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Die Töchter des Grafen
An einem Frühsommertag im Jahre des Herrn 1343 stürmte der Turmwächter in den Saal, in dem sich die restlichen Bewohner der Burg versammelt hatten, und blieb mit bleichem Gesicht vor dem Grafen von Marranx stehen. »Herr, der Feind!«
Guifré Espin schob sich in eine Fensternische und stieß die hölzernen Läden auf. Ein kalter Windstoß fegte herein und brachte die Öllampe auf dem Tisch zum Erlöschen. Es war wie ein böses Omen. Der Graf schüttelte sich, um das Gefühl unausweichlichen Verhängnisses abzustreifen, und lehnte sich weit hinaus. Das Tal öffnete sich zu einer mit Mandelbäumen übersäten Ebene, durch die eine Straße auf das Dorf am Fuß der Burg zulief und sich dann wie eine Schlange den Hang zur Festung hochwand. Zwischen dem hellen, mit Blüten übersäten Grün erblickte Guifré Espin jenen Trupp Bewaffneter, den der Wächter entdeckt hatte.
Er zählte sechs Ritter zu Pferd und mindestens sechzig Männer zu Fuß und nickte erbittert, als habe er nichts anderes erwartet. Als er sich umdrehte, standen die drei Waffenknechte vor ihm, die ihm treu geblieben waren. Die Männer sahen so aus, als würden sie am liebsten die Beine in die Hand nehmen und laufen, so weit sie nur konnten. Der einzig unbewaffnete Mann im Raum aber blickte so grimmig drein, als wolle er die sich Nähernden eigenhändig erschlagen. Es war Antoni, der Leibdiener des Grafen, ein untersetzter Mann mittleren Alters mit einem eher ehrlichen als hübschen Gesicht und den dunklen Augen seiner maurischen Großmutter. Als Guifré Espin ihn mit einem fragenden Blick streifte, stieß er einen unchristlichen Fluch aus, trat an die Wand und nahm eine der dort hängenden Streitäxte herab.
Guifrés Tochter Soledad folgte seinem Beispiel, während ihre um zwei Jahre ältere Schwester Miranda sich auf einen Stuhl fallen ließ und die Hände vors Gesicht schlug. Der Graf strich seiner Erstgeborenen über die honigfarbenen Haare und zuckte zusammen, als sie mit tränenerfülltem Blick zu ihm aufsah. Sie glich so stark ihrer Mutter, dass er ihren Anblick kaum ertragen konnte. Daher wandte er sich abrupt um und trat wieder in die Fensternische. Der Kriegertrupp war so nahe herangekommen, dass er die Wappen auf den Schilden der vordersten Ritter erkennen konnte. An der Spitze ritt Joan Esterel, der wohl jenen Neffen an ihm rächen wollte, den er vor wenigen Tagen beim Kampf um den Almudaina-Palast getötet hatte. Ihm folgte Domenèch Decluér, der seit sechzehn Jahren auf Vergeltung für seine gekränkte Ehre wartete und sich nun kurz vor dem Ziel wähnte.
»Sie haben sich nicht viel Zeit gelassen«, spottete Guifré Espin.
Die bitteren Worte waren nur für ihn selbst bestimmt, doch Antoni wagte es nachzufragen. »Wen habt Ihr denn ausmachen können, Herr?«
Der Graf von Marranx bleckte die Zähne. »Eine Sammlung alter und neuer Feinde, die danach gieren, einen alten Dachs wie mich in seinem Bau auszuräuchern.«
»Habt Ihr auch die Farben der Grafen von Urgell oder des Vescomte de Vidaura erkannt?« Antonis Stimme klang ängstlich und hoffnungsvoll zugleich.
Graf Guifré musterte die Wappen der übrigen Ritter, und als er in den Raum zurücktrat, stand die Antwort auf seinem Gesicht geschrieben. »Nein! Von denen lässt sich keiner hier blicken. Damit zeigen die Herren von Urgell mir deutlich, dass sie meine Töchter nicht als Blutsverwandte anerkennen.«
Seine Schultern sanken nach vorne, und er wirkte mit einem Mal viel älter als seine achtunddreißig Jahre. Das wenige, was er noch an Hoffnung gehegt hatte, sollte sich also nicht erfüllen. Die Sippen der Herren von Urgell - Verwandte und angesehene Lehensleute des Königs von Katalonien, Aragón und Valencia - waren nicht bereit, ihm zu verzeihen, dass er eine ihrer Verwandten am Vorabend ihrer Hochzeit entführt hatte und mit ihr ins Königreich Mallorca geflohen war. Nun war Jaume III. von seinem Vetter Pere IV. von Katalonien-Aragón vertrieben worden, und um seinen Herrschaftsanspruch zu festigen, hatte dieser Jaumes ehemaligen Gefolgsleuten angeboten, ihm als neuen Herrn von Mallorca die Treue zu schwören und dafür ihre Ländereien behalten zu dürfen. Nur an ihn, Guifré Espin, Graf von Marranx, war kein solches Angebot ergangen. Das schmerzte ihn nun stärker als erwartet, auch wenn er im Grunde mit nichts anderem gerechnet hatte. Er wusste, welchen Groll König Pere wegen seiner Flucht an den Hof seines Vetters gegen ihn hegte, aber er hatte sich nicht vorstellen können, dass sein einstiger Lehnsherr so wenig Gnade zu üben bereit war und nun auch seine Töchter dem Verderben preisgab.
»Bei Gott, diese Niederlage hätte nicht sein müssen. Wir hätten Peres Truppen aufhalten können!« In seiner Stimme schwang all die Wut über die vielen wankelmütigen Edelleute, die ihn seit dem Kampf um die Ciutat de Mallorca erfüllte. Viel zu wenige waren gekommen, um mit ihren Männern die Stadt gegen das Heer Katalonien-Aragóns zu verteidigen, und so war Jaumes Herrschaft glanzlos zu Ende gegangen.
»Wo waren denn die Herren, die unserem König die Treue geschworen haben? Wo sind die de Llors, die de Biures und wie sie alle heißen abgeblieben, als Mallorca sie brauchte? Verflucht sollen sie sein, und ganz besonders dieser elende Kardinal de Battle, dessen Verrat den Katalanen erst den Schlüssel der Ciutat in die Hand gegeben hat!« Der Graf zitterte wie im Fieber, als er an die verzweifelte Gegenwehr der Verteidiger dachte. Die Zahl seiner Mitstreiter hatte bei weitem nicht ausgereicht, den Feind aufhalten zu können, und so hatte er die meisten Gefolgsleute in einem verzweifelten Abwehrkampf verloren.
»Ich hätte mich hier nicht aufhalten dürfen, sondern gleich gestern, als ich hierher zurückkam, mit euch fliehen sollen.« Man konnte Guifré Espin ansehen, wie sehr es ihn schmerzte, seine Töchter nicht vor dem Zugriff des Feindes gerettet zu haben.
Antoni schüttelte den Kopf. »Ihr konntet doch nicht ahnen, dass sich die Ritter Kataloniens wie Aasgeier auf Eure Fährte heften würden, Senyor! Wären Eure Verfolger nur einen Tag später hier aufgetaucht, hätten wir uns in Sicherheit bringen können.«
Im Grunde seines Herzens glaubte Antoni allerdings nicht daran, dass ihnen die Flucht hätte gelingen können, denn König Peres Männer hielten höchstwahrscheinlich schon alle Häfen besetzt und würden die Schiffe, die nach Perpinya oder Frankreich abgingen, besonders gründlich kontrollieren. Seinem Herrn sah man auch in Verkleidung den Edelmann an, und man würde ihn und seine Töchter sofort verhaften, wenn sie sich einem Schiff näherten.
»Sie gieren nach unserem Blut. Nun gut, dann soll es fließen!« Guifré maß seine Waffenknechte mit kritischem Blick. Sie hatten ihm im Kampf um die Ciutat de Mallorca gute Dienste geleistet und waren bis zur Stunde nicht von seiner Seite gewichen. Nun aber wäre ihr Tod ein nutzloses Opfer, das zu bringen er nicht bereit war.
»Verschwindet von hier! Verlasst Marranx! Dies ist nicht mehr euer Kampf.«
Die drei Männer atmeten erleichtert auf und liefen zur Tür. Dort drehte einer sich um und bedachte Guifré mit einem zweifelnden Blick. »Aber wir dürfen Euch doch nicht im Stich lassen, Herr.«
»Geht! Ich befehle es euch.« Kaum hatte der Graf die Hand gehoben, als wolle er sie wegscheuchen, rannten die drei davon, als sei der Teufel hinter ihnen her.
»Wir werden die Berge der Tramuntana überqueren und dabei die entlegensten Pässe nehmen müssen, wenn wir unseren Feinden entkommen wollen.« Antoni hoffte wider besseres Wissen, seinen Herrn doch noch zur Flucht überreden zu können.
Dieser starrte ihn grimmig an. »Und warum bist du noch hier?«
»Weil ich es so will!« Antoni wagte nicht zu sagen, dass er sich für das Gesinde schämte, das die Burg bereits bei der Nachricht von der verlorenen Schlacht verlassen hatte. Seiner Ansicht nach hätten die Leute wenigstens bis zur Rückkehr des Grafen warten und ihn bitten können, sie gehen zu lassen. So aber hatten Miranda und Soledad das Abendessen und das Frühstück, dessen Reste noch auf der langen Tafel aus wohlriechendem Mandelholz standen, mit eigener Hand zubereiten müssen. Zwar hatte er ihnen geholfen, so gut er es vermochte, doch er verstand mehr davon, einem Edelmann in Kleidung und Wehr zu helfen, als mit Kochtöpfen zu hantieren.
Der Graf warf einen letzten Blick auf seine Feinde, die gerade in den Wald aus Steineichen einritten, welcher die Burg wie ein erster Wall umgab, und nickte dann Antoni zu. »Bring meine Rüstung! Ich werde diese Schurken gebührend empfangen.«
Damit war es entschieden. Guifré Espin de Marranx würde nicht vor seinen Feinden davonlaufen, sondern ihnen einen Kampf liefern, an den sie noch lange zurückdenken sollten.
Antoni beeilte sich, das Kettenhemd zu holen und es seinem Herrn überzustreifen. »Soll ich zum Torturm laufen und das Fallgitter herunterlassen?«, fragte er, während er dem Grafen die Beinschienen anlegte.
Guifré Espin lachte spöttisch auf. »Wozu denn? Meine verstorbene Gemahlin und ich haben stets ein gastfreundliches Haus geführt.«
Antoni wagte nicht, zu widersprechen, auch wenn sein Herz sich verkrampfte. Sein Blick wanderte zu den beiden Mädchen hinüber. Mit ihren vierzehn Jahren war Miranda eine knospende Schönheit mit weichen, bereits fraulich wirkenden Formen, blauen Augen und ebenmäßigen Gesichtszügen. Sie hätte das Ebenbild ihrer Mutter werden können, wenn das Schicksal ihr nun nicht so erbarmungslos mitspielen würde. Da weder einer der Herren von Urgell noch ein Vidaura unter den sich nähernden Feinden zu finden war, der sie...
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