Schweitzer Fachinformationen
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Dieser verdammte Rotwein! Warum war sie auch so dumm und kaufte in einem dänischen Minimarkt am Ende der Welt ausgerechnet Rotwein! Er schmeckte so scheußlich, dass Celia den ersten Schluck beinahe in hohem Bogen ausgespuckt hätte, doch während sie sich noch schnell die Hand vor den Mund halten konnte, stieß sie mit ihrem Ellbogen die Flasche um.
Hilfe! Der Wein schwappte auf die schöne Veranda des Sommerhäuschens, und die weiß gestrichenen Holzwände, die weiß lackierten Rattan-Möbel, die blümchenbestickte Leinentischdecke - alles war voller blutroter Spritzer wie nach einem Kettensägenmassaker.
Celia suchte Putzzeug, bemühte sich zu retten, was zu retten war. Sie streute Salz auf die Decke, warf die Stuhlkissenbezüge in Seifenlauge und schrubbte den hell gebeizten Holzboden. Auf Knien arbeitete sie sich Zentimeter für Zentimeter vor.
Seit zwei Tagen erst war sie in ihrem Feriendomizil im Süden der dänischen Insel Fünen. Dazu gab es eine kleine Vorgeschichte. Schon vor Jahren war sie im Nachlass ihrer Großmutter auf ein Foto gestoßen, das sie besonders fasziniert hatte. Es zeigte durch eine Allee aus blühenden Fliederbüschen aufgenommen ein reetgedecktes Häuschen inmitten eines alten Bauerngartens. Dahinter lag ein See oder vielleicht sogar das Meer. Auf dem weiß geriffelten Rand des Fotos stand mit spitzem Bleistift fein geschrieben: Fyn.
Dieses Foto war für Celia zum Inbegriff von Heimeligkeit geworden. Manchmal träumte sie sich kurz vorm Einschlafen dorthin. Ihre Mutter hatte ihr nichts Näheres sagen können, außer dass es vielleicht in Dänemark aufgenommen worden war und dass ihr Vater, also Celias Großvater, dort einige Zeit gelebt hatte, bevor er nach Palästina auswandert war. Über den Großvater sprach ihre Mutter nicht gern, Celia wusste kaum etwas über ihn. Er war das große schwarze Loch in ihrer Ahnenreihe. Aber es gab sonst niemanden mehr, den sie hätte fragen können. So hatte sie gelegentlich in Ferienhausportalen im Internet geforscht, einfach aus Neugier, ob das Häuschen wohl noch existierte. Und neulich war sie endlich fündig geworden! Das Ferienhaus Nummer Hy856 im Süden Fünens, mit Meerblick, lag nur hundertfünfzig Meter von der Ostsee entfernt, und es hatte große Ähnlichkeit mit dem reetgedeckten Häuschen auf dem Foto.
Celia hatte natürlich nicht alles stehen und liegen lassen, um direkt dorthin zu fahren. Denn erstens war sie die berufstätige Mutter eines sechsjährigen Sohnes, und zweitens hatte sie befürchtet, ihr schöner Traum könnte zerplatzen, wenn sie versuchte, ihn Wirklichkeit werden zu lassen. Dann allerdings hatten ihre Männer sich eine gemeinsame Angelwoche an der Schlei gewünscht - ein Wink des Schicksals! Zum Glück war Nummer Hy856 für diese Woche im Mai noch frei gewesen.
Auf die Ostseeinsel Fünen brauchte man von Hamburg aus etwa so lange wie bis nach Sylt. Obwohl so groß wie Mallorca, war die Insel in Celias Freundeskreis nur wenig bekannt. Wo willst du hin?, war sie ein paarmal gefragt worden. Ein echter Geheimtipp offenbar. Den wahren Grund für ihre Neugier auf genau dieses Sommerhäuschen hatte sie niemandem außer ihrem Mann Michael verraten. Besser nicht darüber reden . Es war ja nur eine kleine Hoffnung, mehr über den Großvater zu erfahren, nur eine vage Ahnung.
Als sie mit ihrem Auto eingetroffen war und das Haus zum ersten Mal in natura gesehen hatte, am Ende einer zartgrün sprießenden Fliederallee, da hatte sie alles noch viel schöner als erträumt gefunden.
Das weiß geschlämmte Steinhaus mit dem ochsenblutrot gestrichenen Fachwerk trug ein Reetdach, keck heruntergezogen wie eine Mütze. Vor türkisfarben gestrichenen Fensterrahmen hingen Blumenkästen mit Frühlingsblühern. Die Tür mit Holzschnitzereien leuchtete wie ein kleines Kunstwerk in bunten Farben. Darin wurde das Türkis aufgegriffen, gegen ein Dunkelblau abgesetzt, das Ochsenblutrot des Fachwerks wiederholte sich, und ein strahlendes Gelb machte daraus ein Feuerwerk der Lebensfreude. Die Fenster gingen nach außen auf - genau wie Celia es sich für ihr perfektes Haus wünschte. Und die beiden halbrunden Gauben im Dach wirkten unglaublich gemütlich.
Als Celia in die kleine Diele getreten war, da hatte es sich ein bisschen angefühlt, wie nach Hause zu kommen. Dabei war dies abgesehen von einem Kopenhagen-Wochenende vor Jahren ihr erster Besuch in Dänemark. Das Häuschen mit seinem alten Bauerngarten entsprach wohl einfach einem Urbild von Heimeligkeit. Es hatte Persönlichkeit, Charakter. Spätestens auf der lichtdurchfluteten verglasten Holzveranda mit Meerblick hatte Celia gespürt, dass sie mit diesem Haus etwas Besonderes verband.
Ach, und sie Trampel schaffte es, diesen wahr gewordenen Traum mit einer einzigen Bewegung zu ruinieren! Rotweinrinnsale versickerten in den Fugen der massiven Fußbodenbretter. Celia fuhr mit dem Schwamm hinein, doch dadurch verfärbte sich das Holz rosa. Wie sollte sie das bloß der Vermieterin erklären? Inger Olsen, eine ältere Dame, sie schätzte sie auf Mitte siebzig, war ihr auf Anhieb sympathisch gewesen. Bei der Schlüsselübergabe auf ihrem Hof, der ganz in der Nähe lag, hatte sie ihr noch in bestem Deutsch erklärt, dass sie das Ferienhaus im Frühjahr erst renoviert und erweitert hätten.
Obwohl es für die Jahreszeit eher kühl war, kam Celia gewaltig ins Schwitzen. Ihr Rücken begann zu schmerzen. Mühsam richtete sie sich auf, strich die Haare aus dem feuchten Gesicht, trat ein paar Schritte zurück. Nein, mit Abstand betrachtet sah alles nur noch katastrophaler aus! Sie tigerte durch die mit Antiquitäten und Ikea-Möbeln eingerichteten Zimmer - das Wohnzimmer mit Kaminofen und offener Küche, die drei Schlafzimmer und das erst kürzlich angebaute neue Bad. Im Putzschrank entdeckte sie eine Packung Haushaltsradiergummis. Vorsichtig probierte Celia einen aus. Und, oh Wunder, damit schwanden die Rotweinflecken! Erleichtert radierte sie bis in die Ecken - und stutzte. In die Paneelwand war eine kleine Tür eingelassen. Ein Verschlag? Sie musste kräftig am Riegel rütteln, doch dann sprang die Tür mit einem Ruck auf.
Eigentlich wollte Celia nur nachsehen, ob der Rotwein nicht auch darunter hindurchgesickert war. Aber da lag etwas. Eine längliche Rolle, die auch ein paar Spritzer abbekommen hatte. Sie wischte sie behutsam ab, zog dann das verstaubte, von Spinnweben überzogene Ding heraus auf die Veranda .
Eine aufgerollte Leinwand? Das geht mich nichts an, dachte Celia. Natürlich, aber sie war doch neugierig. Sie hielt die Öffnung ins Licht und erkannte Farben, verschiedene Grüntöne, helles und dunkles Lila. Mit den Fingerspitzen fühlte sie dick aufgetragene Farbe. Da konnte nun wirklich kein Mensch mehr widerstehen, oder?
Vorsichtig entrollte Celia das Gemälde. Es zeigte einen riesengroßen Fliederstrauß mit Blüten in Weiß, Rosa und allen Lilatönen von ganz zart bis dunkel vor einem geöffneten Fenster - so herrlich duftig, dass sie glaubte, ihn riechen zu können! Der Anblick warf sie um, sie sank zurück auf den Boden. Konnte es sein, dass der gemalte Ausblick im Hintergrund den Garten des Ferienhauses wiedergab?
Das Gemälde rollte sich langsam von allein wieder zusammen. Celia stand auf, suchte ein paar Bücher, entrollte erneut die Leinwand und legte die Bücher auf die vier Ecken. Dann trat sie einen Schritt zurück.
Der Strauß steckte in einem Kristallkrug, zwischen den Zweigen mit grünen herzförmigen Blättern glitzerte das Wasser der Vase durch den Kristallschliff tausendfach gebrochen. Über die üppigen Dolden ergoss sich ein frühlingshaftes Licht, das fröhlich stimmte und beschwingte.
Warum lag ein so zauberhaftes Bild offenbar schon seit langer Zeit unbeachtet im Dunkeln?
Am nächsten Vormittag war es immer noch frisch, der Wind scheuchte tuffige Wolken über den Himmel. Celia zog sich ihre dicke wollweiße Strickjacke über, bevor sie die Gemälderolle nach draußen brachte. Ihr Golf parkte neben dem Haus, vor dem die Fliederallee endete. Die baumhohen Sträucher waren zu einer Hecke zusammengewachsen. Die Dolden blühten noch nicht, aber sie waren schon zu erkennen. Vorsichtig schob Celia ihren Fund, die Leinwand maß sicherlich einen Meter fünfzig mal einen Meter fünfzig, von hinten durch den Kofferraum ins Auto. Dann ließ sie ihren Blick über die blau glitzernde Ostsee schweifen, zu grünen Inselchen und fernen Ufern. Was für eine Aussicht!
Das Grundstück lag leicht erhöht, sodass man den Pfad durch die mit Löwenzahn übersäte Weide bis ans Ufer mit beschwingtem Schritt hinunterging. Auf der Holzbank am sandigen Naturstrand hatte Celia schon am ersten Tag gesessen und den Sonnenuntergang beobachtet. Sie hatte die Wellen glucksen und das Schilf im Wind rauschen hören. Sie hatte sich vorgestellt, wie sie im Hochsommer vom hölzernen Bootssteg ins Wasser springen und unter dem verwitterten Holunderbusch im Schatten liegen würde. Der Wind zauste an ihren schulterlangen dunkelblonden Haaren. Tief atmete sie die frische Seeluft ein. Wie gut, dachte sie noch einmal, dass ich die Gelegenheit beim Schopf gepackt und einfach gebucht habe!
Dabei war sie ja zunächst ein wenig enttäuscht gewesen, als ihr Sohn Oskar sich gewünscht hatte, eine »Männerwoche« mit Angeln zu verbringen - etwas, das ihm mit Sicherheit der Papa eingeredet hatte. Ja, sogar etwas Eifersucht hatte sie empfunden, weil Oskar ohne sie, nur mit seinem Vater und dem Großvater zusammen Ferien machen wollte. Aber nach einiger Überlegung hatte sie auch die Vorzüge gesehen. So konnte sie in Ruhe an der Übersetzung arbeiten, die sie Ende Mai abgeben musste. Es war nichts Aufregendes, nur der Nachhaltigkeitsbericht einer russischen...
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