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Rosensträucher sind schön. Bei Rosensträuchern muss Frida immer daran denken, wie sie und ihre Schwester Lotte mitten in einer ernsten und feierlichen Vernissage einer Klimt-Ausstellung in Berlin, oder war es Potsdam, so lachen mussten, dass sie von dem erzürnten Max Liebermann höchstpersönlich hinaus auf die Gartenterrasse gezerrt wurden. Auf dem Bild von Gustav Klimt waren drei kleine Rosensträucher unter einem riesigen Blätterwerk von Bäumen, das eigentlich nur aus Punkten bestand. Sie waren jung und hatten so etwas noch nie gesehen, der Sekt tat sein Übriges. Das ist lange her, lange vor dem ersten Krieg, überlegt Frida.
Nun sieht sie sich das Malheur an. Wo kann das passiert sein, als sie gerade einen fast zugewucherten Durchgang nutzte, um auf die Toilette am Werkhof zu gelangen? Sie setzt sich auf eine Treppenstufe der Südlichen Arkaden und untersucht ihre Strümpfe genau. Frida hat sie erst gestern in einem schicken Geschäft in der ungeahnt belebten Innenstadt namens Nylon-Vitrine gekauft. Sorgfältig tupft sie ein wenig Nagellack auf jedes Ende der Laufmasche.
Jetzt fällt es ihr wieder ein. Am frühen Vormittag blieb sie in Abteilung 12 kurzzeitig an einem Rosenstrauch hängen, am Grabmal von August. Je mehr sie versucht, sich an ihn zu erinnern, desto mehr kommt es ihr in den Sinn, dass August, der ihr vom Alter her eigentlich am nächsten kam, stets mehr um die Aufmerksamkeit seiner Kollegen Hans oder Roland gerungen hatte. Sie selbst war ihm scheinbar bedeutungslos. Nun war er offensichtlich auch schon drei Jahre tot.
Sie sind die Nachfolger der Großen Fünf. Und wir werden sie wie die Altvorderen chronologisch nach Geburtsjahr verfahrend behandeln. Sie sind wie Georg Herting, der jüngste der Großen Fünf, Bildhauer der 1870er Generation. Es sind vier Namen, zwei davon arbeiten stringent naturalistisch, die anderen zwei beginnen zunächst naturalistisch, kommen anschließend jedoch zu einem neuen, experimentellen, expressiveren Stil, gleichwohl sich der Abstraktionsgrad in Grenzen hält.
Erste Arbeiten der Nachfolger auf diesem Gelände finden sich noch aus einer Zeit, als die Großen Fünf noch sehr aktiv sind. Später jedoch, vor allem in den 1930ern, lösen sie ihre berühmten Vorgänger ab, die sich aus mehrerlei Gründen zurückziehen.
Ach ja, Bernhard Hoetger (1874-1949), einer der großen deutschen Bildhauer, der heute gemeinsam mit Ernst Barlach und Georg Kolbe zu den Mitbegründern der Moderne im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts zählt, er wäre der fünfte Nachfolger auf diesem Terrain gewesen, allerdings mit nur einer einzigen Arbeit.
Nach Steinmetzlehre und seinem Studium an der Kunstakademie Düsseldorf hatte es ihn in die damalige Kunsthauptstadt der Welt gezogen: Von 1900 bis 1907 hält er sich in Paris auf. Selbst mittellos, zeichnet und modelliert er zunächst die reale Welt auf den Straßen, die armen Leute und später schwer arbeitende Männer, wobei der formale Ausdruck, deutlich von einem späten Auguste Rodin (1840-1917) beeinflusst, skizzenhaft und expressiv wirkt.
Mit diesen expressiven Kleinplastiken seiner muskulösen Arbeiter hat er erste Erfolge bei Ausstellungen. 1905 erhält er dann mit dem "Elberfelder Torso", benannt nach seinem späteren Aufstellungsort, quasi von Rodin den Ritterschlag, welcher den Torso zum Meisterwerk erklärt.
In Hannover kennen wir ihn von dem riesigen Waldersee-Denkmal am Rande der Eilenriede und von seinen Arbeiten in Verbundenheit mit Hermann Bahlsen. Vier Portraits in Stein der Söhne des Keksfabrikanten stehen im Landesmuseum sowie ein Brunnenentwurf mit den Knaben. Die vorsorglich vor nationalsozialistischer Vernichtung versteckte Statue der ägyptischen Göttin TET wurde im Jahre 2018 - nach mehr als 80 Jahren - aufgefunden und an ihren alten Platz am Bahlsen-Stammhaus in Hannover zurückgebracht.
Nun könnten wir uns freuen, über einen echten Hoetger in Engesohde berichten zu können. Aber die auf einer Platte rücklings liegende Figur gereicht ihm nicht zur Ehre.
Ausgerechnet beim Grab seines einstigen Förderers Ludwig Roselius (1874-1943), der Konsul und Fabrikant war, Gründer der Kaffeemarke HAG mit dem ersten entkoffeinierten Kaffee, der in Bremen mit Hoetgers Plänen die Böttcherstraße anlegen ließ, mit dem Haus Atlantis und weiteren expressionistischen Backsteinbauten, wie dem heutigen Paula Modersohn-Becker Museum, welches Sammlungen von der berühmten Malerin nebst Plastiken von Hoetger beherbergt - ausgerechnet bei seinem Grabmal in Abteilung 37 liefert er eine für seine herausragende Meisterschaft so beklagenswerte Qualität ab, dass man sich ernsthaft fragen muss, ob er wirklich der Urheber ist.
Den Entwurf für das Familiengrabmal fertigt Hoetger nachweislich an. Und zwar schon 15 Jahre vor Roselius Tod, für seine Ehefrau Anna, die ebenfalls 1874 zur Welt kam, jedoch schon 1926 verstarb und im Sommer jenes Jahres dort beerdigt wurde.
Auf der Entwurfszeichnung mit einer Draufsicht der Liegenden unter der Seitenansicht als Schnitt lesen wir "Bremen Dez. 1928". Sie wurde im Februar 1929 genehmigt. Wenn er nun in Worpswede sofort mit der Steinarbeit begönne, würde das Denkmal immerhin drei Jahre nach Annas Ableben an das Grab kommen, es herrschte also keine Eile in dieser Hinsicht.
Auch wenn er einerseits - wie dokumentiert - Anfang 1929 um die Genehmigung bittet, dass bei Tauwetter das Fundament betoniert werden darf, finden sich andererseits keinerlei Hinweise auf die Realisierung und Aufstellung des steinernen Denkmals. Die von der Kommission angeforderte Schriftzeichnung und eine zweite technische Zeichnung liefert ein Steinmetzunternehmen namens Schlothauer aus Mihla. Der vielbeschäftigte Künstler delegiert diese Aufgaben.
Wenn Hoetger nun, aus welchen Gründen auch immer, nicht selbst zügig mit der Plastik beginnen kann, gerät das Projekt in eine Phase großer Hindernisse, wir denken an die Weltwirtschaftskrise und an das Kulturdiktat im sogenannten Dritten Reich ab 1933, was er aber nicht erahnen konnte.
Auch wenn der Künstler ein virtuoser naturalistischer Steinbildhauer ist, widmet er sich in den 1920ern äußerst expressiven und reduzierten Formen. So wird Hoetger ein prominentes Opfer der Nazi-Aktion "Entartete Kunst" ab 1937, seine Werke werden aus Museen entfernt. Die so diffamierten Künstler erhalten oft Arbeitsverbot. Er ist quasi eine Persona non grata im nationalsozialistischen Staat und die damalige Stadtverwaltung in Hannover kann man getrost als linientreu bezeichnen, auch im Gartenbau- und Friedhofsamt, was sich bei Vorträgen unschwer herauslesen lässt.
1943, im besagten Todesjahr von Roselius, floh er aus Berlin über das Riesengebirge und Oberbayern in die Schweiz, wo er 1949 in Unterseen starb.14
Kommen wir nochmals zur stilistischen Ausführung. In der umrisshaften Darstellung des Entwurfs lässt sich ein reduzierter expressionistischer Gestaltungsansatz erkennen. Unter ihren Füßen erhält die Liegefigur einen Absatz, wie ein Sockel einer stehenden Stifterfigur an einer Kirchenwand, der jedoch stilisiert eine auffällige Tropfenform erhält. Wie die ganze Plastik nach der Skizze eher fließend, symbolhaft einen liegenden Körper darstellt, ohne Füße, ohne körperliche Details oder Attribute wie christliche Symbole oder Mohnkapseln, Rosenbouquet oder ähnliches. Die gemeißelte Liegefigur, die wir heute auf der Familiengrabstätte vorfinden, wirkt viel zu flach, sie besitzt überhaupt keine Tiefe, keinen richtigen Brustkorb, hat ein Rosenbouquet auf dem Bauch, und so etwas wie Schuhe überragen nun den tropfenförmigen Absatz, der wesentlich kleiner geworden ist. Es erscheint bei allem Respekt unverständlich, warum sich dieser Könner mit so einer Arbeit zufrieden geben sollte, die weder seinem expressiven Charakter folgt, noch naturalistisch einem liegenden Menschen gerecht wird.
71. Grab Platz Gassner, 1926-1933 Stehende, Stein Karte 38B
72. Grab Miehe Garvens, 1921 Stehende, Stein Karte 12G
Vor diesem Hintergrund hält es der Verfasser für äußerst wahrscheinlich, dass Bernhard Hoetger, der nachweislich den Entwurf der Liegenden angefertigt hat, die Realisierung abgeben musste - aus Zeitnot oder aus politischen Gründen - an das Steinmetzunternehmen Schlothauer, an einen nicht genannten Kollegen oder Schüler.
Seine Urheberschaft wäre somit ein Trugbild, denn der Bildhauer zeigt sich erst im dreidimensionalen Werk. Hoetger also: das Phantom von Engesohde? Es sieht leider so aus.
Freuen wir uns nun umso mehr auf die geglückten Arbeiten der anderen vier auf diesem Gelände.
Zwei leicht überlebensgroße trauernde Frauengestalten überraschen durch ihre unglaubliche Eleganz in der Stellung. Es scheint, als hätten sie sich verlaufen, vom Laufsteg oder aus dem Schaufenster eines Modehauses. Verlaufen in zwei Abteilungen dieses Geländes,...
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