Schweitzer Fachinformationen
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Carly
Man gewöhnte sich daran, arm zu sein.
Gut, technisch gesehen hatte ich zwei Millionen Dollar in einem Treuhandfonds, auf den ich mit fünfundzwanzig - wenn ich wirklich und wahrhaftig kein Kind mehr war! - Zugriff erhalten würde, und meine Eltern besaßen ein Haus in Beverly Hills, das laut ihrem Testament irgendwann mir gehörte. Aber das war eben nur technisch gesehen. Nicht technisch gesehen lebte ich nur von Luft und Liebe.
Na ja, ehrlich gesagt zurzeit eher von Luft und unerfüllten Erwartungen, doch selbst die Luft war schon ein Gewinn für mich. Was die Liebe anging - wer brauchte die schon?
Okay, ich. Ich liebte Liebe. Happy Ends. Romantik. Erste Küsse. All die anderen ersten Male. Lange, tiefe Blicke, die mehr als tausend Worte sagten . Vielleicht hatte ich mich deswegen in meinen besten Freund verliebt. Weil es so schön tragisch kacke war - also romantisch, meinte ich jetzt.
Ich gab allen Liebesromanen, K-Dramen und meiner sehr rosarot-regen Fantasie die Schuld, die mir seit Jahren das Gehirn vernebelten. Wenigstens konnte ich meinen Hang zur Gefühlsduselei in meiner Kunst verwerten - auch wenn das nicht alle zu schätzen wussten.
»Der Kerl hat doch keine Ahnung!«, beschwerte ich mich laut und wechselte das Ohr, an dem ich das Handy hielt, während ich aus dem einzigen Bus stieg, der in Golden Low, dem schäbigsten Part der Stadt, hielt. Mein Zuhause. Der Ort, der mich bisher glücklicher gemacht hatte als jedes stuckverzierte Zimmer, das ich davor bewohnt hatte. »Ich hab noch nie ein C bekommen! Und was soll das überhaupt heißen: Meine Arbeit ist zu kitschig? Die Figur ist nicht kitschig. Sie ist romantisch.«
»Was genau ist der Unterschied zwischen kitschig und romantisch?«, wollte Lexie wissen, die bereits seit fünf Minuten meine Hasstirade auf meinen Professor ertrug.
»Kitschig ist zu viel. Romantisch genau richtig.«
»Ähm . zu viel von was?«
»Na, Kitsch eben!«, erwiderte ich verärgert.
»Man merkt, dass du Kunst und kein Englisch studierst. Klar und deutlich ausdrücken kannst du dich zumindest nicht.«
Ich musste unverhofft lachen. »Ich drücke mich mit meiner Kunst aus, Lexie, ich muss keine vernünftigen Sätze bilden können. Und ich hab dir ein Foto meiner Figur gezeigt! Es ist ein eng umschlungenes Liebespaar, keine kitschige Pornografie.« Ach, der Keramikkurs war ohnehin Schwachsinn. Man benutzte viel zu wenig Farben, und ich durfte weder Fäden noch Joghurtbecherdeckel integrieren. Wo blieb da also der Spaß?
»Ich mochte die Figur«, meinte Lexie und bewies ein für alle Mal, warum sie meine beste Freundin war.
»Danke! Evan war auch begeistert, weißt du? Und er versteht was von Kunst.«
»Evan?«, sagte Lexie langsam, während im Hintergrund zwei Männer fluchten. »Ist das nicht dieser Kommilitone von dir, der voll auf dich steht? Und Logan, Aiden, spielt Mario Kart leiser! Ich telefoniere!«
Ich seufzte schwer. »Evan ist einfach nur nett.« Auch wenn Ty ebenfalls behauptete, er würde mich nur ins Bett kriegen wollen. Aber die beiden waren auch die Zynikergeschwister von Skeptikhausen. Sie hatten keine Ahnung, wie eine platonische Kunstfreundschaft aussah.
»Warum zur Hölle telefonierst du?«, kam Logans gedämpfte Stimme aus dem Hintergrund.
»Ja, ernsthaft«, stimmte Aiden zu. »Schreib eine DM oder schick Sprachnachrichten wie jeder normale Mensch.«
»Ich tret dich gleich dahin, wo es jedem normalen Mensch wehtut«, meinte Lexie sachlich.
Ich prustete und bog in unsere Straße ein, die mit Schlaglöchern in der Größe von Tys Bindungsproblemen, gedämpfter Hip-Hop-Musik und einer Menge flackernder Laternen aufwartete. Wenn meine Eltern sehen könnten, wo ich nachts allein herumlief, würden sie erst in Ohnmacht fallen und mich dann mit Handschellen an mein altes Kinderbett ketten. Aber mir war noch nie etwas passiert. Die Nachbarn kannten mich, ich war eine von ihnen. Untechnisch gesehen jetzt. Deswegen ließen sie mich in Ruhe.
»Weißt du, was das Schlimmste ist?«, fuhr ich unbeirrt fort. »Reeves hat dem grausigen Greg ein A gegeben. Er hat groß damit in seiner Story angegeben. Ein verdammtes A . für seine traurige Entschuldigung von Rattenfänger.« Ich bevorzugte es, Liebe und gute Laune zu verbreiten, aber Greg machte sich seit zwei Jahren über meine Kunst lustig - dabei war er ein untalentierter, unhöflicher Farbblob, den man schleunigst von seiner Palette wischen sollte.
Lexie lachte. »Du nimmst heute aber untypisch negative Vokabeln in den Mund. Schlimm. Traurig.«
»Ja, und du weißt, wie furchtbar ich es finde, so was sagen zu müssen«, jammerte ich.
»Ach, mach dir nichts draus. Reeves ist bestimmt nur sexuell frustriert, deswegen weiß er das Liebespaar nicht zu schätzen.«
Oh, bitte. Ich war auch sexuell frustriert! Trotzdem konnte ich Kunst noch von Müll unterscheiden. Das war nun wirklich kein Argument. Insgesamt hätte ich schon allein dafür die Bestnote bekommen sollen, dass ich es geschafft hatte, einen nackten Mann zu formen, obwohl ich in meinem Leben noch keinen echten gesehen hatte. Denn der einzige Kerl, mit dem ich je geschlafen hatte, hatte darauf bestanden, Shirt und Socken anzubehalten. Damit er keine Erkältung bekam.
Es war gut, dass ich Optimistin war, denn diese Erinnerung allein hätte schwächere Frauen als mich womöglich deprimiert. Gott sei Dank war ich ein Badass! Nicht Lexie-»Ich kann dich mit nur einem Schlag in den Nacken ausknocken«-Badass, aber »Ich hätte eigentlich tot sein sollen, aber der Tod kann mich mal!«-Badass. Da war schwer zu entscheiden, was cooler war.
Okay, Lexie war cooler. Aber ich war trotzdem stolz auf mich.
»Ach, ich hab den Kurs sowieso nur belegt, weil ich Credits fürs Töpfern brauche, um nächstes Jahr den Bachelor beenden zu können«, sagte ich seufzend und stieß die Haustür unseres graffitiverschmierten Backsteingebäudes auf, in dem mir sofort der Geruch nach feuchter Farbe und Marihuana entgegenschlug. Es besaß kein Schloss und lebte ganz getreu dem Motto: Die inneren Werte zählen, also los, schau dir alles an! Ich würde es nicht als sichere Methode bezeichnen, aber es lohnte sich auch nicht, in irgendeine der Wohnungen hier einzubrechen. »Aber wenn ich jetzt wegen der Note nicht für die Ausstellung im November in Betracht gezogen werde .« Unzufrieden biss ich mir auf die Innenseite der Wange, während ich die erste Treppenstufe hinaufstieg.
Nur die besten drei des Jahrgangs durften ihre Bilder in einem Monat im Atelier Prestige in Los Angeles ausstellen. Und Gott, ich wollte diesen Platz so sehr! Ich wollte meinen Eltern beweisen, dass Malen keine brotlose Kunst sein musste. Mir selbst beweisen, dass ich auch ohne Hilfe etwas erreichen konnte. Der Welt beweisen, dass wirklich alles gut werden konnte, wenn man nur nicht aufgab, und es sich lohnte zu kämpfen.
»Sie müssten schon sehr dumm sein, dich nicht auszuwählen, Carly«, sagte Lexie weich. »Du bist toll.«
Ich lächelte. »Ich hoffe auch. Danke fürs Zuhören.«
»Klar, kein Ding. Hey, hast du Lust, noch vorbeizuschauen? Logan und Aiden sind sehr schlecht im Mario Kart, und wir könnten ihnen eine Lektion erteilen.«
»Das hab ich gehört!«, rief Logan aus dem Hintergrund.
»Weil ich nicht leise gesprochen habe!«, erwiderte Lexie laut, bevor sie für mich hinzufügte: »Also, was sagst du? Wir könnten weiter über Reeves herziehen.«
Ich grinste. Ja. Diese Art von Frau war ich geworden. Die, die nachts um eins noch überlegte auszugehen. Wenn mir das jemand vor zwei Jahren erzählt hätte . ich hätte ihn vor unterdrücktem Ärger umgeschubst.
Dennoch schüttelte ich den Kopf. »Evan hat auch schon gefragt, ob ich noch was mit ihm machen will. Aber ich war jetzt doch länger im Atelier malen und bin schrecklich müde.« Und es war schön, die Wohnung mal für mich allein zu haben. Ich mochte Logan . aber Lexie und er waren so furchtbar verliebt, dass es teilweise anstrengend war.
»So, so«, flötete Lexie. »Hat Evan das?«
»Es war ein freundschaftliches Angebot!«, meinte ich verärgert. Ich mochte Evan, er war nett und ebenfalls Künstler. Er dachte nicht, dass Taupe ein fancy Straßenvogel war. Aber selbst wenn er mehr als nur Freundschaft von mir wollte - in meinem Herzen war ich seit zwei Jahren vergeben. Klar, der Kerl wusste nichts von seinem Glück und behandelte mich wie einen Golden Retriever, aber . ich hatte Hoffnung, dass er eines Tages aufwachte und dachte: Shit, Carly ist heiß! Warum habe ich sie noch nicht in mein Bett gezerrt . und sollten wir vielleicht heiraten?
War das kitschig? Nein. Es war romantisch.
Ich blieb auf der Treppe stehen, rieb mir über mein Gesicht und stöhnte laut.
Oje, es stand schlecht um mich. Leider war ich nicht nur romantisch, sondern auch reflektiert. Die schrecklichste aller Kombinationen.
»Alles okay?«
Ich blinzelte. Richtig, ich hatte laut gestöhnt. »Jaja. Alles super. Danke für die Einladung, grüß die Jungs und viel Spaß euch, ja. Ich...
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