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Marie schauderte, als der Henker mit der brennenden Fackel in der Hand auf den Scheiterhaufen zutrat. Hinter ihr aber johlte die dicht stehende Menge erwartungsvoll auf. Es war, als habe sich ganz Konstanz auf der Hinrichtungsstätte versammelt, um sich das Schauspiel eines Feuertods nicht entgehen zu lassen.
Mitten aus den Holzscheiten und Reisigbündeln ragte ein kräftiger Pfahl heraus, an den der Verurteilte mit Ketten gefesselt worden war. Der Mann stand völlig regungslos, sein Gesicht glich einem weißen Fleck.
Mit einer geradezu triumphierenden Geste reckte der Henker die Fackel hoch, damit alle sie sehen konnten, und drehte sich langsam zu dem Delinquenten um. Die Richter hatten Ruppertus zu einem langsamen Tod verurteilt, daher setzte der Henker nur eine Ecke des Scheiterhaufens in Brand und zog sich dann zurück.
Aus der Menge erschollen laute Stimmen, die den Verurteilten verhöhnten. Marie biss die Lippen zusammen, um sich kein Wort entschlüpfen zu lassen, und starrte einige Augenblicke nur in die aufsteigenden Flammen, die sich langsam auf Ruppertus zufraßen. Dann glitt ihr Blick an dem Mann hoch, der aus Hass und Geldgier ihr Leben zerstört hatte. Noch verdeckten weder Rauch noch Flammen sein Gesicht, und so konnte sie die Todesangst und das Grauen in seinen weit aufgerissenen Augen lesen. Er schien immer noch nicht fassen zu können, dass er sterben musste.
Seine Lippen formten Worte, die jedoch im Prasseln des Feuers untergingen. Das blonde, nassgeschwitzte Haar fiel ihm wirr über die Stirn, und in dem Schandkittel wirkte er klein und hässlich. Von dem gutgekleideten Mann, der vorgegeben hatte, sie zur Frau nehmen zu wollen, war nur ein zitterndes Bündel Mensch übrig geblieben, an einen Pfahl gefesselt und von Flammen umzüngelt, die sich in sein Fleisch fressen würden.
In Marie wollte Mitleid aufsteigen, denn dieser Mann sah einem Tod entgegen, den sie nicht einmal ihrem ärgsten Feind wünschen würde.
»Er war dein ärgster Feind«, korrigierte sie sich, und in ihr stieg die Erinnerung an jene grauenvollen Tage und Wochen auf, in denen alles begonnen hatte. Sie sah sich selbst als widerwillige Braut, dann geschändet im Kerker und schließlich als Verurteilte an einen Pfahl gebunden, während der einstige Stadtbüttel Hunold mit aller Kraft auf sie einschlug, um sie - wie sie nun wusste - in Ruppertus' Auftrag totzuschlagen.
Hunold - Unhold formten ihre Gedanken. Doch wie sollte sie Ruppertus bezeichnen? Er war der wahrhaft Böse gewesen, die treibende Kraft hinter dem Verbrechen an ihr. Er hatte sie ihrer Familie beraubt und ins Elend gestürzt. Noch einmal sah sie ihren Vater sterben und dachte an Wina, ihre Tante, die elend im Narrenturm umgekommen war. Auch roch sie wieder die verschwitzten Leiber der Männer, die sie auf sich hatte ertragen müssen.
Nein, sie konnte Ruppertus nicht verzeihen. Eine Heilige hätte es vielleicht vermocht, doch das war sie nicht. Sie war eine Hure, auch wenn die Kirche und der König selbst sie von aller Schuld und allen Sünden freigesprochen hatten. Doch eine Unterschrift und ein Siegel auf einem Pergament konnten nicht die Erinnerung an all die Dinge auslöschen, die sie erlebt hatte. Ihr Blick wurde hart und ihr Gesicht starr. Ruppertus hatte sich Splendidus - der Glänzende - nennen lassen und war doch nur eine habgierige Kreatur gewesen, die über Leichen ging. Er hatte diesen Tod verdient!
Während Maries Miene sich verdüsterte, starrte Ruppertus sie unverwandt an. Durch den aufsteigenden Rauch und die höher schlagenden Flammen konnte er sie nur schemenhaft erkennen, doch er begriff nun, welch starker Wille diese Frau beseelte, und erkannte die innere Kraft, mit der sie ihrem Schicksal getrotzt und ihre Rache gesucht hatte.
»Ich hätte dafür sorgen müssen, dass sie keine Möglichkeit zur Flucht bekommen konnte, sondern noch in Konstanz umgebracht wurde. Dann wäre ich jetzt Graf von Keilburg und ein hoher Herr«, stöhnte er und spürte, wie die ersten Flammen an seinem Kittel leckten.
Doch da erhob sich eine andere Stimme in ihm. Alles war falsch gewesen. Er hatte Marie doch geliebt! Warum nur hatte er zugelassen, dass sie von üblen Schurken vergewaltigt und von Hunold halb totgeschlagen worden war? Es war so viel Kraft in ihr! Diese hätte er nützen sollen, um höher aufzusteigen. Ihre Kinder wären Grafen geworden und vielleicht noch mehr. Die Zeit war im Wandel, und wer rasch und beherzt zugriff, war gegenüber allen anderen im Vorteil. Sein scharfer Verstand in Verbindung mit ihrer raubtierhaften Kraft hätte Großes vollbringen können.
Einige Augenblicke lang spürte Ruppertus das Feuer nicht mehr, das seine Beine hochzüngelte, sondern sah sich selbst in prachtvoller Kleidung mit Marie an seiner Seite auf König Sigismund zutreten und dessen engster Ratgeber werden.
So schnell das Bild gekommen war, so rasch schwand es in dem Schmerz, der durch seinen Körper peitschte. Ruppertus riss die Augen auf und sah den Mann, der an Maries Seite getreten war und die Hand um ihre Schultern legte. Es war der Sohn des Schankwirts, jener Lümmel, der es gewagt hatte, seine Augen zu Marie zu erheben, und der sie nun auch bekommen hatte. Selbst der Gedanke, dass die Frau als Hure Dutzenden anderer Männer zu Willen hatte sein müssen, konnte Ruppertus' Gefühl nicht vertreiben, gegen eine Kreatur aus der Gosse verloren zu haben.
»Herrgott, warum hast du das zugelassen?«, schrie er und meinte damit nicht nur das Paar vor sich, sondern auch den Scheiterhaufen, auf dem er sich zur Belustigung der Konstanzer Bürger und der Konzilsgäste in Qualen wand.
Das Feuer wurde heißer, und Ruppertus rang nach Luft. Er wusste, dass Rauch die Menschen betäubte, und sehnte diese Ohnmacht herbei, die ihm endlich den Schmerz nehmen würde, der immer heftiger durch seinen Körper raste. Er spürte deutlich, wie das Feuer seine Glieder verzehrte, und in seiner Not flehte er Gott an, ihm gnädiges Vergessen zu schenken.
Gierig sog er den ätzenden Rauch in die Lunge und kämpfte gegen den Hustenreiz, der ihn würgte. Da traf ihn ein kalter Windstoß und blies den Rauch von ihm weg. Die Flammen zitterten einen Augenblick lang, flammten dann aber doppelt so heiß und sengend wieder auf. Der stärker werdende Wind trieb den Rauch gegen die Zuschauer, während Ruppertus entgegen seiner Hoffnung frische Luft einatmete. Offensichtlich wollte das Schicksal ihn die Qual bis zum letzten bitteren Tropfen auskosten lassen.
Er suchte erneut nach Marie, ein dichter Schleier drohte sie seinem Blick zu entziehen. Andere Gaffer wichen bereits vor dem Rauch zurück, doch sie stand so regungslos in den Schwaden wie eine archaische Göttin. Auch der Wirtsbengel, den er unterschätzt und daher missachtet hatte, trotzte dem Rauch. Er hasste den Kerl so sehr, dass er sich wünschte, er könne seine Seele dem Teufel verschreiben, nur damit diese Gossenkreatur an seiner Stelle brannte.
Doch im nächsten Moment verflogen der Hass und die Wut, die seinen Schmerz zeitweise betäubt hatten, und er kämpfte verzweifelt gegen seine Fesseln, um den schier unerträglichen Qualen zu entkommen. Doch die Flammen fraßen sich unerbittlich in seinen Leib.
»Herrgott, mach ein Ende!«, schrie er und verfluchte im nächsten Augenblick Gott und die ganze Welt, weil man ihm dies antat.
Marie achtete nicht auf den Rauch, der sie wie schwarzer Nebel umwaberte, sondern blickte unverwandt in die Flammen, die Ruppertus umgaben. Der Wind schürte das Feuer an wie ein Blasebalg und ließ die Holzscheite hell aufglühen. Nicht mehr lange, dachte sie, dann ist mein schlimmster Feind tot! Dann endlich würde es ihr möglich sein, ein neues Leben zu beginnen.
Sie schloss die Augen und lehnte sich gegen Michel. Ihn hatte sie immer geliebt, und sie war stolz auf ihn. Stand er doch trotz allem, was in der Zwischenzeit geschehen war, treu zu ihr. Wenn Ruppertus tot ist, kann es für mich doch noch Glück und Liebe geben, wiederholte sie in Gedanken und sagte sich, dass das Schicksal sie zwar zu den tiefsten Tiefen des menschlichen Seins hinabgespült, ihr aber auch die rettende Hand gereicht hatte.
Ein weiterer Windstoß, stärker als die vorhergehenden, ließ Funken aufstieben und trieb sie auf Marie zu. Michel zog sie ein paar Schritte zurück und zeigte zum Himmel, der sich auf einmal pechschwarz über ihnen wölbte. Erste Blitze zuckten wie Flammenzeichen am Horizont, gleichzeitig erschütterten Donnerschläge das Land und übertönten das Prasseln des Feuers.
»Es zieht ein Unwetter auf! Wir sollten ins Trockene gehen, bevor es sich über uns entlädt«, riet Michel, doch Marie schüttelte den Kopf.
»Ich will ihn sterben sehen!«
Um sie herum wandten sich die ersten Zuschauer ab und hasteten in die Stadt zurück. Nicht lange, da verscheuchten die den Himmel mit einem glühenden Netz überziehenden Blitze und der ununterbrochen rollende Donner auch die restlichen Gaffer. Nur Marie und Michel, ein paar Stadtknechte und zwei Dominikanermönche blieben bei dem mittlerweile lichterloh brennenden Scheiterhaufen stehen.
Marie sah, wie Ruppertus sich in Schmerzen wand, und durch das Getöse des Gewitters hindurch glaubte sie auch, Schreie zu vernehmen, die nichts Menschliches mehr an sich hatten. Noch regnete es nicht, und die Windböen fachten das Feuer zu einem Inferno aus Glut und Flammen an.
Als der Wind heftiger an Maries Kleidern zerrte und sie erneut in Gefahr geriet, vom Funkenregen getroffen zu werden, schlang Michel den Arm um sie und führte sie weg.
»Es ist gleich vorbei«, sagte er. »Ruppertus kann sterben, ohne dass du ihm zusiehst.«
Marie nickte nachdenklich. »Es ist eine grauenvolle...
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