verdammte kleine Trittbrettfahrer« genannt, aber das hat ihre Lehrerin nicht gehört, sodass Faith nicht in der Ecke sitzen musste. Danach gab es noch mehr kurze Gespräche, weil die Jungs sie in der Pause »Penner-Heather« genannt und sie immer geärgert haben.
Aber ihre Mummy ist deswegen nie böse auf sie gewesen. Hinterher, wenn sie wieder zu Hause sind, legt sie sich jedes Mal aufs Sofa vor dem Fernseher und weint. Sie umarmt Heather und sagt, sie ist ein braves Mädchen, und es ist nicht ihre Schuld, und sie wird es in Zukunft besser machen.
Heather bemüht sich, möglichst lautlos durchs Esszimmer zu schleichen, als sie hört, dass Faith zu Ende gezählt hat. Es ist schwierig, vollkommen leise zu sein, weil überall auf dem Boden alte Plastikbehälter und knisternde Zellophanfetzen herumliegen und sie auf Papierstücken und Kleidern ausrutscht, die von den Haufen heruntergefallen sind.
»Hea-ther!«, ruft Faith in einem Singsang, »jetzt komme ich und hole dich!«
Heather bewegt sich wieder schneller. Jetzt ist ihr gar nicht mehr nach Kichern zumute, und ihr Herz pocht noch lauter. Sie muss ein Versteck finden, ein ganz kleines, auf das Faith nicht kommt.
Sie dreht sich um und geht die Treppe hinauf. Ihre Füße sind kleiner als die von Faith, und sie findet die Lücken zwischen den Bücher- und Papierstapeln, die auf jeder Stufe liegen, ohne sie umzuwerfen. Als sie das kleine Stück freien Teppichs auf dem Treppenabsatz erreicht, wendet sie sich nach links und huscht in das Zimmer, das ihres war, bevor die Sachen sich darin breitgemacht haben. Früher waren die Sachen nur unten und im Zimmer ihrer Eltern, aber sie wandern immer weiter, und irgendwie werden die Haufen immer größer. Heather fragt sich, ob die Haufen Babys kriegen. Das hat sie Faith mal gefragt, und die hat nur gemeint, sie soll keinen Schwachsinn reden, aber Heather leuchtet das ein. Woher sollten die neuen denn sonst kommen?
Sie sieht sich in dem Zimmer nach einer guten Stelle um. Ihr fällt ein, dass Daddy seine Gitarre unter dem Bett hervorgeholt und sie an einen Mann unten an der Straße verkauft hat. Da, wo sie gelegen hat, ist eine Lücke, gerade groß genug, um sich hineinzuschieben. Sobald sie drinnen ist, zieht sie die Decke vom Bett ein Stück herunter, damit man sie nicht sieht.
Doch irgendetwas, das auf der Decke gelegen hat, fällt krachend herunter, und Heather erstarrt. Sie hört Schritte, die sich nähern. Faith kommt die Treppe herauf! Heather hält den Atem an und kneift die Augen zu. Wenn sie sich doch nur unsichtbar machen könnte!
»Hea-ther«, singt Faith erneut. »Du weißt doch, ich finde dich!«
Heather spürt, wie ein Kichern in ihr aufsteigt. Sie presst die Hand auf den Mund. Da sind Faiths Füße - sie kann sie unter dem Rand der Decke hinweg sehen. Ihre Schwester steht in der Tür.
Geh weg, geh weg, geh weg, betet sie.
Gerade als sie denkt, Faith würde die Decke hochziehen und sagen: »Ha! Hab ich dich!«, machen die Füße ihrer Schwester kehrt und verschwinden. Heather ist so überrascht, dass sie vergisst auszuatmen, bis ihr ganz komisch wird. Dann schnappt sie gierig nach Luft.
Sie hört, wie Faith umhergeht und ihren Namen ruft, aber jetzt klingt ihre Stimme anders. Nicht mehr so selbstgefällig. Eher genervt. Heather grinst in sich hinein und schiebt sich noch ein Stück weiter unter das Bett. Heute wird sie das Versteckspiel gewinnen, und dann ist Faith die Amateurin!
Heather bleibt sehr lange dort. Faith schaut in alle anderen Zimmer, dann geht sie wieder nach unten. Selbst als Mummy ruft, dass das Essen fertig ist, rührt sich Heather nicht. Es könnte ein Trick sein, und selbst wenn nicht, sie will nicht, dass Faith sagt, sie hätte aufgegeben. Sie kommt erst heraus, wenn Faith das tut, was Heather sonst immer tun muss, wenn sie sie nicht findet: sich in die Mitte des Hauses stellen und rufen, dass Heather die Königin des Versteckspiels ist und Faith die Verliererin. Das will Heather viel mehr als ein Schinkensandwich, auch wenn ihr allmählich der Magen knurrt.
Nach einer ganzen Weile wird Heather kalt, und sie öffnet die Augen. Ist sie eingeschlafen? Allmählich kommen die Geräusche zurück. Sie lauscht angestrengt. Irgendwo unten weint jemand, und jemand anders ruft.
»Heather! Heather? Wo bist du?« Faiths Stimme klingt gar nicht mehr herausfordernd. ...
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