Schweitzer Fachinformationen
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Lisa nahm den Fuß vom Gas. Der Nebel wurde immer dichter. Uralte Fichten säumten rechts und links die Straße. An der Windschutzscheibe perlten Tröpfchen herab. Ein Blick auf die Uhr zeigte Lisa, dass es mit dem Termin in Niederweiler knapp werden würde. Dabei freute sie sich auf die Tage, die vor ihr lagen. Rechercheurlaub im Schwarzwald, Erholung vom stressigen Alltag in der Redaktion, Gespräche mit Menschen, Spaziergänge, und dazu die gute Schwarzwälder Küche. Sie schaute in den Rückspiegel und sah die trüben Scheinwerfer eines Wagens, der ihr in einiger Entfernung folgte. Er schien sich an ihre Fersen geheftet zu haben, fuhr nicht schneller oder langsamer und überholte auch nicht. Wie lange war er schon hinter ihr hergefahren? Mit einem Mal verspürte sie ein beklemmendes Gefühl. Sie fuhr hier ganz allein durch den Nebel und wurde von einem Auto verfolgt. Oder bildete sie sich das nur ein?
Jetzt führte die Straße einen steilen Berg hinunter. Lisa beschleunigte. Der andere Wagen beschleunigte ebenfalls. Er kam näher heran, so nah, dass er fast die Stoßstange von Lisas Golf berührte. Der Schweiß brach ihr aus allen Poren. Es musste ein Opel Astra sein, Farbe dunkelblau. Ein Kollege in der Redaktion fuhr auch so einen, allerdings einen silbergrauen. Das Nummernschild konnte sie nicht erkennen, er war zu nah dran.
Noch einmal beschleunigte sie, doch der andere blieb ihr dicht auf den Fersen. Was wollte der von ihr? Trieb er einfach nur ein böses Spielchen oder legte er es darauf an, dass sie einen Unfall baute? Sollte sie anhalten, ihn stellen und fragen, was er da für einen gottverdammten Bullshit veranstaltete? Auf der Gegenseite näherte sich langsam ein Fahrzeug, die Nebelscheinwerfer voll aufgeblendet. Lisa hupte und gestikulierte wie wild mit der linken Hand, aber der Wagen fuhr unbeirrt vorbei.
Sie wusste nicht mehr, was sie tun sollte. Möglicherweise wollte ihr Verfolger sie zwingen anzuhalten, um sie auszurauben oder zu vergewaltigen. Weit und breit war kein anderes Fahrzeug mehr zu sehen. Und es gab auch keine Dörfer oder einzelnen Bauernhöfe, wo sie hätte halten und Hilfe holen können. Sie drückte aufs Gas, und der Wagen schoss vorwärts. Die Straße verlief auf dem Talgrund in einer scharfen Kurve nach rechts.
Gerade als sie dachte, ihn abgehängt zu haben, kam das Motorengeräusch wieder näher. Der Astra fuhr fast auf ihren Wagen auf, berührte ihn leicht mit seiner Stoßstange. Der Golf geriet ins Schlingern, Lisa musste gegensteuern, um ihn auf der Straße zu halten. Ein Blick aus dem Fenster zeigte ihr, dass sie an einem Abgrund entlangfuhren. Wenn der Fremde sie noch einmal rammte, würde sie ins Schleudern geraten und durch die Leitplanke brechen. Der Astra fiel etwas zurück. Lisa machte eine Vollbremsung. Der Astra scherte kurz vor dem Aufprall aus, beschleunigte und raste an ihr vorbei. Dabei erhaschte sie einen Blick auf eine rote Baseballkappe und eine Sonnenbrille. Der Fahrer drückte auf die Hupe, deren Ton in Lisas Ohren widerhallte. So ein gottverdammter Idiot!
Sie fuhr in eine Parkbucht, stieg aus und lief einige Schritte hin und her, um ihre zitternden Knie wieder unter Kontrolle zu bekommen. Es war kalt geworden. Mit einem flauen Gefühl im Magen stieg sie wieder in ihren Wagen, schnallte sich an und gab Gas. Bei der Weiterfahrt versuchte sie den Zwischenfall zu vergessen. Aber ganz gelang es ihr nicht. Das Verhalten des Fahrers hatte Gefühle der Ohnmacht in ihr hervorgerufen. Und das war sie nicht gewohnt. Sie war es gewohnt, immer alles unter Kontrolle zu haben.
Es ging nun stetig bergab in ein Bachtal hinein. Der Himmel war aufgeklart, nur auf den Wiesen standen noch einzelne Nebelschwaden. Da brauen die Hexen ihr Abendbrot, hatte ihre Mutter mal erzählt. In der Ferne sah Lisa Lichter schimmern. Gott sei Dank, dort wohnten Menschen, Leute, mit denen man reden konnte und die sie bei ihren Recherchen unterstützen würden.
Sie passierte das Ortsschild von Niederweiler. Das Dorf bestand aus einigen Bauernhöfen und Einfamilienhäusern, einer Kirche mit Zwiebelturm und zwei Gasthäusern. Lisa parkte vor der Wirtschaft Zum Löwen. Es war ein Fachwerkhaus mit kleinen Fenstern und einer überdachten Treppe. Irgendwie kam das Haus ihr bekannt vor, aber sie konnte nicht sagen, wann und wo sie es schon einmal gesehen hatte. Gegenüber befand sich ein anderes Gasthaus, der Engel, vor dem schwarzgekleidete Männer standen und rauchten. Von einem Opel Astra war weit und breit nichts zu sehen.
Als Lisa den Löwen betrat, wehte ihr ein Duft nach gebratener Gans entgegen. Am Stammtisch saßen ein paar Einheimische, tranken Bier aus Krügen und spielten Karten. Bei Lisas Eintreten verstummten sie und musterten sie von Kopf bis Fuß. Ein unbehagliches Schweigen entstand. Wo war sie hier nur hineingeraten? Was hatte diese Feindseligkeit zu bedeuten?
Lisa marschierte auf den Wirt zu, der hinter dem Tresen stand und Gläser spülte. Er sah aus wie um die fünfzig, das Hemd spannte sich über seinem Bauch. »Ich hatte gestern bei Ihnen ein Zimmer bestellt«, sagte Lisa. »Unter dem Namen Faber.«
Sein pausbäckiges Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. »Willkommen in Niederweiler!« Er streckte ihr die Hand hin. »Ich heiße Eberle. Wie lange wollen Sie denn bleiben?«
Lisa erwiderte seinen Händedruck. »So genau weiß ich das noch nicht. Vielleicht ein paar Tage.«
»Seit wann hast du denn eine Fremdenpension?«, rief einer der Kartenspieler und feixte.
»Reiß deinen Mund nur nicht zu weit auf«, gab der Wirt zurück. »Ihr könnt froh sein, wenn uns überhaupt mal jemand von draußen beehrt.«
Der Mann winkte ab und schob sein Kinn vor wie ein Nussknacker. »Wo kommen wir denn da hin? Demnächst werden wir noch von Touristen überlaufen. Die machen sich doch überall im Schwarzwald breit.« Er schaute seine Mitspieler herausfordernd an. »Das denkt ihr doch auch, oder? Wir lassen uns unser Dorf nicht kaputtmachen!«
»Jetzt gib Ruh und spiel weiter«, meinte einer der Spieler.
Das war ja ein netter Empfang. Zuerst der Astra und dann dieses Empfangskomitee. »Ich komme wegen des Martinsrittes. Der findet doch heute Abend hier im Dorf statt, oder? Ich werde darüber in unserer Zeitung berichten.«
»Direkt vor unserer Haustür«, meinte der Wirt. »Pünktlich um neunzehn Uhr, wenn der Gottesdienst vorüber ist. Wenn Sie sich bitte noch eintragen wollen?« Er schob ihr einen Meldezettel hin.
»Oje, von der Presse ist sie auch noch«, kam es aus der Ecke der Kartenspieler. Ein Glas klirrte. »Hoffentlich lässt die ein gutes Haar an uns.«
»Es ist ja bekannt, dass die Schwarzwälder rau, aber herzlich sind«, sagte Lisa und lächelte so gewinnend wie möglich.
»Kommen Sie, ich zeige Ihnen Ihr Zimmer«, sagte der Wirt beschwichtigend.
Am Stammtisch hatte sich Stille ausgebreitet, nur unterbrochen vom Klatschen der Karten auf den Tisch. Der Wirt packte Lisas Tasche, nahm einen Schlüssel vom Bord und stapfte vor ihr eine Treppe hinauf. Oben angekommen, musste er erst einmal verschnaufen. Eine Kuckucksuhr schlug sechs Mal.
»Sind Sie zum ersten Mal hier in Niederweiler, Frau Faber?«, fragte er, nachdem er die Tür aufgeschlossen und die Tasche im Zimmer abgestellt hatte.
»Ich habe den Ort über das Internet gefunden«, sagte Lisa. »Aber irgendwie kommt mir die Gegend bekannt vor.«
»Vielleicht waren Sie ja schon einmal hier?«
»Auf jeden Fall bin ich meines Wissens noch nie im Löwen gewesen.«
»Dann richten Sie sich jetzt ein wenig ein«, meinte er. »Und kommen Sie rechtzeitig herunter, das ganze Dorf wird auf den Beinen sein.«
»Ich bin schon sehr gespannt darauf«, sagte Lisa. »Es soll übrigens eine Serie über die Schwarzwalddörfer werden. Wie die Leute hier früher gelebt haben, welche Bräuche und Feste es gab und was davon noch übriggeblieben ist.«
»Sie kommen aus Tübingen?«
»So ist es. Ich arbeite für den Schwarzwaldkurier.«
»Welch Glanz in unserer Hütte! Ich fühle mich sehr geehrt. Zu Ihrer eigenen Sicherheit: Fahren Sie bitte noch ihren Wagen weg, sonst kommen Sie hinterher nicht mehr raus aus dem Spektakel. Und entschuldigen Sie bitte das Benehmen meiner Gäste. Sie sind misstrauisch gegenüber Fremden, vor allem denen aus der Stadt.«
»Schon notiert«, sagte Lisa. »Aber ich werde das etwas freundlicher formulieren. Eine Frage hätte ich noch. Gibt es hier jemanden, der einen blauen Opel Astra fährt?«
»Nicht, dass ich wüsste«, antwortete Eberle. »Warum fragen Sie?«
»Da ist vorhin einer hinter mir hergefahren und hat mich so bedrängt, dass ich fast einen Unfall gebaut hätte.«
Er schaute ihr aufmerksam ins Gesicht. »Das wundert mich nicht«, meinte er. »In der Kneipe da drüben hocken Abend für Abend Leute, denen ich nicht gern im Dunkeln begegnen würde. Sie kommen von überall her und fressen sich den Ranzen voll. So einem würde ich das schon zutrauen. Aber wegen denen sind Sie ja nicht...
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