Der Feind der ganzen Welt
Es war Silas Bannerman, der den gelehrten Hexenmeister und Erzfeind der Menschheit, Emil Gluck, zur Strecke brachte. Das Geständnis, das Gluck ablegte, ehe er den elektrischen Stuhl bestieg, warf Licht auf eine Reihe mysteriöser Vorgänge, die, scheinbar zusammenhanglos, in den Jahren 1953 bis 1961 die Welt so in Schrecken versetzten. Erst als dieses denkwürdige Dokument veröffentlicht wurde, erhielt die Welt eine Ahnung davon, daß eine Verbindung zwischen der Ermordung des portugiesischen Königspaares und den Mördern der New Yorker Polizisten bestanden hatte. So abscheulich die Taten Emil Glucks auch waren, können wir uns doch eines gewissen Mitleids mit dem unglücklichen, mißgestalten und mißhandelten Genie nicht erwehren.
Diese Seite der Geschichte ist noch nie erzählt worden, aber das Geständnis und die große Menge von Beweismaterial, Dokumenten und Protokollen aus dieser Zeit ermöglichen es uns, ein leidlich getreues Porträt des Mannes zu entwerfen und die Faktoren und Eindrücke zu beurteilen, die ein menschliches Ungeheuer aus ihm machten und ihn seinen furchtbaren Weg vorwärts und hinab trieben.
Emil Gluck war im Jahre 1915 in Syracuse, New York, geboren. Sein Vater, Josephus Gluck, ein ausgezeichneter Polizeibeamter und Schutzmann, starb plötzlich im Jahre 1920 an Lungenentzündung. Die Mutter, ein hübsches, zartes Geschöpf - sie war vor ihrer Ehe Putzmacherin gewesen -, grämte sich über den Verlust ihres Mannes zu Tode. Diese Empfindsamkeit der Mutter wurde das Erbe des Knaben und sollte in ihm zum Krankhaften und Gräßlichen ausarten.
Im Jahre 1921 kam der damals sechsjährige Knabe zu seiner Tante, Frau Ann Bartell. Sie war die Schwester seiner Mutter, aber in ihrer Brust lebte kein freundliches Gefühl für den sensitiven, furchtsamen Knaben. Ann Bartell war eine eitle, oberflächliche und herzlose Frau. Dazu war sie zur Armut verdammt und mit einem Mann belastet, der ein fauler Herumtreiber und Tunichtgut war. Der kleine Emil Gluck war nicht gern gesehen, und man kann es Ann Bartell schon zutrauen, daß sie ihm diese Tatsache hinreichend unter die Nase rieb. Um die Behandlung zu zeigen, die ihm in dieser frühen, so aufnahmefähigen Periode zuteil wurde, sei folgende Probe gegeben:
Als er etwas über ein Jahr im Bartellschen Hause verbracht hatte, brach er das Bein. Der Unfall geschah beim verbotenen Spielen auf dem Dach - wie alle Knaben es getan haben und bis zum Ende aller Zeiten tun werden. Der Oberschenkel war an zwei Stellen gebrochen. Es gelang Emil, sich mit Hilfe der erschrockenen Spielkameraden auf den Bürgersteig zu schleppen, wo er in Ohnmacht fiel. Die Kinder fürchteten sich vor der bösen Sieben mit den abstoßenden Zügen, die dem Bartellschen Haushalt vorstand. Sie rafften sich jedoch zu dem Entschluß auf, zu schellen und Ann Bartell den Unfall zu berichten. Die Frau sah den Kleinen, der hilflos auf dem Pflaster lag, überhaupt nicht an, schlug die Tür zu und begab sich wieder an ihren Waschzuber. Die Zeit verstrich. Ein feiner Sprühregen setzte ein und durchnäßte den aus seiner Ohnmacht erwachten stöhnenden Emil. Das Bein hätte sofort geschient werden müssen. So griff die Entzündung rasch um sich. Nach Verlauf von zwei Stunden erhoben entrüstete Nachbarinnen Einspruch bei Ann Bartell. Diesmal kam sie heraus und sah sich den Knaben an. Wie er so hilflos zu ihren Füßen lag, stieß sie ihn in die Seite und verleugnete ihn in einem Wutausbruch. Er sei nicht ihr Kind, sagte sie, man solle einen Krankenwagen kommen lassen und ihn zur Unfallstation schaffen. Damit ging sie wieder ins Haus zurück.
Eine Frau, Elizabeth Shepstone, die zufällig vorbeikam, hörte, was geschehen war, und ließ den Knaben auf eine Pritsche legen. Dann schickte sie zum Arzt und ließ, Ann Bartell beiseite schiebend, den Knaben ins Haus tragen. Als der Arzt erschien, verkündete Ann Bartell ihm sofort, daß sie ihm nichts zahlen würde. Zwei Monate lag der kleine Emil zu Bett, den ersten auf dem Rücken, ohne auch nur ein einziges Mal umgebettet zu werden, vernachlässigt und einsam bis auf die gelegentlichen Besuche des unbezahlten und überarbeiteten Arztes. Er hatte keine Spielsachen, nichts, um sich die endlosen, langweiligen Stunden zu vertreiben. Niemand sprach ein freundliches Wort zu ihm, keine Hand legte sich ihm sanft auf die Stirn, nicht die geringste Zärtlichkeit wurde ihm erwiesen - er hörte nichts als die Vorwürfe und harten Worte Ann Bartells, die ihn immer wieder hören ließ, daß seine Anwesenheit unerwünscht sei. Es ist wohl verständlich, daß sich in dieser Umgebung in dem einsamen, vernachlässigten Knaben viel von der Bitterkeit und Feindseligkeit gegen sein Geschlecht entwickelte, die später, in so furchtbare Taten umgesetzt, die Welt entsetzen sollten.
Seltsam erscheint, daß Ann Bartell dem Knaben eine gute Erziehung zuteil werden ließ; die Erklärung ist jedoch ganz einfach. Ihr Tunichtgut von Mann, der sie verlassen hatte, machte einen Fund in den Goldfeldern von Nevada und kehrte als vielfacher Millionär zurück. Ann Bartell haßte den Knaben und schickte ihn sogleich hundert Meilen fort in die Farristowner Kostschule. Scheu und empfindsam, eine einsame, unverstandene kleine Seele, fühlte er sich in Farristown einsamer als je. Er kam nie heim wie die andern Knaben, weder in den Ferien noch zu den Feiertagen. Statt dessen durchwanderte er die verödeten Gebäude und Plätze, begünstigt, aber unverstanden von Dienerschaft und Gärtnern, las viel und verbrachte seine Tage auf den Feldern und vor dem Kamin, die Nase stets in irgendein Buch gesteckt. Damals war es, daß er seine Augen überanstrengte und zum Tragen der Brille gezwungen wurde, die auf allen Fotografien so auffällt, welche die Zeitungen im Jahre 1961 veröffentlichten.
Er war ein ausgezeichneter Schüler. Durch seinen Fleiß allein würde er es weit gebracht haben, und dabei bedurfte er des Fleißes nicht. Ein Blick auf die Aufgabe, und er beherrschte sie auch schon. Die Folge war, daß er unzählige Bücher gleichzeitig verschlang und in einem halben Jahr mehr Wissen erwarb als ein Durchschnittsschüler in einem halben Dutzend. Im Jahre 1929 war er, kaum vierzehn Jahre alt, »reif«, ja, nach Ausspruch des Direktors der Kostschule, »mehr als reif«, um die Yale- oder die Harvard-Universität zu beziehen. Seine Jugend hinderte ihn jedoch, sich an einer dieser Lehranstalten immatrikulieren zu lassen, und so finden wir ihn denn in diesem Jahre als Fuchs das historische Kolleg von Bowdoin besuchen. Im Jahre 1933 machte er mit der höchsten Auszeichnung sein Examen und folgte dann sofort Professor Bradlough nach Berkeley in Kalifornien.
Professor Bradlough war der einzige Freund, den Emil Gluck in seinem Leben finden sollte. Eine schwache Lunge hatte den Professor bestimmt, Maine mit Kalifornien zu vertauschen, was ihm durch den Antrag eines Lehrstuhls an der Staatsuniversität erleichtert wurde. Das ganze Jahr 1934 blieb Emil Gluck in Berkeley, wo er wissenschaftliche Spezialkurse nahm. Gegen Ende des Jahres änderten zwei Todesfälle seine Pläne und seine Lebensbedingungen. In Professor Bradlough verlor er den einzigen Freund, den er je haben sollte, und Ann Bartell ließ ihn ohne einen Pfennig zurück. Bis zu ihrem Ende von Haß gegen den unglücklichen Menschen geladen, hatte sie ihn enterbt.
Im folgenden Jahre habilitierte sich Emil Gluck, zwanzig Jahre alt, als Dozent der Chemie an der kalifornischen Universität. Eine Reihe ruhiger Jahre verstrich, in denen er sich redlich für sein Gehalt plagte, immer mehr dazulernte und ein halbes Dutzend Examina machte. Unter anderem ward er Doktor der Soziologie, der Philosophie, der Physik und Naturwissenschaft - wenn er der Welt auch später nur einfach als Professor Gluck bekannt wurde. Er war siebenundzwanzig Jahre alt, als die Zeitungen anläßlich des Erscheinens seines Buches »Geschlecht und Fortschritt« seinen Namen zum erstenmal nannten. Dieses Buch ist heute noch ein Meilenstein in der Geschichte und Philosophie der Ehe. Es ist ein dicker Band von über siebenhundert Seiten, eine fleißige, sorgfältige und eingehende Arbeit, aufsehenerregend und eigenartig. Das Buch war für Wissenschaftler geschrieben, aber nicht einer rührte sich. Im letzten Kapitel erwähnte Gluck jedoch in drei Zeilen die Hypothese von der Probeehe. Dieser drei Zeilen bemächtigte sich sofort die Presse und machte Emil Gluck, den bebrillten jugendlichen Professor von siebenundzwanzig Jahren, vor der ganzen Welt lächerlich. Fotografen knipsten, Reporter belagerten ihn, die Frauenvereine im ganzen Land faßten Beschlüsse, die ihn und seine unmoralischen Theorien verdammten; und als im kalifornischen Parlament eine Anleihe für die Universität beantragt wurde, verlangte man in der Debatte sogar den Ausschluß Glucks. Natürlich hatte keiner seiner Verfolger sein Buch gelesen, die entstellten Berichte der Zeitungen über die drei Zeilen genügten ihnen. Dies gab den Anstoß dazu, daß Emil Gluck die Journalisten haßte. Sie hatten seine ernste und wirklich wertvolle sechsjährige Arbeit dem allgemeinen Gelächter preisgegeben. Sie sollten es bereuen, denn bis zu seiner Todesstunde verzieh er ihnen nicht.
Die Zeitungen waren es auch, denen er das nächste Mißgeschick, das ihm widerfuhr, zu verdanken hatte. In den fünf Jahren, die dem Erscheinen seines Buches folgten, verharrte er in Schweigen, und Schweigen ist nicht gut für einen Einsamen. Man kann sich mitfühlend die schreckliche Vereinsamung Emil Glucks an der stark besuchten Universität vorstellen; er hatte keinen Freund und keine Sympathien. Seine einzige Zuflucht waren Bücher, und er las und studierte weiter mit ungeheurem Fleiß. Im Jahre 1947 nahm er jedoch eine Einladung an, vor der Liga für...